am Sonntag, 29.6.2003, 13.00 Uhr an dem Haus Kaiser-Friedrich-Str. 103
Sehr geehrter Herr Sommer!
Sehr geehrte Damen und Herrn!
Herzlich willkommen zur Enthüllung einer Gedenktafel für den Gewerkschafter Ludwig Rosenberg. Dies ist wohl die Gedenktafel in unserem Bezirk, die am schnellsten realisiert wurde. Zwischen der Idee und der Enthüllung lagen keine 4 Wochen.
Michael Sommer hatte im März dieses Jahres gegenüber dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit angeregt, zum 100. Geburtstag eine Straße in Berlin nach Ludwig Rosenberg zu benennen.
Auf einigen Umwegen gelangte diese Anregung Ende Mai zu uns. Eine entsprechende Straßenbenennung ist in unserem Bezirk zwar in nächster Zeit nicht möglich, aber da wir erfuhren, dass Ludwig Rosenberg am 29.6.1903 in Charlottenburg geboren wurde und bis 1930 hier gelebt hat, haben wir vorgeschlagen, an seinem Wohnhaus eine Gedenktafel anzubringen.
Der Besitzer dieses Hauses, Herr von Karstedt, hat kurzfristig zugestimmt, eine entsprechende Tafel an seinem Haus anzubringen, wofür ich ihm sehr dankbar bin, denn ohne seine Erlaubnis wäre es nicht gegangen.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund fand die Idee gut, hat die Tafel gestiftet und den Bildhauer Reinhard Jacob mit der Herstellung beauftragt.
Herr Jacob hat sie in bewährter Weise hergestellt und angebracht. Und so können wir heute, am 100. Geburtstag von Ludwig Rosenberg mit einer Gedenktafel an ihn erinnern. Wie der Zufall es wollte, hatten wir für diesen Tag bereits langfristig die Enthüllung einer Gedenktafel für Herta Heuwer, die Erfinderin der Currywurst, geplant. Sie wäre morgen 90 Jahre alt geworden und hatte ihren Currywurststand ebenfalls an der Kaiser-Friedrich-Straße, nicht weit von hier an der Ecke Kantstraße. So enthüllen wir heute in Charlottenburg-Wilmersdorf zwei Gedenktafeln.
Ich weiß nicht, was Ludwig Rosenberg dazu gesagt hätte, dass er auf diese Weise für einen Moment in die Nähe der Erfinderin der Currywurst gebracht wird. Ich vermute, dass er vielleicht geschmunzelt hätte und sich als zeitlebens engagierter Gewerkschafter darüber gefreut hätte.
Immerhin handelt es sich ja bei der Currywurst um eine eher proletarische Speise, die inzwischen Liebhaberinnen und Liebhaber in allen gesellschaftlichen Schichten gefunden hat.
Ludwig Rosenberg wurde am 29. Juni 1903 als Sohn einer jüdischen Kaufmannsfamilie in der Spandauer Straße 17 geboren, dem heutigen Spandauer Damm. Seine Familie zog 1910 in die Lohmeyerstraße 4 und 1920 dann hierher in die Kaiser-Friedrich-Straße 103. Die Rosenbergs blieben also ihrem Kiez hier in Charlottenburg treu, und wenn sie umzogen, dann nur gewissermaßen um die Ecke.
Das änderte sich für Ludwig Rosenberg. Er engagierte sich bereits mit 21 Jahren im Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold und trat in die SPD ein. Ein Jahr später, 1925 trat er dem Gewerkschaftsbund der Angestellten bei, wo er nach 3 Jahren, 1928, seine erste hauptamtliche Funktion übernahm.
1930 zog er nach Düsseldorf und wurde Geschäftsführer des GdA in Krefeld, Düsseldorf und Brandenburg. 1933 musste er als jüdischer Deutscher und als Gewerkschafter ins Exil. In Großbritannien arbeitete er als freier Journalist, Dozent, Kaufmann und schließlich seit 1941 in der Internationalen Abteilung des britischen Außenministeriums.
1945 kam er nach Deutschland zurück und wurde zunächst Sekretär beim Zonensekretariat der Gewerkschaften für die britische Zone in Bielefeld. Schließlich wurde er auf dem Gründungskongress des DGB 1949 in den geschäftsführenden Bundesvorstand gewählt. 1962 wurde er DGB-Vorsitzender und 1963 Präsident des Internationalen Bundes Freier Gewerkschaft. Beide Funktionen behielt er, bis er 1969 in den Ruhestand ging. Er starb am 23.Oktober 1977 in Düsseldorf.
Ich freue mich sehr, dass ich heute gemeinsam mit Michael Sommer, dem Nachfolger Ludwig Rosenbergs als DGB-Vorsitzender, eine Gedenktafel enthüllen kann, mit der wir an den Gewerkschafter erinnern.
Wir tun dies in einer Zeit, in der die Rolle der Gewerkschaften in unserer Gesellschaft nicht mehr unumstritten ist. Von den Medien, von großen Teilen der Politik und von der Wirtschaft sowieso werden die Gewerkschaften überwiegend als Bremser kritisiert, als Traditionsvereine, die den notwendigen Modernisierungsprozessen in unserer Gesellschaft im Zeitalter der Globalisierung nur noch im Wege stünden.
Auch meine Partei, die SPD, diskutiert auf vielen Ebenen und in vielen Punkt hart mit den Gewerkschaften. Aber wir sollten dabei die Rolle der Gewerkschaften in unserer Gesellschaft nicht grundsätzlich in Frage stellen.
Ich sage das auch durchaus selbstkritisch. Gerade in dieser Zeit eines grundlegenden Strukturwandels brauchen wir starke Gewerkschaften, die darauf achten, dass dieser Strukturwandel nicht auf Kosten der Schwächsten in der Gesellschaft organisiert wird.
Wenn Modernisierung nur heißt, dass Schutzmechanismen für die Schwachen abgebaut werden, dass sich überall rücksichtslos die Stärkeren durchsetzen, dann dürfen wir diese Form von Modernisierung nicht ohne Widerstand hinnehmen. Im Gegenteil: Wir müssen die notwendigen Modernisierungsprozesse so gestalten, dass die sozialen Sicherungssysteme für die Zukunft tauglich und haltbar gemacht werden. Wie dies am besten geschehen kann, darüber kann und muss man im Einzelfall trefflich streiten. Aber dieser Streit darf nicht dazu führen, die Existenz und die entscheidend wichtige Rolle der Gewerkschaften in unserer Gesellschaft in Frage zu stellen.
Ludwig Rosenberg hat 4 Jahre vor seinem Tod, 1973, ein Buch veröffentlicht mit dem Titel “Sinn und Aufgabe der Gewerkschaften”. Es ist wohl so etwas wie sein Vermächtnis. Vielleicht sollten wir uns gerade heute daran erinnern.