Sehr geehrte Frau Dr. Berghöfer!
Sehr geehrter Herr Pfarrer Kunkel!
Sehr geehrter Herr Dr. Meyer!
Sehr geehrte Damen und Herren!
„Alles hat seine Zeit – 300 Jahre evangelisches Charlottenburg“. So heißt der Titel des Buches, mit dem sich der Kreiskirchenrat des Evangelischen Kirchenkreises Charlottenburg vor sieben Jahren am 300jährigen Jubiläum Charlottenburgs beteiligte. Jetzt, sieben Jahre später, feiert die Luisengemeinde ihre eigene 300jährige Geschichte. Denn: Sieben Jahre nach der Gründung der Stadt Charlottenburg legte die damalige Gemeinde den Grundstein für eine eigene Kirche.
Damit waren die Gemeindemitglieder weitsichtiger als die preußischen Beamten, die der jungen Stadt keine Überlebenschance zubilligten und die Ausstellung der Gründungsurkunde verweigerten, die König Friedrich I. am 5. April 1705 angeordnet hatte. Sie hielten die Stadtgründung für eine Sentimentalität des Königs, der aus Schmerz und Trauer über den frühen Tod seiner Frau Sophie Charlotte die Realitäten missachtete: Zwischen Berlin und Spandau war aus ihrer Sicht kein Platz für eine dritte Stadt. Sie würde nie aus eigener Kraft existieren und immer auf Unterstützung angewiesen sein. In einem Bericht an Friedrich Wilhelm I. wurde der “elende und recht bejammernswerte Zustand der armen Charlottenburger Einwohner” konstatiert und auf die Abhängigkeit der Bewohner von den Aufenthalten des königlichen Hofes hingewiesen.
Als die Bürger Charlottenburgs 1711 vereidigt wurden, zählte man 87 “wirklich angebaut habende und seßhaft gemachte Personen”, 57 eingemietete Bewohner und 6 königliche Beamte. Dass Charlottenburg einmal die reichste Stadt Preußens werden würde, war damals nicht vorauszusehen.
Aber am 13.Juli 1712 wurde in Anwesenheit des Hofes und vieler Berlinerinnen und Berliner der Grundstein für die Kirche gelegt. Es war nicht einfach, den Bau zu realisieren. Denn der neue König Friedrich Wilhelm I. wollte das hochverschuldete Preußen durch einen eisernen Sparkurs sanieren. Deshalb wurden die Baukosten von 10.000 auf 6.073 Taler 14 Groschen gesenkt. Aber vier Jahre nach der Grundsteinsteinlegung konnte die Parochial- oder Pfarrkirche Charlottenburg schließlich eingeweiht werden.
Aber erst mehr als 100 Jahre später, 1826, erhielt sich nach dem Umbau durch Schinkel den Namen Luisenkirche.
Der Baumeister und Stadtplaner Eosander von Göthe hatte nicht nur den Grundriss für die Stadt entworfen, in dem bereits der Platz für die Kirche vorgesehen war, sondern auch ein Modellhaus, das für die Bebauung verbindliche Richtlinien vorgab. Nach diesem Modell entstand 1712 das Haus an der heutigen Schustehrusstraße 13. Heute zeigt in diesem Haus das Keramik-Museum Berlin seine Schätze.
Und deshalb feiern heute die Luisengemeinde und das Keramik-Museum Berlin gemeinsam das 300jährige Jubiläum ihrer Häuser – der ersten Charlottenburger Kirche und des ältesten Bürgerhauses in Charlottenburg. Dritter im Bunde ist das Museum Charlottenburg-Wilmersdorf, das seit einigen Monaten in der Villa Oppenheim residiert. Unser Museum hat das Fest vorbereitet mit organisiert.
Deshalb danke ich herzlich den drei Hauptverantwortlichen: Museumsleiterin Birgit Jochens, Pfarrer Stephan Kunkel und dem Leiter des Keramik-Museums, Heinz-Joachim Theis.
Das Scharrenstraßenfest bezieht sich auf den alten Namen der Straße, die fast zwei Jahrhunderte lang so etwas wie die Hauptstraße Charlottenburgs war. Eosander von Göthe hatte mit seinem barocken Grundriss eine Stadt geplant, die sich südlich vom Schloss Charlottenburg zwischen Schlossstraße und Berliner Straße, der heutigen Otto-Suhr-Allee entwickeln sollte – entlang der Scharrenstraße, der heutigen Schustehrusstraße mit der Kirche im Mittelpunkt. Zur Zeit Eosanders hieß die Straße allerdings zunächst Deichstraße, bevor sie um 1800 in Scharrenstraße umbenannt wurde.
“Scharren” nannte man die Verkaufsstände der Bäcker, Fleischer und Gemüsebauern, die damals hier Markt hielten, so dass der Name sich wohl einfach aus Gewohnheit einbürgerte.
1950 war es längst vorbei mit der Marktstraße. Auch dürfte kaum noch jemand die Bedeutung des Wortes “Scharren” gekannt haben. Deshalb wurde die Straße jetzt, nach 150 Jahren erneut umbenannt, dieses Mal nach dem ehemaligen Oberbürgermeister Charlottenburgs, Kurt Schustehrus. Wir wollen mit dem Scharrenstraßenfest diese Umbenennung nicht rückgängig machen. Aber wir wollen daran erinnern, dass hier, zwischen Rathaus und Schloss die Wurzeln Charlottenburgs liegen. Seit einigen Jahren erinnert daran auch unser Altstadtpfad, der vom Rathaus zum Schloss führt.
Auf seinen Informationstafeln sind die Stationen der frühen Geschichte Charlottenburgs in Text und Bild nachzuvollziehen, selbstverständlich auch hier vor der Luisenkirche und vor dem Keramik-Museum an der Schustehrusstraße 13.
Das Doppeljubiläum von Kirche und Bürgerhaus verweist auf einen engen Zusammenhang der bürgerlichen Geschichte Charlottenburgs mit der Geschichte seiner Kirche. Der wohl wichtigste frühe Zeuge dieser Geschichte ist einer der Vorgänger von Pfarrer Kunkel, der Charlottenburger Prediger Johann Christian Gottfried Dressel. Er wurde 1751 in Crossen an der Oder geboren und trat 1778 das Amt des Predigers in Charlottenburg an, das er bis zu seinem Tod 1824 behielt.
Ihm verdanken wir die frühesten Schilderungen der Charlottenburger Geschichte, den Ausbau der Luisenkirche in ihrer heutigen Form durch Karl Friedrich Schinkel und die Grundlegung eines weit über Charlottenburg hinaus bedeutenden und bekannten Schul- und Bildungswesens im Lichte der Aufklärung.
Dressel schrieb nicht nur regelmäßig ein Tagebuch, in dem er die Ereignisse seiner eigenen Zeit anschaulich schilderte und verarbeitete, sondern er rekonstruierte auch mühsam aus Erzählungen seiner Zeitgenossen und anderen Quellen die Geschichte der ersten Jahre Charlottenburgs. Über die Nachlässigkeit und Pflichtvergessenheit seiner Vorgänger, die noch nicht einmal die Urkunden- und Kirchenbücher zuverlässig führten, beklagte er sich bitter. Auch Dressel hielt die Gründung Charlottenburgs für ein riskantes und im Grunde aussichtsloses Unterfangen, stellt aber dann aus seiner eigenen Perspektive 100 Jahre später erstaunt fest:
“Wer konnte damals vorhersehen, dass die Berliner an Sonn- und vielen Wochentagen Berlin verlassen, Meilen weit umher schwärmen und ihr in der Woche verdientes Geld in Bier und Coffee Häusern daselbst verzehren würden?
Wer vorher sehen, dass die Berlinischen Aerzte es als das sicherste Mittel, sich von Krankheit zu heilen oder ihnen vorzubeugen, den Genuss der Landluft, und das Trinken der Gesundbrunnen ausserhalb der Residenz auf dem Lande empfehlen würden …
Wer vermuthen, daß der Luxus so hoch steigen könnte, daß man das Auswandern im Sommer aus Berlin, und das Häuser bewohnen in Charlottenburg fast für unumgänglich nöthig halten würde, wenn man sich vom Pöbel unterscheiden wollte, der seine Verschwendungssucht höchstens bis auf sonntags Lustwandeln nach nah gelegenen Dörfern oder Städten ausdähnen könnte?
War vorherbestimmt, daß die Juden soviel Freiheit gewinnen würden, daß sie sich im Sommer wohnhaft in Charlottenburg niederlassen könnten.”
Charlottenburg machte also zunächst Karriere als Ausflugsort und Sommerfrische. In seinem Roman „Jettchen Gebert“ hat der Schriftsteller Georg Hermann diese Sommerfrische beschrieben:
1839 schickt Onkel Salomon, der geschäftstüchtige Vorstand einer standesbewussten jüdischen Familie, die Seinen während der warmen Jahreszeit nach Charlottenburg, während sich Jettchens Tante Riekchen in Schöneberg eine Sommerfrische mietete, weil sie sich Charlottenburg nicht leisten konnte.
1845 kaufte der Bankier Alexander Mendelssohn ein 28.000 Quadratmeter großes Grundstück an der Scharrenstraße und bebaute es mit der ‘Villa Sorgenfrei’ und einigen Nebengebäuden. Er war Besitzer des renommierten Berliner Privatbankhauses Mendelssohn und gleichzeitig Ehrenbürger der Stadt Charlottenburg. 1888 übernahm sein Schwiegersohn Otto Georg Oppenheim das Anwesen, ließ die ‘Villa Sorgenfrei’ abreißen und baute an ihrer Stelle ein zweigeschossiges Haus, die heutige Villa Oppenheim. Auf dem Grundstück entstanden außerdem eine Kegelbahn, ein Tennisplatz, Gartensaal und Treibhäuser. Nach dem Tod Otto Georg Oppenheims wurde 1910 sein Sohn Hugo Oppenheim Besitzer des Anwesens. Er verkaufte den gesamten Grundstückskomplex 1911 für 1,5 Millionen Mark an die Stadt Charlottenburg. Denn die Villa Oppenheim war inzwischen durch die umliegende Mietshausbebauung ein Anachronismus geworden. Das Grundstück war zwar riesig, aber es war umstellt von hohen
Mietshäusern, aus deren oberen Stockwerken man auf die Gartenanlage herab sehen konnte. Die Stadt Charlottenburg ließ dann auch auf dem Grundstück von ihrem Gartenbaudirektor Erwin Barth einen öffentlichen Park anlegen, den heutigen Schustehruspark.
Als Alexander Mendelssohn sich 1845 in Charlottenburg niederließ, war es noch immer ein kleines Städtchen mit rund 8.000 Einwohnern. Als Hugo Oppenheim 1911 das Anwesen an die Stadt Charlottenburg verkaufte, war sie eine Großstadt mit mehr als 300.000 Einwohnern geworden.
Die Entwicklung beschleunigte sich fast explosionsartig mit der Gründung des Kaiserreichs 1871. Charlottenburg wurde zur reichsten Stadt Preußens, und die Scharrenstraße war längst nicht mehr das Zentrum. Allerdings wurde 1905 an ihrem östlichen Ende das neue Rathaus eröffnet, so dass jetzt die Scharrenstraße vom Schloss zum Rathaus führte, in gewisser Weise also von den Anfängen der Stadt bis zu ihrem neuen stolzen Wahrzeichen.
Einer Anekdote zufolge wollte Kaiser Wilhelm II. auf seinem Weg vom Berliner Stadtschloss zum Schloss Charlottenburg jetzt nicht mehr durch die Berliner Straße fahren, weil er dann an dem neuen Rathaus vorbeigekommen wäre, dessen Turm höher ist als die Schlosskuppel.
Charlottenburg wurde in den letzten Jahren des Kaiserreichs vor dem Ersten Weltkrieg zur Metropole neben Berlin. Der Kurfürstendamm wurde zum weltberühmten Boulevard. Die Universitäten wurden errichtet, das Theater des Westens, die Deutsche Oper und das Schiller Theater.
Neue evangelische Kirchengemeinden entstanden: 1895 die Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche, 1898 Trinitatis, 1906 die Epiphanienkirche. Und natürlich kamen andere Kirchen hinzu: 1877 die katholische Kirche Herz Jesu, 1901 die orthodoxe Synagoge in der Joachimstaler Straße, 1912 die große Synagoge in der Fasanenstaße, 1913 die liberale Synagoge in der Pestalozzistraße.
Nach dem Ersten Weltkrieg verlor Charlottenburg seine Selbständigkeit und wurde zum Berliner Bezirk. Weil sich in den 1920er Jahren so viele Russen hier niederließen, sprach man scherzhaft von Charlottengrad. Neue Religionsgemeinschaften kamen hinzu. Die westliche City Berlins rund um den Kurfürstendamm wurde international berühmt für ihre Modernität und Weltoffenheit. Hier feierten neue kulturelle Trends Premiere. Das neue Unterhaltungsmedium Film wurde hier in großen Uraufführungspalästen prächtig inszeniert und gefeiert. Der erste experimentelle Tonfilm wurde im Kino Alhambra am Kurfürstendamm gezeigt.
Die großen Revuen in den Theaterpalästen waren ebenso legendär wie die Kaffehauskultur, die kleinen Cabarets und die geistvolle leichte Muse. Morgen werden wir den früheren Rankeplatz unweit vom Kurfürstendamm an der Joachimstaler Straße Ecke Lietzenburger Straße nach Friedrich Hollaender benennen, einem der ganz großen Genies der Unterhaltungsmusik.
1933 machten die Nationalsozialisten dem allem ein Ende. Charlottenburg war der Bezirk mit dem höchsten Anteil jüdischer Bevölkerung. Wie Friedrich Hollaender mussten auch viele andere fliehen, viele wurden am Ende deportiert und in den Konzentrationslagern ermordet. Inzwischen erinnern mehr als 1.600 Stolpersteine an sie, und es werden fast täglich mehr.
Nach dem Krieg und der Befreiung 1945 konnte Charlottenburg nur mühsam wieder an seine Tradition anknüpfen. Im eingemauerten West-Berlin wurde der City-Bezirk zum Schaufenster des Westens, aber auch zum Schauplatz der heftigen Konflikte des politischen und kulturellen Umbruchs der 68er.
Erst mit dem Fall der Mauer endete die Ausnahmesituation, und Charlottenburg kann – seit 2001 vereint mit Wilmersdorf – seine Rolle des westlichen City-Bezirks im großen wiedervereinigten Berlin wieder spielen.
Es ist auch eine vorbildliche Rolle der multikulturellen Vielfalt und des friedlichen Zusammenlebens der Kulturen und Religionen. Inzwischen sind zu den christlichen und jüdischen Religionsgemeinschaften auch islamische und andere hinzugekommen.
Vor wenigen Tagen haben wir gemeinsam mit Vertretern der ganz unterschiedlichen Religionsgemeinschaften eine gemeinsame Erklärung unterschrieben. Dieses Dokument ist das Ergebnis des interreligiösen Dialogs in unserem Bezirk. Der Text ist bemerkenswert, denn er geht von der Realität aus und redet die existierenden Konflikte nicht klein. Aber die verschiedenen Religionsgemeinschaften unseres Bezirks geben sich mit diesem Text das Versprechen, diese Konflikte zum Anlass für Gespräche zu nehmen, nicht für gewaltsame Auseinandersetzungen. Unter anderem heißt es in der Erklärung:
_“Der Interreligiöse Dialog will die Unterschiede zwischen den Religionen nicht verwischen und neben gegenseitiger Toleranz auch um Respekt und Akzeptanz in der Verschiedenheit werben. … Die beteiligten Religionsgemeinschaften wollen sich gemeinsam auch für die Rechte des Anderen stark machen, sich gegenseitig in der Ausübung ihrer Religiosität unterstützen, und in Konfliktsituationen auch Probleme ansprechen.”_
Ich hoffe, dass diese Erklärung viele Nachahmer findet. Charlottenburg-Wilmersdorf knüpft damit an die Tradition der Aufklärung an wie sie bereits von der großen Förderin der Wissenschaften, Königin Sophie Charlotte und von dem Prediger und Pädagogen Johann Christian Gottfried Dressel für Charlottenburg begründet wurde.