Rede der Bezirksbürgermeisterin Monika Thiemen zur Festveranstaltung 100 Jahre Walther-Rathenau-Gymnasium am Montag, 19.5.2003, 11.00 Uhr in der Aula

Rede der Bezirksbürgermeisterin Monika Thiemen

zur Festveranstaltung 100 Jahre Walther-Rathenau-Gymnasium

am Montag, 19.5.2003, 11.00 Uhr in der Aula

Sehr geehrter Herr Herbst!
Sehr geehrte Lehrerinnen und Lehrer!
Sehr geehrte Schülerinnen und Schüler!
Sehr geehrte Eltern!
Sehr geehrte Gäste!

Herzlichen Glückwunsch zum 100. Geburtstag! Das Walther-Rathenau-Gymnasium ist eine traditionsbewusste Schule, und sie hat eine große Tradition. Ich freue mich, dass die Schule nun das 100jährige Jubiläum zum Anlass nimmt, an diese große Tradition zu erinnern.

Als die Schule 1903 unter der Bezeichnung “Realgymnasium zu Grunewald in Berlin” gegründet wurde, da war die Villenkolonie Grunewald gerade 14 Jahre alt. Es war erst 14 Jahre her, dass die Bäume gerodet, das sumpfige Gelände trockengelegt und vier künstliche Grunewaldseen angelegt worden waren, an denen das reich gewordene Berliner Bürgertum prächtige Villen baute, umgeben von großen Parks. Es waren insbesondere jüdische Bankiers, Industrielle, Verleger, Wissenschaftler und Schriftsteller, die aus dieser Millionärskolonie auch ein kulturelles Zentrum machten. In den Villen trafen sich die Künstler mit ihren Mäzenen, bei den Wohltätigkeitsveranstaltungen der Bankiersgattinnen kamen Physiker mit Musikern und Maler mit Kaufleuten ins Gespräch.

Diese Atmosphäre der grenzüberschreitenden Aufgeschlossenheit und der hohen Wertschätzung für alles Kulturelle hat auch die Schule von Anfang an geprägt. Die Bürgerschaft hatte sich heftig auseinandergesetzt über die Frage, ob man ein traditionelles humanistisches Gymnasium, oder ein modernes Realgymnasium gründen sollte.

Schließlich siegte die Meinung, “dass die Lebensbedingungen des modernen Menschen, der Wettbewerb der Völker, vor allem Englands und Amerikas, in der Technik zum Realgymnasium drängten.” Heute würden wir wohl sagen: Die Schule sollte auf die Realität in den Zeiten der beginnenden Globalisierung vorbereiten.

Aber über dem Realen wurde das Humanistische nicht vernachlässigt. Man fand Mittel und Wege, die moderne naturwissenschaftliche Ausrichtung mit einer geisteswissenschaftlichen Grundhaltung zu verbinden. Und diese Verbindung ist wohl bis heute ein Markenzeichen der Schule.

Der Bau der Schule wurde privat finanziert. Ein Staatszuschuss wurde nicht beansprucht, und an ihrem Gründungstag wurde sie reich beschenkt, etwa mit 200 Bänden moderner Literatur, optischen Apparaten, einem Bechstein-Flügel und wertvollen Marmorbüsten und Reliefs. Die Spender hießen Franz von Mendelssohn, Samuel Fischer, Franz Wertheim und und und. Ein wenig sehnsüchtig erinnern wir uns heute an so viel bürgerliches Engagement für Bildung und Erziehung – und es war ja kein Zufall, dass gerade die jüdischen Bürger sich so aktiv engagierten.

Das “Grunewald-Gymnasium”, wie es seit 1919 hieß, wurde von bedeutenden Persönlichkeiten unterstützt, und viele Schülerinnen und Schüler, die es besucht haben, wurden später bedeutende Persönlichkeiten, darunter die Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer, Justus Delbrück, Hans von Dohnanyi und Bernhard Klamroth, auf die das Walther-Rathenau-Gymnasium zu Recht stolz ist. An sie und an die ehemaligen jüdischen Schülerinnen und Schüler wird in der Schule mit Gedenktafeln erinnert.

1946, nach dem Ende des nationalsozialistischen Terrorstaates, erhielt die Schule den Namen “Walther-Rathenau-Gymnasium”, und es hätte keinen besseren geben können. Der umfassend gebildete, alle Grenzen sprengende Industrielle, Politiker, Künstler, Schriftsteller und Philosoph Walther Rathenau steht für die Vielseitigkeit der Schule. Der Jude Walther Rathenau, der hier in Grunewald lebte und hier in Grunewald von Rechtsradikalen ermordet wurde, steht für die Geschichte der Schule, und der Visionär Walther Rathenau steht für ihre Zukunftsorientierung.

Walther Rathenau entwarf ein Modell der weltweiten, globalisierten Organisation der Wirtschaft zum Wohle der Menschen. Er beklagte die kulturelle und geistige Verarmung weiter Bevölkerungskreise und verlangte Mitbestimmungsrechte und eine radikale Demokratisierung, damit eine Auslese der Besten stattfinden könne und nicht unfähige Personen in politische und wirtschaftliche Führungspositionen gelangten, die ihre Ämter lediglich durch ihre Herkunft erlangt hatten, statt durch Qualifikation und Leistung. Bildung war für Walther Rathenau eine unabdingbare Voraussetzung für ein menschenwürdiges Leben, und er verlangte das Recht auf Arbeit und Bildung für alle.

Der Name Walther Rathenaus ist ein guter Name für dieses Gymnasium. Er ist Auszeichnung und Verpflichtung zugleich. Ich weiß, dass hier die Erinnerung an Walther Rathenau intensiv gepflegt wird, und ich weiß, dass dieses Gymnasium sich im Sinne seines Namenspatrons der Zukunft stellt. Aktive Erinnerungsarbeit verbindet sich hier mit der Orientierung an den Verhältnissen der Gegenwart und der Beschäftigung mit den realen Zukunftsperspektiven.

Deshalb ist mir für die Zukunft unseres Walther-Rathenau-Gymnasiums nicht Bange. Ich wünsche für die nächsten 100 Jahre alles Gute und weiterhin viel Erfolg für die Schule und ihre Schülerinnen und Schüler.

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