Sehr geehrte Frau Dr. Gaehtgens!
Sehr geehrter Herr Prahm!
Sehr geehrte Damen und Herren!
Herzlich willkommen und vielen Dank, dass Sie in dieser kalten Jahreszeit an einem turbulenten Adventswochenende hierher gefunden haben, wo wir mit einer neuen Gedenktafel an eine bedeutende Frau erinnern wollen. Ich freue mich ganz besonders, dass wir mit dieser Tafel den Frauenanteil an den mittlerweile 300 Gedenktafeln in unserem Bezirk wieder einmal etwas erhöhen können.
Mit 40 Tafeln, auf denen Frauen geehrt werden, sind es immerhin bald 15 Prozent. Wenn ich dies so hervorhebe, dann werden manche denken, es handle sich hier um eine Quotenfrau, die einen Frauenbonus erhielte und vor allem deshalb geehrt würde, damit die Frauenquote erhöht wird. Dem muss ich vehement widersprechen, und wir würden Hermine Heusler-Edenhuizen mit einer solchen Unterstellung nicht nur unrecht tun, sondern ihre Leistung und ihre Persönlichkeit ins Gegenteil verkehren.
Die 1872 in Ostfriesland geborene Hermine Edenhuizen hat hier, in dem Haus an der Rankestraße 35, von 1911 bis 1937 als erste niedergelassene Fachärztin für Frauenkrankheiten und Geburtshilfe in Deutschland gelebt und praktiziert.
Ich danke dem Hauseigentümer und dem Hausverwalter, Herrn Schütze. Er hat sofort sein Einverständnis erklärt, an seinem Haus die Gedenktafel anzubringen. Wir haben leider feststellen müssen, dass dies nicht immer selbstverständlich ist. Deshalb noch einmal: herzlichen Dank dafür.
Vor allem aber möchte ich Frau Dr. Marianne Gaehtgens danken. Ihr haben wir es zu verdanken, dass wir heute diese Gedenktafel enthüllen können. Sie hat die Initiative dazu ergriffen, und sie hat das Geld dafür gesammelt.
Sie hat so überzeugend dafür geworben, dass sie sogar einen Überschuss erhalten hat, den sie der Organisation “Medica mondiale” stiftet, die sich um traumatisierte Frauen im Kosovo kümmert. Ich danke Frau Dr. Gaehtgens herzlich für ihr Engagement. Es ist doch etwas anderes, wenn eine Gedenktafel durch ein solch bürgerliches und in gewisser Weise auch kollegiales Engagement entsteht, als wenn staatliche Gelder fließen.
Frau Dr. Gaehtgens hat mit ihrer Aktion nicht zuletzt auf die Tradition ihres Faches, der Frauenheilkunde, aufmerksam gemacht. Hermine Heusler-Edenhuizen ist eine bedeutende Vertreterin ihrer ärztlichen Disziplin und der Medizin insgesamt – nicht in erster Linie deshalb, weil sie die erste Frau in dieser Stellung war, sondern weil sie ihren Beruf mit erstaunlicher Energie erfolgreich ausübte und dabei nicht nur ihren Patientinnen half, sondern auch wichtige Erkenntnisse für die Zukunft ihres Faches gewann, durchsetzte und weitergab.
Sie war keine Frauenrechtlerin, und sie wollte auch keine Sonderrechte als Frau. Sie stellte nur einfach fest, dass ihre Leistung als Frauenärztin dringend gebraucht und nachgefragt wurde, und sie bestand darauf, diese Leistung erbringen zu dürfen. Sie musste dafür in der männerdominierten Welt der Wissenschaft und der Gesellschaft ihrer Zeit hart kämpfen und viele Vorurteile besiegen, aber sie tat dies nicht unter ideologischen Vorzeichen. Wenn sie eine Kämpferin für gleiche Rechte der Frauen auf Bildung und Beruf war, dann war sie es gleichsam nebenbei, unbeabsichtigt, weil sie kämpfen musste, um das zu erreichen, was sie als ihre Pflicht betrachtete, als die ihr aufgegebene Lebensaufgabe.
So jedenfalls habe ich Hermine Heusler-Edenhuizen verstanden, wie sie es selbst in ihren faszinierenden Lebenserinnerungen darstellt, die Heyo Prahm herausgegeben hat. Ich freue mich sehr, dass Herr Prahm sich bereit erklärt hat, heute über Hermine Heusler-Edenhuizen zu uns zu sprechen, und ich bin gespannt auf seine Ausführungen.
Ein geradezu umwerfendes Erlebnis bei der Lektüre ihrer Lebenserinnerungen ist der unbestechliche Realismus dieser Frau. Sie ließ sich ihren Blick weder durch Vorurteile vernebeln, noch durch eine kämpferische Ideologie. Sie engagierte sich aus der praktischen Notwendigkeit heraus, die sie sah: Viele Frauen brauchen und wünschen sich Ärztinnen.
Über ihre Anfänge als selbständige Ärztin schreibt sie:
“Eine der ersten Privatpatientinnen in Berlin war eine etwa vierzigjährige Frau, die sich zehn Jahre lang mit einem quälenden Leiden herumgeschleppt hatte, weil sie sich genierte, zu einem männlichen Arzt zu gehen. Sie kam auf mein erstes Zeitungsinserat hin zu mir und konnte in kurzen drei Wochen geheilt werden. Dieser Fall beglückte mich als Beweis für die Notwendigkeit von Fachärztinnen.”
Sie entdeckte durch Beobachtung, dass das in ihrer Zeit häufig auftretende Kindbettfieber zusammenhing mit dem oft noch unmittelbar vor der Geburt praktizierten sexuellen Verkehr. Und sie erreichte mit geduldiger aber hartnäckiger Überzeugungsarbeit, dass diese Erkenntnis auch von männlichen Ärzten nicht mehr geleugnet werden konnte.
Wie schwer diese Überzeugungsarbeit selbst damals, in den fortschrittlichen 20er Jahren noch war, beschreibt sie sehr anschaulich:
“In einer gynäkologischen Gesellschaft, in der 1924 meine Arbeit mit ihrer Forderung, die Schwangere wenigstens die letzten vier Monate vor einer Cohabitation zu schützen, besprochen wurde, meldete sich ein seinerzeit bekannter Frauenarzt zu Wort und erklärte: ‘Bedenken Sie, meine Herren, der Coitus ist doch der Hasenbraten des armen Mannes!’ – Ein Hasenbraten, den die Frau mit dem Leben bezahlen kann! Das gibt zu denken, namentlich als Ausspruch aus dem Munde eines Arztes, der sich als Fachmann der Gesundheit der Frau widmet!”
Hermine Heusler-Edenhuizen ist zu Recht empört über eine solch frauen- und menschenverachtende Haltung eines Mannes, aber sie verallgemeinert diese Erfahrung keineswegs. Im Gegenteil: Sie hatte eine durchaus pragmatische Haltung gegenüber Männern.
Sie stellt schlicht fest, dass es bornierte gibt, die ihr Steine in den Weg legen, aber auch aufgeschlossene, die ihr helfen und sie unterstützen. Ihren eigenen Mann, Otto Heusler, schildert sie auf eine sehr anrührende, bewegende Weise mit großer warmherziger Sympathie – nicht nur als liebende Frau, sondern auch voller Anerkennung für die Unterstützung, die sie für ihren Beruf von ihm erfährt.
Hermine Heusler-Edenhuizen hatte kein Interesse, in die Geschichte einzugehen. Ich bin nicht sicher, ob sie eine Gedenktafel für sich selbst akzeptiert hätte. Wahrscheinlich hätte sie erstaunt abgelehnt, weil sie ihre Arbeit für selbstverständlich hielt. Sie kämpfte gegen Missstände nicht aus Prinzip, sondern um den Betroffenen zu helfen.
Deshalb konnte sie große Fortschritte machen auf dem Weg zu einer schmerzarmen Geburt. Und deshalb kämpfte sie auch gegen den Paragrafen 218.
Für klassenkämpferische Programme hatte sie nichts übrig:
“Eine verwöhnte junge Frau, Tochter eines bekannten Berliner Kommunisten, lag als Wöchnerin in meiner Klinik erster Klasse mit extra Pflegerin. Scherzend sagte ich ihr, daß sich die erste Klasse doch mit ihren kommunistischen Ideen nicht in Einklang bringen lasse, sie hätte sich konsequenterweise doch dritter Klasse legen müssen. Worauf sie entgegnete: ‘Nein! So wie ich es jetzt habe, sollen es einstmals alle Frauen haben!’ An die unerschwinglichen Kosten, die das verursachen würde, und die dadurch bedingte Unmöglichkeit dachte sie nicht. So habe ich viele Widersprüche erlebt zwischen Theorie und Praxis, viel oberflächliches Daherreden und entgegengesetztes Handeln.”
Diese realitätstüchtige, unideologische Haltung können wir von ihr lernen. Vielleicht ist es doch eine eher weibliche Haltung. Ein wenig ist es ja auch heute noch so, dass Männer Geschichte machen, während Frauen die Lebensqualität verbessern.
Deshalb freue ich mich sehr und danke noch einmal herzlich Frau Dr. Gaehtgens dafür, dass wir heute eine Gedenktafel für Hermine Heusler-Edenhuizen enthüllen können.
Wir ehren damit eine beeindruckende vorbildliche Frau, eine bedeutende Ärztin und eine große Persönlichkeit.