Abschnitt 11 - Gesundheitsfürsorge

§ 67

Art und Umfang der medizinischen Leistungen, Kostenbeteiligung

(1) Die Untergebrachten haben einen Anspruch auf notwendige, ausreichende und zweckmäßige medizinische Leistungen unter Beachtung des Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit und unter Berücksichtigung des Leistungsumfangs der gesetzlichen Krankenversicherung. Der Anspruch umfasst auch Vorsorgeleistungen, ferner die Versorgung mit medizinischen Hilfsmitteln, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen sind. Den besonderen Belangen behinderter und chronisch kranker Untergebrachter ist Rechnung zu tragen.

(2) An den Kosten nach Absatz 1 können die Untergebrachten in angemessenem Umfang beteiligt werden, höchstens jedoch bis zum Umfang der Beteiligung vergleichbarer gesetzlich Versicherter. Für Leistungen, die über Absatz 1 hinausgehen, können den Untergebrachten die gesamten Kosten auferlegt werden.

(3) Den Untergebrachten ist nach Anhörung des ärztlichen Dienstes auf ihren Antrag hin zu gestatten, auf ihre Kosten externen ärztlichen Rat einzuholen. Die Erlaubnis kann versagt werden, wenn die Untergebrachten die gewählte ärztliche Vertrauensperson und den ärztlichen Dienst der Einrichtung nicht wechselseitig von der Schweigepflicht entbinden oder wenn es zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder Ordnung der Einrichtung erforderlich ist. Die Konsultation soll in der Einrichtung stattfinden.

§ 68

Durchführung der medizinischen Leistungen, Forderungsübergang

(1) Medizinische Diagnose, Behandlung und Versorgung kranker und hilfsbedürftiger Untergebrachter erfolgen in der Einrichtung, erforderlichenfalls in einer hierfür besser geeigneten Einrichtung oder einem Vollzugskrankenhaus, ausnahmsweise auch außerhalb des Vollzugs. Zur Entbindung sind schwangere Untergebrachte in ein Krankenhaus außerhalb des Vollzugs zu bringen, sofern dies im Hinblick auf den Geburtsvorgang möglich ist.

(2) Wird die Vollstreckung der Maßregel während einer Behandlung von Untergebrachten unterbrochen oder beendet, so hat das Land nur für diejenigen Leistungen die Kosten zu tragen, die bis zur Unterbrechung oder Beendigung der Vollstreckung erbracht worden sind.

(3) Gesetzliche Schadensersatzansprüche, die Untergebrachten infolge einer Körperverletzung zustehen, gehen insoweit auf das Land über, als den Untergebrachten Leistungen nach § 67 Absatz 1 zu gewähren sind. Von der Geltendmachung der Ansprüche ist im Interesse Untergebrachter abzusehen, wenn hierdurch die Erreichung des Vollzugsziels gefährdet würde.

§ 69

Medizinische Behandlung zur sozialen Eingliederung

Mit Zustimmung der jeweils betroffenen Untergebrachten soll die Einrichtung medizinische Behandlungen, insbesondere Operationen oder prothetische Maßnahmen, durchführen lassen, die die soziale Eingliederung fördern.

§ 70

Gesundheitsschutz und Hygiene

(1) Die Einrichtung unterstützt die Untergebrachten bei der Wiederherstellung und Erhaltung ihrer körperlichen, geistigen und seelischen Gesundheit. Sie fördert das Bewusstsein für gesunde Ernährung und Lebensführung. Die Untergebrachten haben die notwendigen Anordnungen zum Gesundheitsschutz und zur Hygiene zu befolgen.

(2) Den Untergebrachten wird ermöglicht, sich täglich mindestens eine Stunde im Freien aufzuhalten. § 83 Absatz 2 Nummer 4 in Verbindung mit Absatz 4 Satz 2 bleibt unberührt.

(3) Der Nichtraucherschutz ist angemessen zu gewährleisten. Den Untergebrachten soll die Teilnahme an Raucherentwöhnungsmaßnahmen ermöglicht werden.

§ 71

Krankenbehandlung während Lockerungen

(1) Während Lockerungen haben die Untergebrachten außer im Falle unaufschiebbarer Notfallmaßnahmen einen Anspruch auf medizinische Leistungen gegen das Land nur in der für sie zuständigen Einrichtung. Eine ambulante Krankenbehandlung kann in der nächstgelegenen Einrichtung erfolgen, wenn eine Rückkehr in die zuständige Einrichtung nicht zumutbar ist. § 41 Absatz 1 Satz 2 zweiter Fall bleibt unberührt.

(2) Der Anspruch auf Leistungen nach § 67 Absatz 1 ruht, solange die Untergebrachten aufgrund eines freien Beschäftigungsverhältnisses krankenversichert sind.

§ 72

Zwangsmaßnahmen auf dem Gebiet der Gesundheitsfürsorge

(1) Eine medizinische Untersuchung und Behandlung ist ohne Einwilligung der Untergebrachten zulässig, um den Erfolg eines Selbsttötungsversuchs zu verhindern. Eine Maßnahme nach Satz 1 ist auch zulässig, wenn von den Untergebrachten eine gegenwärtige schwerwiegende Gefahr für die Gesundheit einer anderen Person ausgeht.

(2) Über die Fälle des Absatzes 1 hinaus sind medizinische Untersuchung und Behandlung sowie eine Ernährung zwangsweise bei gegenwärtiger Lebensgefahr oder schwerwiegender Gefahr für die Gesundheit der oder des Untergebrachten zulässig, wenn diese oder dieser zur Einsicht in das Vorliegen der Gefahr und die Notwendigkeit der Maßnahme oder zum Handeln gemäß solcher Einsicht krankheitsbedingt nicht fähig ist und eine gegen die Durchführung gerichtete wirksame Patientenverfügung im Sinne des § 1901a Absatz 1 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs der Einrichtung nicht vorliegt.

(3) Zwangsmaßnahmen nach Absatz 1 Satz 2 und Absatz 2 dürfen nur angeordnet werden, wenn

  1. die Untergebrachten durch eine Ärztin oder einen Arzt über Notwendigkeit, Art, Umfang, Dauer, zu erwartende Folgen und Risiken der Maßnahme in einer ihrer Auffassungsgabe und ihrem Gesundheitszustand angemessenen Weise aufgeklärt wurden,
  2. der ernsthafte und ohne Ausübung von Druck unternommene Versuch einer Ärztin oder eines Arztes, eine Zustimmung der Untergebrachten zu der Maßnahme zu erreichen, erfolglos geblieben ist,
  3. die Maßnahme zur Abwendung einer Gefahr nach Absatz 1 Satz 2 oder Absatz 2 geeignet, in Art, Umfang und Dauer erforderlich und für die Beteiligten zumutbar ist und
  4. der von der Maßnahme erwartete Nutzen die mit der Maßnahme verbundene Belastung deutlich überwiegt und der bei Unterlassen der Maßnahme mögliche Schaden deutlich schwerer wiegt als die mit der Maßnahme verbundene Belastung.

(4) Maßnahmen nach den Absätzen 1 und 2 dürfen nur auf Anordnung und unter Leitung einer Ärztin oder eines Arztes durchgeführt werden. Unberührt bleibt die Leistung erster Hilfe für den Fall, dass eine Ärztin oder ein Arzt nicht rechtzeitig erreichbar und mit einem Aufschub Lebensgefahr verbunden ist. In den Fällen des Absatzes 1 Satz 2 und Absatzes 2 bedarf die Anordnung der Zustimmung der Leiterin oder des Leiters der Einrichtung und der Aufsichtsbehörde. Die Anordnung wird den Verteidigerinnen und den Verteidigern auf Antrag der Untergebrachten unverzüglich mitgeteilt. Die Gründe und die Voraussetzungen für die Anordnung einer Maßnahme nach den Absätzen 1 oder 2, die ergriffenen Maßnahmen einschließlich ihres Zwangscharakters, die Durchsetzungsweise, die Wirkungsüberwachung sowie der Untersuchungs- und Behandlungsablauf sind zu dokumentieren. Gleiches gilt für Erklärungen der Untergebrachten, die im Zusammenhang mit Zwangsmaßnahmen von Bedeutung sein können.

(5) Die Anordnung einer Maßnahme nach Absatz 1 Satz 2 oder Absatz 2 ist den Untergebrachten vor Durchführung der Maßnahme schriftlich bekannt zu geben. Sie sind darüber zu belehren, dass sie gegen die Anordnung bei Gericht um einstweiligen Rechtsschutz ersuchen und auch Antrag auf gerichtliche Entscheidung stellen können. Mit dem Vollzug einer Anordnung ist zuzuwarten, bis die Untergebrachten Gelegenheit hatten, eine gerichtliche Entscheidung herbeizuführen.

(6) Bei Gefahr im Verzug finden Absatz 3 Nummer 1 und 2, Absatz 4 Satz 3 und Absatz 5 keine Anwendung.

(7) Zur Gewährleistung des Gesundheitsschutzes und der Hygiene ist die zwangsweise körperliche Untersuchung der Untergebrachten zulässig, wenn sie nicht mit einem körperlichen Eingriff verbunden ist. Sie darf nur von den von der Leiterin oder dem Leiter der Einrichtung dazu bestimmten Bediensteten auf der Grundlage einer ärztlichen Stellungnahme angeordnet werden. Durchführung und Überwachung unterstehen ärztlicher Leitung. Kann die körperliche Untersuchung das Schamgefühl verletzen, so wird sie von einer Person gleichen Geschlechts oder von einer Ärztin oder einem Arzt vorgenommen; bei berechtigtem Interesse der Untergebrachten soll ihrem Wunsch, die Untersuchung einer Person oder einem Arzt bestimmten Geschlechts zu übertragen, entsprochen werden. Duldungspflichten der Untergebrachten nach Vorschriften anderer Gesetze bleiben unberührt.

§ 73

Benachrichtigungspflicht

Erkranken Untergebrachte schwer oder versterben sie, so werden die Angehörigen benachrichtigt. Im Falle einer schweren Erkrankung ist die Einwilligung der Untergebrachten erforderlich. Kann die Einwilligung, insbesondere aus Krankheitsgründen, nicht erlangt werden, so erfolgt die Benachrichtigung, wenn diese dem mutmaßlichen Interesse der Untergebrachten entspricht. Dem Wunsch der Untergebrachten, auch andere Personen zu benachrichtigen, soll nach Möglichkeit entsprochen werden.