Vortrag von Detlef Krenz
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
mein Name ist Detlef Krenz und ich wurde vom Bürgerbüro beauftragt, mich mit der Geschichte des Rodeliusplatzes zu beschäftigen, und zwar in erster Linie sollte der Blick von der Kaiserzeit bis 1945 und kurz danach gehen. Insbesondere rückte das Polizeiamt Alfredstraße im Umfeld des Rodeliusplatzes ins Visier. Aus der Zeit vor 1933 sind die Rechercheergebnisse bislang eher überschaubar. Zwei Beispiele möchte ich vorstellen.
Vor 1933 hatte das Polizeiamt Alfredstraße die Funktion einer übergeordneten Lichtenberger Polizeidienststelle. Im Landesarchiv Berlin liegen aus der Zeit einige Schriftwechsel des Polizeiamtes mit anderen Institutionen vor, die das Thema der Ladenschlusszeiten zum Gegenstand haben. So gibt es ein Schreiben vom 25. Februar 1903, in dem angefragt wird, „ob es zulässig ist, das Verhängen von Schaufenstern nur während der Zeit der Hauptgottesdienste an Sonn- und Feiertagen zu verlangen.“ Vom Groß-Berliner Magistrat kam das Gegenargument: „die Ladeninhaber würden dadurch in ihrer Sonntagsruhe möglicher Weise beeinträchtigt und der Anreiz, das Verkaufsverbot zu übertreten, könnte vergrößert werden.“ Der Landrat des Kreises Niederbarnim, Niederbarnim war seinerzeit noch Teil von Lichtenberg, erwiderte: „Den Arbeitern an den Sonntagen besonders im Winter Gelegenheit gegeben werden müsse, Erzeugnisse von besonderem Geschmack und höherer Technik durch eigene
Anschauung kennenzulernen und sich an den Auslagen in den Schaufenstern zu erfreuen.“
Am 8. Juli 1914 nahm das Lichtenberger Polizeiamt die Arbeit zu einem Deckeneinsturz wegen Überlastung bei der Knorrbremse in der Bahnhofsstraße auf. Im dortigen Neubau lagerten im Dachgeschoß eines Seitenflügels schwere Eisenteile. Diese Last führte dazu, dass ein 60 m² großes Stück der Eisenbetondecke brach und fünf darunter liegende Decken ebenfalls zerstört wurden. 3 Arbeiter erlitten tödliche Verletzungen, weitere 3 Arbeiter wurden schwer verletzt und 2 leicht verletzt.
Eine große Lücke zur Geschichte des Lichtenberger Polizeiamtes, bildet die Zeit von 1914 bis 1936, es bedarf hier noch weiterer Recherchen.
Die NS-Jahre
1934 wurde die Anzahl der Berliner Polizeiämter von 20 auf 11 reduziert. Das Polizeiamt Lichtenberg wurde mit dem Friedrichshainer Polizeiamt zusammengelegt und bis zum Kriegsende als Polizeiamt „Horst Wessel“ bezeichnet, analog zum umbenannten Bezirk Friedrichshain. Laut einem Kommentar zur Umorganisation vom 11. März 1937, gehörten in den Bereich des Polizeiamtes „Horst Wessel“ „der Aussenposten 257, im Ortsteil Friedrichsfelde. Dann das Zigeunerrastlager in Marzahn. Marzahn, heißt es weiter, grenzt mit seiner Spitze nordöstlich an die Ortschaft Eins des Landkreises Niederbarnim. Der Bezirk hat eine Ausdehnung von 27,2 qkm und eine Einwohnerzahl von rd. 30.000, zu denen noch die Bewohner von 85 Laubenkolonien hinzugerechnet werden müssen. In dem Dienstbezirk befindet sich der Friedrichsfelder Magerviehof, auf dem unter anderem der größte Berliner Pferdemarkt abgehalten wird und so auch den Zuzug vieler Händler von ausserhalb mit sich bringt. Der weitere
Aussenposten 258 umfasst die Ortsteile Kaulsdorf, Hellersdorf, Mahlsdorf und Biesdorf mit der Heil- und Pflegeanstalt Wuhlgarten, die etwa 2.000 Insassen beherbergt. Hellersdorf und Mahlsdorf grenzen im Norden und Osten fasst in ihrer ganzen Ausdehnung, die bei Mahlsdorf allein 7 ½ Km beträgt, an den Landkreis Niederbarnim. Der Flächeninhalt der genannten Ortsteile beträgt insgesamt 43,1 qkm. Die Einwohnerzahl beläuft sich auf rund 52.000. Damit endet das Zitat.
Nicht erwähnt wurden die Lichtenberger Betriebe, als da wären Siemens & Halske, später Siemens Plania, noch später Elektrokohle, das Margarinewerk Berolina, die Norddeutsche Kugellagerfabrik, dazu kamen große Konfektionsbetriebe, Wurstfabriken und Großbäckereien, aus dem „Industriegebiet Herzbergstraße“. Dieser Wirtschaftsmix wurde nun durch die Knorrbremse und anderen kriegswirtschaftlich wichtigen Standorten in Friedrichshain, wie Osram, dem Osthafen, dem Ostbahnhof oder dem Glaswerk Stralau ergänzt. Bis 1939, arbeitete man fast in allen Betrieben an der Aufrüstung und nach dem 1. September 1939 ausschließlich für die Rüstung, aus polizeilicher Sicht waren damit erhebliche Sicherheitsprobleme aufgeworfen. Das gilt insbesondere für die Jahre der Zwangsarbeitereinsätze. Während der gesamten Kriegszeit wurden allein auf dem Lichtenberger Gebiet 79 Zwangsarbeiterlager eingerichtet, für die Jahre zwischen 1942 und 1943, wurden auf dem Friedrichshainer Gebiet
40 Lager gezählt. Das Polizeiamt in der Alfredstraße war mit seinen Abteilungen und Kommissariaten fest eingebunden in das System dieser mehr als 100 Arbeitslager. Deren Insassen kamen aus fast ganz Europa. Bereits daraus ergibt sich, das Polizeiamt in der Alfredstraße, war jetzt nicht mehr nur regional tätig, sondern war weit über die Bezirksgrenzen von Bedeutung. Hier noch einige Worte zu den speziellen Brennpunkten im Wirkungskreis des Polizeiamtes Alfredstraße.
Zum „Zigeunerlager“, am 16. Juli 1936 wurden in Berlin und Umgebung vor allem ansässige Sinti verhaftet und in das Lager Marzahn gebracht. Obwohl am Anfang das Ziel der „Schutz vom nachbarlichen Zusammenleben“ und die „Abwehr ernster sittlicher Gefahren, insbesondere für die Jugend“ sein sollten, wurden während der Aktion sämtliche, bei der Zigeunerdienststelle der Polizei als „Zigeuner“ und „Zigeunermischling“ registrierte Menschen verhaftet und eingesperrt. Der sogenannte Rastplatz war überwiegend von Frauen, Kindern und Alten bewohnt. Roma galten pauschal und grundsätzlich als „gemeinschädlich“ und „asozial“. Auch hier war das Polizeiamt in eine überregionale Aktion im Sinne der NS-Rassenpolitik eingebunden, denn ein großer Teil der seit August 1936 in das Lager gekommenen, waren „fahrende“ Sinti. Im September 1937 war das Lager mit 150 Wohnwagen überfüllt, auf dem de facto keine Einrichtungen vorhanden waren, die ein
menschenwürdiges Leben ermöglicht hätten.
Zur Heil- und Pflegeanstalt Wuhlgarten, die Anstalt Wuhlgarten und deren Personal war zur NS-Zeit als vorbildlich angesehen, weil sie als erste Berliner Anstalt eine „Werkschar“ gründete. Die Anstalt Wuhlgarten verzeichnete 1940 eine Anzahl von 1.720 Betten und 1.394 psychiatrische Patienten. Anhand ausgewerteter Angaben von Transport- und Verlegelisten, Patientenakten und Schreiben der Anstalten wurden 1.024 Kranke, im Rahmen der „Aktion T4“ aus der Anstalt Wuhlgarten in die Tötungsanstalten Hadamar oder Grafeneck verlegt.
Hierzu gibt es die Aussage einer Pflegerin, die ein Dokument dafür sein mag, inwieweit Propaganda und Einschüchterung, die Menschen zu Tätern werden ließen. Die Frau sagte: „Ich habe mich im Innern gegen diese Maßnahmen gesträubt, fühlte mich aber durch meine eidliche Verpflichtung und die angedrohten Strafen gebunden und war auch der Überzeugung, dass ich nichts Ungesetzliches tat, da ja die ganzen Maßnahmen aufgrund eines Gesetzes vorgenommen worden sein sollten.“
Der Magerviehhof Friedrichsfelde, war von 1903 bis 1945 ein Handelszentrum für Rinder, Pferde, Schweine, Schafe und Geflügel für den gesamten Berliner Raum und war bereits von daher für die Polizei ein wichtiges Sicherheitsobjekt.
Der Ostbahnhof, der Ostbahnhof war nicht der größte Bahnhof im Osten Berlins, sondern auch mit täglich 165 ankommenden und 176 abfahrenden Zügen einer der wichtigsten Berliner Bahnhöfe überhaupt. Von hier aus wurde der gesamte Bahnverkehr in die Ostprovinzen, weiter nach Polen und in die Sowjetunion abgewickelt. Ab dem September 1939 wurden von hier aus die Truppentransporte an die Ostfront durchgeführt. Umgekehrt kamen von dort Versorgungszüge und Züge mit Zwangsarbeitern an.
Der Osthafen, der Osthafen war der größte Binnenhafen im Osten Berlins, wichtig vor allem wegen der Kohlentransporte, aber für die Lebensmittelversorgung von Groß-Berlin war der Osthafen wichtig, denn am Ufer standen große Getreide- und andere Lebensmittellagerhäuser. Wegen der Vielfalt der hier eintreffenden Waren bildete sich hier ab dem Frühjahr 1944 ein reger und immer größerer Schwarzmarkt heraus.
Schon anhand dieser Aufzählung lässt sich ersehen, das Polizeiamt Alfredstraße, war für ein Gebiet, das in seiner räumlichen Ausdehnung, von der Mitte bis zu den äußeren Rändern des damaligen Groß-Berlin reichte und wegen seiner Zuständigkeiten ein bedeutendes Kompetenz- und Machtzentrum. Und das nicht nur wegen seiner Ordnungspolizeiabteilungen, sondern auch wegen der dort beheimateten Kriminalkommissariate.
Neuorganisation der Kriminalpolizei
Wichtig in diesem Zusammenhang ist, Mitte der 1930er Jahre wurde die Berliner Kriminalpolizei zur „Abteilung K“ zusammengefasst.
Die „Abteilung K“, gliederte sich auf in Landeskriminalpolizeiamt, Landespolizeistelle und örtliche Kriminalpolizei.
Die örtliche Kripo bestand aus der Abteilung A Kriminaldirektion und B Exekutive der örtlichen Kripo.
Darüber hinaus wurden im Zuge einer „Verreichlichung“ Landeskompetenzen in Reichskompetenzen umgeschrieben. Die Kriminalpolizei war damit eine Sonderbehörde mit überregionalen Kompetenzen, inbegriffen der Kriminalpolizeistellen bei den jeweiligen Polizeiämtern.
Die Kriminalpolizeistellen sollten nach der Neuordnung der staatlichen Kriminalpolizei vom 20. September 1936, und dem Ergänzungserlass vom 12. Januar 1937, Zitat: „Das Rückrat des reichskriminalpolizeilichen Vollzugsdienstes bilden.
Dafür hatten diese Kriminal-Stellen eine Straftaten- und Verbrecherkartei zu führen, mit Karteien einer Einzelfingerabdrucksammlung, Handflächenabdrucksammlung, Verbrecherlichtbildkartei, Merkmalskartei, Spitznamenkartei, Verlustkartensammlung, Steckbriefkartei.
In der Alfredstraße 4 war der Leiter der Kriminalpolizei und das dritte Kriminalkommissariat untergebracht. Zu diesem heißt es im Rahmen einer Unterrichtung an die Kriminalgruppe West vom 19. März 1937: „Für das 3. Kommissariat sind die technischen Einrichtungen (Zellen, Fernschreiber, Fernsprecher) im Hause Alfredstraße 4 vorhanden. Die Zellenräume brauchen nur mit Matratzen ausgestattet zu werden. Es handelt sich um die Zellen des früheren Polizeigefängnisses Lichtenberg. Bisher wurden die Zellen des 251. Polizeireviers, Ecke Frankfurter Allee und Magdalenenstr. mitbenutzt, was als sehr umständlich und gefährlich bezeichnet werden muss. Die Fernschreibe- und Fernsprecheinrichtungen des Polizeiamtes Lichtenberg – Horst Wessel – stehen dem 3. Kommissariat und den Kriminalinspektionen III E wie bisher zur Verfügung. Noch ein Wort zum 251. Polizeirevier im Eckhaus Magdalenenstraße/ Frankfurter Allee. Nach 1945 war es ein Volkspolizeirevier und das ganze Haus wurde
1982 ein Bestandteil vom MFS-Block. Und ein weiteres Wort zum Personalumfang der Kommissariate. Im 3. Kommissariat und den Kriminalinspektionen III E, waren 4 Kriminal-Bezirkssekretäre und 10 Kriminalsekretäre mit Kriminalassistenten tätig. Dazu kam das erste Kriminalkommissariat mit 2 Kriminal-Bezirkssekretären und 18 Kriminalsekretären mit Kriminalassistenten, das zweite mit 4 Kriminal-Bezirkssekretären und 17 Kriminalsekretären mit Kriminalassistenten und das vierte mit 3 Kriminal-Bezirkssekretären und 11 Kriminalsekretären mit Kriminalassistenten. Ergänzt wurden diese Kommissariate durch zwei Außenposten in Friedrichsfelde und Kaulsdorf.
1937 und 1939 erfuhr die Kriminalpolizei weitere Umorganisationen beziehungsweise Neuausrichtungen.
Am 17. Juni 1937, wurde das Reichskriminalpolizeiamt am Werderchen Markt, zum Kriminalpolizeiamt und dem „Amt Kriminalpolizei“ im Hauptamt Sicherheitspolizei Heydrich unterstellt. Am 27. September 1939, wurde daraus die „Abteilung V“, „Verbrechensbekämpfung“, im Reichssicherheitshauptamt. Das Reichssicherheitshauptamt, auch am 27. September 1939, über die Zusammenlegung von Sicherheitspolizei und Sicherheitsdienst gegründet, war eines von zwölf Hauptämtern der SS. Der Aufgabenbereich des RSHA umfasste alle „sicherheitspolitischen und nachrichtendienstlichen Belange“.
Die Aufgaben der Organe der Kriminalpolizei in der Alfredstraße, waren von daher ebenfalls in diese „sicherheitspolitischen und nachrichtendienstlichen Belange“ eingebunden. Die erkennungsdienstlichen Methoden der Kriminalstelle im Polizeiamt, dienten deshalb nicht nur der Aufklärung von kriminellen Straftaten, die im Sinne der NS-Ideologie formuliert waren, sondern vor allem auch der Ermittlung von „Staatsfeindlichen Vergehen“.
In den Tätigkeitsbüchern von Polizei und Kripo sind Ereignisse aus dem gesamten Wirkungsgebiet enthalten, ich möchte Ihnen aber einige Vorfälle aus dem hiesigen Umfeld vorstellen:
Hierfür ein Beispiel vom 8. Januar 1936. So erschien die Witwe Luise Polenske, die in der Einhornstraße 7, in Neukölln wohnte und sagte, sie hätte sich 1932 von Karl Polenske scheiden lassen. Polenske war vor dem 30.1.33 als Gewerkschaftssekretär tätig und flüchtete Zitat: „nach der Volkserhebung mit seiner zweiten Ehefrau nach dem Ausland“. Gemeint war die Tschechoslowakei. Nach der Aussage seiner geschiedenen Frau wiederum Zitat „Hetzte er in verschiedenen Zeitungsartikeln gegen Deutschland“. Polenske war aktuell mit Gertrud Riedel verheiratet. Deren Vater, Alfred Riedel, in der Madalenenstr. 17 vorn links 1 Treppe wohnte, war ein ehemaliger Gewerkschafts-Angesteller. Gertrud Riedel jetzige Polenske, wollte zum Besuch nach Deutschland kommen. Luise Polenske, die geschiedene Ehefrau, vermutete deshalb, dieser Besuch gelte nicht den Eltern, sondern dem Sammeln von Informationen zur Hetze gegen Deutschland. Des Weiteren, ging die einstige Ehefrau davon aus, das
Gelder, die bei der Flucht nicht mitgenommen werden konnten, während Besuchszeit auf ungesetzmäßigem Wege nach der Tschechoslowakei gebracht werden sollten. Inwieweit diese Angaben zutreffend waren, vermochte das Polizeiamt nicht zu beurteilen, jedoch lag Zitat: „die Vermutung nahe, daß die Angabe zutreffend seien, da Polenski-Riedel u. Tochter vor der nationalen Erhebung gewerkschaftlich tätig waren.“ und leitete daraufhin Überwachungsmaßnahmen von der Grenze weg ein.
Ein anderer Fall, in dem es um Propagandamaterial ging, wurde am 5 Oktober 1937 Zitat „verhandelt“. Arthur Sander, lebte Kietzerweg Nr. 13 in einem eigenen Haus, war Mitglied der ‚Deutschen Arbeitsfront‘, aber einst im Baugewerkschaftsbund. Sander, bezeichnete sich laut der „weiblichen Personen Scholz u. Heinel“ als Kommunist. Eine Vernehmung, der beiden gab es nicht, dafür wurde aber am 5. Oktober 1937 eine Wohnungs- und Hausdurchsuchung angeordnet. Überall in der laut Zitat „Anlage“ wurden kommunistische und marxistische Schriften und Flugblätter gefunden, die laut Zitat: „beim Erscheinen der Polizeibeamten durch Feuer vernichtet werden sollten, durch umsichtigen Zugriff der Beamten, indem das Feuer mit Wasser erstickt wurde, konnte das Beweismaterial noch gerettet und beigefügt werden. 4 Fremdsprachige Bücher, 3 Wandkalender, ein Buch „Lied vom Arbeitergroschen“, und ein Buch „Die Stadt des Vatikans“ kamen zum Propagandamaterial dazu.
Am 13. Juni 1938, wurde das Polizeiamt in anderer Weise tätig. Ich zitiere den Orginaltext:
„Wie hier festgestellt worden ist, wird in der Knorrbremse, in Berlin O 112, Neue Banhhofstraße, der Jude Fritz Frühling, 1.4.1900 Wahren b. Leipzig ge. Berlin-Lichtenberg Tasdorfstraße Nr. 5 als Mieter wohnhaft, beschäftigt. Er ist zwar nicht bestraft, nach Pers.-Blatt I besitzt er die Deutsche Reichsangehörigkeit, und hat nach dem Ermittlungsergebnis als Artist, dann als Konzertsänger gearbeitet. Zurzeit will er Metallarbeiter sein. Nach der hiesigen Ansicht dürfte die „Knorr-Bremse“ als R.-Betrieb – Rüstungsbetrieb – anzusehen sein. Frühling soll in diesem Betrieb sogar den Posten eines Werkszeugausgebers versehen, also eine Beschäftigung ausüben, die einmal keine großen körperlichen Anstrengungen notwendig machen, zum andern scheint er aber den arischen Arbeitern bevorzugt zu sein. Abgesehen von dieser Tatsache werden dem Juden Produktionsvorgänge bekannt, die an und für sich nur anderen als den Juden bekannt werden dürften. Wenn aus
staatspolitischen Gründen die Beschäftigung des Juden in diesem Unternehmen bedenklich erscheint, dann nimmt er aber wirtschaftlich gesehen einem arischen Menschen, der infolge einer erlittenen Kriegsverletzung keine volle Arbeitskraft mehr darstellt, den Arbeitsplatz weg. Frühling ist mit der Theresia, geb. Stoklas, seit dem 10.2.22 verheiratet. Aus der Ehe sind zwei Kinder hervorgegangen, beide sind verstorben. An Stapo VIII. Mit der Bitte um Kenntnisnahme und weiteren Veranlassungen“ Mit Stapo VIII war die Gestapo gemeint.
Während des Krieges war die Kripo wie auch die Polizeireviere mit vielen Ermittlungen gegen Zwangsarbeiter beschäftigt. Verschiedene Tätigkeitsbücher geben darüber zahlreiche Auskünfte. Hier einige typische Fälle: Im Oskar-Ziethen-Krankenhaus wurden viele Italienische Zwangsarbeiter beschäftigt. So auch Guiseppe Roboli, 24 Jahre alt, der im Zwangsarbeiter Lager Alt-Stralau 34, neben der Schule untergebracht war. Ihm wurde vorgeworfen, 4 Mark am 30. Januar 1945 während eines Luftangriffs gestohlen zu haben.
Am 13. Dezember 1944 wurde ein Verdächtiger festgenommen. Ich zitiere:
Lucchesi, Luigi Landarbeiter. Geb. 18. April 1910, zu Lapanori (Italien) Berlin-Lichtenberg, Frankfurter Allee 233, bei Magnur und Ljastek im Lager wohnhaft, verließ am 13. Dezember 1944 um 19 Uhr das Lager in der Magdalenstraße mit seinem Koffer. In seiner Begleitung war die Erna König, Arbeiterin, geb. 2. September 1910 in Berlin, O112 Frankfurter Allee 315 wohnhaft. Da das Verhalten der beiden verdächtig war, wurden sie zwangsgestellt. Auf der Wache stellte sich heraus, daß der italienische Staatsangehörige L. mit der deutschen Frau ein Freundschaftsverhältnis unterhält. Im Koffer trug L. zugeschnittenes Brennholz, das er zu der Frau K. bringen wollte. Das Holz wurde auf dem Revier sichergestellt.
Ein weiterer Fall aus der unmittelbaren Umgebung:
Der französische Kriegsgefangene Ludwig-Danne, 9. August 1907, Gefangenennummer 10387, wurde am 10. Oktober 1944, gegen 18 Uhr, in Berlin-Lichtenberg, Frankfurter Allee 134, auf dem Grundstück der Firma ‚Berliner Holzkontor‘, angetroffen und da sich nicht einwandfrei ausweisen konnte, zwangsgestellt. Wie sich herausstellte, ist D. von seiner Arbeitsstelle in Frankfurt a/O entwichen. Sein Lager soll angeblich in Fürstenberg a/O (Stalag IIb) sein.“
Im Zuge des Luftkrieges verlagerte sich die Arbeit der Kommissariate wie auch der Polizeireviere immer mehr auf die Identifizierung vom Bombenopfern. Die Bomben zerstörten nicht nur die Stadt oder töteten Menschen, sie verwüsteten auch die Seelen von Menschen.
Es kam zu zahlreichen Selbstmorden, wie am 13. August 1944 geschildert: „Arthur Kowacz, geb. 31. Januar 1899, aus der Siegfriedstraße 200, sprang am Sonntag, dem 13. August 1944 um 7 Uhr morgens aus dem 4. Stock auf die Straße und starb sofort an seinen massiven Schädel- und inneren Verletzungen. Bereits zwei Tage vorher war er von seiner Frau und seinen Kindern an diesem Vorsatz gehindert worden. „Seelische Zerrüttung“ wurde als Grund angegeben, Kowacz hatte infolge eines Bombenangriffs vom 20. Januar 1944 eine schwere Kopfverletzung mit Gehirnerschütterung erlitten, die Verletzungen beeinträchtigen ihn immer mehr. Er verließ ohne Ankündigung seinen Schlafplatz im Bunker Siegfriedstraße, um dann aus dem Fenster zu springen.“
Während der Bombenangriffe waren aber auch Fluchten möglich, wie am 7. Dezember 1944 geschildert: „Martin Hauck, am 23. September 1905 geboren, war einst bei der Polizei-Reserve, aber zum Zeitpunkt ohne Wohnung, flüchtete am 6. Dezember 1944, gegen 20 Uhr 30, auf dem Wege von der Haftanstalt Berlin-Lichtenberg, Alfredstraße 8, nach dem auf dem gleichen Grundstück befindlichen Luftschutzraum. Hauck war wegen Ungehorsam und Fahnenflucht zum Tode verurteilt und saß ein für das SS- und Polizeigericht II Berlin. Die sofort eingeleiteten Fahndungsmaßnahmen blieben bisher ohne Erfolg. Desgleichen die Vernehmung der Verkäuferin Barabara Gabeg, O 112 Oderstraße 18 IV. Stock, wo Hauck am 4. Oktober 1944 von der Kripo festgenommen worden ist.“
Am 20. April 1945 wurden Eintragungen in den Tätigkeitsbüchern eingestellt.
Im ersten Eintrag vom 20. Mai 1945, im Tätigkeitsbuch des 251. Polizeireviers, die Kripostelle war jetzt mit dem 251. zusammengelegt, geht um eine männliche Leiche, die auf dem Laubengelände „Märtens Ruh“, aufgefunden wurde. Der Tote hieß Paul Voetke und war am 6. Mai 1945, Zitat von „einigen russischen Soldaten verhaftet worden“, dann jedoch bis zum 20. Mai 1945 nicht wieder zur Familie zurückgekehrt. Der Beamte Pernak vom 251. Polizeirevier folgte einem Zeugen an den Tatort, der dort die Identität des Opfers bestätigte und aussagte, Voetke wäre von den russischen Soldaten erschossen worden, weil er auf Verlangen kein Brot verabfolgen konnte.“
Ein anderes Beispiel vom 12. August 1945, schildert ebenfalls den Umgang russischer Militärangehöriger mit der Zivilbevölkerung, gibt aber auch den Blick frei auf die Gesinnung der Kriminalbeamten. Zitat:
Diebstahl Schäfte-Leder: Der Schäftemacher Karl Pittelkau, 27.12.84 Bromberg geb. Prinzenallee 9 wohnh. zeigt an: Am 12. 8.45 gegen 21 Uhr wurde aus seinem Laden, von zwei russischen Offizieren und einem Rotarmisten, 1 Paar alte Stiefelschäfte, mit neuen Absätzen und 1 rotem und 1 schwarzen Vorschuh, ein großes blaues Boxkalbleder mit gelblichem Lederfutter, 1 schwarzen Boxkalbleder mit gelblichen Lederfutter und ein Paar zertrennte Reitstiefel gestohlen. Einer der russischen Offiziere war Jude und machte den Dolmetscher. Er war schon des öfteren in dem Laden von P. Den Diebstahl hat P. erst am 13.8.45 früh bemerkt. Das blaue und schwarze Boxkalbleder gehörte einem russischen Oberst, das P. von dem Schuhmacher Saurin zur Bearbeitung erhalten hatte. Seine Bemühungen auf der Kommandantur in der Schottstraße vorgelassen zu werden, scheiterten, da der Kommandant angeblich krank sei. Danach versuchte P. auf dem Bahnhof Lichtenberg, da dort die betreffenden Russen
übernachten sollten, in einem Eisenbahnzug dieselben habhaft zu werden. Es stellte sich heraus das dieser Zug am 13.8.45 abgefahren ist.“
Mögen die vorgestellten Beispiele auf den ersten Blick einen speziellen Ausschnitt vom Alltag der NS-Diktatur vor, während und sehr kurz nach dem Krieg darstellen, so vermitteln sie doch die enge Verzahnung von polizeilicher mit ideologisch politischer Arbeit des Polizeiamtes Alfredstraße im Sinne des NS-Staates.
Der Rodeliusplatz mit seiner nahen Umgebung, war aus dieser Perspektive nicht erst seit dem Kriegsende ein spezielles Zentrum staatlicher Macht, sondern auch von hoher politischer Bedeutung, das der Durchsetzung der NS-Staatsdoktrin diente.
Ich möchte von daher eine Zeitachse von drei Phasen zur Diskussion stellen, um das Machtzentrum Rodeliusplatz zu charakterisieren.
Demnach beginnt die erste um 1936, mit der Bildung des Polizeiamtes „Horst Wessel“, mit der die regionale Bedeutung des Polizeiamtes Alfredstraße endete.
Die zweite beginnt Ende April 1945, denn bereits am 23. April 1945, wurden in der näheren Umgebung des Rodeliusplatzes, die ersten Grundstücke von der Roten Armee beschlagnahmt. Zwischen 1949 und 1952, wurden fast alle beschlagnahmten Grundstücke im Bereich von der Roten Armee freigegeben und damit das Ende dieser Phase eingeleitet.
Die dritte Phase beginnt mit der Bildung des MFS und endet mit dessen Auflösung.
Insgesamt geht es also aus meiner Sicht um einen Zeitraum, der sich von 1936 bis ins Jahr 1990 erstreckt.