Sehr geehrte Frau WaIden, meine sehr geehrten Damen und Herren!
Ich freue mich, dass wir heute hier in Wilmersdorf eine Gedenktafel für Else Lasker-Schüler und Herwarth WaIden enthüllen können, zwei herausragende Persönlichkeiten des Expressionismus in Deutschland.
Besonders herzlich begrüßen möchte ich Sina WaIden, die Tochter von Herwarth WaIden. Sie hat sich selbst bei uns gemeldet, und ich freue mich sehr, dass Sie bei uns sind.
Ich danke der Berliner Sparkasse, die das Programm “Berliner Gedenktafel” zur 750-Jahr-Feier Berlins gestiftet hat.
Dies ist die 32. Tafel aus diesem Programm, die wir in Wilmersdorf enthüllen, und ich hoffe, dass es möglich sein wird, dieses Programm fortzusetzen, und zwar auch in den östlichen Bezirken Berlins.
Bedanken möchte ich mich aber auch bei der Firma Winter, die uns erlaubt hat, die Gedenktafel an ihrem Gebäude anzubringen. Ich begrüße ihre Geschäftsführer, Herrn Wegener und Herrn Rehberg. Leider ist es ja nicht mehr das Originalhaus. Aber ich denke, gerade in Berlin ist es wichtig, auch an historische Orte zu erinnern, die nicht mehr existieren.
Und dies es der historische Ort, an dem Herwarth WaIden und Else Lasker-Schüler gelebt haben, wo sie eine literarische Bewegung mit ins Leben gerufen haben: Der Neue Westen Berlins, so wurde diese Gegend rund um den Kurfürstendamm damals; seit der Jahrhundertwende genannt. Es waren die Städte Charlottenburg, Schöneberg und Wilmersdorf, die in kürzester Zeit als Berliner Vorstädte entstanden.
Hier war neben der alten traditionellen Berliner Stadtmitte Unter den Linden und Friedrichstraße ein neues städtisches Zentrum entstanden, das besonders die künstlerische Avantgarde anzog. In den Kinos am Kurfürstendamm wurden die neuesten Filme gezeigt, im Lunapark verbanden sich die neuesten technischen Errungenschaften des Volksvergnügens mit expressionistischer Kunst und Architektur. In den Varietes und Kabaretts wurden die Spießbürger aufs Korn genommen, mit deren Lebensweise man nichts zu tun haben wollte. Am Kurfürstendamm wurden die Ausstellungen der Berliner Sezession gezeigt, und in den Cafes trafen sich die Künstler, Verleger, Schriftsteller und Kritiker, die das Berliner Kulturleben zunehmend prägten.
Der Neue Westen Berlins wurde zum kulturellen Zentrum und damit zur Heimat für viele bedeutende Persönlichkeiten. Viele von ihnen wurden 1933 aus dieser Heimat vertrieben. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten ging auch diese kulturelle Blütezeit zu Ende.
Else Lasker-Schüler und Herwarth WaIden wurden zu Leitfiguren der literarischen und künstlerischen Szene des Expressionismus in Berlin seit der Jahrhundertwende bis 1933. George Grosz., Gottfried Benn, Wieland Herzfelde, Ernst Toller, Theodor Däubler, Max Reinhardt, Erich Mühsam, Peter Hille und Frank Wedekind gehörten zu dem Kreis, der sich bevorzugt im Cafe des Westens traf – genau dort am Kurfürstendamm, wo im Nachkriegs-Berlin das Cafe Kranzier zur Touristenattraktion geworden ist.
Der Name “Cafe des Westens” war eigentlich Programm genug. Aber man übernahm stolz das Schimpfwort, das ihr die Berliner Presse angehängt hatte: “Cafe Größenwahn”.
HerwarthWalden hat es 1911 in seinem “Sturm” beschrieben unter dem Titel “Spezialbericht: Cafe Größenwahn”:
“Dort, wo die Joachimsthalerstraße den Kurfürstendamm schneidet, haben sie den Sitz der Hölle aufgeschlagen …
Scheu und geängstigt hastet der schlichte Bürger am Höllenpfuhl vorbei … Bleicher Schauer rieselt durch sein normales Gebein, durch sein gesundes Blut. Tief im Innern hat er dämonische Gestalten sitzen sehen. Männer mit langen Haaren, schlangenhaften geringelten Locken, wildflatternden Krawatten, sezessionistischen Socken und alkoholfreien Unterhosen leben sich aus … bringen durch ruchloses, dekadentes Kaffeetrinken die deutsche Kunst an den Rand des Abgrunds …
Alfred Kerr steht in ununterbrochener telephonischer Verbindung mit der modernen Clique, während Karl Kraus von der Wiener Fackel Depeschen sendet. Dann schwirrt es in Telephon- und Telegraphendrähten von Ibsen und Hauptmann, von Strindberg und Wedekind, von Hoffmansthal und Maeterlinck … So vergeht der Tag, bis abends die große Orgie der täglichen modernen Nacht beginnt; die markzerfressende Zersetzungsarbeit der Caféhausliteraten.
Dann kommt es herangekrochen aus Wilmersdorf und Halensee, krankhaft Empfindende, bizarre Gesellen.. “vom Größenwahn” geschlagene … Der Taumel wächst.”
Soweit ein paar Schlaglichter aus dem ironischen SeIbstportrait der Szene von Herwarth WaIden.
Else Lasker-Schüler wurde am 11. Februar 1869 als Tochter einer jüdischen Bankiersfamilie in Wuppertal geboren. Sie wuchs dort in einem wohlbehüteten, bürgerlichen Elternhaus auf. Als 25jährige heiratete sie den Arzt Berthold Lasker und zog mit ihm nach Berlin ins Tiergartenviertel in die Brückenallee 22, wo sie zunächst ihre bürgerliche Existenz fortsetzte.
Nach der Geburt ihres außerehelichen Sohnes Paul im Jahr 1899 trennte sie sich von ihrem Mann und gleichzeitig radikal von ihrer bürgerlichen Herkunft. Ihr erster Gedichtband “Styx” mache sie 1902 in der Kulturszene bekannt.
Sie lernte den fast 10 Jahre jüngeren Musiker und KunstschriftsteIler Georg Lewin kennen, heiratete ihn 1903 und gab ihm den Namen Herwarth WaIden.
Sie selbst nannte sich wechselnd Prinz Jussuf von Theben oder Tino von Bagdad und kleidete sich männlich in Hosen oder in weite orientalische Gewänder.
Die beiden zogen nach der Heirat nach Wilmersdorf in die Ludwigkirchstr. 12 und 1909 hierher nach Halensee, in eine Mietwohnung in dem Haus Katharinenstr. 5, wo sie bis zu ihrer Scheidung im Jahr 1911 lebten.
Für Else Lasker-Schüler war es der letzte feste Wohnsitz. Aber ihre eigentliche Heimat waren längst die öffentlichen Plätze der Stadt geworden. Künstlersein war für sie kein Beruf, sondern eine existenzielle Haltung, eine Lebensform.
Die eigene Wohnung hatte für sie etwas Bedrohliches.
Am 8. Februar 1910 beschrieb sie das in einem Brief an Karl Kraus, und er liest sich wieder Beginn eines modernen Großstadtkrimis:
“Lieber Herzog, ich sitz ganz allein zu Hause. Auf der Katharinenstraße geht ein Einbrecher hin und her an der Wiese entlang – er hat sich die Schlüssel der Thore geben lassen” als wär er vom Wirt beauftragt nachzusehn – und die Portiers gaben ihm die Schlüssel. Ich habe meinen Revolver geladen und ein Messer liegt bereit für ihn – vielleicht aber finde ich Gefallen an ihm und wir kommen überein …”
Karl Kraus bezeichnete Else Lasker-Schüler als “die stärkste und unwegsamste lyrische Erscheinung des modernen Deutschland”.
1913 veröffentlichte er einen Spendenaufruf zugunsten der Dichterin, weil kein Verlag mehr bereit war, ihre Werke zu drucken, nachdem sie in ihrer Streitschrift “Ich räume auf” die Verleger als Ausbeuter der Dichter angeklagt hatte.
Sie bezog ein möbliertes Zimmer in der Humboldstraße 13 in der Villenkolonie Grunewald, wo sie sich mit dem jungen Filmregisseur Friedrich Wilhelm Murnau anfreundete.
Seit Sommer 1914 wohnte sie dann meist im Hotel Koschel in der Schöneberger Motzstraße. Während des Ersten Weltkrieges ging sie mehrmals auf Vortragsreisen mit einem Antikriegsprogramm, das sie mit Franz Werfel, George Grosz und anderen zusammengestellt hatte.
Auch nach dem Ersten Weltkrieg blieb Berlin ihre Heimat. Das Romanische Cafe hatte das Cafe des Westens als Künstler-Treffpunkt abgelöst. Else Lasker-Schüler fühlte sich weiterhin der Welt der künstlerischen Außenseiter zugehörig. Von vielen jüngeren Künstlern und Schriftstellern wurde sie als großes Vorbild verehrt.
Am 16. April 1922 schrieb sie in der Vossischen Zeitung über Berlin poetisch und illusionslos:
“Aus unserer großen Stadt schallt der Schrei der Menschheit das Getöse der Technik; die Furcht vor dem Tode trägt ein warnendes Gesicht hinter geschminkten Masken, die Sehnsucht aber steigt sofort in den Mond.
Unsere Stadt Berlin ist stark und furchtbar, und ihre Flügel wissen. wohin sie wollen. Darum kehrt der Künstler doch immer wieder zurück nach Berlin, hier ist die Uhr der Kunst, die nicht nach, noch vor geht. Die Realität ist schon mystisch.
Im März 1933 wurde die Premiere des Schauspiels “Arhur Aronymus und seine Väter” nach einer Erzählung von Else Lasker-Schüler kurz vor der Generalprobe im Schillertheater vom Spielplan abgesetzt.
Sie musste am 19. April 1933 in die Schweiz fliehen, die mehrmals versuchte, sie auszuweisen. 1939 konnte sie von einer Reise nach Palästina nicht mehr in die Schweiz zurückkehren. Nach 6 weiteren Jahren in einem armseligen Zimmer in Jerusalem starb die Dichterin am 22. Januar 1945.
Ihr Grab auf. dem Ölberg fiel in den sechziger Jahren dem Schnellstraßenbau der jordanischen Verwaltung im östlichen Jerusalem zum Opfer. Nach dem Sechs-Tage-Krieg 1968, als der Ölberg wieder unter israelischer Verwaltung stand, wurde der Grabstein wiedergefunden und an anderer Stelle neu aufgerichtet.
In dem Reisehandbuch “Berlin und die Berliner” von 1905 wird Herwarth WaIden als “Komponist und Leiter des Vereins für Kunst” vorgestellt, und auch Riemanns Musiklexikon führt den Komponisten WaIden auf.
Wir möchten auf der Gedenktafel diese musikalische Seite des großen Publizisten nicht unterschlagen, obwohl klar ist, dass sein schriftstellerischer und verlegerischer Einsatz für Kunst und Literatur im Mittelpunkt seines Schaffens stehen.
In den Jahren 1910 und 1911 wurden in Wilmersdorf zwei expressionistische Zeitschriften gegründet. Von der wilhelminischen Presse wurden beide als “Skandalblätter der Berliner Asphaltliteratur” diffamiert. Das konnte nicht verhindern, dass sie für die nächsten beiden Jahrzehnte einer ganzen Generation junger Künstler und Schriftsteller den Weg in die Öffentlichkeit erschlossen.
Hier, in der Katharinenstraße 5 gab Herwarth WaIden seit 1910 seine Kunstzeitschrift unter dem Titel “Der Sturm” heraus, den seine damalige Frau Else Lasker-Schüler vorgeschlagen hatte.
Ein Jahr später gründete Franz Pfemfert die politische und literarische Wochenschrift “Die Aktion”, die ihre Redaktionsräume mehr als 20 Jahre lang in Pfemferts Wohnung in der Nassauischen Straße 17 behielt.
WaIden verlegte nach seiner Trennung von Lasker-Schüler die Redaktion des “Sturm” in den Tiergarten in die Potsdamer Straße, zuletzt dann wieder nach Wilmersdorf, an den Kurfürstendamm 173. Auch wenn die beiden Herausgeber sich zeitlebens spinnefeind geblieben sind, haben viele ihrer Autoren im “Sturm” und in der “Aktion” veröffentlicht.
“Der Sturm” wurde vor allem für bildende Künstler zum wichtigsten öffentlichen Forum, und Herwarth WaIden wurde nach seiner Heirat mit der schwedischen Malerin Nell Roslund zum bedeutenden Sammler, Förderer und Vermittler expressionistischer Kunst.
Für die Kunst im ersten Drittel unseres Jahrhunderts hat er eine wichtige und entscheidende Rolle gespielt. Erst jetzt beginnt man zaghaft; die Bedeutung Waldens zu würdigen. Gestern abend hat die Berlinische Galerie im Martin-Gropius-Bau ein “SturmKabinett” eröffnet und ein kleines Portrait von Herwarth WaIden als Wegbereiter der Moderne herausgegeben.
Nach dem Ersten Weltkrieg begann Herwarth WaIden, sich auch politisch zu engagieren. Er schloss sich im September 1928 dem “Bund der Freunde der Sowjetunion” an; unternahm mehrere Reisen in die UdSSR; und 1930 gab er ein Sonderheft des “Sturm” über Kultur und Politik des nachrevolutionären Russland heraus. 1931 musste WaIden den “Sturm” einstellen.
Er selbst emigrierte 1932 nach Moskau; von wo er seit 1937 für die deutsche Exilzeitschrift “Das Wort” schrieb; die von Brecht; Feuchtwanger und Willi Bredel herausgegeben wurde. Er verteidigte darin den Expressionismus; dem von der kommunistischen Doktrin der Vorwurf gemacht wurde; Schrittmacher des Faschismus gewesen zu sein.
Am 13. März 1941 wurde er im Moskauer Hotel “Metropol” verhaftet. Erst 1966 erfuhr seine Tochter Sina WaIden; die heute bei uns ist, dass er nach siebenmonatiger Dunkelhaft am 31. Oktober 1941 im Straflager Saratow an der Wolga gestorben war. Die Gründe für seine Ermordung sind bis heute unbekannt.
Die Wege von Else Lasker-Schüler und Herwarth WaIden kreuzten sich hier in Wilmersdorf nur für eine relativ kurze Zeit. Für beide war es wohl eine besonders kreative und produktive Zeit. Berlin hat ihnen viel zu verdanken. Ihr Schicksal war von Vertreibung, Flucht und Heimatlosigkeit geprägt.
Wir wollen mit dieser Gedenktafel einen kleinen Beitrag leisten zur Erinnerung an zwei Berliner Persönlichkeiten, die von den Nationalsozialisten aus der Stadt getrieben wurden und die keine neue Heimat finden konnten.