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Rundschreiben Nr. 12 / 2013

Rundschreiben Nr. 12-2013

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

das Jahr neigt sich dem Ende entgegen. Mit viel Kraft und Energie haben wir alle gemeinsam die Höhen und Tiefen zufrieden stellend gemeistert. Wir hoffen auch im Jahr 2014 auf eine gute Zusammenarbeit und wünschen allen Kolleginnen und Kollegen einen guten Rutsch. Bleiben Sie bei bestmöglicher Gesundheit und voller Tatenkraft. Ihr Team der Hauptschwerbehindertenvertretung!

Noch einmal zur Information: Die Rundschreiben Nr. 05-2013 und Nr. 10-2013 sind ausge-fallen.

Themen des heutigen Rundschreibens:

  • Benachteiligung einer Schwerbehinderten in einem Stellenbesetzungsverfahren
    In einem Stellenbesetzungsverfahren liegt eine Benachteiligung im Sinne von § 7 Abs. 1 AGG bereits in der entgegen § 81 Abs. 1 Satz 4 SGB IX unterlassenen Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung und der damit einhergehenden Vorenthaltung einer möglichen Verfahrensabsicherung oder -begleitung durch diese Vertretung vor.
  • Zustimmung des Integrationsamtes
    Bei der Ermessensentscheidung über die Erteilung der Zustimmung zur Kündigung eines schwerbehinderten (oder gleichgestellten) Arbeitnehmers hat das Integrationsamt die widerstreitenden Interessen des Arbeitnehmers an der Erhaltung seines Arbeitsplatzes und die Interessen des Arbeitgebers an der Wahrung seiner Gestaltungsmöglichkeiten gegeneinander abzuwägen.
  • Pressemitteilung: Zu alt für das Ehrenamt? – zu behindert für den Job?
    Vor einem Jahr wurde die Antidiskriminierungsberatung Alter oder Behinderung (ADB) eröffnet. Die Beratungsstelle ist ein Projekt der Landesvereinigung Selbsthilfe Berlin e.V., dem Dachverband der Berliner Selbsthilfeverbände. Das Projekt ist Berlinweit Anlaufstelle für alle Menschen, die sich auf Grund ihres Alters oder auf Grund einer Behinderung diskriminiert fühlen.
  • Dies und Das
    • Behinderten Cartoons von Phil Hubbe
    • Neuer Ratgeber für Behinderte
    • Neue Fähren
    • Zurück in den Job
    • Altersgerechte Arbeitsgestaltung
    • Pflichtarbeitsplätze 2011 (Stand Juni 2013)
    • AGG Benachteiligung im internen Stellenbesetzungsverfahren – 5000,- €
    • Frage nach einer Schwerbehinderung bei der Jobsuche
    • Geltendmachung der Beteiligung der SbV im Jobcenter
      **Zuständige SbV bei Einstellung von Beschäftigten und anschließender Zuweisung zum Jobcenter

Benachteiligung einer Schwerbehinderten in einem Stellenbesetzungsverfahren

Verwaltungsgericht Mannheim – Urteil vom 10.09.2013, Az. 4 S 547/12

VGH Mannheim: In einem Stellenbesetzungsverfahren liegt eine Benachteiligung im Sinne von § 7 Abs. 1 AGG bereits in der entgegen § 81 Abs. 1 Satz 4 SGB IX unterlassenen Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung und der damit einhergehenden Vorenthaltung einer möglichen Verfahrensabsicherung oder -begleitung durch diese Vertretung vor (Urteil vom 10.09.2013, Az. 4 S 547/12).

Bereits in ihrer Bewerbung hatte die Bewerberin deutlich gemacht, dass sie schwerbehindert sei. Entgegen den gesetzlichen Vorschriften wurde von Seiten der Beklagten, dem Land Baden-Württemberg, keine Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung gewährt, vielmehr wurde eine solche durch eine nachträgliche Einbeziehung einer Schwerbehindertenvertretung als unproblematisch geheilt angesehen.
Der VGH hat nun entgegen der Meinung des Verwaltungsgerichts Freiburg festgestellt, dass eine nachträgliche Heilung von Schwerbehindertenschutzvorschriften nicht in Betracht kommt. Grundsätzlich steht der Bewerberin eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG zu, wenn gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG verstoßen wird. Eine solche Benachteiligung hat der VGH bereits darin gesehen, dass es das Regierungspräsidium entgegen § 81 Abs. 1 Satz 4 SGB IX unterlassen hat, die Schwerbehindertenvertretung über die Bewerbung der Bewerberin unmittelbar nach Eingang zu unterrichten.

Die fehlende Beteiligung wurde zwar nach dem Bewerbungsverfahren nachgeholt, hat jedoch nicht zur Heilung dieses Verstoßes geführt. Es könne nämlich nicht ausgeschlossen werden, dass das Überprüfungsverfahren (mit Bewerbergesprächen) ggf. einen für die Bewerberin günstigeren Verlauf genommen hätte, wenn es unter Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung durchgeführt worden wäre.
Wörtlich: „Zudem hat das Regierungspräsidium eine sich ihm bietende Möglichkeit, dem Eindruck diskriminierenden Verhaltens entgegenzutreten, ungenutzt gelassen. Auch auf den noch während des Stellenbesetzungsverfahrens erhobenen (…) ausdrücklichen „Einspruch” der Klägerin „gegen das Verfahren” hat es ihr nicht etwa z. B. eine Wiederholung des Überprüfungsverfahrens angeboten, was eine Bestätigung dafür hätte erbringen können, dass die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung tatsächlich – wie behauptet – nur übersehen und dieselbe eben nicht – wie nach § 22 AGG zu vermuten ist – in diskriminierender Weise übergangen wurde. Vielmehr hat es das Stellenbesetzungsverfahren fortgeführt und die Klägerin lediglich auf die von der Vertrauensperson der Schwerbehinderten für gegeben erachtete – wie dargelegt im hier in Rede stehenden Zusammenhang aber unbeachtliche – nachträgliche Heilung des Verfahrensmangels verwiesen.”

Demgemäß war der Schwerbehinderten Bewerberin zwingend ein Entschädigungsanspruch zuzusprechen, den das Gericht in Höhe von zwei Monatsgehältern als angemessen erachtete. Das Urteil stellt sicherlich eine Leitentscheidung dar; in der Regel werden Ansprüche aus § 15 Abs. 2 AGG dann zugesprochen, wenn ein Schwerbehinderter entgegen § 82 Satz 2 SGB IX nicht zu einem Vorstellungsgespräch geladen wird. Hier wurde die Bewerberin zwar eingeladen, es wurden allerdings bereits im Vorfeld sowie im Verlauf des Bewerberprozesses zwingende Schutzvorschriften nicht eingehalten.
Das Urteil ist rechtskräftig.

Zustimmung des Integrationsamtes

Bayerischer VGH, Urteil vom 31. Januar 2013, Az. 12 B 12.860

1. Bei der Ermessensentscheidung über die Erteilung der Zustimmung zur Kündigung eines schwerbehinderten (oder gleichgestellten) Arbeitnehmers hat das Integrationsamt die widerstreitenden Interessen des Arbeitnehmers an der Erhaltung seines Arbeitsplatzes und die Interessen des Arbeitgebers an der Wahrung seiner Gestaltungsmöglichkeiten gegeneinander abzuwägen. Wird die Kündigung auf Gründe gestützt, die mit der Behinderung in Zusammenhang stehen, sind an die Zumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses besonders hohe Anforderungen zu stellen. In Ausnahmefällen kann der Arbeitgeber danach verpflichtet sein, den schwerbehinderten Arbeitnehmer „durchzuschleppen“.

2. Die Zustimmung des Integrationsamts zur ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Schwerbehinderten verlangt, zuvor alle anderen Möglichkeiten für den Erhalt des Arbeitsplatzes zu untersuchen und auszuschöpfen. Bei einer in der Behinderung wurzelnden personenbedingten Minderleistung muss zugleich die Inanspruchnahme von Mitteln des Integrationsamts – z.B. die Zahlung eines Minderleistungsausgleichs nach § 102 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 e SGB IX i.V.m. § 27 Schwerbehinderten-Ausgleichsabgabenverordnung (SchwbAV) – bei der Beurteilung der wirtschaftlichen Zumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses berücksichtigt werden.
3. Die Verpflichtung des Integrationsamts, bei krankheitsbedingten Kündigungen Ursachen und Folgen der Erkrankung des Arbeitnehmers aufzuklären (§ 20 SGB X), verlangt bei Fehlen der erforderlichen medizinischen Sachkunde auf Seiten der Behörde regelmäßig die Einholung eines ärztlichen Sachverständigengutachtens.

4. Will das Integrationsamt aus der Nichtbeachtung der sich aus § 21 Abs. 2 SGB X ergebenden Mitwirkungsobliegenheit des Betroffenen nachteilige Schlüsse für die Beweiswürdigung ziehen, muss sie ihn zuvor auf die Erheblichkeit bestimmter tatsächlicher Umstände hingewiesen haben. Der Betroffene muss wissen, worauf die Behörde ihre Entscheidung maßgeblich stützt und welche Konsequenzen sie aus einer Verletzung der Mitwirkungsobliegenheit zu ziehen beabsichtigt.

5. Die Ermessensentscheidung über die Zustimmung zur Kündigung eines Schwerbehinderten nach §§ 85 ff. SGB IX ist rechtswidrig, wenn das Integrationsamt von einem unvollständigen Sachverhalt ausgeht oder erhebliche Umstände des Einzelfalls unberücksichtigt lässt. In diesem Fall beschränkt sich die Verpflichtung der Verwaltungsgerichte, die Streitsache spruchreif zu machen, auf die Ermittlung, ob die von der Behörde herangezogenen Erwägungen ausreichen, die getroffene Verwaltungsentscheidung zu tragen.Zustimmung zur ordentlichen Kündigung eines Schwerbehinderten aus krankheits-bedingten Gründen;Anforderungen an die Ermittlungspflicht des Integrationsamtes

Tenor
1 I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 22. September 2011 – M 15 K 10.4594 – und der Bescheid des Beklagten vom 17. August 2010 – 14/46/6122-7006/10-Sh 61 werden aufgehoben.

2 II. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

3 III. Der Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

4 IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand
5 Der einem Schwerbehinderten gleichgestellte Kläger wendet sich gegen die dem Beigeladenen mit Bescheid vom 17. August 2010 erteilte Zustimmung zur ordentlichen Kündigung seines Arbeitsverhältnisses.

6 1. Der am 21. Dezember 1957 geborene Kläger steht seit dem 1. September 1995 im Krankentransportdienst des Beigeladenen. Im Jahr 2002 erhielt er wegen Rückenbeschwerden einen leidensgerechten Arbeitsplatz (Beförderung von Patienten in Rollstühlen). Mit Bescheid der Bundesagentur für Arbeit vom 7. April 2006 wurde er einem Schwerbehinderten gleichgestellt. Beim Kläger liegen folgende Gesundheitsstörungen vor: Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, muskuläre Verspannungen, sensible Missempfindungen, Bluthochdruck, Herzklappenfehler, seelische Störung mit Somatisierung, Chondropathia patellae beidseits, Zuckerkrankheit (mit Diät einstellbar).

7 2. Am 4. Juni 2007 beantragte die Beigeladene erstmals die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers wegen erheblicher Krankheitszeiten (2004: 49 Arbeitstage, 2005: 82 Arbeitstage, 2006: 124 Arbeitstage und 2007 bis zum Antrag: 21 Arbeitstage) sowie einer negativen Gesundheitsprognose. Mit Bescheid vom 6. August 2008 lehnte der Beklagte den Antrag ab. Mit Urteil vom 22. Oktober 2009 hob das Verwaltungsgericht den Bescheid auf und verpflichtete den Beklagten, erneut über den Antrag des Beigeladenen auf Zustimmung zur ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses zu entscheiden. Der Kläger beantragte, die Berufung zuzulassen. Mit Beschluss vom 12. Oktober 2010 stellte der Senat das anhängige Verfahren – 12 ZB 10.1269 – ein, nachdem die Hauptbeteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt hatten.

8 3. Bereits unter dem 9. Juni 2010 hatte der Beigeladene erneut Antrag auf Zustimmung zur ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers gestellt. Der Antrag sei nötig, weil der Kläger nach dem einschlägigen Tarifvertrag ab dem 1. September 2010 nicht mehr ordentlich gekündigt werden könne. Der Grad der Behinderung des Klägers habe sich ab dem 4. August 2009 von 30 auf 40 erhöht. Auch nach dem Zustimmungsantrag vom Juni 2007 seien erhebliche Fehlzeiten zu verzeichnen (2007: 64 Arbeitstage, 2008: 54 Arbeitstage, 2009: 89 Arbeitstage und bis zum 31. Mai 2010: 23 Arbeitstage zuzüglich 14 Arbeitstage für einen Kuraufenthalt). Da kein neues Gutachten vorliege, sei weiterhin auf das amtsärztliche Gutachten vom 17. April 2007 abzustellen, wonach auch künftig mit erheblichen Fehlzeiten zu rechnen sei. Auch die dreiwöchige Kur vom 17. März 2010 bis 7. April 2010 habe nicht zu einer dauerhaften Verbesserung des Gesundheitszustandes geführt. Am 8. und 9. April 2010, 29. und 30. April 2010 und vom 25. Mai bis 31. Mai 2010 sei der Kläger erneut arbeitsunfähig krank gewesen. Infolgedessen müsse von einer negativen Gesundheitsprognose ausgegangen werden. Die Fehlzeiten des Klägers führten zu erheblichen Beeinträchtigungen beim Krankentransportdienst, insbesondere deshalb, weil der Kläger in der Regel kurzzeitig erkranke. Bei seinem Ausfall müssten andere Mitarbeiter Überstunden machen. Die wirtschaftliche Belastung habe ein absolut unzumutbares Ausmaß erreicht. Die Lohnfortzahlungskosten für die Jahre 2006 und 2007 beliefen sich auf 28.092,17 €, seither seien weitere Lohnfortzahlungskosten in Höhe von 28.929,77 € entstanden.

9 4. Mit Bescheid vom 17. August 2010 erteilte der Beklagte dem Beigeladenen die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Trotz leidensgerechtem Arbeitsplatz und intensiver medizinischer Betreuung im ambulanten und stationären Bereich habe keine hinreichend deutliche Reduzierung der Fehlzeiten erreicht werden können; eine solche sei prognostisch auch in Zukunft nicht zu erwarten. Die Fehlzeiten lägen durchgängig in einem als hoch einzustufenden Bereich:

10 2004: 49 Arbeitstage = 22,27 %
11 2005: 82 Arbeitstage = 37,27 %
12 2006: 124 Arbeitstage = 56,36 %
13 2007: 64 Arbeitstage = 29,09 %
14 2008: 54 Arbeitstage = 24,54 %
15 2009: 89 Arbeitstage = 40,45 %
16 2010: 23 Arbeitstage (Stand 31.5.2010) = 10,45 %

17 Daraus ergebe sich insgesamt eine negative Gesundheitsprognose. Diese werde durch die vorgelegten medizinischen Unterlagen nicht widerlegt. Auch das Attest des Dr. H… vom 20. Mai 2010 ändere hieran nichts. Danach sei zwar insgesamt von einer Stabilisierung der Beschwerden auszugehen. Allerdings stelle diese Aussage keinen Bezug zu den zukünftig zu erwartenden Arbeitsunfähigkeitszeiten her. Eine bloße Stabilisierung der Beschwerden müsse nicht gleichzeitig zu einem Rückgang der Fehlzeiten führen. Insoweit wären weitere Konkretisierungen nötig gewesen, die jedoch mangels Erteilung einer Schweigepflichtentbindung nicht hätten eingeholt werden können. Vor allem habe nicht geklärt werden können, aufgrund welcher Beschwerden die zahlreichen Atteste über Arbeitsunfähigkeiten ausgestellt worden seien. Unter Abwägung aller Umstände sei dem Beigeladenen nicht zuzumuten, das Arbeitsverhältnis auf unbestimmte Dauer aufrecht zu erhalten. Dies gelte auch dann, wenn sich die Fehlzeiten in Zukunft auf das Ausmaß der Jahre 2007 und 2008 reduzieren sollten.

18 5. Mit Urteil vom 22. September 2011 wies das Verwaltungsgericht die hiergegen gerichtete Klage als unbegründet ab. Ein Ermessensfehler sei nicht festzustellen. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Gesundheitszustand des Klägers habe sich dem Beklagten nicht aufdrängen müssen, nachdem andere Erkenntnisquellen, vor allem die tatsächlichen Krankheitszeiten des Klägers, der Reha-Bericht der Klinik T… vom 19. April 2010 und das Attest von Dr. H… vom 20. Mai 2010 vorgelegen hätten und der Kläger auch die vom Beklagten mit Schreiben vom 10. Juni 2010 ausdrücklich angeforderte Entbindung seiner Ärzte von der Schweigepflicht nicht abgegeben habe. Soweit der Kläger hierzu vortrage, er habe geglaubt, dies sei nicht mehr nötig, weil er die Entbindungserklärung schon in den früheren Verfahren abgegeben habe, sei anzumerken, dass der Kläger zumindest beim Beklagten habe nachfragen können, ob die frühere Erklärung für das neue Verfahren genüge. Dem stehe auch nicht entgegen, dass das entsprechende Formblatt dem Schreiben des Beklagten vom 10. Juni 2010 angeblich nicht beigefügt gewesen sei. Sollte das Formblatt tatsächlich gefehlt haben, so habe es – da das Blatt als Anlage zu besagtem Schreiben ausdrücklich erwähnt worden sei – dem Kläger oblegen, dieses entweder nachzufordern oder dem Beklagten mitzuteilen, dass die Entbindung von der Schweigepflicht auch für dieses Verfahren gelte. Indem der Kläger weder das Eine noch das Andere getan habe, habe er gegen seine Mitwirkungspflichten verstoßen. Der Beklagte habe keine Veranlassung gehabt, dem Kläger hinsichtlich der Entbindung von der Schweigepflicht eine Nachfrist zu setzen oder ihn auf eventuelle nachteilige Folgen hinzuweisen. Vielmehr habe der Beklagte annehmen dürfen, dass eine weitere Aufklärung des Gesundheitszustandes des Klägers aufgrund dessen fehlender Mitwirkung nicht möglich sei. Da der Kläger schon kurz nach der Entlassung aus der Rehabilitation erneut arbeitsunfähig und danach wiederum für längere Zeit krank gewesen sei, habe der Beklagte von einer negativen Gesundheitsprognose ausgehen dürfen. Auch das amtsärztliche Attest vom 17. April 2007 prognostiziere überdurchschnittliche Krankheitszeiten. Zu Recht habe der Beklagte in die Abwägung eingestellt, dass die Fehlzeiten des Klägers durch häufige Kurzerkrankungen entstanden seien und dass die Beigeladene nie aus der Lohnfortzahlung herausgefallen sei.

19 6. Mit der vom Senat zugelassenen Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Beim Erlass des streitgegenständlichen Bescheids vom 17. August 2010 habe aufgrund des damals noch nicht rechtskräftig abgeschlossenen ersten Zustimmungsverfahrens ein Verfahrenshindernis vorgelegen. Ungeachtet dessen sei zweifelhaft, ob sein Arbeitsverhältnis mit dem Freistaat Bayern überhaupt nach Art. 14 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes über die Universitätsklinika des Freistaates Bayern auf den Beigeladenen übergegangen sei. Der streitgegenständliche Bescheid vom 17. August 2010 leide an einem Ermessensfehler. Er habe bereits mit Formblatt vom 15. Juni 2007 sein Einverständnis zur Entbindung der behandelnden Ärzte von ihrer Schweigepflicht erteilt. Dem Schreiben des Beklagten vom 10. Juni 2010 sei kein neues Formblatt zur Erteilung der Entbindungserklärung beigefügt gewesen. Im Übrigen unterliege der Beklagte einem Rechtsirrtum, wenn er die Auffassung vertrete, ein angeblicher Verstoß gegen die Mitwirkungsobliegenheit aus § 21 Abs. 2 Satz 1 SGB X löse automatisch Sanktionen aus. Vielmehr müsse nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen der Mitwirkungsverpflichtete gemahnt werden. Der Beklagte habe deshalb zu Unrecht nachteilige Folgen aus der angeblichen Mitwirkungspflichtverletzung gezogen. Der Beklagte räume in seinem Bescheid vom 17. August 2010 selbst ein, keine vollständige Sachverhaltsaufklärung durchgeführt zu haben. Vor allem habe er verkannt, dass die Krankheitszeiten eine deutliche Tendenz nach unten aufwiesen und die durchgeführten ambulanten und stationären Reha-Maßnahmen zu einer positiven Entwicklung geführt hätten. Sein Gesundheitszustand habe sich erfreulicherweise deutlich gebessert. Im Jahr 2010 sei die Fehlzeitquote auf 10,45 % gesunken. Auch eine Umsetzung auf einen anderen freien Arbeitsplatz habe das Integrationsamt nicht geprüft. Im arbeitsgerichtlichen Verfahren habe der Beigeladene nunmehr – anders als noch gegenüber dem Integrationsamt – eine verhaltensbedingte und keine krankheitsbedingte Kündigung behauptet.

20 Der Kläger beantragt,

21 das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 22. September 2011 und den zugrundeliegenden Bescheid des Beklagten vom 17. August 2010 aufzuheben.

22 Der Beklagte beantragt,

23 die Berufung zurückzuweisen.

24 Der Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung. Das Integrationsamt sei seiner Amtsermittlungspflicht angemessen nachgekommen. Beim Kläger lägen erhebliche Fehlzeiten vor, die bereits für sich genommen für eine negative Gesundheitsprognose sprächen. Das Ziel der Rehabilitationsmaßnahme habe nicht erreicht werden können. Der Kläger sei zwar als arbeitsfähig entlassen worden. Schweres Heben und Tragen sowie eine gebückte Haltung und Zwangshaltung der Wirbelsäule solle er jedoch vermeiden. Aus diesen Einschränkungen folge, dass er seine Tätigkeit im Patiententransport angesichts der jahrelangen massiven Fehlzeiten nicht mehr ausüben könne. Weshalb daneben noch ein arbeitsmedizinisches Gutachten erforderlich sein sollte, erschließe sich nicht. Aufgrund der mangelnden Mitwirkung des Klägers hätten keine weiteren Ermittlungen stattfinden können. Eines Hinweises auf die Mitwirkungsobliegenheiten des Klägers sowie einer Nachfrist mit gesonderter Belehrung über die Folgen einer mangelnden Mitwirkung habe es nicht bedurft. Angesichts der erheblichen Fehlzeiten und häufigen Kurzerkrankungen liege eine Störung des Betriebsablaufs vor, die eine Überschreitung der Zumutbarkeitsgrenze zur Folge habe.

25 Der Beigeladene schließt sich dem Vortrag des Beklagten an und beantragt ebenfalls,

26 die Berufung zurückzuweisen.

27 Die Entscheidung des Integrationsamtes sei frei von Ermessensfehlern. Die Einholung eines weiteren Gutachtens sei nicht erforderlich gewesen. Von einem positiven Gesundheitsschub könne nicht die Rede sein.

28 Der Senat hat die den Kläger behandelnden Ärzte Dr. med. H…, Dr. med. M…, L…, Dr. med. M… und Dr. med. v… L… mit Schreiben vom 12. November 2012 zu den Hintergründen der Erkrankung des Klägers im Zeitraum Juli 2007 bis August 2010 (Zeitraum zwischen erster und zweiter Kündigung) befragt. Auf deren Stellungnahmen, insbesondere diejenige des Hausarztes Dr. med. H… vom 30. November 2012, wird verwiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die beigezogenen Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
Gründe
29 Die zulässige Berufung, über die der Senat mit dem Einverständnis der Verfahrensbeteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte (§§ 125 Abs. 1 Satz 1, 101 Abs. 2 VwGO), ist begründet.

30 1. Der streitgegenständliche Bescheid vom 17. August 2010, mit dem der Beklagte dem Beigeladenen die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers erteilt hat, ist – bezogen auf den insoweit maßgeblichen Zeitpunkt der Kündigung (vgl. BVerwG, Beschluss vom 7.3.1991 – 5 B 114/89 –, NZA 1991, 511) – mangels hinreichender Ermittlung des der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalts ermessensfehlerhaft und damit rechtswidrig; er verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Anfechtungsklage ist deshalb stattzugeben.

31 a) Rechtsgrundlage für die angefochtene Entscheidung sind §§ 85 ff. SGB IX. Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten (oder gleichgestellten) Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber bedarf der Zustimmung des Integrationsamtes (§ 85 SGB IX). Über die Erteilung der Zustimmung zur Kündigung oder deren Versagung hat das Integrationsamt nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden (§ 88 SGB IX). Diese Entscheidung unterliegt nur einer eingeschränkten verwaltungsgerichtlichen Kontrolle (§ 114 Satz 1 VwGO). Dem Senat ist es deshalb versagt, die behördlichen Ermessenserwägungen durch eigene zu ersetzen; er kann die Entscheidung nur auf Ermessensfehler (Ermessensausfall, Ermessensdefizit, Ermessensfehlgebrauch) hin überprüfen. Diese Prüfung erstreckt sich insbesondere auch darauf, ob die Behörde von einem ausreichend ermittelten und zutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist und ob sie die gesetzlichen Grenzen des Ermessens beachtet und von der ihr eingeräumten Entscheidungsbefugnis in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (vgl. Düwell, in: Dau/Düwell/Haines, SGB IX, 2. Aufl., 2009, § 89 RdNr. 12).

32 aa) Bei seiner Ermessensentscheidung hat das Integrationsamt die widerstreitenden Interessen des schwerbehinderten Arbeitnehmers an der Erhaltung seines Arbeitsplatzes und das Interesse des Arbeitgebers an der Wahrung seiner Gestaltungsmöglichkeiten gegeneinander abzuwägen (vgl. BVerwG, Urteil vom 19.10.1995 – 5 C 24.93 –, BVerwGE 99, 336 [338]; Urteil vom 2.7.1992 – 5 C 51.90 –, BVerwGE 90, 287 [292 f.]). Dabei sind an die Zumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses besonders hohe Anforderungen zu stellen, wenn die Kündigung – wie hier – auf Gründe gestützt werden soll, die mit der Behinderung in Zusammenhang stehen. Das Bundesverwaltungsgericht hat mehrfach betont, dass der Schwerbehindertenschutz an Gewicht gewinnt, wenn die Kündigung des Arbeitsverhältnisses auf Gründe gestützt wird, die in der Behinderung selbst ihre Ursache haben, und dass infolgedessen an die bei der interessenabwägenden Ermessensentscheidung zu berücksichtigende Zumutbarkeitsgrenze für den Arbeitgeber besonders hohe Anforderungen zu stellen sind, um dem im Schwerbehindertenrecht zum Ausdruck kommenden Schutzgedanken der Rehabilitation angemessen Rechnung zu tragen (vgl. BVerwGE 99, 336 [339]; 39, 36 [38]; 29, 140 [141]). In Ausnahmefällen kann der Arbeitgeber deshalb sogar verpflichtet sein, den schwerbehinderten Arbeitnehmer „durchzuschleppen“ (so ausdrücklich BVerwG, Urteil vom 19.10.1995 – 5 C 24.93 –, BVerwGE 99, 336 [339]).

33 Überschritten wird die Zumutbarkeitsgrenze erst dann, wenn die Weiterbeschäftigung nicht mehr zu einem wirtschaftlich sinnvollen Austausch von Leistung und Gegenleistung führt und die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses allen Gesetzen wirtschaftlicher Vernunft widerspricht, insbesondere dem Arbeitgeber einseitig die Lohnzahlungspflicht auferlegt würde (vgl. BVerwG, Urteil vom 19.10.1995 – 5 C 24.93 –, BVerwGE 99, 336 [339]). Im Lichte dieser – strengen – Anforderungen kommt eine Zustimmung des Integrationsamtes zur ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Schwerbehinderten oder gleichgestellten Arbeitnehmers als letztes Mittel regelmäßig nur dann in Betracht, wenn alle anderen Möglichkeiten für den Erhalt des Arbeitsplatzes zuvor untersucht und ausgeschöpft wurden (vgl. Knittel, SGB IX, Stand: 1. April 2011, § 85 RdNr. 82 m.w.N.).

34 Insoweit ist regelmäßig zu prüfen, ob die in der Schwerbehinderung wurzelnde personenbedingte Minderleistung nicht durch Inanspruchnahme von Mitteln des Integrationsamtes – etwa die Zahlung eines Minderleistungsausgleichs gemäß § 102 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 e SGB IX i.V.m. § 27 Schwerbehinderten-Ausgleichsabgabeverordnung (SchwbAV) – behoben und damit wirtschaftlich zumutbar gemacht werden kann (vgl. Trenk-Hinterberger, in: HK-SGB IX, 3. Aufl., 2010, § 88 RdNr. 18; Düwell, in: Dau/Düwell/Haines, SGB IX, 2. Aufl., 2009, § 89 RdNr. 13; Knittel, SGB IX, Stand:

35 1. April 2011, § 85 RdNr. 83), denn gerade bei einem personenbedingten Kündigungsgrund ist der Arbeitgeber gehalten, jede mögliche zumutbare und geeignete Maßnahme zu ergreifen, die im Rahmen der betrieblichen Interessen die Kündigung zu vermeiden hilft.

36 bb) Um die nach §§ 85 ff. SGB IX erforderliche Ermessensentscheidung sachgerecht treffen zu können, muss das Integrationsamt anknüpfend an den Antrag des Arbeitgebers und von ihm ausgehend von Amts wegen all das ermitteln und sodann auch berücksichtigen, was erforderlich ist, um die gegensätzlichen Interessen des Arbeitgebers und des schwerbehinderten Arbeitnehmers gegeneinander abwägen zu können (vgl. BVerwG, Urteil vom 19.10.1995 – 5 C 24.93 –, BVerwGE 99, 336 [338 f.]). Die dem Integrationsamt in § 20 SGB X auferlegte Aufklärungspflicht gewinnt ihre Konturen und Reichweite aus dem materiellen Recht. Soweit ein Umstand materiell-rechtlich für die gebotene Interessenabwägung Bedeutung hat, unterliegt er der Aufklärungspflicht (vgl. BVerwG, a.a.O., S. 339). Beruft sich der Arbeitgeber in seinem Antrag – wie hier – auf krankheitsbedingte Fehlzeiten, so hat das Integrationsamt die Richtigkeit dieser Angaben zu überprüfen und in seine Abwägung auch die Prognose über zukünftige Fehlzeiten mit einzubeziehen. Die Aufklärungspflicht wird verletzt, wenn das Integrationsamt sich lediglich damit begnügt, das Vorbringen des Arbeitgebers auf seine Schlüssigkeit hin zu überprüfen (vgl. BVerwG, a.a.O., S. 338). Bei krankheitsbedingten Kündigungen ist das Integrationsamt verpflichtet, Ursachen und Folgen der Erkrankung aufzuklären. Dabei ist regelmäßig die Einholung eines ärztlichen Gutachtens erforderlich, weil weder der Schwerbehinderte noch das Integrationsamt selbst über die zur Beurteilung des eingeschränkten Leistungsvermögens erforderlichen medizinischen Kenntnisse und Erfahrungen verfügen (vgl. Düwell, in: Dau/Düwell/Haines, SGB IX, 2. Aufl., 2009, § 89 RdNr. 15 m.w.N.).

37 cc) Die Verpflichtung des Integrationsamtes zur umfassenden Aufklärung des Sachverhalts findet ihre Grenze erst in der sich aus der (mit § 26 Abs. 2 VwVfG wortgleichen) Bestimmung des § 21 Abs. 2 SGB X ergebenden allgemeinen Mitwirkungsobliegenheit des Betroffenen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 22.11.1994 – 5 B 16.94 –, Buchholz 436.61 § 15 SchwbG Nr. 8). Einen allgemeinen Zwang zur Mitwirkung sieht § 21 Abs. 2 SGB X nicht vor, da ein Beteiligter nicht zur Aufklärung solcher Umstände gezwungen werden darf, die seine Stellung im Verwaltungsverfahren verschlechtern oder ihn in sonstiger Weise belasten würden (vgl. von Wulffen, SGB X, 7. Aufl., 2010, § 21 RdNr. 11). Über § 21 Abs. 2 Sätze 1 und 2 SGB X hinausgehende Mitwirkungspflichten – vgl. etwa §§ 60 bis 66 SGB I – bedürfen besonderer gesetzlicher Regelungen (vgl. § 21 Abs. 2 Satz 3 SGB X). § 21 Abs. 2 SGB X begründet deshalb (ähnlich wie § 26 Abs. 2 VwVfG) lediglich eine Mitwirkungslast der Beteiligten im Sinne einer Obliegenheit (vgl. von Wulffen, SGB X, 7. Aufl., 2010, § 21 RdNr. 11). Ihre Nichtbeachtung kann zu Rechtsnachteilen führen. Dies gilt, da die Amtsermittlungspflicht des § 20 SGB X nicht umgangen werden darf, allerdings nur dann, wenn die Behörde die Beteiligten auf die Erheblichkeit bestimmter Umstände hingewiesen hat. Ein solcher Hinweis ist Voraussetzung für die Berechtigung, aus der fehlenden oder unzulänglichen Mitwirkung Schlüsse für die Beweiswürdigung ziehen zu dürfen (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 12. Aufl., 2011, § 26 RdNr. 43). Die Beteiligten müssen – schon um der Wahrung eines „fairen Verfahrens“ willen – wissen, auf welche Umstände die Behörde ihre Entscheidung maßgeblich stützt und welche Konsequenzen sie aus einer Nichtbeachtung einer entsprechenden Mitwirkungsobliegenheit zu ziehen beabsichtigt.

38 b) Gemessen an diesem Maßstab erweist sich die Zustimmung des Beklagten zur ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers als ermessensfehlerhaft, weil sie nicht auf einer vollständigen Ermittlung des entscheidungserheblichen Sachverhalts beruht (vgl. Trenk-Hinterberger, in: HK-SGB IX, 3. Aufl. 2010, § 88 RdNr. 10). In einem solchen Fall ist die Verpflichtung des Gerichts, den Streitgegenstand spruchreif zu machen (vgl. hierzu Wolff, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl., 2010, § 113 RdNr. 56 ff.) regelmäßig beschränkt. Der Senat hat insoweit nur zu ermitteln, ob die von der Behörde herangezogenen Erwägungen ausreichen, die getroffene Verwaltungsentscheidung zu tragen (vgl. BVerwGE 75, 26 [29]; Wolff, in: Sodan/Ziekow, a.a.O., § 113 RdNr. 67). Letzteres ist hier nicht der Fall.

39 aa) Der Beklagte ist seiner Verpflichtung zur umfassenden Aufklärung des Sachverhalts nicht in hinreichender Weise nachgekommen, da er kein aktuelles (amtsärztliches) Gutachten eingeholt hat. Das Gutachten vom 17. April 2007 lag im Zeitpunkt der Antragstellung bereits drei Jahre zurück und kann vor dem Hintergrund, dass der Grad der Behinderung des Klägers sich in der Zwischenzeit von 30 auf 40 erhöht hat, nicht mehr als ausreichende Beurteilungsgrundlage angesehen werden. Gleiches gilt für das ärztliche Attest des Dr. H… vom 20. Mai 2010. Dieses erschöpft sich in der Feststellung, dass insgesamt von einer Stabilisierung der Beschwerden ausgegangen werden könne, erlaubt aber keine verlässliche Beurteilung etwaiger künftiger Fehlzeiten. Auch der vom Beklagten in Bezug genommene Entlassungsbericht der Klinik T… vom 19. April 2010 besitzt insoweit keine Aussagekraft. Er enthält zwar die Empfehlung, dass beim Kläger schweres Heben und Tragen, kriechende und gebückte Haltungen sowie Zwangshaltungen der Wirbelsäule längerfristig vermieden oder jedenfalls durch geeignete Hilfsmittel erleichtert werden sollten; gleichwohl wurde der Kläger regulär als arbeitsfähig mit einem Leistungsvermögen von mehr als sechs Stunden täglich für eine mittelschwere Tätigkeit entlassen und eine vorzeitige Wiederholung der Heilmaßnahme nicht für erforderlich erachtet. Da er in der Regel nur für kurze Zeiträume (weinige Tage) ausfällt, seinen Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis aber in der übrigen Zeit ohne Einschränkungen nachkommen kann, bleibt die vom Integrationsamt gezogene Schlussfolgerung, der Kläger könne infolge seiner gesundheitlichen Einschränkungen seine Tätigkeit im Patiententransport nicht mehr ausüben, ohne Grundlage. Eine arbeitsmedizinische Untersuchung des Klägers war damit unerlässlich.

40 Dem kann, anders als der Beklagte meint, nicht mit Erfolg entgegen gehalten werden, der Kläger sei seiner Mitwirkungslast nicht nachgekommen, weil er nicht – erneut – eine Entbindung der behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht erklärt habe. Zum einen ist nicht ersichtlich, wie die Stellungnahmen der behandelnden Ärzte ein aktuelles (amtsärztliches) Gutachten zu den aufgeworfenen arbeitsmedizinischen Fragen ersetzen sollten. Auch das Gutachten von Herrn Dr. med. H… vom 30. November 2012 (vgl. S. 1 ) hält weitere Untersuchungen für erforderlich. Zum anderen hat das Integrationsamt den Kläger nicht darauf hingewiesen, dass die – aus seiner Sicht fehlende – Entbindung der behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht für seine abschließende Beurteilung von entscheidender Bedeutung ist. Ein solcher Hinweis wäre jedoch Voraussetzung für die Berechtigung des Beklagten gewesen, aus einer fehlenden oder unzulänglichen Mitwirkung des Klägers nachteilige Schlüsse ziehen zu dürfen. Die Beteiligten müssen um der Wahrung eines „fairen Verfahrens“ willen wissen, auf welche Umstände die Behörde ihre Entscheidung maßgeblich stützt und welche Konsequenzen sie aus einer Nichtbeachtung einer entsprechenden Mitwirkungsobliegenheit zu ziehen beabsichtigt.

41 Ungeachtet dessen ist es mit dem Grundsatz der Amtsermittlung (§ 20 SGB-X) auch unvereinbar, auf ungesicherter tatsächlicher Grundlage nachteilige Feststellungen zu Lasten eines der Verfahrensbeteiligten zu treffen. So begründen insbesondere die vom Senat eingeholten ärztlichen Stellungnahmen, namentlich diejenige des Hausarztes Dr. med. H… vom 30. November 2012 (vgl. S. 2), bezogen auf den maßgeblichen Zeitraum vor Ausspruch der Kündigung im August 2010, erhebliche Zweifel an der Richtigkeit der vom Integrationsamt gezogenen Schlussfolgerungen. Insoweit wird auf den Wortlaut der ärztlichen Stellungnahme vom 30. November 2012 verwiesen:

42 „Herr G… war wegen der […] aufgeführten Erkrankungen im Jahr 2006 und im Jahr 2010 in einer Rehabilitationsklinik. Im Jahr 2006 ist er arbeitsfähig (mehr als 6 Std.) für körperlich mittelschwere Tätigkeiten ohne häufige Zwangshaltung der Wirbelsäule entlassen worden (Reha-Bericht vom 27.12.2006). Von der

43 orthop. Klinik T… ist Herr G… nach seinem Reha-Aufenthalt arbeitsfähig (für mehr als 6 Std.) für körperlich mittelschwere Tätigkeiten mit Einschränkungen bezüglich der Wirbelsäule entlassen worden (Reha-Bericht 19.04.2010). Herr G… konnte seine Tätigkeit im vollen Umfang wieder aufnehmen, allerdings mit der Einschränkung, keine schweren Lasten zu heben und zu tragen, keine Tätigkeiten in gebückter Haltung oder unter Zwangshaltungen der Wirbelsäule auszuführen.“

44 „Die Rehabilitationsmaßnahmen haben in beiden Fällen zu einer Verbesserung der Symptomatik geführt und damit zu einer Verbesserung der Einsetzbarkeit. Wie aus der beiliegenden Kopie [vgl. Bl. 370 der Verfahrensakten] zu ersehen ist, wurde für Herr[n] G… in der Zeit nach dem Reha-Aufenthalt 4/2010 keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wegen Wirbelsäulenbeschwerden mehr ausgestellt.“

45 […]

46 „Insbesondere nach dem Reha-Aufenthalt 4/2010 hat sich die Beschwerdesymptomatik von Herrn G… deutlich gebessert; er wurde in den zwei Jahren nur zwei Mal wegen Wirbelsäulenbeschwerden hier in der Praxis behandelt. Natürlich handelt es sich [….] um eine chronische Erkrankung, die eine dauerhafte Therapie erfordert. Aus ärztlicher Sicht ist allerdings nicht unbedingt mit einer über die Maße erhöhten Anzahl von Fehlzeiten zu rechnen, falls die Einschränkungen der oben beschriebenen Tätigkeit bei Herrn G… berücksichtigt werden.“

47 „Wie auf dem beiliegenden Ausdruck [vgl. Bl. 370 der Verfahrensakten] zu erkennen ist, war eine Häufung von Fehlzeiten wegen Wirbelsäulenbeschwerden (gelb markiert) insbesondere in den Jahren 2009-2010 zu erkennen. Daraufhin wurde eine Rehabilitationsmaßnahme in die Wege geleitet, die erfolgreich war. Die übrigen Fehlzeiten kamen im Wesentlichen aufgrund akuter infektiöser Erkrankungen zustande.“

48 bb) Ferner hat das Integrationsamt auch nicht gewürdigt, dass die Fehlzeiten des Klägers im Jahr 2010 (10,45 %) gegenüber dem Vorjahr 2009 (40,45 %) stark zurück gegangen sind. Nicht die in der Vergangenheit liegenden Fehlzeiten, sondern die in Zukunft zu erwartenden sind Grundlage der Beurteilung. Möglicherweise hat die dreiwöchige Kur des Klägers vom 17. März 2010 bis 7. April 2010 doch positive Wirkungen gezeigt. Der Umstand, dass der Kläger nach Rückkehr aus der Rehabilitation am 8. und 9. April 2010, am 29. und 30. April 2010 und vom 25. Mai bis 31. Mai 2010 erneut arbeitsunfähig erkrankt war, steht dem nicht entgegen. Nimmt man den Zeitraum nach Entlassung aus der Rehabilitation am 7. April 2010 bis zum 31. Mai 2010 (36 Arbeitstage) gesondert in den Blick, so war der Kläger an neun Arbeitstagen erkrankt. Dies entspricht einer Quote von 25 %. Auch diese liegt noch immer erheblich niedriger als im Jahr 2009 (40,45 %). Im Übrigen beruhten die Erkrankungen des Klägers im Zeitraum vom 29. und 30. April 2010 und 25. Mai bis 31. Mai 2010 auch überhaupt nicht auf Beschwerden mit der Wirbelsäule, sondern auf einer asthmatischen Bronchitis (vgl. Anlage zur Stellungnahme von Dr. med. H… vom 30.11.2012).

49 cc) Da der Kläger selten längerfristig, sondern meist nur für ein oder zwei Tage arbeitsunfähig erkrankt, wird auch nicht deutlich, inwiefern die Zumutbarkeitsgrenze, ab der von einem wirtschaftlich sinnvollen Austausch von Leistung und Gegenleistung nicht mehr die Rede sein kann, überschritten sein und eine Weiterbeschäftigung des schwerbehinderten Klägers den Gesetzen wirtschaftlicher Vernunft widersprechen sollte. Im Zeitraum von 2004 bis 2010 errechnet sich eine Fehlzeitenquote von 31,49 %. Positiv gewendet befand sich der Kläger an 68,51 % aller Arbeitstage im Dienst. Bezogen auf das Jahr 2010 war der Kläger nach den Angaben des Beigeladenen im arbeitsgerichtlichen Verfahren (vgl. Schriftsatz vom 19.11.2010) im Jahresdurchschnitt zwar an 4,25 Tagen pro Monat erkrankt, seine nicht einem Schwerbehinderten gleichgestellten Kollegen im gleichen Zeitraum aber immerhin auch an 1,9 Tagen pro Monat. Angesichts dessen erschließt sich nicht, weshalb es dem Beigeladenen nicht im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 19.10.1995 – 5 C 24.93 –, BVerwGE 99, 336 [338 f.]) zumutbar sein sollte, den schwerbehinderten Kläger weiter „durchzuschleppen“. Gegebenenfalls hätte der Beklagte vor Erlass des Bescheides vom 17. August 2010 prüfen müssen, ob die beschriebene Minderleistung durch Zahlung eines entsprechenden Ausgleichs gemäß § 102 Abs. 3 Satz 1 SGB IX i.V.m. § 27 SchwbAV aufgefangen und dadurch eine Kündigung hätte vermieden werden können. Ebenso wenig hat das Integrationsamt erwogen und geprüft, ob eine Weiterbeschäftigung des Klägers im Wege der Umsetzung auf einen anderen freien (leidensgerechten) Arbeitsplatz möglich ist (vgl. hierzu Griebeling, in: Hauck/Noftz, SGB IX, Stand: Mai 2010, § 89 RdNr. 35 f.).

50 c) Geht das Integrationsamt bei der Ermessensausübung von einem unvollständigen Sachverhalt aus oder lässt es – wie hier – erhebliche Umstände des Einzelfalls unberücksichtigt, so handelt es ermessensfehlerhaft. Die Entscheidung ist deshalb rechtswidrig und unterliegt der Aufhebung (vgl. Trenk-Hinterberger, in: HK-SGB IX, 3. Aufl., 2010, § 88 RdNr. 10).

51 Das Integrationsamt wird die aufgezeigten Ermittlungsdefizite im Rahmen des nach der Aufhebung der Zustimmungsentscheidung weiter anhängigen Antragsverfahrens beseitigen und unter Beachtung des dargelegten Maßstabes erneut über die beantragte Zustimmung der Beigeladenen zur ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers entscheiden. Dem mit Schreiben des Klägerbevollmächtigten vom 16. Januar 2013 gestellten Antrag, über den sozialmedizinischen Status des Klägers im Zeitpunkt der Kündigung mit dem Ziel der Feststellung Beweis zu erheben, dass die Erkrankungen des Klägers (insbesondere das Wirbelsäulensyndrom) weitgehend ausgeheilt gewesen seien und dass er auch bei einer Belastung der Wirbelsäule durch Schieben, Tragen, Lenken und Heben von schweren Lasten in seinem angestammten Beruf bei der Beigeladenen ohne weitere zukünftige Krankheitsausfälle habe eingesetzt werden können, kam es deshalb entscheidungserheblich nicht mehr an. Diesen Fragen ist von Seiten des Integrationsamtes im weiter anhängigen Antragsverfahren nachzugehen. Sollte sich bei den anstehenden Sachverhaltsermittlungen ein weiterer Erkenntnisgewinn zum Nachteil des Klägers nicht ergeben, so dürfte im Lichte der vom Bundesverwaltungsgericht entwickelten strengen Voraussetzungen des Sonderkündigungsschutzes schwerbehinderter und gleichgestellter Arbeitnehmer (vgl. BVerwGE 99, 336 [339]) eine Zustimmung zur Kündigung allerdings kaum in Betracht kommen.

52 d) Zu Recht hat das Verwaltungsgericht in der angefochtenen Entscheidung darauf hingewiesen, dass der (erneute) Antrag des Beigeladenen vom 9. Juni 2010 auf Zustimmung zur Kündigung nicht deshalb unzulässig ist, weil zu diesem Zeitpunkt das erste Zustimmungsverfahren noch nicht rechtskräftig abgeschlossen war. Insoweit handelte es sich um zwei unterschiedliche historische Lebenssachverhalte und damit um verschiedene Streitgegenstände. Im Übrigen wurde das insoweit anhängige Verfahren aufgrund übereinstimmender Erledigungserklärungen der Beteiligten inzwischen mit Beschluss des Senats vom 12. Oktober 2010 – 12 ZB 10.1269 – eingestellt.

53 e) Ebenso wenig von Bedeutung für das vorliegende Verfahren ist die vom Klägerbevollmächtigten aufgeworfene Frage, ob das Arbeitsverhältnis des Klägers mit dem Freistaat Bayern nach Art. 14 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes über die Universitätsklinika des Freistaates Bayern wirksam auf den Beigeladenen übergegangen ist. Dieser spezifisch arbeitsrechtliche Aspekt unterliegt nicht der Prüfungsbefugnis des Integrationsamtes und der Verwaltungsgerichte; er ist gegebenenfalls vor den Arbeitsgerichten geltend zu machen.

54 f) Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass sich der Prüfungsumfang des Integrationsamtes nur auf die vom Arbeitgeber im Zustimmungsverfahren angegebenen – hier krankheitsbedingten – Gründe erstreckt. Die Angabe von Kündigungsgründen ist eine subjektive Entscheidung des Arbeitgebers. Allein er bestimmt, welchen Sachverhalt er zum Anlass einer Kündigung nimmt (vgl. Düwell, in: Dau/Düwell/Haines, SGB IX, 2. Aufl., 2009, § 87 RdNr. 12) und wie weit demzufolge die Zustimmung des Integrationsamtes zur beabsichtigten Kündigung reicht.

55 Der Berufung des Klägers ist deshalb stattzugeben.

56 2. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO. Aufgrund des Ermittlungsdefizits des Integrationsamtes entspricht es billigem Ermessen, die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen in beiden Instanzen dem Beklagten aufzuerlegen (§ 162 Abs. 3 VwGO).

57 3. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 und 2 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

58 4. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 132 Abs. 2 VwGO) liegen nicht vor.

Anspruch auf Schmerzensgeld wegen Mobbings verwirkt nach zweijährigen Abwarten

Landesarbeitsgericht Nürnberg, Urteil vom 28.10.2013 – 5 Sa 525/11

Arbeitgeber muss mit Inanspruchnahme nicht mehr rechnen

Wer wegen eines Mobbings zwei Jahre lang wartet bis er Klage auf Zahlung von Schmerzensgeld erhebt, verwirkt seinen Anspruch auf Schmerzensgeld. Denn nach solch einer Zeit muss der Arbeitgeber nicht mehr mit einer Inanspruchnahme rechnen. Dies geht aus einer Entscheidung des Landes­arbeits­gerichts Nürnberg hervor.

Im zugrunde liegenden Fall erhob ein Personalfachberater Ende Dezember 2012 Klage auf Zahlung wegen Schmerzensgeld. Begründet hat er die Klage damit, dass er seit Juli 2006 von seinem Vorgesetzten gemobbt worden sei. Dies habe dazu geführt, dass er im Jahr 2007 für 52 Tage, im Jahr 2008 für 216 Tage und im Jahr 2009 bis August durchgehend arbeitsunfähig krankgeschrieben war, woraufhin das Arbeitsverhältnis vom Arbeitgeber gekündigt wurde. Das Arbeitsgericht Nürnberg konnte ein Mobbing nicht erkennen und wies die Klage ab. Dagegen richtete sich die Berufung des Personalfachberaters.

Anspruch auf Schmerzensgeld war verwirkt

Das Landesarbeitsgericht Nürnberg entschied, dass etwaige Schmerzensgeldansprüche verwirkt waren. Es führte dazu aus, dass ein Recht verwirkt sei, wenn der Gläubiger es längere Zeit nicht ausgeübt hat (Zeitmoment), der Schuldner darauf vertraut hat, er werde nicht mehr in Anspruch genommen und diesem die Erfüllung unter Berücksichtigung aller Umstände nach Treu und Glauben auch nicht mehr zuzumuten ist (Umstandsmoment).

Zweijähriges Warten begründete Verwirkung

Nach Ansicht des Landesarbeitsgerichts habe die Geltendmachung des Schmerzensgeldanspruchs etwa zwei Jahre nach dem letzten behaupteten Mobbing die Interessen des Arbeitgebers in gegen Treu und Glauben verstoßender Weise missachtet. Der Arbeitgeber habe mit einer Inanspruchnahme nicht mehr rechnen müssen. In diesem Zusammenhang habe berücksichtigt werden müssen, dass das Erinnerungsvermögen an einzelne Äußerungen und Verhaltensweisen mit der Zeit verblassen.

Vermeidung von Wertungswidersprüchen

Zudem würde ein anderes Ergebnis zu Wertungswidersprüchen führen, so das Landesarbeitsgericht weiter. Denn beruhen die Entschädigungs- oder Schadenersatzansprüche wegen Mobbings auf Benachteiligungsmerkmale im Sinne des § 1 AGG, müssen die Ansprüche innerhalb von zwei Monaten geltend gemacht werden (§ 15 Abs. 4 AGG). Bestehe jedoch kein Bezug zu den Merkmalen des § 1 AGG, wäre es widersprüchlich ausschließlich die gesetzlichen Verjährungsfristen als maßgeblich anzusehen.

Pressemitteilung: Zu alt für das Ehrenamt? - zu behindert für den Job?

Bundesweit einmaliges Pilotprojekt begeht einjähriges Jubiläum

Berlin, 08.11.13 – Vor einem Jahr wurde die Antidiskriminierungsberatung Alter oder Behinderung (ADB) eröffnet. Die Beratungsstelle ist ein Projekt der Landesvereinigung Selbsthilfe Berlin e.V., dem Dachverband der Berliner Selbsthilfeverbände. Das Projekt ist Berlinweite Anlaufstelle für alle Menschen, die sich auf Grund ihres Alters oder auf Grund einer Behinderung diskriminiert fühlen.

Grundlage der Beratungstätigkeit ist das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), das seit 2006 in Kraft ist. Es soll die Merkmale Alter, Behinderung, Geschlecht, Herkunft, sexuelle Identität, sowie Religion und Weltanschauung vor Diskriminierung schützen.
Die Antidiskriminierungsberatung wird sehr gut angenommen. Die Anfragen kommen aus den verschiedensten Lebensbereichen wie z.B. Arbeit, Schule, Freizeit, Öffentlicher Personennahverkehr, Wohnung, Ehrenamt, Autovermietung, Reisen etc. Ein großer Teil der Anfragen bezieht sich auf den Umgang von Ämtern und Behörden mit ihren Kunden.

Die Diskriminierungsfälle sind sehr vielfältig und häufig geht es um Mehrfachdiskriminierung. Z.B. hat eine türkeistämmige Frau, die ein Kopftuch trägt, größte Schwierigkeiten im Umgang mit einer Berliner Wohnungsbaugesellschaft. Dort hat sie sich für eine Wohnung für ihren geistig behinderten Bruder beworben. In diesem Beispiel geht es um mehrere „Merkmale“, die offensichtlich von der Mitarbeiterin der Vermieterin diskriminiert werden: die Behinderung des Wohnungssuchenden, die Tatsache, dass er wegen der Behinderung auf Grundsicherung (Sozialamt) angewiesen ist, sowie die türkische Herkunft der Familie und das Kopftuch der Schwester, die sich für ihren Bruder einsetzt.

„In vielen Fällen bringt es schon einen Fortschritt für die Ratsuchenden, wenn wir als dritte neutrale Instanz den Vorfall aufrollen, den Diskriminierungsverdacht formulieren und die Gegenseite um eine Stellungnahme bitten. Eine wichtige Aufgabe der Beratungsstätigkeit sehen wir darin, die Menschen in ihrer Wahrnehmung zu stärken, dass hier etwas Unrechtes geschehen ist und sie mit ihrem Anliegen nicht alleine sind“ so die Projektleiterin Franziska Müller. Dabei müssen die Diskriminierungsfälle nicht zwingend eine rechtliche Grundlage im AGG haben.

Ein typisches Beispiel für Altersdiskriminierung ist, dass eine Schöffin ihr Ehrenamt nicht mehr fortführten kann, sobald sie 70 Jahre alt wird, unabhängig davon, ob sie noch körperlich und geistig dazu in der Lage ist (§33 Gerichtsverfassungsgesetz). Oder wenn eine Autovermietung erklärt, dass sie prinzipiell an niemanden, der über 70 Jahre alt ist ein Auto vermietet, unabhängig von den tatsächlichen Fahrkünsten des Kunden.

Über die LV Selbsthilfe Berlin
Die LV Selbsthilfe ist der Dachverband der Berliner Selbsthilfevereine mit 69 Mitgliedsverbänden und deren ca. 35.000 Einzelmitgliedern. Seit über 30 Jahren setzt sich die LV Selbsthilfe Berlin für eine verbesserte Situation von Menschen mit Behinderungen in allen Lebensbereichen ein und berät Interessierte zu Fragen rund um chronische Erkrankungen und Behinderung. Die LV Selbsthilfe sieht sich als Lobbyverband, der sich verbandsübergreifend als Ansprechpartner für Senatsverwaltungen, das Abgeordnetenhauses sowie andere Institutionen und Organe in den Fragen des Lebens von Menschen mit Behinderung versteht.

Dies und Das

  • Behinderten Cartoons von Phil Hubbe
    NEU: Kalender Handicaps 2013, 13 Seiten Größe: 38,8 × 29,8 × 0,2 cm, Preis 13,95 EURO

Die Resonanz auf seine Cartoons ist gerade aus dem Kreis der Behinderten überwältigend positiv. Nach den erfolgreichen Büchern gibt es Phil Hubbe auch 2014 für die Wand! “Über Behinderte zu lachen, bedeutet, sie wie normale Menschen zu behandeln.”
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  • Neuer Ratgeber für Behinderte
    Berliner Ratgeber für Menschen mit Behinderung bietet Informationen, Adressen und Ansprechpartner
    „Als erstes Bundesland hat Berlin alle Kooperationsvereinbarungen zur Realisierung des Arbeitsmarktprogramms `Initiative Inklusion´ unterzeichnet. Auch mit der praktischen Umsetzung wurde bereits begonnen“, berichtet Marion Czaja, Senator für Gesundheit und Soziales im neuen „Berliner Ratgeber für Menschen mit Behinderung“

Vor allem gehe es darum, künftig mehr schwerbehinderte Menschen in feste Arbeitsverhältnisse zu vermitteln. „Für junge behinderte Menschen soll es mehr Chancen auf eine Ausbildung geben. Doch zuvor bedarf es einer besseren Unterstützung bei der beruflichen Orientierung“, so der Senator. Schwerbehinderte Schülerinnen und Schüler sollen eine individuelle Beratung erhalten, um ihnen den späteren Eingang ins reguläre Arbeitsleben zu erleichtern. „Wichtig ist, dass die Betroffenen selbst so weit wie möglich über Förderprogramme, bereitstehende Hilfe und über ihre Rechte informiert werden.“

Die Publikation berichtet über Unternehmen, die schwerbehinderte Menschen vorbildlich ausbilden oder beschäftigen und in Anerkennung dafür mit dem Inklusionspreis des Landes Berlin ausgezeichnet wurden.
„In dem vorliegenden Ratgeber informieren wir Sie umfassend über das Schwerbehindertenrecht und erläutern Ihnen das Anerkennungsverfahren für Ihren Schwerbehindertenstatus und die damit verbundenen Nachteilsausgleiche. Das Spektrum der angebotenen Informationen reicht von Arbeit und Beruf über Personenbeförderung, Steuervorteile, Kinder- und Jugendhilfe bis hin zur Mediennutzung. Sie erhalten Hinweise zu den vielfältigen Hilfen, Institutionen und Angeboten für Menschen mit Behinderung in Berlin. Ein großer Adressteil und eine Linksammlung für Internet-Nutzer vervollständigen den Ratgeber“, so Franz Allert, Präsident des Landesamtes für Gesundheit und Soziales. Die 220 Seiten starke Publikation wird gemeinsam vom LaGeSo und der apercu Verlagsgesellschaft mbH herausgegeben.

Der Berliner Ratgeber für Menschen mit Behinderung 2013/2014 ist erhältlich beim:
Landesamt für Gesundheit und Soziales Berlin/Versorgungsamt, Sächsische Str. 28, 10707 Berlin, (Postfach 31 09 29, 10639 Berlin), Tel.: 90 229 – 64 64, Fax: 90 229 – 60 95, e-Mail: infoservice@lageso.berlin.de , Schutzgebühr Euro 0,60, ISBN 978-3-938810-26-2

  • Neue Fähren
    BVG wird barrierefreie Fähren in Betrieb nehmen
    Die derzeitigen Verträge zum Betreiben der sechs BVG-Fährlinien wurden neu ausgeschrieben. Ab 2014 kommen fünf barrierefreie Fähren zum Einsatz.
    Touren in und um Berlin herum sind nicht nur ei Touristen beliebt, auch mobilitätseingeschränkte Berliner erkunden gerne ihre Stadt. Sei es per Auto, Bus oder Bahn. Da es in Berlin jedoch viele Gewässer gibt, können einige Touren nur per Fähre unternommen werden. Doch hier gibt es bislang viele Hürden zu meistern zu lückenhaft ist das Angebot an rollitauglichen Fährschiffen. Das wird sich erfreulicherweise bald ändern. Ab 01.01.2014 werden nämlich auf fünf BVG-Fährlinien neue Schiffe eingesetzt. Die Fähren, die neu eingesetzt werden, verfügen über eine behindertengerechte Ausstattung.
    Die neuen Fährschiffe auf diesen Linien werden jeweils 2 Rollstühle mitnehmen können, bis zu 10 Fahrräder und insgesamt 35 Personen.
  • Zurück in den Job
    Die Broschüre bietet einen Überblick über das Betriebliche Eingliederungsmanagement und die stufenweise Wiedereingliederung. Diese Verfahren werden leicht verständlich und anhand konkreter Fallbeispiele erläutert, Rechte und Pflichten der Betroffenen benannt. In erster Linie wendet sich die Broschüre an Arbeitnehmer, die längere Zeit erkrankt sind. Betriebs- und Personalräte sowie Schwerbehindertenvertretungen können die Broschüre für die Beratung nutzen.
    Publikationsversand der Bundesregierung, Postfach 48 10 09, 18132 Rostock. Tel.: 018 05/77 80 90, Fax: 018 05/77 80 94, e-Mail: publikationen@bundesregierung.de . Kostenloser Download: http://www.bmas.de/DE/Service/Publikationen/
  • Altersgerechte Arbeitsgestaltung
    Der zweite Fortschrittreport „Altersgerechte Arbeitswelt“ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales widmet sich dem Thema Arbeitsplatzgestaltung und Arbeitsorganisation sowie Berufs- und Tätigkeitswechsel für ältere Arbeitnehmer. Die 60-seitige Broschüre enthält aktuelle Daten, Trends, Analysen Praxisbeispiele.
    Publikationsversand der Bundesregierung, Postfach 48 10 09, 18132 Rostock. Tel.: 018 05/77 80 90, Fax: 018 05/77 80 94, e-Mail: publikationen@bundesregierung.de . Kostenloser Download: http://www.bmas.de/DE/Service/Publikationen/
  • Pflichtarbeitsplätze 2011 (Stand Juni 2013)
    Laut Bundesagentur für Arbeit waren 2011 insgesamt 142.847 private und öffentliche Arbeitgeber beschäftigungspflichtig. Das heißt, sie waren verpflichtet, fünf Prozent ihrer Arbeitsplätze (1.021.042 Stellen) mit schwerbehinderten oder gleichstellten Menschen zu besetzen. Tatsächlich waren 964.457 Pflichtarbeitsplätze besetzt. Im Vergleich zum Vorjahr ist dies ein Plus von 33.398 Stellen. Insgesamt 110.039 Arbeitgeber haben die Pflichtquote von fünf Prozent nicht erreicht, davon beschäftigte jeder Dritte überhaupt keinen schwerbehinderten Menschen.
    Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit lag 2011 die Beschäftigungsquote für schwerbehinderte Menschen bei 4,6 Prozent. Dies ergab die Auswertung des Anzeigeverfahrens. Die Quote ist damit im Vergleich zum Vorjahr um 0,1 Prozent gestiegen. Die Beschäftigungsquote bei den privaten Arbeitgebern lag bei 4,0 Prozent und somit deutlich niedriger als bei den öffentlichen Arbeitgebern mit 6,5 Prozent.
    Mehr Informationen unter: http://statistik.arbeitsagentur.de
  • AGG Benachteiligung im internen Stellenbesetzungsverfahren – 5000 €
    Ein Arbeitnehmer (GdB 30, Gleichgestellt) der länger krank war und eine Umschulung absolvierte bewarb sich auf mehrere Stellen innerhalb der Klinik. Im konkreten Fall als Facheinkäufer. Er fragt nach einiger Zeit nach bzgl der Vergabe und erfärt, dass die Stellen bereits anderweitig besetzt wurde.
    Die SBV wurde vor der Besetzung nicht informiert. Sie wurde auch nicht zum Vorstellungsgespräch geladen und erst nach der Stellenbesetzung informiert.

Die unterlassene Einladung zu einem Vorstellungsgespräch stellt einen Verstoß gegen die §§ 81, 82 SGB IX dar. Eine Benachteiligung wegen der Behinderung wird gemäß § 22 AGG vermutet. Deswegen macht der Kläger eine Entschädigung von drei Bruttomonatsgehältern geltend.
Der für die ausgeschriebene Stelle objektiv geeignete Kläger kann aufgrund der Verfahrensbenachteiligung wegen seiner Behinderung im Auswahlverfahren eine Entschädigung von 5000 Euro gemäß § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG verlangen, da „ein schwerwiegender Fall einer Benachteiligung“ vorliegt.
Verstoß gegen § 81 Abs. 1 satz 1 SGB IX – Prüfung ob im Betrieb ein geeigneter schwerbehinderter Mitarbeiter ….. / § 81 Abs. 1 Satz 6 SGB IX – Beteiligung der SBV / § 82 Satz 2 SGB IX – Ladung zum Vorstellungsgespräch
Arbeitsgericht Frankfurt, Urteil vom 03.07.2013 Az.: 14 Ca 8641/12 (bestandskräftig)

  • Frage nach einer Schwerbehinderung bei der Jobsuche
    Die tätigkeitsneutral nach dem Vorliegen einer Schwerbehinderung gestellte Frage in einem Personalfragebogen ist wegen Verstoßes gegen § 81 SGB IX unzulässig.

In einem Personalfragebogen gestellte Fragen, die in unzulässiger Weise auf die Erlangung von Informationen über den Gesundheitszustand und das Vorliegen einer Behinderung des Bewerbers abzielen, können bei einer späteren Kündigung je nach den Umständen des Einzelfalls ein Indiz für eine Benachteiligung wegen Behinderung i. S. d. § 22 AGG darstellen.
ArbG Stuttgart • Urteil vom 16. März 2011 • Az. 30 Ca 1772/10

  • Geltendmachung der Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung bei Einstellung eines Beschäftigten in einem Jobcenter
    • Der Personalrat einer Agentur für Arbeit kann beachtlich rügen, dass bei der Einstellung zur Beschäftigung in einer gemeinsamen Einrichtung (Jobcenter) nur die dortige, nicht die eigene Schwerbehindertenvertretung mit der Auswahl befasst war.
    • Das Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch – SGB IX – mit seinen Regelungen über die Schwerbehindertenvertretung gehört zu den Gesetzen, auf deren Einhaltung die Personalvertretung bestehen darf.
    • Die Abgrenzung der Zuständigkeit der Schwerbehindertenvertretungen in der Agentur für Arbeit von der Zuständigkeit der Schwerbehindertenvertretung in der gemeinsamen Einrichtung ist entsprechend der Abgrenzung der Zuständigkeiten der jeweiligen Personalvertretungen vorzunehmen.
      VG Berlin, Beschluss v. 23.5.2012 – 71 K 3.12 – (n.rkr.)
  • Zuständige Schwerbehindertenvertretung bei Einstellung von Beschäftigten und anschließender Zuweisung zum Jobcenter
    Zuständigkeiten von Träger und Geschäftsführer bei Einstellung
    Nach Sinn und Zweck des § 95 Abs. 2 SGB IX ist bei einer beabsichtigten Einstellung – soweit sich unter den Bewerbern mindestens ein schwerbehinderter oder einem schwerbehinderten gleichgestellter Mensch befindet – diejenige Schwerbehindertenvertretung am Anhörungsverfahren zu beteiligen, die bei dem Arbeitgeber gebildet ist, der die Einstellung vornehmen wird. Daher ist die bei der Agentur für Arbeit gebildete Schwerbehindertenvertretung bei einer Einstellung von Arbeitnehmern auch dann zu beteiligen, wenn im unmittelbaren Anschluss an die Einstellung eine Personalgestellung an die gemeinsame Einrichtung erfolgt.
    Eine geplante Zuweisung der einzustellenden Arbeitnehmer an die gemeinsame Einrichtung nach § 44b SGB II nach erfolgter Einstellung ändert nichts daran, dass die Schwerbehindertenvertretung des zuweisenden Trägers im Auswahlverfahren zu beteiligen ist.
    LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 14.6.2012 – 18 TaBV 515/12 – (n.rkr.)
    Revision: Rechtsbeschwerde beim BAG anhängig unter dem Aktenzeichen 7 ABR 71/12