am Freitag, dem 23.5.2003, 14.00 Uhr
Sehr geehrte Schülerinnen und Schüler!
Sehr geehrte Lehrerinnen und Lehrer!
Sehr geehrte Gäste!
Sehr geehrte Damen und Herrn!
Herzlichen Glückwunsch zum 100. Geburtstag! Das ist ein stolzes Alter, 2 Jahre älter als unser Rathaus Charlottenburg. Als das Reform-Realgymnasiums in der Guerickestraße eröffnet wurde, da hat man ein paar Meter weiter gerade mit dem Bau des Rathauses begonnen. Das Reform-Realgymnasium war zwar noch eine reine Jungenschule, aber ansonsten doch für damalige Verhältnisse sehr modern.
Das war natürlich kein Zufall. Denn Charlottenburg war eine aufstrebende Industriestadt. Schon fast 25 Jahre früher, im Jahr 1879 war die Königlich Technische Hochschule gegründet worden, aus der später die Technische Universität wurde. Und gegenüber, am Salzufer zwischen Spree und Landwehrkanal war ein ausgedehntes Industriegebiet entstanden, dominiert von Siemens und Halske. Später kam Daimler-Benz dazu.
Gegenüber der Residenzstadt Berlin verkörperte die junge Großstadt Charlottenburg die moderne Industriegesellschaft, und dazu gehörte eine mathematisch-technische Ausbildung, wie sie im Reform-Realgymnasium geboten wurde.
Dieses Gymnasium zog bereits nach 6 Jahren, 1909, in die Bayernallee im vornehmen Villenviertel Westend.
Hier hatten sich die wohlhabenden Bürger niedergelassen, die ihren Reichtum als Industrielle, Wissenschaftler oder Künstler erworben hatten. Im Gegensatz zum alten militärischen Adel waren sie aufgeschlossen gegenüber der neuen Zeit, meist liberal eingestellt und leistungsbewusst. Der gesellschaftliche Erfolg war für sie nicht beistimmt durch die Herkunft, sondern durch die eigene Bildung und Leistung. Bildung war für sie kein schöngeistiges Hobby, sondern Vorbereitung auf die Anforderungen des realen Lebens. Im Gegensatz zum traditionellen humanistischen Gymnasium konnte hier ein Reform-Realgymnasium die Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner erfüllen.
Vielleicht sollte die Benennung der Schule nach dem Theologen, Philosophen, Pädagogen und Schriftsteller Johann Gottfried Herder einen geisteswissenschaftlichen Gegenakzent setzen.
Denn der Zeitgenosse von Goethe und Schiller verkörperte die Weimarer Klassik, allerdings durchaus in ihrer modernen Form. Vor allem als Pädagoge plädierte er dafür, nicht traditionelle Normen zu vermitteln, sondern die schöpferischen Fähigkeiten der Schüler zu fördern. Vielleicht ist es diese Verbindung von Tradition und Moderne, die auch heute die Attraktivität der Schule ausmacht.
Längst ist das Herder-Gymnasium keine reine Jungenschule mehr. 1952 wurde es hier an diesem Standort mit dem Westend-Gymasium zusammengelegt, das bis dahin eine Mädchenschule war. Jetzt also gab es die Koedukation, den gemeinsamen Unterricht für Jungen und Mädchen. Dieser ist für uns heute schon so selbstverständlich, dass bereits wieder darüber nachgedacht wird, ob es nicht in einzelnen Fächern und bestimmten Altersgruppen ganz ratsam wäre, die Geschlechter zu trennen, damit sie sich nicht womöglich gegenseitig in ihrer Entwicklung behindern. Was Herder wohl dazu meinte?
Heute ist das Herder-Gymnasium Mitglied im Netzwerk mathematisch profilierter Schulen im Land Berlin. Das Profil und Angebot dieser Schule zeigt, dass sie sich ihrer Tradition entsprechend daran orientiert, was wir heute brauchen, um die Gegenwart zu bewältigen und die Zukunft gestalten zu können. Auch diese Jubiläumswoche hat gezeigt, dass die Schule ihren Bildungsauftrag zukunftsorientiert versteht. Ich vermute, dass die Podiumsdiskussion am gestrigen Abend dazu neue Anregungen gegeben hat.
Ich wünsche dem Herder-Gymnasium für die nächsten 100 Jahre alles Gute, seinen Schülerinnen und Schülern und seinen Lehrerinnen und Lehrern gemeinsam viel Erfolg.
Heute wünsche ich Ihnen ein schönes, fröhliches Schulhoffest und viel Spaß beim jiddischen Abend mit Klezmermusik. Morgen dann einen unvergesslichen Schulball, auf dem vielleicht ja auch wichtige Entscheidungen für die Zukunft getroffen werden.