am Freitag, 23.5.2003, um 11.00 Uhr auf dem Breitscheidplatz
Sehr geehrte Damen und Herrn!
Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit. Das sollten wir uns gerade heute, am Tag des Grundgesetzes, klar machen. Heute vor 54 Jahren ist unser Grundgesetz in Kraft getreten, und es hat uns 54 Jahre des Friedens, des Wohlstands und der Demokratie beschert. Daran haben wir uns inzwischen gewöhnt, aber es ist alles andere als selbstverständlich.
Der erste demokratische Staat in Deutschland, die Weimarer Republik, hat gerade einmal 13 Jahre gehalten und wurde abgelöst von einer brutalen Diktatur.
Die Nationalsozialisten haben alle demokratischen Rechte außer Kraft gesetzt, politische Gegner und Minderheiten ausgegrenzt, vertrieben und schließlich ermordet, und sie haben den Zweiten Weltkrieg ausgelöst.
Wenn wir fragen, wie es dazu kommen konnte, dann heißt die wichtigste Antwort wohl: Die Weimarer Demokratie ist gescheitert am Mangel an Demokraten. Gerade hier auf dem Breitscheidplatz an der im Zweiten Weltkrieg zerstörten Gedächtniskirche werden wir daran erinnert. Rudolf Breitscheid war ein aktiver Demokrat, der Widerstand geleistet hat gegen die Diktatur und der dafür sein Leben gelassen hat.
Wir haben viele Gedenktage, die uns an den schrecklichen Abschnitt unserer Geschichte erinnern – und es ist wichtig, dass wir uns daran erinnern. Aber es gibt auch Anlässe, uns zu freuen und dankbar zu sein. Der 23. Mai ist so ein Tag. Der Tag des Grundgesetzes ist ein guter Tag für unsere Demokratie und damit für unser Leben insgesamt.
Eine Demokratie lebt von den aktiven, engagierten Demokraten, die sie mit Leben erfüllen. Gerade jetzt, wo viel von Politikverdrossenheit und von Demokratiemüdigkeit die Rede ist, wo Zweifel geäußert werden, ob unsere demokratischen Institutionen noch geeignet sind zur Bewältigung der Zukunftsprobleme – gerade jetzt brauchen wir demokratisches Engagement.
Ich freue mich, dass wir hier auf dem Breitscheidplatz zum zweiten Mal am Tag des Grundgesetzes einen Marktplatz der Demokratie feiern können – ja feiern, denn Demokratie leben heißt nicht nur hart arbeiten, Kritik äußern und ertragen, politisch streiten, Mehrheiten suchen und um Entscheidungen ringen – Demokratie leben heißt auch feiern, sich bei allen unterschiedlichen politischen Überzeugungen einig zu sein im gemeinsamen Einsatz für die Demokratie und in der Freude über die Demokratie, in der wir leben.
Ich danke unserem Charlottenburg-Wilmersdorfer Bündnis “Demokratie jetzt!” und allen seinen Mitgliedern und Unterstützern. Sie haben auch in diesem Jahr wieder ein schönes Fest der Demokratie auf die Beine gestellt – und das ohne Steuergelder, allein mit ehrenamtlichem Einsatz und Unterstützung durch Sponsoren. Herzlichen Dank dafür!
Mit dazu gehört die gute Zusammenarbeit mit dem bundesweiten Bündnis für Demokratie und Toleranz. Zum ersten Mal dabei ist das Tempelhof-Schöneberger Bündnis, und wir haben insgesamt an mehr als 40 Ständen und auf der Bühne eine noch größere Beteiligung als im letzten Jahr.
Zu den Schwerpunkten gehören die stündlichen Talkrunden, in denen es um aktuelle Brennpunkte der Diskussion gehen wird. Schon jetzt möchte ich mich bei allen bedanken, die daran teilnehmen und die damit Demokratie auf der Bühne vorführen und demonstrieren.
Dazwischen werden wir viel Musik hören und Theater erleben. Bei allen Künstlerinnen und Künstlern, die unser Fest heute auf der Bühne bereichern, möchte ich mich ebenfalls herzlich bedanken.
Der Marktplatz der Demokratie ist ein offener Platz, ein Platz, der alle zur Beteiligung einlädt, zum Austausch und zum Engagement. Die Initiativen und Institutionen, die sich heute hier vorstellen, wollen einladen zum Mitmachen, aber sie wollen auch Inspiration sein für Menschen aus anderen Orten, sich in ihren Lebenszusammenhängen zu engagieren. Wir können die Zivilgesellschaft stärken, indem wir praktisches Engagement zeigen – und das ist möglich in allen Bereichen unserer Gesellschaft.
Wichtig ist: Demokratie findet nicht nur statt im Bundestag und in den Medien, sondern überall. Es kommt darauf an, dass wir Demokratie nicht nur konsumieren, sondern dass wir sie erleben.
Das kann bei einer Fahrraddemo sein, beim Straßentheater oder bei einer Besen-Kehraktion, wie wir sie im Anschluss an die letzte NPD-Demonstration in unserem Bezirk veranstaltet haben. Nur so, durch aktives Handeln, können wir die Demokratiemüdigkeit widerlegen. Denn wir dürfen nie vergessen: Die Demokratie lebt von den aktiven Demokraten.
Heute wollen wir unsere Demokratie feiern. Ich wünsche allen Beteiligten und allen Gästen viel Spaß dabei. Und ich wünsche dem Bündnis “Demokratie jetzt!” weiter viel Erfolg bei der Werbung für demokratisches Handeln.