Ich war das erste Mal in Wien, als Falco noch als junger Bassist in einer Band in den kleinen Clubs seiner Geburtsstadt spielte, der Mauerfall so wahrscheinlich war wie die Vorstellung, dass ein mit Wischbewegungen zu bedienender Computer im Hosentaschenformat das Leben smart und virtuell machen würde, und als die junge Kaiserin Sissi noch im Schloss Schönbrunn die ersten Walzerschritte übte. So ähnlich zumindest. Inzwischen ist eine ostdeutsche Physikerin Bundeskanzlerin eines vereinigten Deutschlands, der Erste Wiener Arbeiter Fußballklub SK Rapid Wien läuft als österreichischer Rekordmeister seit Jahren erfolglos der Brausekonkurrenz hinterher und ich feiere im nächsten Jahr mein fünfundzwanzigstes Dienstjubiläum in der Berliner Verwaltung.
Fast ausschließlich während all der Jahre in der Jugendamtsverwaltung, bin ich seit eineinhalb Jahren im Bezirksamt Lichtenberg und dort zu gleichen Teilen einerseits als sogenannter Jugendhilfeplanerischer Datenkoordinator und zum Anderen als Revisor im dortigen Jugendamt tätig. Während meine erste Dienstbeschreibung fast auf kein Türschild passt, hat meine andere Aufgabe zunächst einen ähnlich guten Ruf wie die Grippe. Inzwischen jedoch habe ich eine Menge über Lebensweltlich Orientierte Lebensräume und Einwohnerstatistiken gelernt und wissen die JugendamtsmitarbeiterInnen, dass ich weder beiße noch krank mache. Ich fühle mich ziemlich wohl im Jugendamt Lichtenberg. In wenigen Tagen fahre ich nunmehr im Rahmen des Europäischen Hospitationsprogramms der Berliner Verwaltung, LoGo Europe, hochmotiviert für vier Wochen in meine zeitlebens erklärte Lieblingsstadt, um dort in der Wiener Kinder- und Jugendhilfe, Stabstelle Qualitätssicherung und Organisation, Einblicke
in die Arbeit der Wiener KollegInnen zu bekommen, neue Erfahrungen zu sammeln, dort den Bezirk Lichtenberg zu vertreten und hoffentlich mit tollen Eindrücke, Erfahrungen und vielleicht einigen Anregungen für die Arbeit in der Berliner Verwaltung zurückzukehren.
Seit meiner Kindheit und Jugend bin ich immer wieder in Wien, habe dort Silvester gefeiert, Kinder auf Reisen betreut oder sogar Friedensreich Hundertwasser und den ehemaligen österreichischen Bundeskanzler Franz Vranitzky getroffen; aber das sind andere, für diesen Blogbeitrag zu lange Geschichten. Alleine in diesem Jahr war ich bereits zweimal dort. Erst im Sommer war Wien die letzte Station meines Sommerurlaubes, als ich in zwei Wochen mit dem Fahrrad von Passau nach Wien gefahren bin. Meine persönliche Leidenschaft für Wien trifft sich also gut mit der Gelegenheit, für vier Wochen in der Verwaltung einer anderen Stadt, eines anderen Landes hospitieren zu dürfen. Ich denke, dass es schon noch etwas Besonderes und nicht alltägliches ist, direkte Eindrücke aus einer anderen Behörde, einer anderen Verwaltungsorganisation bekommen zu können. Das Programm LoGo Europe habe ich dabei erstmals in der Ausschreibung für den Austausch in diesem Jahr kennengelernt. Ich war
jedoch quasi sofort Feuer und Flamme für diese Idee, für diese Vorstellung einer Hospitation im Ausland; ich könnte fast sagen, dass wollte ich schon immer mal machen, habe nur noch nie davon gewusst.
Fast alles, was ich während der Vorbereitung für meine Projektarbeit in Wien gehört habe, klingt dabei fast zu gut, um wahr zu sein. In den Krankenhäusern Wiens gibt es offensichtlich Standesämter, sodass junge Mütter, ihr neugeborenes Kind in der einen und mit der Geburtsurkunde in der anderen Hand, das Krankenhaus verlassen können, während Anträge auf Kindergeld bzw. Familienbeihilfe und anderes bereits laufen. Die Stadt hat in den letzten Jahren ein eigenständiges Rechenzentrum aufgebaut, dass am Ende noch preiswerter war als geplant, und angeblich können die StadtbewohnerInnen nahezu alle Behördengänge online erledigen oder zumindest weitestgehend vorbereiten. Gerüchten nach wird man sogar persönlich per Textnachricht über die Erledigung informiert, wenn man die Stadtverwaltung per App auf einen Müllberg an einer Straßenkreuzung hingewiesen hat. An dieser Stelle könnte ich dezent darauf hinweisen, dass es in meiner Berliner Wohngegend eher zum guten Ton gehört, den privaten Sperrmüll „zum Mitnehmen“ auf dem Bürgersteig zu entsorgen, damit dieser dann über Monate ‚hübsch verziert‘ sein Dasein fristet. Kurzum, die Geschichten über die Wiener Behörden klingen eigentlich zu unvorstellbar, um wahr zu sein. Zumindest für einen Mitarbeiter der Berliner Verwaltung, der eher mit einem Flugtaxi zum Mond fliegen als vom Hauptstadtflughafen BER in den Urlaub starten wird. Obwohl, zumindest hier hat Berlin der österreichischen Hauptstadt womöglich etwas voraus, in Sachen Klimaschutz sind die Berliner ganz weit vorne, wenn es darum geht ansteigende Fluggastzahlen durch die xte Verschiebung der BER-Eröffnung zu verhindern. Wobei ich unabhängig davon sowieso nicht per Flugzeug nach Wien reisen würde. Ich fahre ganz bewusst mit der Bahn und nehme auch mein Fahrrad mit. Mit zwei Satteltaschen, einigen bereits gekauften Konzertkarten für die Kulturabende in Wien und einer Menge Vorfreude geht es in ein paar Tagen los. Die Beschreibungen in den Emails von den KollegInnen meiner Hospitationsstelle in Wien an mich versprechen in jedem Fall ein spannendes Arbeitsumfeld. Ich weiß dabei natürlich noch nicht genau, was mich in vier Wochen Wien alles erwarten wird. Eines hingegen ist bereits seit einigen Wochen quasi amtlich, wie es in den Nachrichten zu lesen war: Wien sei die lebenswerteste Stadt der Welt. Was soll da eigentlich schiefgehen? Ich kann es jedenfalls kaum erwarten.