Sehr geehrte Damen und Herren!
Mit der Benennung eines neu gestalteten Platzes in unmittelbarer Nähe des Kurfürstendammes erinnern wir voller Dankbarkeit und Bewunderung an einen der großen Künstler der leichten Muse, an den Komponisten, Schriftsteller, Regisseur, Schauspieler und Theaterleiter Friedrich Hollaender.
Zugleich erinnern mit dem Friedrich-Hollaender-Platz auch stellvertretend an die große Leistung vieler deutsch-jüdischer Persönlichkeiten im Deutschen Kaiserreich und in der Weimarer Republik. Sie haben die Goldenen Zwanziger ganz entscheidend geprägt – und wo wäre das eindrucksvoller und überzeugender gelungen als am Kurfürstendamm, in der westlichen City-Filiale Berlins, wie man damals sagte.
Charlottenburg und Wilmersdorf waren und sind bis heute die beiden Berliner Bezirke mit dem höchsten Anteil jüdischer Bevölkerung. Heute erinnern in Charlottenburg-Wilmersdorf bereits mehr als 1.600 Stolpersteine an die von den Nationalsozialisten ermordeten Menschen. Die meisten von ihnen waren Juden. Auch von den mehr als 300 Gedenktafeln in unserem Bezirk erinnern viele an deutsch-jüdische Künstlerinnen und Künstler und Intellektuelle, die 1933 vor den Nationalsozialisten geflohen sind.
Auch an Friedrich Hollaender erinnert seit 2009 eine Gedenktafel, und zwar an dem Haus Cicerostraße 14, wo er bis 1933 gelebt hat, bevor er über Paris nach Hollywood geflohen ist.
Ohne die jüdischen Schriftsteller, Künstler, Wissenschaftler und Mäzene hätte es die kulturelle und wissenschaftliche Blütezeit im Berlin des Kaiserreichs und der Weimarer Republik nicht gegeben. Von Georg Hermann bis Alfred Döblin, von Walter Benjamin bis Kurt Weill haben sie bleibende Werke geschaffen und darin die Verbundenheit mit ihrer Heimatstadt zum Ausdruck gebracht. Heute erinnern meist nur noch Gedenktafeln an ihre große Bedeutung für die deutsche Geschichte. 1933 wurden sie ihrer Heimat beraubt, und Deutschland wurde vor allem kulturell und wissenschaftlich unendlich viel ärmer. Mit der Vertreibung und Ermordung der Juden führten die Nationalsozialisten einen Bürgerkrieg gegen viele der Besten im eigenen Land.
Von diesem Aderlass hat sich Deutschland bis heute nicht erholt. Das Charlottenburger Beispiel zeigt den kulturellen Aufbruch, an dem die jüdischen Bürgerinnen und Bürger einen großen Anteil haben, und es zeigt das Ausmaß der geistigen Zerstörung, das die Nationalsozialisten angerichtet haben, bevor sie dann mit dem Zweiten Weltkrieg ganz Europa verwüsteten.
Auch der Joseph-Joachim-Konzertsaal, in dem wir uns hier befinden, erinnert an einen bedeutenden Repräsentanten der deutsch-jüdischen Kultur. 1868 kam der große Geiger Joseph Joachim nach Berlin und leitete hier die neugegründete Hochschule für Musik. Der 1831 geborene Musiker war einer der ersten Schüler am 1843 gegründeten Leipziger Konservatorium bei Felix Mendelssohn-Bartholdy. Bis zu seinem Tod lebte der weltberühmte Virtuose und Komponist am Kurfürstendamm 217.
Der Anteil jüdischer Bewohner war am Kurfürstendamm von Anfang an mit etwa 25 Prozent besonders hoch. 1910 zählte das Charlottenburger Statistische Jahrbuch von 35.000 Bewohnern am Kurfürstendamm 8.000 jüdischen Glaubens. 1912 wurde in der Fasanenstraße unweit des Kurfürstendammes die große Synagoge eingeweiht, an deren Stelle sich heute das jüdische Gemeindezentrum befindet.
1905 eröffnete am Kurfürstendamm die Berliner Sezession ihr Ausstellungsgebäude. Der Kaiser lehnte damals die jungen Künstler ab, und natürlich wäre die Entwicklung der modernen Kunst in Berlin undenkbar gewesen ohne das Mäzenatentum liberaler, meist jüdischer Berliner Bürger wie Walther Rathenau, Richard Israel, Julius Stern, Carl Fürstenberg, Bruno und Paul Cassirer.
Max Reinhardt eröffnete 1924 die Komödie am Kurfürstendamm, übernahm 1928 auch das benachbarte Theater am Kurfürstendamm und prägte damit das geistreiche Boulevardtheater mit Niveau. Neben Alfred Kerr war Julius Bab einer der herausragenden Theaterkritiker und –förderer vor 1933. Fritzi Massary lebte an der Meinekestraße, nur wenige Schritte vom Kurfürstendamm entfernt. Sie triumphierte in ihren Tourneen durch Europa als “Berlins einnehmendste Soubrette”. Der überaus populäre Theatermann, Komponist und Veranstalter Rudolf Nelson lebte und arbeitete bis zu seiner Emigration 1934 am Kurfürstendamm und richtete hier bereits 1920 sein Nelson-Theater ein, für das er rund 30 Revuen schrieb.
Am 1. April 1930 wurde im damaligen Gloria Palast am Kurfürstendamm der “Blaue Engel” uraufgeführt. Es war eine glanzvolle Premiere mit dem Regisseur Fritz Sternberg und den Hauptdarstellern Emil Jannings und Marlene Dieterich. Es war einer der größten Erfolge der Ufa und einer der ersten Tonfilme weltweit. Wir alle wissen, wie sehr dieser Film von der Musik seines Komponisten Friedrich Hollaender lebt, der in diesem Film ja auch selbst als Klavierspieler auftrat. Er wäre ohne diese Musik nicht denkbar, und Marlene Dietrichs Lied “Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt” ging um die Welt und machte sie zum Weltstar.
Viele Ufa-Stars gingen im Dritten Reich nach Hollywood. Sie sind ganz entscheidend mit dafür verantwortlich, dass die Welt des Films seither von Hollywood geprägt wird. Zu ihnen gehörte auch Friedrich Hollaender, der dort nicht nur Musik schuf, sondern auch Regie führte.
Ich freue mich sehr über den neuen Friedrich-Hollaender-Platz in unserem Bezirk. Er steht jetzt exemplarisch für die deutsch-jüdische Kultur. Und ich freue mich, dass er heute nicht mehr nur für die Geschichte steht, sondern auch für die Gegenwart und Zukunft, in der es wieder ein wachsendes jüdisches Leben bei uns gibt, das für unser kulturelles Selbstverständnis eine zunehmend wichtige Rolle spielt – nicht nur während der Jüdischen Kulturtage, sondern im Alltag – sei es in den Synagogen, in den jüdischen Kitas und Schulen, im Touro-Kolleg oder im täglichen Kulturkalender Berlins.