Victoria Thinius berichtet aus Wien

Im Februar vergangenen Jahres reiste ich zum 1. Mal nach Wien und war begeistert von der Gemütlichkeit, die in den zahlreichen Kaffeehäusern herrschte, der scheinbar grenzenlosen Auswahl an kulturellen Freizeitangeboten und natürlich dem Wiener Schmäh. In meinem Urlaub wuchs der Eindruck, dass die Wiener:innen ihre Stadt und deren Möglichkeiten wertschätzen und das Leben mit ihr genießen.

Auf geht‘s in die lebenswerteste Stadt der Welt - Wien

Nimm ein Sackerl für mein Gackerl

Damals entdeckte ich den Slogan: “Nimm ein Sackerl für mein Gackerl.“ auf den städtischen Hundetoiletten und fand es eine sehr charmante aber klare Ansprache von Hundebesitzer:innen bezüglich ihrer Verantwortung für die Entsorgung von Hundekot. Und was soll ich sagen, ich als eingefleischte Friedrichshainerin bin eine Woche lang in keinen Hundehaufen getreten und musste jedes Mal schmunzeln, wenn ich diesen Slogan las. Am Ende meines Urlaubs stand für mich fest, dass ich irgendwann wiederkomme und mehr von der Stadt sehen und erleben möchte.

Obwohl das gar nicht so lange her ist, kommt es mir im Nachhinein wie eine Ewigkeit vor, denn durch die Einschränkungen der Corona Pandemie sind Reisen ins Ausland plötzlich nicht mehr so selbstverständlich und unbeschwert möglich. Umso mehr freue ich mich, dass sich die Wiener Stadtverwaltung bereit erklärt hat, mich als Hospitantin für einen Fachkräfteaustausch anzunehmen und ab Mitte September in der Magistratsabteilung 13 (Bildung und Jugend) einzusetzen.

Doch wie kam es dazu?

Im vergangenen Jahr erreichten mich die Blogbeiträge eines Kollegen aus dem Jugendamt Lichtenberg, der im Rahmen des LoGo Europe Hospitationsprogrammes die Möglichkeit hatte, die Arbeit der Kinder- und Jugendhilfe Wiens genauer kennenzulernen. Er schwärmte von vielen neuen Eindrücken und betonte häufig, dass das Austauschprogramm eine gute Möglichkeit sei, um neue Ideen für sein eigenes Aufgabengebiet zu sammeln.
Als dann im Januar 2020 der Aufruf zur Bewerbung für LoGo Europe veröffentlicht wurde, zögerte ich nicht lang und reichte meine Unterlagen ein. Bereits im März 2020 erhielt ich die Zusage von der EU Beauftragen unseres Bezirkes Fr. Mater, an dem vierwöchigen Fachkräfteaustausch teilnehmen zu dürfen. Ich bin sehr froh, dass ich diese Möglichkeit wahrnehmen kann, weil ich in der Vorbereitung auf meinen Austausch viel Positives über die Wiener Stadtverwaltung erfahren konnte.

Im Jugendamt Lichtenberg bin ich seit gut drei Jahren als Sozialarbeiterin tätig und im Bereich der fachlichen Steuerung angesiedelt. Mein Arbeitsfeld in der Jugendförderung ist sehr bunt und vielseitig. Ich bin für 10 Sozialräume in Hohenschönhausen zuständig, d.h. ich begleite Entwicklungsprozesse in der Kinder-, Jugend-, und Familienförderung aus der Sicht des Jugendamtes. Dabei habe ich immer die Ressourcen und Stärken der einzelnen Sozialräume im Blick und arbeite eng mit verschieden Akteur:innen von Trägern der freien Jugendhilfe zusammen. Ein wichtiger Bestandteil meiner täglichen Arbeit ist es, Menschen aus verschiedenen pädagogischer Professionen und Arbeitsfeldern zusammenzubringen und im Austausch zu begleiten, im Fachjargon wird das Vernetzung, aber auch Gremienarbeit genannt. Für meine Arbeit ist es unerlässlich, zu Themen und Bedarfen von jungen Menschen im Dialog mit Pädagog:innen zu sein und zu evaluieren, ob die vorhanden Freizeitangebote im Jugendbereich ansprechend gestaltet sind.

Im Rahmen meiner Hospitation möchte ich meine fachlichen Kompetenzen im Bereich der Kinder- und Jugendbeteiligung erweitern. Es gibt eine Reihe von verschiedenen Fragestellungen, denen ich gern nachgehen möchte, um zu erfahren, wie die Wiener Verwaltung partizipatorische Prozesse in der außerschulischen Jugendbildung begleitet. Außerdem freue ich mich darauf mit Mitarbeiter:innen aus einer anderen europäischen Verwaltung in den Kontakt zu kommen und ihre Perspektiven kennenzulernen.

Eröffnung des Skateparks

Servus! Ankommen in Wien

1. Woche (14.09-18.09.) in der MA13 Fachbereich Bildung und Jugend

In Wien angekommen muss ich feststellen, dass ich meinen Kofferinhalt auf herbstliche Tage ausgerichtet habe und hier der Spätsommer in vollem Gange ist- mit Temperaturen bis zu 30 Grad. Auf keinen Fall werde mich aber über strahlenden Sonnenschein und warme Temperaturen beschweren. Meine Unterkunft für die kommenden vier Wochen befindet sich im 15. Bezirk Rudolfsheim-Fünfhaus. Bis auf die Tatsache, dass ich mein Schlafzimmerfenster nicht öffnen kann, weil im Innenhof eine Taubenfamilie wohnt, fühle ich mich ganz wohl.

Der erste offizielle Termin als Logo-Europe-Hospitantin fand bei Hr. Dr. Wimmer statt, der mich und vier andere Hospitantinnen aus Berlin freundlich begrüßte und einige Formalitäten mit uns besprach. Im Anschluss daran ging es für mich zu Fuß in die Dienststelle, direkt gegenüber vom beeindruckenden Wiener Rathaus. Im Fachbereich Jugend wurde ich herzlich und gleichzeitig verwundert aufgenommen, denn in Zeiten von Corona und dem Fakt, dass das Fallgeschehen in Wien aktuell stark ansteigt, fand man meine Bereitschaft an dem Wissensaustausch teilzunehmen mutig. Bereits am vergangenen Freitag wurde vom medizinischen Krisenstab der Stadt Wien entschieden, dass in den öffentlich zugänglichen Teilen von Amtsgebäuden wieder MNS zu tragen ist. Die Wiener Kolleg:innen nehmen das ernst und gehen rücksichtsvoll miteinander um, da die Kommunikation teilweise unter der teils verdeckten Mimik leidet. Nun ja, ich möchte nicht hauptsächlich über den Umgang mit der Pandemie berichten, denn es gibt noch viel mehr Eindrücke aus meiner ersten Woche als Hospitantin in der Wiener Stadtverwaltung.

Nachdem ich allen Kolleg:innen der Magistratsabteilung aus der Ferne vorgestellt wurde, tauchte ich auch schon in die Organisationsstruktur des Fachbereiches Jugend ein. Es gibt auf den ersten Blick viele strukturelle Unterschiede zu meiner Tätigkeit in Berlin, denn die acht Referent:innen, des Fachbereichs Jugend sind zuständig für ganze Vereine und zusätzlich für bestimmte Bezirke in Wien. Hinzu kommen noch Schwerpunktthemen, Vernetzungsrunden und Schnittstellenfunktionen. Im Anschluss an den ersten theoretischen Überblick, bekam ich die Möglichkeit mit Karl Ceplak, dem Fachbereichsleiter und Landesjugendreferent, die Eröffnung einer neuen Skateranlage im Arne Carlsson Park (9. Bezirk Alsergrund) zu besuchen. Die Skateranlage wurde von Jugendlichen mitgeplant und im zweiten Schritt mitgebaut- Partizipation wie sie im Buche steht. Es waren sehr viele Skater vor Ort, die die Anlage natürlich sofort ausprobierten und einweihten.

Blick aus meinem Bürofenster

Am Dienstag wurde ich spontan eingeladen an einer Wissensstafette teilzunehmen, dass ist eine Art moderierter Wissenstransfer zu einem abgestimmten Thema. Ähnlich wie in der Berliner Verwaltung ist in der Wiener Stadtverwaltung der Wissenstransfer von den Älteren an die Jüngeren ein großes Thema. Hierbei war spannend, dass es eine Moderatorin gibt, die sich mit beiden Mitarbeiterinnen im Vorfeld getroffen hat, um einen Interviewleitfaden zu entwerfen, der die Übergabe erleichtern soll.

Im Anschluss daran, besuchte ich gemeinsam mit meinem Tutor Karl im 10. Bezirk Favoriten ein Angebot der Parkbetreuung mit zirkuspädagogischem Schwerpunkt. Dies fand im Alfred Böhm Park statt und schon am zweiten Tag fällt mir auf, wie gepflegt die Grünanlagen in Wien sind. Sie laden wirklich die ganze Bevölkerung dazu ein, dort einen Teil ihrer Freizeit zu verbringen und für Kinder und Jugendliche gibt es eine ganze Reihe abwechslungsreicher und spannender Freizeitangebote. Es waren einige Kinder vor Ort, die von den Pädagog:innen zu vielfältigen Bewegungen animiert wurden. Als Lagerort für verschiedenste Materialien wie Einräder, Hoola Hup Reifen, Bälle und all den Dingen, die man noch so braucht dient ein Container. Wir unterhielten uns mit Ruth, der Pädagogin, die einen Teil ihrer Erfahrungen in diesem Angebot reflektierte.
Der Rest der Woche war mit weniger Außenterminen verbunden, da sich die Lage aufgrund der hohen Infektionszahlen zuspitzt. Für mich persönlich ist das weniger problematisch, weil ich in den ersten Tagen mit einem ganzen Berg an interessantem Lesestoff ausgestattet wurde und nun in aller Ruhe tiefer in Jahresberichte, Konzepte und Qualitätsgespräche einsteigen kann.

Wiener Rathaus

Ich fühle mich bereits nach der ersten Woche meiner Hospitation wohl und gut angekommen, denn das Team der MA 13 ist offen, kommunikativ und beantwortet bereitwillig meine vielen Fragen. Sie sind auch sehr interessiert an dem Austausch zu meiner Tätigkeit in Berlin und bieten darüber hinaus häufig an, mir die Stadt Wien auch nach dem Feierabend zu zeigen. Die Hospitation ist super vielseitig und neben dem ganzen Wissen über Wien, dessen Geschichte und dem Bereich der offenen Kinder- und Jugendarbeit ist ein großes Thema die anstehende Wahl der Gemeinderats- und Bezirksvertretung am 11. Oktober. Ich freue mich auf drei weitere spannende und informative Wochen.

Wiener Gasserl

Vom Kiez ins Grätzel

2. Woche (21.09-25.09.) in der MA13 Fachbereich Bildung und Jugend

Nun bin ich schon seit zwei Wochen in Wien und langsam macht sich Routine breit – ich begrüße mein Team mit Servus und verabschiede mich mit Baba, bewundere morgens auf dem Weg in die MA13 die Gassen, habe einige Wiener Schnitzel verdrückt und bestelle ganz selbstverständlich G‘spritzte.

Ein kurzes Update zur Corona Pandemie ist von Nöten, da die Entwicklungen der steigenden Fallzahlen auch den Arbeitsalltag im MA13 Fachbereich Jugend beeinflussen. Seit zwei Wochen steht die Corona Ampel in Wien auf Orange, was ein symbolisches Warnzeichen ist und die Absage von vielen Veranstaltungen der MA13 nach sich zieht. Nach anfänglicher Verunsicherung, ob ich lieber nach Berlin
zurückkehren und meine Hospitation abbrechen sollte, habe ich
gemeinsam mit meinem Tutor entschieden, vorerst hier zu bleiben.
Mittlerweile versuche ich das Beste aus der Situation zu machen und die Vorteile zu genießen.

Es sind sehr wenig Tourist:innen in der Stadt, sodass ein Besuch der bekannten Sehenswürdigkeiten sehr angenehm ist und der Mindestabstand ganz bequem eingehalten werden kann. Die Mitarbeiter:innen der MA13 versorgen mich mit verschiedenen Wientipps,- um das alles abzuarbeiten, müsste meine Hospitation mindestens ein halbes Jahr andauern.

Das Team der MA 13 hat sich in zwei Gruppen geteilt und arbeitet nun abwechselnd im Büro und im Homeoffice. Das ist für mich ebenfalls von Vorteil, da ich somit die Gelegenheit habe, alle Mitarbeitenden der Abteilung näher kennenzulernen und sie zu ihrem jeweiligen Arbeitsgebiet zu befragen. Im Gegenteil zu mir, haben hier alle Mitarbeiter:innen ein internetfähiges Smartphone für dienstliche Angelegenheiten und nutzen dies häufig. Natürlich gibt es auch hier Unsicherheiten und Befindlichkeiten was die Telearbeit betrifft, aber am Ende der Diskussionen ist das Team meist positiv gestimmt und versucht die Situation so gut es geht zu meistern.
Die Angebote der OKJA (offene Kinder- und Jugendarbeit) laufen weiter, jedoch flattern im Laufe der Woche immer wieder Anfragen von Projekten zum Umgang mit positiv getesteten Mitarbeiter*innen und Besucher*innen. Hier hat Wien den großen Vorteil, dass ein Großteil der Freizeitangebote für Kinder und Jugendliche im Bereich der Parkbetreuung stattfinden und die Hygieneauflagen bei Aktionen unter freiem Himmel mehr als 10 Teilnehmer:innen erlauben. Mit dieser Form der Freizeitgestaltung schafft es Wien, dass bestimmte Angebote der OKJA weiterhin niedrigschwellig und somit leicht zugänglich für die jeweilige Zielgruppe sind. Der Nachteil an der Parkbetreuung ist, dass diese Angebote saisonabhängig sind und bei strömenden Regen nicht stattfinden können.

Sportliche Aktivitäten

In dieser Woche gab es zwei Highlights, auf die ich kurz näher eingehen möchte.
Am Mittwoch ging es in den 15. Bezirk zur Plattform Extremismus Prävention mit dem Titel: rechtsextreme und ultranationalistische Gruppierung „Graue Wölfe“ –Attraktivität für Jugendliche und Interventionsmöglichkeiten. Im Rahmen dieser Vernetzungsrunde gab es einen umfangreichen Input von zwei Mitarbeitern der Beratungsstelle Extremismus-boja und im Anschluss daran eine spannende Diskussion der anwesenden Fachkräfte, die mit ganz unterschiedlichen Zielgruppen arbeiten und von ihren Erfahrungen zu dem Thema Graue Wölfe
berichteten.

Parkanlage im 21. Bezirk

Am Donnerstag fuhren wir in den 21. Bezirk und Karin zeigte mir das Gebiet rund um den Bahnhof Floridsdorf. Da in Wien der öffentliche Raum und dessen aktive Nutzung einen hohen Stellenwert einnimmt, machte sie mich auch auf Problemlagen aufmerksam und wie die Politik darauf reagiert. Hierbei ging es um Parkanlagen, die so umgestaltet wurde, dass sie zum verweilen einladen. Danach besuchten wir die Eröffnungsfeier vom „ WienZimmer“ einem Gräzelzentrum im Gemeindebau Karl Seitz Hof. Dieser Bau ist sehr umfangreich und beeindruckend, denn dort leben knapp 2.000 Menschen in 1.131 Wohnungen und nun gibt es ein Begegnungszentrum, dessen Programm nach den Ideen der Anrainer:innen gestaltet werden soll.
Die Bezirke (7., 8.,9., 10.,13., 15., 21., 22.), die ich bisher besuchen konnte sind alle sehr unterschiedlich in ihrer Bewohnerschaft, ihrer Architektur und in der Ausstattung der sozialen Projekte im Rahmen OKJA.

Was ich schon nach der 2.Woche im Fachbereich Jugend der Wiener Stadtverwaltung festgestellt habe ist, dass der Bereich der Kinder- und Jugendarbeit einen hohen gesamtstädtischen Stellenwert hat. Der Jugendstadtrat Jürgen Czernohorsky (SPÖ) sagt in der offiziellen Broschüre der Wiener Kinder- und Jugendarbeit: „Wien ist eine Stadt, die Kinder und Jugendliche als StadtbewohnerInnen mit ihren unterschiedlichen Bedürfnissen und Interessen ernst nimmt, unterstützt und fördert- dafür hat sie internationalen Vorzeigecharakter.“ Dieses Statement klingt vielleicht im ersten Moment nach einer Floskel, wird aber von allen Mitarbeiter:innen im Fachbereich Jugend getragen, fachlich unterstützt und nach außen vertreten.
Um das vielseitige System der OKJA in Wien zu verstehen, ist es nötig einen kurzen Überblick der Angebote zu geben.

Durch die MA13 werden folgende Projekte finanziell gefördert:

Indoor- Angebote (Jugendangebote, Jugendtreffs, Jugendräume) • Outdoor- Angebote zeitlich und örtlich ungebunden (Streetwork, Mobile Jugendarbeit) • Outdoor- Angebote geregelte Programmzeiten und Orte (Parkbetreuung).

Zudem gibt es noch den Bereich der gemeinwesenorientierten Angebote, die sich an Kinder, Jugendliche, aber auch an Erwachsene richten, um das lokale Zusammenleben zu verbessern (FAIR PLAY TEAM’s) und die überregionale Kinder- und Jugendarbeit, dazu zählen wienweite Angebote wie Kinderuni, Ferienspiel, Kinderinfo und Jugendinfo.
Es gibt insgesamt 23 Vereine, die Angebote der OKJA vorhalten und von der MA13 gefördert werden.
Das soll fürs erste als Überblick reichen, denn dies wird in den folgenden zwei Blogeinträgen vertieft werden. Schade ist, dass mein geschriebenes Wort die Vielfalt der Angebote in der Praxis nicht ansatzweise widerspiegeln kann.

Zauberei

Nun ist bereits die Hälfte meiner Hospitation um und irgendwie geht alles sehr schnell. An manchen Tagen dröhnt mein Kopf von den vielen Inputs und ich komme nicht hinterher mit der Verarbeitung der vielen verschiedenen Informationen. An anderen Tagen fühle ich mich nicht wie die Austauschkollegin aus Berlin, sondern eher wie die neue Kollegin, die eingearbeitet wird und bald einen Teil der Aufgaben übernehmen könnte.

Referentin Renate und ich

„Ja, bists du närrisch?!“

3.Woche (28.09.-02.10.) in der MA13 Fachbereich Bildung und Jugend

Die dritte Woche meiner Hospitation stand ganz im Zeichen des Herbstes – es stürmte, regnete und die Temperaturen fielen, doch dies konnte meine Begeisterung für Wien nicht trüben. Im Gegenteil, denn dadurch hatte ich die Gelegenheit die Wiener Linien besser kennenzulernen und meine Wege mit U-Bahnen und Straßenbahnen zurückzulegen. Für eine Berliner Großstadtpflanze wie mich ist es sehr beeindruckend, wie sauber und gepflegt öffentliche Verkehrsmittel sein können.

Bevor ich die Highlights meiner Woche beschreibe, möchte ich kurz auf den größten strukturellen Unterschied im Vergleich zu meiner Tätigkeit als Stadtteilkoordinatorin in der Jugendförderung eingehen. Im Fachbereich Jugend der MA13 sind acht Referent:innen beschäftigt, sie haben eine sozialpädagogische Grundausbildung und ihre Aufgaben sind vergleichbar mit meiner Tätigkeit. Hinzu kommt ein Team aus vier Assistent:innen und einen Budgetverantwortlichen, sie sind für die komplette finanzielle Abwicklung der Förderungen der Vereine zuständig und sind jeweils zwei Referent:innen zugeteilt. In enger Zusammenarbeit stimmen sich Referent:in und Assistent:in zur finanziellen Förderung ab und diskutieren auch inhaltliche Qualitätsmerkmale der einzelnen Angebote in der offenen Kinder- und Jugendarbeit. Die Transparenz über getätigte Ein- und Ausgaben der Vereine ist aus meiner Sicht ein großer Vorteil, denn nur aus dem Zusammenspiel von Finanzierungen und fachlicher Steuerung können Qualitäten in der pädagogischen Arbeit geprüft und beeinflusst werden. Die MA13 fördert die Vereine und deren Projekte durch zentrale und dezentrale Mittel jährlich, dass bringt einen enormen Aufwand in der Abrechnung der Projekte mit sich.

Die MA13 hatte in dieser Woche Klausur und ich habe die Zeit genutzt, um die bunte Palette der Angebote der offenen Kinder- und Jugendarbeit (OKJA) in Wien näher kennenzulernen und mit den Pädagog:innen vor Ort ins Gespräch zu kommen. Da ich in meiner Zuständigkeit einen Abenteuerspielplatz habe, durfte ich den Abenteuerspielplatz „Robinsoninsel“ im 19. Bezirk besuchen, der durch den Verein Kinderfreunde Wien betreiben wird. Es gab sehr viele Parallelen zu dem Angebot in die Neu –Hohenschönhausen und ein unfassbar weitläufiges Gelände.

Seestadt

Im Anschluss daran ging es weiter in den 22. Bezirk in eines der größten Stadtentwicklungsgebiete Europas, die Aspern Seestadt, hier entsteht bis 2028 leistbarer Wohnraum für 20.000 Menschen. Dort empfing uns Barbara, die seit 20 Jahren mobile Jugendarbeit im 22. Bezirk macht und führte uns durch den Teil der Seestadt, der bereits fertig gestellt und bewohnt ist.
Im Anschluss daran besuchten wir das Jugendzentrum Hirschstetten und es war sehr spannend einen Wiener Jugendclub zu besuchen und mit dem Leiter der Einrichtung ins Gespräch zu kommen. Wegen der Pandemie findet in den Jugendzentren auch kein Regelbetrieb statt und das Team muss mit Anmeldungen und begrenzter Teilnehmer:innenzahl arbeiten. In Wien kristallisiert sich ebenfalls heraus, dass der Charakter der offenen niedrigschwelligen Jugendarbeit sehr unter den Einschränkungen leidet, die es im Zusammenhang mit der Eindämmung von COVID-19 gibt. Zum Abschluss fuhren wir zum Rennbahnweg und ich durfte mir den Aktivspielplatz dort anschauen. Dieses Projekt war wirklich ein Juwel mitten in einer dichtbesiedelten Gemeindebausiedlung. Der Leiter dort war sehr aufgeschlossen und erläuterte mir das pädagogische Konzept sehr ausführlich und zeigte mir die Räumlichkeiten und das Gelände.
Im weiteren Verlauf der Woche hospitierte ich in einem Jugendprojekt im 4.Bezirk und begleitete das Team von „Fux4“ anschließend auf ihrem wöchentlichen Rundgang durch den Bezirk. Diese Mischung aus ortsgebundener und herausreichender Jugendarbeit ist aus meiner Sicht lebensweltnah und holt die jungen Menschen dort ab, wo sie sich gern aufhalten und bietet ihnen gleichzeitig geschützte Räumlichkeiten an. Am Donnerstag führte mich die zuständige Referentin Kirsten durch den 11. Bezirk Simmering. Dieser Bezirk ist relativ bekannt bei Tourist:innen, weil sich hier der Zentralfriedhof befindet, auf dem bekannte Persönlichkeiten wie z.B. Beethoven ihre letzte Ruhe finden.
Eine kleine Anekdote dazu: Der Fachbereichsleiter Karl Ceplak fragte mich gleich zu Beginn meiner Hospitation, ob ich wisse welche beiden Institutionen auf den erwarteten Bevölkerungszuwachs (bis 2035 erwartet Wien 2 Mio. Einwohner:innen, aktuell 1,9 Mio.) gut vorbereitet seien? Ich antwortete, dass ich keine Ahnung hätte und er sagte: 1. Das Wiener Wasser und 2. der Zentralfriedhof.

Wir waren zu fuß unterwegs und schauten uns in Simmering einen Jugendtreff und ein Parkbetreuungsangebot an. Die Erkundungstouren machen wir meistens zu fuß, was dazu führt, dass ich die Bezirke und die Struktur der Bevölkerung wirklich gut kennenlerne und sehr von dem Wissen der Referent:innen profitiere.
Ich würde gern viel mehr von meinen Erlebnissen und Eindrücken berichten z.B. von den vielen interessanten Unterhaltungen über das Thema sozialer Wohnraum, der jahrzehntelangen Regierung der SPÖ, dem größten Verein der Jugendarbeit wienxtra und noch Vieles mehr, jedoch würde das den Rahmen der Blogeinträge überschreiten.
Mir gelingt es leider nicht so gut, die vorbereitete Projektidee zum Thema Partizipation zu bearbeiten, denn der zuständige Referent für die MA13 ist bis auf weiteres im Home Office, da er zur Risikogruppe gehört. Am Rande bekomme ich die Themen der Mitbestimmung mit und konnte feststellen, dass Partizipation hier von allen Ebenen mitgedacht und durchgeführt wird- von der praktischen Arbeit bis hin zur politischen Ebene.

Zum Ende der dritten Woche des Fachkräfteaustausches werde ich langsam melancholisch, da das Ende meiner Hospitation in der MA13 naht. Ich mag den Ausspruch meiner Kolleg:innen: „ Ja, bists du närrisch?“ Diese Frage ist rhetorischer Art und erwartet keine Antwort. Sie sagen das hier, wenn sie etwas unglaublich finden und das kommt manchmal häufiger am Tag vor und ich weiß schon jetzt, dass mir das fehlen wird.
Zu Beginn war ich skeptisch, inwiefern mir der Fachkräfteaustausch neue Perspektiven auf meine Tätigkeit in Berlin eröffnen würde, aber heute kann ich sagen, dass ich sehr von dem neuen Input profitiere. Dieser Wissensaustausch ist eine gute Möglichkeit, die Stadt Wien durch die Brille der offenen Kinder- und Jugendarbeit zu sehen und kennenzulernen. Die Zeit hier fühlt sich nicht wie eine Urlaubsreise an, sondern wie die Ausübung meiner Tätigkeit an einem anderen Ort und mit anderen Kolleg:innen und Fachkräften der Praxis. Teilweise sind meine Tage im Fachbereich Jugend der MA13 eng getaktet, sehr intensiv und dauern auch mal länger als die üblichen acht Stunden, aber es lohnt sich. Ich bin froh, dass ich die Möglichkeit habe, an diesem Austausch teilzunehmen und werde mit vielen neuen Eindrücken zurück nach Berlin reisen, doch bevor es soweit ist, genieße ich noch die letzte Woche in der MA13 und die super Qualität des Wiener Leitungswassers.

„Baba Wien, Hallo Berlin“

4.Woche (05.10.-09.10.) in der MA13 Fachbereich Bildung und Jugend

Die letzte Woche meiner Hospitation im Rahmen von Logo Europe war vom Abschied nehmen geprägt. Das war schwerer als erwartet, denn die Menschen hier im Fachbereich Jugend sind mir ans Herz gewachsen und die Stadt Wien selbst auch. Ich habe mich im Februar für das LoGo Austauschprogramm beworben, um die Möglichkeit des Wissenstransfers zwischen europäischen Verwaltungen zu nutzen und meinen fachlichen Horizont zu erweitern. Rückblickend stelle ich fest, dass ich in den vier Wochen viele Eindrücke sammeln konnte, interessante Menschen kennengelernt habe, spannende fachbezogene Gespräche geführt habe und viele unterschiedliche Angebote der OKJA besuchen dürfte.

Die letzte Woche meiner Hospitation habe ich genutzt, um meine Fragestellungen bezüglich der Partizipationsmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche zu klären.
Vielseitige Partizipationsmöglichkeiten werden in der Stadt Wien sehr groß geschrieben und sind fest in den Professionen der einzelnen Bereiche verankert, wo Kinder und Jugendliche, aber auch Erwachsene präsent sind. Kurz gesagt, lebt Wien Bürger:innenbeteiligung auf Augenhöhe und für jede Altersspanne und macht die Prozesse und Ergebnisse sichtbar. In der Schule finden jährliche Workshops zur Implementierung von Kinder- und Jugendparlamenten statt und werden von Mitarbeiter:innen der Vereine organisiert, durchgeführt und begleitet. Für die Umsetzung der Wünsche von Kindern und Jugendlichen stellen die Bezirksvorsteher:innen (insg. 23 -pro Bezirk eine:r) ein individuelles dezentrales Budget zur Verfügung.
Im Rahmen der OKJA ist Partizipation eine Förderbedingung der Subventionen von der MA13, was dazu führt, dass die Vereine ganz unterschiedliche Methoden anwenden und sehr kreativ sind, um ihr Programm nach den Bedürfnissen der jeweiligen Zielgruppe auszurichten. In den Projekten selbst konnte ich die Ergebnisse von partizipativen Methoden betrachten und den Umgang mit Wünschen und Interessen mit dem Fachpersonal besprechen. Das bedeutet in der Praxis, dass es Pommes im Snackangebot von einigen Jugendzentren gibt und Wochenpläne, die ständig neu nach aktuellen Bedarfen ausgerichtet werden.
Seit 2014 ist Wien Stadt der Menschenrechte, darin eingeschlossen sind auch die Kinderrechte und daraus ist entstanden, dass im Juni 2020 die Wiener Kinder- und Jugendstrategie vom Gemeinderat der Stadt Wien beschlossen wurde. Die Inhalte dieser Strategie wurden in 1.309 Workshops in Schulen, Jugendzentren, Kitas und Hort mit Kinder und Jugendlichen erfragt und gesammelt. Unter dem Motto „Wien muss zum TÜV“ konnten die Teilnehmer:innen Themen benennen, die in oder an ihrer Stadt repariert und verbessert werden sollen. Vom Team „Werkstatt junges Wien“ wurden die Ergebnisse der Workshops zu einem Strategiepaket formuliert. Bis 2025 sollen die Maßnahmen der einzelnen Themenpunkte möglichst gut umgesetzt werden und dazu beitragen, dass sich heranwachsende Menschen in Wien wohlfühlen und sich als aktiven Teil ihrer Stadt verstehen. Insgesamt haben sich neun Themenschwerpunkte herauskristallisiert, die mit Zielen untersetzt sind und an erster Stelle stehen Natur und Umwelt. Zum Ende 2024 wird es eine Form der Rückkopplung an die Kinder und Jugendlichen geben, welche Maßnahmen umgesetzt worden sind, welche nicht und welche Maßnahmen im Prozess sind.
Seit 2007 können Jugendliche ab 16 Jahren in Wien wählen, vorausgesetzt sie haben die österreichische Staatsbürgerschaft. Dies trägt auch dazu bei, dass junge Menschen als Zielgruppe für politische Bildung ernstgenommen werden und z.B. im Wahlkampf der Parteien direkt adressiert werden. Im Großen und Ganzen hat die Stadt Wien verstanden, dass Kinder und Jugendliche die Zukunft sind und von Anfang an in der Gestaltung ihres Lebensraumes miteinbezogen werden sollten. Hier ist auch allen bewusst, dass die Umsetzung der Wünsche an Budget gebunden ist und das hält niemanden davon ab, sich für Mitbestimmung einzusetzen. Ganz im Gegenteil. Meine Kolleg:innen der MA13 verstehen sich als Sprachrohr für die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen und argumentieren in Budgetverhandlungen um die dezentralen Mittel mit den Bezirksvorsteher:innen ganz klar für die Interessen der heranwachsenden Generation.

Was mich wirklich nachhaltig beeindruckt hat, ist die Vielseitigkeit der geschlechtsspezifischen Angebote, denn jedes Projekt für Kinder und Jugendliche unterbreitet spezielle Angebotszeiten für Jungen und Mädchen. In der Praxis sah das so aus, dass es einen Nachmittag pro Woche nur für Mädchen und einen Nachmittag für Jungs in dem jeweiligen Jugendzentrum gab. Ich konnte auch das Mädchencafé Flash besuchen und einen lebendigen Dialog mit der pädagogischen Leitung über den Stand der parteilichen Mädchenarbeit in Wien führen. Ich habe das Gefühl, dass die Wiener Verwaltung in Sachen Gender Mainstreaming fortschrittlicher ist, denn meine Kolleg:innen gendern ganz selbstverständlich und stellen die Notwendigkeit von geschlechtsspezifischen Angeboten nicht in Frage.

Meine Wiener Kolleg:innen haben das Glück, dass die Jahresbudgets für die OKJA seit vielen Jahren stabil sind von Kürzungen verschont wurden. Aber auch hier wächst die Unsicherheit, ob die Steuerausfälle wegen der Corona- Pandemie eventuelle Auswirkungen auf die zentralen und dezentralen Förderungen haben könnten. Insgesamt hat die Jugendförderung hier einen hohen gesamtstädtischen Stellenwert und die Stadt Wien ist mit Recht stolz darauf. Im Gegenzug für eine auskömmliche Förderung haben Politik und die Mitarbeiter:innen vom Fachbereich Jugend der MA13 einen hohen Anspruch an die Qualität der Angebote im Bereich der OKJA.
Die grundlegendste Erkenntnis meines Wissenstransfers ist, dass bedarfsgerechte Freizeitangebote für Kinder und Jugendliche eine wichtige Form der Prävention sind und zum gesellschaftlichen Miteinander aktiv beitragen können. Die fachliche Steuerung der Jugendförderung in ganz Berlin- und besonders in Lichtenberg- sollte mehr Bedeutung erlangen und die Notwendigkeit dieser sollten nicht in Frage gestellt werden. Pädagogische Fachkräfte in der Praxis und in der Verwaltung der Jugendförderung sollten aus meiner Sicht viel mehr politischen Rückenwind und Wertschätzung erfahren.

Keep Smiling

Am morgigen Samstag werde ich zurück nach Berlin reisen. Ich freue mich auf Berlin, meine gewohnte Umgebung und hoffe, dass eventuelle Kontaktsperren erst verhängt werden, wenn ich alle Freunde und Familienmitglieder wiedergesehen habe. Mit Spannung werde ich die Ergebnisse der Gemeinderats- und Landtagswahlen verfolgen und weiter die neuen Eindrücke verarbeiten. Ich bin super dankbar dafür, dass ich vier Wochen in Wien sein konnte und im Fachbereich Jugend hospitieren durfte.