Stolpersteine Fechnerstraße 5

Hausansicht Fechnerstr. 5

Diese Stolpersteine wurden am 13.06.2019 verlegt.

Stolperstein Frieda Rosa Arndtheim

HIER WOHNTE
FRIEDA ROSA
ARNDTHEIM
GEB. SZYKIER
JG. 1896
DEPORTIERT 18.10.1941
LODZ / LITZMANNSTADT
ERMORDET 29.12.1942

Frieda Szykier wurde am 23. Dezember 1896 in Berlin geboren. Ihre Eltern waren der Zigarrenfabrikant Isidor Szykier und seine Frau Flora geb. Bein. Flora Bein stammte aus Łódz, der Stadt, in der ihre Tochter und ihr Schwiegersohn ums Leben gebracht werden sollten.
Isidor Szykier war in erster Ehe mit Doris Klein verheiratet gewesen, sie verstarb frühzeitig und so brachte Isidor 3 Töchter mit in die zweite Ehe ein. Emma, geb. 1883, Paula, geb. 1885 und Clara, geb. 1888.
Auch Flora bekam zwei Mädchen, neben Frieda die am 20. April 1892 geborene Henriette.

Friedas Vater Isidor starb im Januar 1913, ihre Mutter Flora im März 1922. Frieda Szykier war berufstätig, als sie am 15. Dezember 1925 Georg Arndtheim heiratete. In der Heiratsanzeige ist als Berufsbezeichnung „Bankbeamtin“ angegeben, eine sicherlich ungewöhnliche Karriere für eine Frau in der damaligen Zeit. Mit der Eheschließung, spätestens aber, als zwei Jahre später ihre Tochter Helga auf die Welt kam, wird Frieda ihren Beruf aufgegeben haben.

Georg Arndtheim verdiente genug Geld, um in relativem Wohlstand zu leben und der Familie ein Sommerhaus außerhalb Berlins bieten zu können.
Es ist nicht bekannt, wie die berufliche Situation in der Zeit nach 1933 für die Arndtheims war, Friedas Mann Georg taucht in den Adressbüchern um 1939 mit der Berufsbezeichnung „Vertreter“ auf, vermutlich musste er sich mit irgendwelchen Aufträgen durchschlagen, um noch ein gewisses Auskommen zu haben.

Friedas Halbschwester Paula, von Beruf Buchhalterin und seit 1911 verheiratet mit Georg Bein, schaffte die Emigration nach Amerika. Ihr Mann war 1917 tödlich verunglückt. Sie war es, die schließlich nach dem Krieg internationale Suchdienste beauftragte um nach Frieda, Georg und Helga zu suchen.
Auch Friedas Schwester Henriette, von Beruf Stenotypistin und seit 1921 verheiratet mit Harry Hermann Louis Tarnowski gelang die Ausreise nach Amerika. Sie konnte noch ihre Nichte Helga in den USA wiedersehen und starb dort 1972.

Frieda Arndtheim wurde zusammen mit ihrem Mann Georg und der damals 14jährigen Tochter Helga in der Nacht zum 18.Oktober 1941 aus der Wohnung in der Walter Fischer Straße abgeholt und zunächst in die als Sammelstelle für bevorstehende Deportationen missbrauchten Synagoge in der Levetzowstraße gebracht. Von dort wurde die Familie in das Ghetto Łódź verschleppt. Friedas Eltern und weitere Familienangehörige stammten aus Łódź, sodass es im Ghetto zu einem traurigen Wiedersehen mit ihren Verwandten kam.

Im Ghetto musste Frieda als Näherin in einer der Textilfabriken arbeiten, in denen Uniformen für die Wehrmacht hergestellt wurden.
Am 9. Juni 1942 sah Frieda ihren Mann sterben. Er war auf der Straße angeschossen worden und verblutete in der Unterkunft, ohne dass ihm jemand zur Hilfe kommen konnte.
Sie selbst war an Lungentuberkulose erkrankt und starb am 28. Dezember 1942, wenige Stunden nach dem Geburtstag ihrer Tochter.

Biografische Zusammenstellung: Karin Sievert
Stolpersteininitiative Charlottenburg-Wilmersdorf

Quellen:
Gedenkbuch – Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945

Loose: „Berliner Juden im Getto Litzmannstadt 1941-1944


Berliner Adressbücher – Zentral- und Landesbibliothek Berlin
Yad Vashem – Opferdatenbank

Landesarchiv Berlin – Geburts- und Heiratsanzeigen;
Katalog:“Charterflug in die Vergangenheit – 50 Jahre Besuchsprogramm des Berliner Senats für NS – Verfolgte“;
USC Shoah Foundation :Jewish Survivor Hega Melmed Testimony https://www.youtube.com/watch?v=wsDT_HoHcco

Stolperstein Georg Arndtheim

HIER WOHNTE
GEORG
ARNDTHEIM
JG. 1888
DEPORTIERT 18.10.1941
LODZ / LITZMANNSTADT
ERMORDET 19.6.1942

Am 31. Oktober 1888 wurde Georg Arndtheim in Berlin geboren. Sein Vater war der Kaufmann Ury Feibusch (Ferdinand) Arndtheim und die Mutter war Auguste Ida Antonie Luise Arndtheim geb. Hellert. Die Familie wohnte in der Lothringer Straße 13. Georg hatte drei Brüder, Adolf, *1884 starb im März 1955; Willy, *1891 emigrierte nach China, vermutlich Shanghai und Franz, *1895 oder 1898. Er fiel im 1. Weltkrieg.

Georg Arndtheim war wohl anfangs als Kaufmann tätig, später gab er seinen Beruf mit Bankbeamter, bzw. Prokurist an. Er wohnte bis zu seiner Heirat mit Frieda Szykier am 25. Dezember 1925 in Friedrichshagen in der Cöpenicker Straße 35. Das junge Paar zog dann nach Wilmersdorf in die Lauenburger Straße 24. Die Wohnung befand sich im Gartenhaus. Die bis 1937 so bezeichnete Straße hieß ab 1938 Walter Fischer Straße, heute Fechnerstraße. Aus der Nr. 24 wurde bei Umbenennung die Nr. 5.

Zwei Jahre nach der Hochzeit kam am 28. Dezember 1927 die einzige Tochter Helga auf die Welt. Die Eltern Arndtheim ermöglichten ihrer Tochter eine unbeschwerte Kindheit, sie verbrachten viel Zeit mit ihr in der Natur außerhalb der Stadt. Georg verfügte als Bankbeamter über ein gutes Einkommen. Über seinen beruflichen Werdegang ab 1933 ist nichts bekannt, es ist anzunehmen, dass er innerhalb seiner Bank als Jude Schikanen erfahren musste und schließlich seine Anstellung verlor. 1939 ist er im Berliner Adressbuch mit dem Zusatz „Vertreter“ eingetragen.

Die Arndtheims durften auch nach 1939, nach dem Inkrafttreten des Gesetzes über die Mietverhältnisse mit Juden, in ihrer Wohnung in der Walter Fischer Straße verbleiben.

Am 18. Oktober 1941 wurde Georg Arndtheim zusammen mit seiner Frau Frieda und der Tochter Helga in das Ghetto Łódź deportiert. Sie kamen in einer der primitiven Unterkünfte im Bleicherweg 16 unter. Georg wurde zum „Außeneinsatz“ zwangsverpflichtet – so seine Tochter Helga in einem späteren Interview -, für einen sicher nicht an schwere körperliche Arbeit gewohnten Mann bei ungenügender Ernährung kaum zu bewältigen.

Am 19. Juni 1942 wurde Georg auf einer Straße des Ghettos erschossen. Es handelte sich um eine der häufigen willkürlichen Aktionen der Wachmannschaften, bei der sie die Menschen, die sich gerade in der Nähe befanden, ohne Vorwarnung als Ziel benutzten. Georg konnte sich noch schwer verletzt zu seiner Familie in die Unterkunft retten, starb aber kurz darauf an seinen schweren Verletzungen.

Biografische Zusammenstellung: Karin Sievert
Stolpersteininitiative Charlottenburg-Wilmersdorf

Quellen:
Gedenkbuch – Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933 – 1945

Loose: „Berliner Juden im Getto Litzmannstadt 1941 – 1944


Berliner Adressbücher – Zentral- und Landesbibliothek Berlin
Yad Vashem – Opferdatenbank

Landesarchiv Berlin – Geburts- und Heiratsanzeigen;
Katalog:“Charterflug in die Vergangenheit – 50 Jahre Besuchsprogramm des Berliner Senats für NS – Verfolgte“;
USC Shoah Foundation :Jewish Survivor Hega Melmed Testimony https://www.youtube.com/watch?v=wsDT_HoHcco

Frieda, Helga und Georg Arndtheim in Berlin

Stolperstein Helga Arndtheim

HIER WOHNTE
HELGA
ARNDTHEIM
VERH. MELMED
JG. 1927
DEPORTIERT 18.10.1941
LODZ / LITZMANNSTADT
1943 AUSCHWITZ
1945 BERGEN-BELSEN
BEFREIT

Helga Arndtheim war das einzige Kind ihrer Eltern Georg und Frieda Arndtheim. Sie kam am 28. Dezember 1927 in Berlin auf die Welt.
Die Arndtheims wohnten seit 1926 in der heutigen Fechnerstraße 5, die damals noch Lauenburger Straße und ab 1938 Walter Fischer Straße hieß.
Helga hatte eine behütete und glückliche Kindheit, die Mutter war zwar streng, aber sie kümmerte sich liebevoll um die Tochter. Zusammen mit den Eltern besuchte Helga ihre Verwandten, ging ins Kino und in den Zoo und verbrachte die Sommer in dem Landhaus der Arndtheims außerhalb Berlins.

Während des Besuchs der Grundschule am Nikolsburger Platz ab 1933 war es vorbei mit der Unbeschwertheit und Helga erfuhr bald die Diskriminierungen durch ihre Lehrer und Mitschüler. Die Eltern schulten sie um in die „Private Jüdische Waldschule Kaliski“ in Dahlem, wo den jüdischen Kindern mehr Schutz und Geborgenheit zuteil wurde. 1939 musste die Schule schließen und Helga blieb von nun an zuhause.

In der Nacht zum 18. Oktober 1941 wurden Georg, Frieda und Helga von der Gestapo aus ihrer Wohnung abgeholt. Innerhalb kürzester Zeit mussten sie notwendige Dinge zusammenpacken. Helga erinnerte sich, dass ihre Mutter ihr so viele Kleidungsstücke wie möglich übereinander anzog, damit sie die bevorstehende Kälte besser ertrüge.
Die Familie wurde zunächst in die Levetzowstraße gebracht. Eine Synagoge diente als Sammelstelle zur Vorbereitung auf die Deportation.

Es begann eine lange Reise ins polnische Łódź. Die Familie Arndtheim wurde im Ghetto in einer Behausung im Bleicherweg 16 untergebracht. Alle drei wurden sogleich zur Zwangsarbeit herangezogen, Georg musste im Außenbereich arbeiten, Frieda in einer der zahlreichen Nähereien, in denen Uniformen für die Wehrmacht hergestellt wurden und die 14-jährige Helga in einer Werkstatt, in der sie u.a. Knöpfe annähte, Blumen bastelte, „making stupid things for stupid German ladies“, wie sie selbst es ausdrückte.

Im Juni 1942 musste Helga mit ansehen, wie ihr Vater starb. Er war auf der Straße willkürlich angeschossen worden und konnte sich noch ins Haus schleppen, wo er nach der schweren Schussverletzung verblutete.
Sechs Monate später wurde Helga 15 Jahre alt. Ihre Mutter konnte ihr – eine Kostbarkeit – eine Zwiebel schenken, die sie irgendwo im Ghetto aufgetrieben hatte. Noch in derselben Nacht starb Frieda Arndtheim, an Lungentuberkulose erkrankt und halb verhungert.

Helga hatte im Ghetto Verwandte, die sich ihrer vorübergehend annahmen. Bald wurde sie zusammen mit sieben weiteren Waisenkindern von Chaim Mordechai Rumkowski, dem „Ältesten der Juden in Litzmannstadt“ in eine gesonderte Unterkunft gebracht, in der die Lebensbedingungen etwas besser waren.
1943 wurde diese Gruppe von Kindern nach Auschwitz transportiert. Helga überlebte Selektion und die darauf folgenden Monate in dem Vernichtungslager, bis sie weitertransportiert wurde in das Außenlager des KZ Neuengamme, Hamburg Sasel. Während der gesamten Zeit blieb die Gruppe der vier Waisenmädchen aus Łódź zusammen. Sie wurden zur Schwerstarbeit, der Räumung von Trümmern nach der Bombardierung Hamburgs, eingesetzt.

Im April 1945 wurde das Außenlager geräumt und die jungen Frauen nach Bergen – Belsen geschickt. Den langen Marsch mussten sie zu Fuß zurücklegen, die nackten Füße nur durch ein paar Lumpen oder Zeitungen geschützt.

Als die britischen Truppen Bergen Belsen befreiten, wog Helga noch 23 kg. Sie war an Typhus und Tuberkulose erkrankt und verbrachte die folgende Zeit im Militärkrankenhaus.
Dank des Einsatzes von Folke Graf Bernadotte gehörte Helga Arndtheim zu den ehemaligen KZ Häftlingen, die in Schweden eine Zuflucht finden sollten. In Sigtuna, in der Nähe Stockholms, konnte sie sich in einem Krankenhaus monatelang von den Strapazen der KZ Haft erholen und wieder zu Kräften kommen.

Hier lernte sie den deutschen Geschäftsmann Hans Schröder kennen, der Nazideutschland frühzeitig verlassen hatte. Er kümmerte sich um Helga und nahm sie schließlich in seine Familie auf, wo sie mit dessen zwei Töchtern eine schwesterliche Beziehung verband.
Ihre Tante Paula Bein, Schwester ihrer Mutter Frieda, hatte von den USA aus, wohin sie emigrieren konnte, über internationale Suchdienste nach Frieda, Georg und Helga geforscht. Schließlich fand sie Helga in Schweden. Sie erwirkte für ihre Nichte eine Einreiseerlaubnis in die USA. 1948 verließ Helga den europäischen Kontinent und begann ihr neues Leben in Amerika.

Die erste Zeit lebte Helga bei Tante Paula und deren Familie in New York, beschloss dann aber, sich in Philadelphia zur Krankenschwester ausbilden zu lassen. Ihre jüdische Mitstudentin war Leebe Melmed; die beiden Frauen wurden schnell beste Freundinnen. Leebe lud Helga zu sich nach Hause ein. So lernte Helga Leebes Bruder Charles kennen. Es war Liebe auf den ersten Blick.
Helga und Charles Melmed heirateten, zogen nach Florida, bekamen vier Kinder und zahlreiche Enkelkinder.

1977 besuchte Helga Melmed zum ersten Mal nach ihrer Deportation ihre Geburtsstadt Berlin auf Einladung des Berliner Senats.
Im Mai 2019 erfolgte ein zweiter Besuch anlässlich der Ausstellung „50 Jahre Besuchsprogramm des Berliner Senats für NS-Verfolgte“.

Die Biografie von Helga Melmed Arndtheim basiert auf dem zweistündigen Videointerview, das sie 1997 der von Steven Spielberg gegründeten USC Shoah Foundation gab.

Biografische Zusammenstellung: Karin Sievert
Stolpersteininitiative Charlottenburg-Wilmersdorf

Quellen:
Gedenkbuch – Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945

Loose: „Berliner Juden im Getto Litzmannstadt 1941-1944


Berliner Adressbücher – Zentral- und Landesbibliothek Berlin
Yad Vashem – Opferdatenbank

Landesarchiv Berlin – Geburts- und Heiratsanzeigen;
Katalog:“Charterflug in die Vergangenheit – 50 Jahre Besuchsprogramm des Berliner Senats für NS – Verfolgte“;
USC Shoah Foundation :Jewish Survivor Hega Melmed Testimony https://www.youtube.com/watch?v=wsDT_HoHcco
Artikel über Helga Melmed in der Herald-Trbune

Stolperstein Sally Grau

HIER WOHNTE
SALLY GRAU
JG. 1898
DEPORTIERT 18.10 1941
LODZ / LITZMANNSTADT
ERMORDET 28.4.1942

Am 5. Dezember 1898 wurde Sally Grau im Haus seiner Eltern in Danzig, Holzmark Nr. 4 geboren. Sein Vater war der Kaufmann Moritz Grau, seine Mutter war Natalie Grau geb. Meyer. Am 10. Februar 1901 kam sein Bruder Walter auf die Welt und zwei Jahre später, am 20. Februar 1903, seine Schwester Milly Margot.

Tragischerweise war Natalie Grau bei der Geburt ihrer Tochter schon Witwe, Moritz Grau war drei Monate vor Margots Geburt, am 26. November 1902, im Alter von 38 Jahren verstorben.
Natalie heiratete am 19. Februar 1906 ein zweites Mal, den am 8. April 1878 geborenen Kaufmann David Grau. Möglicherweise handelte es sich um einen Verwandten, der sich verantwortlich für die junge Witwe mit den kleinen Kinder fühlte.
Aus dieser Ehe gingen weitere drei Kinder hervor. Gertrud Dorothea Eva, geb. 1909, Friedrich Wilhelm Arno, geb. 1910 und 1913 Rudolf Chon Egon. Letzterer wurde schon in Berlin Wilmersdorf geboren. Demnach zog die Familie zwischen 1910 und 1913 nach Berlin. David Grau ist erstmals 1917 als Haushaltsvorstand in den Berliner Adressbüchern unter Holsteinische Straße 33 eingetragen. Die achtköpfige Familie wohnte dort in einer elegant eingerichteten 6 Zimmerwohnung.

Sally Stiefvater verstarb 1930 in Berlin Pankow. 1931 war seine Mutter noch in der Holsteinischen Straße 33 gemeldet, danach zog sie mit Milly und zwei ihrer fünf Söhne in eine 3 ½ Zimmer Wohnung nach Schöneberg in die Stübbenstraße 7.
Eine damalige Freundin der Familie schrieb in ihrer eidesstattlichen Erklärung:

bq. Die Familie Grau war eine sehr wohlhabende Familie, es war eine der ersten Familien Danzig’s gewesen, und diese Wohlhabenheit drückte sich in dem Stil ihrer Einrichtung aus. Als Frau Grau sich beim Umzug in die Stübbenstraße verkleinerte, nahm sie natürlich nicht die schlechtesten Sachen ihres Haushalts mit, sondern suchte, soweit ich das beurteilen kann, die guten und für die kleinere Wohnung passenden Sachen aus. ….. Kurz bevor Frau Grau deportiert wurde, war sie noch zu Verwandten in die Dahlmannstraße gezogen, ohne aber ihre Wohnung aufzugeben. Sie hatte dies getan, um von dort aus, wie sie hoffte, mit Erfolg schwarz über die Grenze ins Ausland gehen zu können….

Von Sally Grau gibt es keinerlei Dokumente, die über sein Leben Auskunft geben könnten. Weder ist sein Beruf überliefert, noch seine Wohnungen in Berlin. Ein einziger Eintrag im Adressbuch weist 1929 einen Sally Grau mit der Anschrift Holsteinische Straße 55 aus. Auch in den Wiedergutmachungsanträgen, die sein Bruder Walter in der 50er Jahren stellte, wird Sally nur vereinzelt namentlich erwähnt. Demnach blieb er unverheiratet und hatte keine Kinder.

Von seinen Geschwistern und Halbgeschwistern hingegen ist bekannt, dass sie in die USA emigrierten. Walter war über Bolivien ausgewandert und hatte dort 1950 geheiratet. Er ließ sich später mit seiner Frau in Seattle nieder. Nach eigenen Angaben war er zuerst als Vertreter tätig, später verdiente er seinen Lebensunterhalt als Packer.
Milly Margot Grau heiratete 1943 in West Virginia Eric Rosenbaum, sie starb am 27. Januar 2000 in Munster Lake im Staat Indiana.
Gertrud heiratete 1937 Ferdinand Lewin und lebte mit ihm in West Virginia.
Rudolf ließ sich in Tacon, Washington nieder. Er führte in den USA den Namen Rudi Gray.
Sallys Halbbruder Friedrich, ebenfalls unverheiratet und kinderlos, wurde am 17. November 1941 nach Kowno deportiert und dort ermordet.

Nach der Sonderkartei für Juden, die mit der Volkszählung 1939 angelegt wurde, hat Sally in der Walter-Fischer-Straße, der heutigen Fechnerstraße 5 gewohnt, wahrscheinlich bei einem anderen Bewohner zur Untermiete.

Am 18. Oktober 1941 wurde Sally Grau zusammen mit seinen Nachbarn, den Familien Arndtheim und Milchner aus diesem Haus in das Ghetto Litzmannstadt/Łódź deportiert. Er wurde in einer der primitiven Unterkünfte in der Alexanderhofgasse 25 untergebracht. Man stufte ihn als arbeitsfähig ein und registrierte ihn in der Ghettoverwaltung mit der Berufsbezeichnung „Lagerist“. Sally Grau ertrug die unmenschlichen Bedingungen des Ghettos nur wenige Monate. Er starb am 28.April 1942.

Seine Mutter Natalie Grau wurde am 9. September 1942 von der Dahlmannstraße 4 in das Altersghetto Theresienstadt deportiert. Sie hatte dort bei einer Verwandten, Frau Gerber, zur Untermiete gewohnt. Knapp 5 Monate später, am 26. Januar 1943, starb Natalie Grau im Ghetto. Die offizielle Todesursache wurde mit Altersschwäche angegeben. In Wahrheit dürften die unbeschreiblichen hygienischen Zustände, der Hunger und grassierende Krankheiten zu ihrem Tod geführt haben.

Recherche und Text: Karin Sievert
Stolpersteininitiative Charlottenburg-Wilmersdorf

Quellen:

  • Gedenkbuch – Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945
  • Theresienstädter Gedenkbuch Holocaust.cz
  • Brandenburgisches Landeshauptarchiv www.blha.de

  • Berliner Adressbücher – Zentral- und Landesbibliothek
  • Landesarchiv Berlin WGA 
-Akten
  • Deportationslisten

  • Gottwald/Schulle „Die Judendeportationen aus dem Deutschen Reich 1941-1945“
  • 
Loose: „Berliner Juden im Getto Litzmannstadt 1941-1944


Stolperstein Flora Milchner

HIER WOHNTE
FLORA MILCHNER
GEB. OPPENHEIMER
JG. 1888
DEPORTIERT 18.10 1941
LODZ/LITZMANNSTADT
1942 CHELMNO / KULMHOF
ERMORDET 8.5.1942

Flora Käthe Oppenheimer kam am 21. November 1888 in Berlin auf die Welt. Ihre Mutter war Elsbeth Rosa (Else) Oppenheimer, ihr Vater war der Fabrikbesitzer Gustav Oppenheimer. Flora hatte noch eine Schwester, Lilli Rosine. Sie wurde am 10. April 1891 geboren.Vor ihrer Eheschließung lebte Flora bei ihren Eltern in der Bayreuther Straße 41. Sie war offenbar bildungshungrig und belesen und ging regelmäßig in die Bücherei. 2018 fand man ein Buch in der Berliner Stadtbibliothek das Wörterbuch „Dictionnaire Francais-Allemand et Allemand-Francais“ von 1887, das Flora Oppenheimers Namen trug.

Am 9. April 1910 heiratete Flora den Oberarzt an der Charité, Dr. med. Richard Joseph Milchner, mit dem sie zwei Söhne hatte. Am 21. Juni 1911 wurde Hans Heinz geboren und 5 Jahre später, am 5. Mai 1916 Kurt Gustav. Die Familie wohnte in einer Dreizimmerwohnung in der Walter Fischer Straße 5, der heutigen Fechnerstraße. Die Einrichtung bestand aus wertvollen Mahagonimöbeln und Perserteppichen. Ein Bechsteinflügel gehörte ebenfalls zum Inventar.
Heinz war 12 und Kurt gerade 7 Jahre alt, als der Vater 1923 verstarb. Flora ernährte sich und die Kinder als Masseurin, Atemtherapeutin, Beraterin in Schönheitspflege und Gymnastiklehrerin. Sie machte Hausbesuche und behandelte ihre Patienten zu deren vollster Zufriedenheit, wie ein damaliger Kunde versicherte. Dabei kam sie auf ein monatliches Einkommen von etwa 600 RM. Nach 1933 lehnten viele antisemitisch eingestellte Patienten eine weitere Behandlung durch Flora ab, wodurch sie erhebliche finanzielle Einbußen hatte.
Floras Mutter Else Oppenheimer verfügte nach dem Tod ihres Mannes Gustav über ein beträchtliches Aktienpaket und erhebliches Barvermögen und besaß das Grundstück Ohlauer Straße 27. Somit ist zu vermuten, dass sie Flora über finanzielle Engpässe hinweghelfen konnte.
Ihre Söhne verließen 1933 und 1935 das Land und Flora blieb allein in der Berliner Wohnung zurück.

Ihre Schwester Lilly, seit 1913 verheiratet mit dem Fabrikbesitzer Martin Joachimcyk und seit 1936 verwitwet, wohnte in einer Dreizimmerwohnung in der Knesebeckstraße 33 zusammen mit ihrer Mutter Else Oppenheimer.

Mit dem ersten von vier Transporten wurde Flora Milchner zusammen mit ihren Nachbarn, der Familie Arndtheim, am 18. Oktober 1941 vom Berliner Bahnhof Grunewald nach Łódź (Litzmannstadt) deportiert. In dem Ghetto registrierte man sie als „Masseurin“ und wies in eine der primitiven Unterkünfte in der Alexanderhofstraße 35, später in die Rauchgasse 31 ein.
Das Ghetto erwies sich in der kommenden Zeit für viele Menschen als Durchgangsstation auf dem Weg zur Ermordung in einem der Gaswagen in dem etwa 60 km entfernten Chelmo (Kulmhof).
Am 8. Mai 1942 widerfuhr Flora Milchner eben dieses Schicksal. Ihr Leichnam wurde vermutlich in einem Massengrab verscharrt.

Ihre Mutter Else Oppenheimer und ihre Schwester Lilly Joachimcyk wurden am 3. Oktober 1942 mit dem 3. großen Alterstransport, der 1022 Menschen umfasste, in das Böhmische Ghetto Theresienstadt deportiert. Else erlag dort am 3. März 1943 einer schweren Krebserkrankung, zusätzlich geschwächt durch die unmenschlichen Lebensbedingungen.
Lilly wurde am 16. Mai 1944 weiter nach Auschwitz deportiert und vermutlich gleich nach Ankunft ermordet.

Floras Sohn Kurt ließ für Mutter, Großmutter und Tante Gedenkblätter in der Holocaust Gedenkstätte Yad Vashem anlegen.

Recherche und Text: Karin Sievert
Stolpersteininitiative Charlottenburg-Wilmersdorf

Quellen:

Gedenkbuch – Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933 – 1945
; Theresienstädter Gedenkbuch Holocaust.cz
; Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten – Entschädigungsbehörde
; Berliner Adressbücher – Zentral- und Landesbibliothek Berlin
; Landesarchiv Berlin 
WGA ; Deportationslisten; 
Gottwald/Schulle „Die Judendeportationen aus dem Deutschen Reich 1941 – 1945“
; Loose: „Berliner Juden im Getto Litzmannstadt 1941 – 1944
; Yad Vashem – Opferdatenbank

Wörterbuch „Dictionnaire Francais-Allemand et Allemand-Francais“, 1887

Wörterbuch „Dictionnaire Francais-Allemand et Allemand-Francais“, 1887

Der Zugangsweg des Buches in den Bestand der Zentral- und Landesbibliothek ist unklar und konnte nicht nachvollzogen werden. Das Objekt wurde in unbearbeiteten Depotbeständen der Berliner Stadtbibliothek gefunden.

Stolperstein Kurt Milchner

HIER WOHNTE
KURT MILCHNER
JG. 1916
FLUCHT 1935
ITALIEN
1937 DÄNEMARK
1938 SCHWEDEN

Kurt Gustav Milchner wurde am 5. Mai 1916 in Berlin geboren. Er war zweites Kind des Oberarztes Richard Joseph Milchner und seiner Frau, der Gymnastiklehrerin Flora, geb. Oppenheimer. Sein älterer Bruder Hans Heinz war 1911 geboren worden.

Kurt besuchte die Hecker Realschule und legte 1932 das Realschulexamen ab. Sein Vater war schon 1923 gestorben und Kurt lebte bei seiner Mutter in der Dreizimmerwohnung in der Fechnerstraße 5. Nach dem Schulbesuch begann Kurt eine kaufmännische Lehre bei der Firma Butter – Nordstern, einem Filialbetrieb für Butter und Lebensmittel am Alexanderplatz. Seine Absicht war, später noch an der Wirtschaftshochschule zu studieren, in Abendkursen wollte er sich zum Diplomkaufmann oder Auslandskorrespondenten weiterbilden.
Kurz vor Beendigung der Lehrzeit am 28. Februar 1935 musste Kurt seine Anstellung bei der Butter – Nordstern aufgeben. Die Firma befand sich in jüdischen Händen und wurde 1935 liquidiert.

In dieser Zeit erfuhr Kurt an eigenem Leib die ersten antisemitischen Übergriffe durch SA – Männer in der Nähe des Alexanderplatzes, die ihn physisch und psychisch schwer belasteten. Sein Bruder Heinz hatte bereits 1933 Deutschland gleich nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten verlassen und war nach Südafrika ausgewandert.

bq. Trotzdem der Gedanke, meine Mutter verlassen zu müssen, die allein zurückblieb, da mein einziger Bruder Deutschland schon auf Grund der Judendiskriminierung verlassen hatte, kaum erträglich war, emigrierte ich. Meine Aussichten zum wirtschaftlichen Fortkommen sah ich ohnedies als hoffnungslos an.

1935 verließ er Deutschland. Er ging nach Italien, mittellos und ohne eine Berufsausbildung. Dort durfte er nur ohne Entlohnung in der Landwirtschaft arbeiten. Finanzielle Unterstützung erhielt er von seiner Mutter aus Berlin. Damals hatte er schon die ersten gesundheitlichen Beschwerden.
1937 gelang es ihm, für Dänemark eine Arbeitserlaubnis zu erhalten – wieder musste er ohne Bezahlung in der Landwirtschaft arbeiten. Er wurde schwer krank und wurde 2 Monate lang im Krankenhaus stationär behandelt.
Im November 1938 bekam er eine Arbeitserlaubnis in Schweden unter denselben Bedingungen wie zuvor. Erst 1945 durfte er eine andere als Landarbeit annehmen, als ungelernter Arbeiter war er bei geringem Einkommen auf verschiedenen Arbeitsplätzen tätig. Schwere Schädigungen an der Wirbelsäule, verursacht durch die Misshandlungen der SA Männer in Berlin und die ungewohnte schwere körperliche Arbeit, sowie Depressionen, beeinträchtigten sein weiteres Leben in Schweden. Letztendlich war er nur noch in der Lage, leichte kaufmännische Tätigkeiten als Lagerkontorist auszuüben. Hinzu kam die Verzweiflung über das Schicksal seiner Mutter Flora.

Kurt heiratete 1947 die geflüchtete polnische Jüdin Estera Wroclawska, mit der er zwei Töchter bekam, 1950 wurde Rut geboren, 1953 Elisabet. Beide besuchten das Gymnasium und konnten studieren.
In 50er Jahren stellte Kurt Anträge auf Entschädigung und Wiedergutmachung für sich, seine Mutter Flora, seine Tante Lilly und seine Großmutter Else Oppenheimer.
Er starb am 20. Dezember 1996 in Malmö.

Recherche und Text: Karin Sievert
Stolpersteininitiative Charlottenburg-Wilmersdorf

Quellen:

  • Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten – Entschädigungsbehörde
; Berliner Adressbücher – Zentral- und Landesbibliothek Berlin
; Landesarchiv Berlin 
WGA Datenbank, Yad Vashem – Opferdatenbank


Stolperstein Heinz Milchner

HIER WOHNTE
HEINZ MILCHNER
JG.1911
FLUCHT 1933
ENGLAND
SÜDAFRIKA

Hans Heinz Milchner wurde am 21. Juni 1911 als ältester Sohn des Ehepaares Flora und Richard Joseph Milchner geboren. Sein Vater war Chefarzt an der Charité, er starb 1923. Sein jüngerer Bruder Kurt war am 5. Mai 1916 auf die Welt gekommen. Flora Milchner ernährte ihre Söhne nach dem Tod des Ehemannes durch Atem- und Heilgymnastik, sowie Schönheitspflege, die sie in den Wohnungen ihrer Patienten unterrichtete.
Heinz verließ Deutschland 1933 kurz nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten.
Über England gelangte er nach Südafrika. Er ließ sich in Johannesburg nieder und änderte seinen Nachnamen in Milner um.
Im Gegensatz zu seinem Bruder Kurt ist über Heinz’ Leben und Schicksal nichts bekannt. Die Brüder hatten in den 50er Jahren noch Kontakt miteinander, denn sowohl Kurt als auch Heinz stellten Anträge auf Wiedergutmachung und Entschädigung bei den Berliner Behörden.

Recherche und Text: Karin Sievert
Stolpersteininitiative Charlottenburg-Wilmersdorf

Quellen:

Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten – Entschädigungsbehörde
; Berliner Adressbücher; Landesarchiv – WGA Datenbank