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Rundschreiben Nr. 02 / 2011

Rundschreiben Nr. 02-2011

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen macht überall auf sich Aufmerksam: das Gesamtkonzept „Inklusive Schule“ ist beschlossen (Pressemitteilung von SenBWF – 25.01.2011), der Beauftragte der Bundesregierung der Behinderten Menschen Hubert Hüppe, präsentiert die Landkarte der inklusiven Beispiele Deutschlands und auch die EU hat nun endlich die UN-Konvention ratifiziert. Googeln sie doch einmal die UN-Konvention, es gibt viel Interessantes und wichtiges für ihre Arbeit als Schwerbehindertenvertretung.

Themen des heutigen Rundschreibens:

  • Schutz behinderter, aber nicht schwerbehinderter Menschen
    Nach dem Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) kann sich auf die Schutzvorschriften für schwerbehinderte Menschen nach dem SGB IX nur berufen, wer einen GdB von wenigstens 50 oder den Menschen mit Behinderung gleichgestellt ist. Alle anderen können sich seit 08-2006 auf das AGG berufen.
  • Kein Anspruch auf individuelles Arbeitszeit-Blockmodell
    Eine Arbeitnehmerin, die u.a. an einer postraumatischen Beladtungsstörung , Depressionen, Ess- und Persönlichkeitsstörungen leidet, möchte die Arbeitszeit in der Weise verteilen, dass im Wechsel ein, zwei oder drei Monaten gearbeitet/Freizeit genommen wird. Der Arbeitgeber lehnt das Modell ab.
  • Schwerbehindert? – Keine Pflicht zur Nachforschung
    vom Arbeitgeber kann, über seine Pflicht zur vollständigen Kenntnisnahme der Bewerbungsunterlagen hinaus, nicht verlangt werden, dass er bei Vorliegen bestimmter Anhaltspunkte selbstständig Nachforschungen unternimmt, ob ein Bewerber die Schwerbehinderteneigenschaft besitzt.

Schutz behinderter, aber nicht schwerbehinderter Menschen

Nach dem Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) am 18. August 2006 kann sich auf die Schutzvorschriften für schwerbehinderte Menschen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB IX) nur berufen, wer unter den Anwendungsbereich dieses Gesetzes fällt. Das sind schwerbehinderte Menschen mit einem Grad der Behinderung (GdB) von wenigstens 50 oder die diesen durch ein förmliches Verfahren gleichgestellten Menschen. Wer nicht zu diesem Personenkreis gehört, kann sich zur Abwehr einer Benachteiligung wegen Behinderung ab August 2006 auf das AGG berufen.

Für die Klägerin, die u.a. eine Ausbildung zur Gesundheitskauffrau absolviert hat, ist ein GdB von 40 festgestellt worden. Ihrem Antrag auf Gleichstellung mit schwerbehinderten Menschen war nicht entsprochen worden. Die Klägerin bewarb sich bei der Beklagten für die Stelle einer Sekretärin des Chefarztes und wies dabei ausdrücklich auf den bei ihr vorliegenden GdB von 40 hin. Die Beklagte besetzte die Stelle mit einer anderen Bewerberin, ohne die Bestimmungen des SGB IX zum Schutz von schwerbehinderten Menschen beachtet oder die Klägerin zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu haben. Die Klägerin sieht sich als Behinderte benachteiligt und verlangt von der Beklagten eine Entschädigung. Zwar habe sie keinen GdB von 50 und sei auch nicht gleichgestellt worden, Letzteres sei ihr aber für den Bedarfsfall zugesichert worden. Die Beklagte habe bei der Stellenbesetzung mehrfach das SGB IX verletzt, was die Vermutung auslöse, dass bei der Ablehnung der Klägerin ihre Behinderung eine Rolle gespielt habe. Diese Vermutung habe die Beklagte nicht entkräften können.

Die Klage blieb in allen drei Instanzen ohne Erfolg. Die Beklagte musste die Klägerin nicht nach den Vorschriften des SGB IX behandeln, da die Klägerin dafür die persönlichen Voraussetzungen nicht erfüllt. Sie fällt nicht unter den Anwendungsbereich der Schutzvorschriften des SGB IX. Deshalb kann sich die Klägerin auch nicht auf sonstige Verletzungen der Vorschriften des SGB IX berufen. Auch dafür müsste sie schwerbehindert oder den schwerbehinderten Menschen gleichgestellt sein.

Allerdings stehen seit August 2006 allen behinderten Menschen unter dem Schutz des AGG. Die Klägerin hat sich jedoch ausschließlich auf die Verletzung von Vorschriften des SGB IX berufen und keine Tatsachen vorgetragen, die die Vermutung für eine Benachteiligung im Sinne des AGG auslösen. Nachdem mit dem AGG die Rahmenrichtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 in deutsches Recht umgesetzt ist, kommt die zwischenzeitlich notwendige entsprechende Anwendung der Regeln des SGB IX auf nicht schwerbehinderte Menschen nicht länger in Betracht.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 27. Januar 2011 – 8 AZR 580/09 – Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 2. Juni 2009 – 3 Sa 499/09

Kein Anspruch auf individuelles Arbeitszeit-Blockmodell

Aktenzeichen: 5 Sa 601/09, Grundlage SGB IX § 81 Abs. 4 u. 5 TzBfG § 8

Leitsätze:
1. Aus § 8 TzBfG lässt kein Anspruch darauf herleiten, die durch die Verringerung der Arbeitszeit auf die Hälfte verbleibende Arbeitszeit in der Weise zu verteilen, dass im Wechsel ein Monat gearbeitet wird und ein Monat arbeitsfrei ist.

2. Ob sich ein solcher Anspruch auf eine bestimmte Form der Verteilung der reduzierten Arbeitszeit auf § 81 Abs. 4 u. 5 SGB IX stützen lässt, ist denkbar; die tatsächlichen Voraussetzungen liegen im entschiedenen Fall jedoch nicht vor.

Tatbestand/Gründe/Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 24.03.2009 – 6 Ca 3217/08 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:
Die Parteien streiten um die Arbeitsplatzgestaltung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin.
Die Klägerin ist bei der beklagten Bundesrepublik als Verwaltungsangestellte in der Registratur tätig. Ihr Monatsverdienst beträgt rund 2.000,00 EUR brutto.
Zuletzt war die Klägerin als Registratorin verantwortlich für das Referat Bürgerservice des Bundesinnenministeriums in der Dienststelle B . Ihre Aufgabe besteht in der Zuordnung Vielzahl regelmäßig eingehender Anfragen von Bürgern an das B zu den Geschäftsakten sowie die Verwaltung einer Reihe von Sachakten.
Bei der Klägerin wurde vom Versorgungsamt D mit Bescheid vom 16.08.2007 rückwirkend zum 28.01.2005 eine Schwerbehinderung mit einem Grad der Behinderung von 70 % festgestellt. Die Klägerin leidet u. a. an einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie an Depressionen, einer Essstörung, Persönlichkeitsstörungen und einer ausgeprägten Agoraphobie.
Mit anwaltlichem Schreiben vom 26.09.2008 (Bl. 5 f. d. A.) beantragte die Klägerin Teilzeitarbeit, wobei die Teilzeitbeschäftigung zunächst vom 01.01. bis zum 31.12.2009 ausgeübt und verlängerbar gestaltet sein sollte. Hinsichtlich der Verteilung der auf die Hälfte reduzierten Arbeitszeit stellte die Klägerin folgende

Alternativen zur Auswahl:
  • einen Monat arbeiten, einen Monat frei im Wechsel;
  • zwei Monate arbeiten, zwei Monate frei im Wechsel;
  • zwei Monate arbeiten, einen Monat frei im Wechsel;
  • drei Monate Arbeiten, drei Monate frei im Wechsel.

Die Klägerin stützte ihr Begehren auf § 8 Abs. 3 TzBfG.
Die Beklagte gab daraufhin mit Schreiben vom 22.10.2008 (Bl. 7 d. A.) dem Antrag der Klägerin auf Reduzierung der Arbeitszeit auf die Hälfte einer Vollzeitbeschäftigung statt, lehnte aber die von der Klägerin vorgeschlagene Verteilung der Arbeitszeit aus betrieblichen Gründen ab und schlug der Klägerin vor, die wöchentliche Arbeitszeit auf zweieinhalb Tage pro Woche (und zweieinhalb Tage frei) zu verteilen.
Ihr Begehren stützt die Klägerin auf die ärztliche Bescheinigung des Dr. S vom 23.10.2008 (Bl. 4 d. A.), wonach es aus gesundheitlichen Gründen indiziert sei, die Klägerin in Teilzeitarbeit im Blockmodell zu beschäftigen, sowie auf die ärztliche Bescheinigung des Herrn Dr. S vom 19.02.2009 (Bl. 32 d. A.), in der u. a. ausgeführt wird, dass es für die psychische Entlastung der Gesamtpersönlichkeit der Klägerin als äußerst hilfreich erscheine, eine Arbeitszeitverteilung in einem sog. Blockmodell vorzunehmen.

Die Klägerin hat beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, einer Teilzeittätigkeit der Klägerin die zwei Monate vollzeitige Arbeit und zwei Monate dienstfrei im Blockmodell beginnend mit dem auf die Rechtskraft dieses Rechtsstreits folgendem Monat zuzustimmen und die Klägerin entsprechend zu beschäftigen;

2. hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, einer Teilzeitbeschäftigung der Klägerin zuzustimmen, die entweder einen Monat arbeiten oder einen Monat frei im Wechsel, zwei Monate arbeiten und zwei Monate frei im Wechsel oder drei Monate arbeiten und drei Monate frei im Wechsel vorsehe.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat sich darauf berufen, das von der Klägerin begehrte Arbeitszeitmodell würde zu einer unzumutbaren Organisation und zu unverhältnismäßigen Aufwendungen führen.
Durch Urteil vom 24.03.2009 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung darauf abgestellt, weder aus § 8 TzBfG noch aus § 81 SGB IX ergebe sich ein Anspruch auf die von der Klägerin gewünschte Arbeitszeitverteilung.
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin form- und fristgerecht Berufung einlegen und begründen lassen.
Die Klägerin macht geltend, sie habe einen Anspruch leidensgerechter Beschäftigung. Die Traumaerkrankung der Klägerin indiziere eine entsprechende Beschäftigung im Blockmodell. Denn die Klägerin benötige wegen ihrer Erkrankung und Behinderung längere Arbeitspausen, um sich zu erholen. Die häufigen Fehlzeiten wegen Arbeitsunfähigkeit könnten somit vermieden werden. Zu Unrecht sei das Arbeitsgericht den Beweisantritten der Klägerin auf Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens und Zeugenbeweis nicht nachgegangen. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass es sich um eine seelische Erkrankung und Behinderung handele, deren Offenbarung der Klägerin im Rahmen ihres Parteivortrages nur begrenzt zumutbar sei. Zu Unrecht sei das Arbeitsgericht ferner davon ausgegangen, dass § 8 Abs. 1 TzBfG nicht einschlägig gewesen sei. Es sei ferner nicht nachvollziehbar, weshalb es der Beklagten nicht möglich sein solle, die Arbeit so zu organisieren, dass der Klägerin die begehrte Blockbeschäftigung ermöglicht werde. Es sei durchaus möglich, einen Mitarbeiter zu beschäftigen, der die Klägerin in den Blockphasen vertrete.

Die Klägerin beantragt, die Beklagte unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Bonn vom 24.03.2009 – 6 Ca 3217/08 – zu verurteilen,
1. einer Teilzeittätigkeit der Klägerin die zwei Monate vollschichtige Arbeit und zwei Monate dienstfrei im Blockmodell beginnend mit dem auf die Rechtskraft dieses Rechtsstreits folgendem Monat zuzustimmen und die Klägerin hilfsweise entsprechend zu beschäftigen;
2. hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, einer Teilzeittätigkeit der Klägerin die entweder einen Monat arbeiten und einen Monat frei im Wechsel, zwei Monate arbeiten und zwei Monate frei im Wechsel oder drei Monate arbeiten und drei Monate frei im Wechsel beginnend mit dem auf die Rechtskraft dieses Rechtsstreits folgendem Monat zuzustimmen und die Klägerin entsprechend zu beschäftigen.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht am 14.09.2009 hat die Klägerin darüber hinaus den Hilfsantrag gestellt,
hilfsweise die Teilzeitbeschäftigung der Klägerin so zu gestalten, dass sie abwechselnd eine Woche arbeitet und eine Woche freigestellt ist.

Die Beklagte beantragt, die Berufung der Klägerin kostenpflichtig zurückzuweisen.
Die Beklagte macht geltend, es läge eine Abweichung der Streitgegenstände des vorliegenden Verfahrens zu dem vorgerichtlich formulierten Begehren vor. Nach dem Schreiben vom 26.09.2008 sei eine Teilzeitbeschäftigung zunächst für die Beschäftigung vom 01.01. bis zum 31.12.2009 mit Verlängerungsmöglichkeit begehrt worden, während die Klägerin nunmehr ein Blockmodell beginnend mit dem auf die Rechtskraft dieses Rechtsstreits folgenden Monat begehre. Zudem sei der außergerichtlich gestellte Antrag zu unbestimmt gewesen, weil er als eine Variante auf die Reduzierung der Arbeitszeit auf zwei Drittel vorgesehen habe. Eine nachträgliche Umformulierung der Anträge die den Erfordernissen des § 8 TzBfG entspreche, sei nicht möglich.

Ungeachtet dessen könnten auch die jetzt gestellten Anträge nicht auf § 8 TzBfG gestützt werden. Denn aus § 8 TzBfG folge nicht der Anspruch, für einzelne Beschäftigungszeiträume die Arbeitszeit auf null zu reduzieren.
Schließlich könne der Anspruch auch nicht auf § 81 Abs. 5 S. 3 SGB IX gestützt werden, denn die Klägerin habe weder in der ersten Instanz noch in der Berufungsbegründung konkret Tatsachen vorgetragen, die einen solchen Anspruch rechtfertigen könnten.
Wegen weiterer Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist in der Sache nicht begründet.
Weder der Hauptantrag noch die Hilfsanträge konnten Erfolg haben.
Denn es mangelt für alle gestellten Anträge an einer gesetzlichen Anspruchsgrundlage.

1. Ein Anspruch aus § 8 Abs. 1 TzBfG besteht nicht.
a) Dabei spricht bereits Durchgreifendes für die Auffassung der Beklagten, dass ein Anspruch bereits deshalb nicht auf § 8 TzBfG gestützt werden kann, weil der Inhalt der vorprozessualen Geltendmachung im Schreiben vom 26.09.2008 nicht mit dem im Prozess geltend gemachten Begehren übereinstimmt. Im Schreiben vom 26.09.2008 werden als Varianten u. a. gegenüber gestellt eine Arbeitszeitreduzierung in der Weise, dass zwei Monate gearbeitet und ein Monat frei sein soll sowie alternativ “zwei Monate Arbeiten, zwei Monate frei im Wechsel”. Damit wird u. a. zur Auswahl gestellt eine Reduzierung auf zwei Drittel der bisherigen Arbeitszeit oder eine Reduzierung auf die Hälfte der bisherigen Arbeitszeit.
Davon abweichend zielt der prozessual erhobene Anspruch allein auf eine Reduzierung der Arbeitszeit auf die Hälfte ab. Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass in der vorprozessualen Geltendmachung eine befristete Teilzeitbeschäftigung für die Zeit vom 01.01. bis zum 31.12.2009 verlangt wird, die verlängerbar sein soll, während prozessual eine unbefristete Arbeitszeitreduzierung auf die Hälfte begehrt wird.
Ein Antrag auf befristete Verringerung der Arbeitszeit ist aber kein Antrag im Sinne des § 8 TzBfG (siehe BAG Urteil vom 12.09.2006 – 9 AZR 686/06 -, NZA 2007, S. 253 ff.).

Schon aus diesem Grund kann die Klägerin ihren Anspruch nicht auf § 8 TzBfG stützen.

b) Zu Recht hat das Arbeitsgericht den Anspruch auch daran scheitern lassen, dass § 8 Abs. 1 TzBfG voraussetzt, dass sich der Verringerungswunsch im Rahmen des bisher praktizierten Arbeitszeitmodells bewegt. Insoweit ist im vorliegenden Fall das für das Arbeitsverhältnis geltende Tarifrecht zu beachten. Aufgrund des auf das Arbeitsverhältnis Anwendung findenden TVöD ist § 6 TVöD einschlägig. Nach § 6 TVöD ist für Vollzeitbeschäftigte eine durchschnittlich wöchentliche Arbeitszeit von 39 Stunden festgelegt. Dies bedeutet, dass die Arbeitswoche den Bezugsrahmen und zugleich die Grenze für die Verteilung der Arbeitszeit bildet. Dies bedeutet, dass die – verringerte – Arbeitszeit innerhalb einer Arbeitswoche auch abweichend verteilt werden kann, andererseits damit aber auch festgelegt ist, dass in jeder Arbeitswoche Arbeitsstunden zu leisten sind und ein Nullarbeitszeit für Arbeitswochen nicht aus § 8 TzBfG beansprucht werden kann (ebenso LAG Düsseldorf Urteil vom 17.05.2006 – 12 Sa 175/06 -).
Eine Freistellung über eine oder mehrere Wochen oder Monate lässt sich mit dem tarifvertraglich vorgesehenen Modell der wöchentlichen Arbeitszeit, also der Arbeit in jeder Arbeitswoche, nicht in Übereinstimmung bringen.

2. Auch aus § 81 Abs. 5 SGB IX folgt der von der Klägerin in ihren Haupt- und Hilfsanträgen geltend gemachte Anspruch nicht.
a) Nach § 81 Abs. 5 S. 3 SGB IX haben schwerbehinderte Menschen einen Anspruch auf Teilzeitbeschäftigung, wenn die kürzere Arbeitszeit wegen der Art oder Schwere der Behinderung notwendig ist. Aus dieser Vorschrift kann sich damit ein Anspruch auf Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit ergeben. Ein Anspruch auf eine konkrete Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit ist hieraus jedoch nicht unmittelbar abzuleiten.
Dabei steht ein Anspruch auf Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit zwischen den Parteien nicht im Streit. Denn die Beklagte hat sich bereits in ihrem Antwortschreiben vom 22.10.2008 bereit erklärt, die wöchentliche Arbeitszeit auf die Hälfte einer Vollzeitbeschäftigung zu reduzieren.
b) Selbst wenn man desweiteren davon ausgeht, dass aus § 81 Abs. 4 Nr. 4 SGB IX ein Anspruch auf der Behinderung Rechnung tragende Verteilung der reduzierten Arbeitszeit auf bestimmte Zeiträume folgen kann, ist im vorliegenden Fall festzuhalten, dass es an den dafür notwendigen Anspruchsvoraussetzungen mangelt.
Zu Recht hat das Arbeitsgericht darauf hingewiesen, dass die von der Klägerin eingereichten Atteste einen solchen Anspruch nicht tragen. In dem Attest vom 23.10.2008 hieß es ursprünglich, dass aus gesundheitlichen Gründen eine Halbtagstätigkeit indiziert sei. Der Begriff Halbtagstätigkeit in jenem Attest wurde von dem behandelnden Arzt dann handschriftlich ersetzt durch die Formulierung: “Teilzeitarbeit im Blockmodell”. Aus der Verwendung des Wortes “indiziert” folgt zunächst, dass die favorisierte Lösung nicht als wegen der Behinderung notwendig, sondern lediglich als wünschenswert angesehen wird. Entscheidend ist, dass als indizierte Lösung “Teilzeitarbeit im Blockmodell” angegeben wird. Eine solche Lösung schlösse aber auch das von der Beklagten angebotene Modell ein, in jeder Arbeitswoche zweieinhalb Tage zu arbeiten und zweieinhalb Tage arbeitsfrei zu haben. Der Umfang der Arbeits- und Freizeitblocks ist in dem Attest nicht angegeben und es ist nicht ersichtlich, weshalb aus medizinischen Gründen gerade die von der Klägerin erstrebte Blockabfolge diejenige sein soll, die wegen der Schwerbehinderung geboten wäre oder ärztlicherseits für geboten gehalten worden wäre.
Das Attest vom 19.02.2009 (Bl. 32 d. A.) enthält eine deutliche Differenzierung zwischen dem Aufenthalt in bestimmten Räumlichkeiten und der Arbeitszeitverteilung. Während der Aufenthalt in bestimmten Räumen (z. B. Aufzüge, fensterlose Räume oder gar Kellerräume) als ein Umstand bezeichnet wird, der es der Klägerin unmöglich macht, ihre Arbeit zu leisten, wird die Arbeitszeitverteilung in einem sog. Blockmodell lediglich als äußerst hilfreich bezeichnet.

Damit ist hinsichtlich der Räumlichkeiten zwar dargetan, dass zwingende Grüne für eine bestimmte räumliche Arbeitsplatzgestaltung bestehen. Demgegenüber wird die Arbeitszeitverteilung in einem Blockmodell lediglich als äußerst hilfreich, aber eben nicht als geboten bezeichnet. Zudem lässt die allgemeine Formulierung Blockmodell wiederum viele Möglichkeiten der blockweisen Gestaltung der Teilzeitarbeit zu, u. a. auch diejenige, die die Beklagte der Klägerin angeboten hat (zweieinhalb Tage arbeiten, zweieinhalb Tage frei).
Im Berufungsverfahren hat die Klägerin keine weiteren Umstände vorzutragen vermocht, die das erstrebte Blockmodell zwingend ergeben würden.
Dabei kann eine Reduzierung der Darlegungslast auf Seiten der Klägerin nicht deshalb angenommen werden, weil im Fall der Klägerin eine psychische Erkrankung vorliegt. Denn unabhängig von der Art der Erkrankung und der darauf beruhenden Schwerbehinderung bedarf es einer konkreten Darlegung, weshalb die von der Klägerin begehrte Lösung die unter dem Gesichtspunkt der Schwerbehinderung allein in Betracht kommende Lösung sein soll. Die diesbezügliche Darlegungslast kann auch nicht durch den Verweis auf ein einzuholendes gerichtliches Sachverständigengutachten ersetzt werden, zumal die bisher von der Klägerin vorgelegten ärztlichen Atteste – wie dargelegt – gerade gegen eine Fokussierung auf Monats- oder Wochenblockmodelle sprechen, sondern die blockweise Gestaltung der Arbeitszeit innerhalb jeder Arbeitswoche möglich erscheinen lassen.
Es mangelt zudem daran, dass nicht nachvollziehbar dargetan ist, wie die Klägerin gerade bei lang dauernden Arbeitsphasen, die mit dem von der Klägerin in der Hauptsache verbundenen Monatsblockmodell erforderlich wären, im Hinblick auf die damit verbundene Dauerarbeitsbelastung ohne Arbeitsunterbrechung für einen Monat bewältigen könnte.

3. Die Berufung der Klägerin hatte daher keinen Erfolg und musste mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zurückgewiesen werden.
Die Revision konnte nicht zugelassen werden, da der Rechtsstreit keine rechtsgrundsätzliche Bedeutung hatte und auch kein Fall von Divergenz vorlag.
Gegen dieses Urteil ist kein weiteres Rechtsmittel gegeben.
Hinsichtlich einer Nichtzulassungsbeschwerde wird auf § 72 a ArbGG Bezug genommen.

Instanzen: ArbG Bonn Urteil vom 24.03.2009 – 6 Ca 3217/08

Schwerbehindert? – Keine Pflicht zur Nachforschung

Aktenzeichen: 5 Ca 316/09, Entscheidungsdatum: 17.12.2009

Leitsätze:
1. Zu den Indizien im Sinne von § 22 AGG, die eine Benachteiligung wegen der Behinderung vermuten lassen, gehört es insbesondere, wenn der öffentliche Arbeitgeber seiner Pflicht aus § 82 S. 2 SGB IX nicht genügt, den nicht offensichtlich ungeeigneten schwerbehinderten Bewerber zur Vorstellung einzuladen.

2. Stützt ein schwerbehinderter Bewerber die Vermutung einer Benachteiligung auf die unterbliebene Einladung zum Vorstellungsgespräch durch einen öffentlichen Arbeitgeber, muss er darlegen, dass der Arbeitgeber entweder positive Kenntnis von der Schwerbehinderteneigenschaft hatte oder aufgrund der Bewerbungsunterlagen sich diese Kenntnis jedenfalls hätte verschaffen können.

3. Vom Arbeitgeber kann – über seine Pflicht zur vollständigen Kenntnisnahme der Bewerbungsunterlagen hinaus – nicht verlangt werden, dass er bei Vorliegen bestimmter Anhaltspunkte selbständig Nachforschungen unternimmt, ob ein Bewerber die Schwerbehinderteneigenschaft besitzt.

Tenor:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf EUR 1.801,00 festgesetzt.
4. Soweit die Berufung nicht kraft Gesetzes zulässig ist, wird sie nicht gesondert zugelassen.

Tatbestand:
1 Der Kläger begehrt von der Beklagten eine angemessene Entschädigung. Er macht geltend, er sei von der Beklagten wegen seiner Behinderung benachteiligt worden.

2 Der 1962 geborene Kläger ist schwerbehindert. Er bewarb sich aufgrund des Vermittlungsvorschlags des Job-Centers H. vom 20.11.2008 (vgl. Abl. 12) auf die Stelle eines Bürokaufmanns bei der Familienkasse U.. Die zu besetzende Stelle war befristet bis 31.07.2009. In seinem Bewerbungsschreiben führte der Kläger unter anderem aus (Abl. 16):

3 “Kurz zu meiner Person:
4 Meine Beschäftigung als Hausmeister bei der Gemeinde K. endete aus gesundheitlichen Gründen am 31.12.2000. Mein Gesundheitszustand hat sich inzwischen stabilisiert und ich bin wieder voll einsatzfähig und belastbar.”
5 Obwohl der Kläger zum Zeitpunkt der Bewerbung in Besitz eines unbefristet gültigen Schwerbehindertenausweises war (vgl. Abl. 11), legte er seiner Bewerbung die Kopie eines bis Juni 2008 befristeten Schwerbehindertenausweises bei (vgl. Abl. 58).

6 Mit Schreiben vom 29.12.2008 teilte die Familienkasse dem Kläger mit, dass seine Bewerbung nicht berücksichtigt werden konnte (Abl. 17). Das Datum des Zugangs dieses Schreibens beim Kläger ist zwischen den Parteien streitig. Mit Schreiben vom 02.03.2009, bei der Familienkasse am selben Tage per Fax und am 03.03.2009 im Original eingegangen, machte der Kläger einen Anspruch auf Entschädigung geltend (Abl. 18 f.).

7 Insgesamt gingen bei der Familienkasse vier Bewerbungen für die ausgeschriebene Stelle ein. Nach einer Vorauswahl wurden – abgesehen vom Kläger – alle Bewerber zu Gesprächen eingeladen. Die ausgewählte Bewerberin wurde am 22.12.2008 befristet bis 31.07.2009 eingestellt.

8 Der Kläger trägt vor,

9 er sei aufgrund seiner Schwerbehinderung benachteiligt worden. Die Beklagte sei als öffentliche Arbeitgeberin nicht ihrer Pflicht aus § 82 Satz 2 SGB IX nachgekommen, ihn als schwerbehinderten Menschen zum Vorstellungsgespräch einzuladen.

10 Zwar habe der Kläger der Bewerbung nur einen abgelaufenen Schwerbehindertenausweis beigelegt, die Beklagte sei jedoch verpflichtet gewesen, sich zu versichern, ob die Schwerbehinderteneigenschaft zum Zeitpunkt der Bewerbung noch bestanden habe. Er habe seinen Anspruch auf Entschädigung auch rechtzeitig i.S.v. § 15 Abs. 4 AGG geltend gemacht. Das Ablehnungsschreiben der Beklagten vom 29.12.2008 sei dem Kläger frühestens am 03.01.2009 zugegangen. Er habe mit dem Geltendmachungsschreiben vom 02.03.2009 somit die Zweimonatsfrist gewahrt. Die Verpflichtung der Beklagten zur Einladung des Klägers zu einem Vorstellungsgespräch entfalle auch nicht nach § 82 Satz 3 SGB IX, da dem Kläger die fachliche Eignung nicht offensichtlich fehle.

11 Der Kläger beantragt:

12 Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger eine der Höhe nach in das Ermessen des Gerichts gestellte Entschädigung, die jedoch EUR 1.800,00 nicht unterschreiten sollte, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Klagzustellung zu zahlen.

13 Die Beklagte beantragt,

14 Klagabweisung.

15 Die Beklagte trägt vor,

16 sie habe den Kläger nicht aufgrund seiner Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch benachteiligt. Der Kläger sei aufgrund der Vorlage eines bereits abgelaufenen Schwerbehindertenausweises nicht als schwerbehinderter Mensch bei der Beklagten geführt worden. Über die Stellenbesetzung habe vorliegend zügig entschieden werden müssen. Zum Zeitpunkt der Bewerbung sei für die Beklagte die Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers nicht erkennbar gewesen. Es habe keine Veranlassung bestanden, weitere zeitaufwendige Nachforschungen einzuleiten. Die Geltendmachung der Entschädigung sei auch verfristet i.S.v. § 15 Abs. 4 AGG. Es sei davon auszugehen, dass das Ablehnungsschreiben der Beklagten vom 29.12.2008 dem Kläger am 30.12.2008, spätestens aber am 31.12.2008 zugegangen sei. Die Geltendmachung des Anspruchs des Klägers auf Entschädigung sei formwirksam erst am 03.03.2009 erfolgt. Eine Geltendmachung per Fax wahre das Schriftformerfordernis des § 15 Abs. 4 AGG nicht. Im Übrigen sei der Kläger für die ausgeschriebene Stelle offensichtlich nicht geeignet.

17 Weder sei der Kläger von Beruf Bürokaufmann, noch verfüge er über die geforderte einschlägige Berufserfahrung. Diese sei jedoch erforderlich, weil sonst die – ohnehin erhebliche – Einarbeitungszeit aufgrund der Befristung der Stelle als unverhältnismäßig anzusehen sei. Bei der Höhe einer eventuellen Entschädigung sei zu berücksichtigen, dass die ausgeschriebene Stelle befristet gewesen sei.

18 Abschließend wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie sämtliche sonstigen Aktenteile.
Entscheidungsgründe:

19 Die zulässige Klage ist unbegründet.

20 Der Kläger hat keinen Anspruch auf Entschädigung aus § 81 Abs. 2 S. 1 und 2, § 82 S. 2 und 3 SGB IX i.V.m. §§ 1, 2 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 1 S. 1, § 6 Abs. 1 S. 2, § 15 Abs. 2, § 22 AGG.

21 1. Ziel des allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes ist es, Benachteiligungen unter anderem aus Gründen einer Behinderung zu verhindern oder zu beseitigen (§ 1 AGG). Insbesondere sind Benachteiligungen unzulässig in Bezug auf die Bedingungen für den Zugang zu unselbständiger Erwerbstätigkeit (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 AGG). Wegen des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann der oder die Beschäftigte eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Die Entschädigung darf bei der Nichteinstellung drei Monatsgehälter nicht überschreiten, wenn der oder die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre (§ 15 Abs. 2 AGG). Als Beschäftigte gelten auch Bewerberinnen und Bewerber für ein Beschäftigungsverhältnis (§ 6 Abs. 1 S. 2 AGG). Wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 genannten Grundes vermuten lassen, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligungen vorgelegen hat (§ 22 AGG).

22 2. Vorliegend kann sich der Kläger nicht mit Erfolg darauf berufen, er sei aufgrund seiner Behinderung benachteiligt worden. Er hat keine Indizien i. S. v. § 22 AGG dargelegt, die eine Benachteiligung vermuten lassen. Zwar hat die Beklagte als öffentliche Arbeitgeberin den Kläger als schwerbehinderten Bewerber entgegen § 82 S. 2 SGB IX nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Jedoch konnte die Beklagte aufgrund der vom Kläger eingereichten Bewerbungsunterlagen keine Kenntnis von der Eigenschaft des Klägers als schwerbehinderter Mensch erlangen. Die Beklagte war nicht zu eigenen Nachforschungen verpflichtet. Im Einzelnen:

23 a) Zur Erhöhung seiner Chancen im Auswahlverfahren ist ein schwerbehinderter Bewerber nach § 82 S. 2 SGB IX von einem öffentlichen Arbeitgeber regelmäßig zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Nach § 82 S. 3 SGB IX entfällt diese Pflicht ausnahmsweise, wenn dem schwerbehinderten Bewerber offensichtlich die fachliche Eignung fehlt (BAG 21.07.2009 – 9 AZR 431/08 -, Rn. 22, NZA 2009, 1087; BAG 12.09.2006 – 9 AZR 807/09 -, Rn. 24, NZA 2007, 507). Zu den Indizien im Sinne von § 22 AGG, die eine Benachteiligung wegen der Behinderung vermuten lassen, gehört es insbesondere, wenn der öffentliche Arbeitgeber seiner Pflicht aus § 82 S. 2 SGB IX, den nicht offensichtlich ungeeigneten schwerbehinderten Bewerber zur Vorstellung einzuladen, nicht genügt (Düwell in LPK – SGB IX, 2. Aufl. § 81, Rn. 50).

24 b) Die Vermutung einer Benachteiligung gemäß § 22 AGG setzt voraus, dass der Arbeitgeber positive Kenntnis von der Behinderung oder zumindest Anlass dazu hatte, eine Behinderung anzunehmen (Düwell in LPK – SGB IX, 2. Aufl. § 81, Rn. 49). Stützt ein schwerbehinderter Bewerber die Vermutung einer Benachteiligung auf die unterbliebene Einladung zum Vorstellungsgespräch durch einen öffentlichen Arbeitgeber unter Verletzung von § 82 S. 2 SGB IX, muss er darlegen, dass der Arbeitgeber entweder positive Kenntnis von der Schwerbehinderteneigenschaft hatte oder aufgrund der Bewerbungsunterlagen sich diese Kenntnis jedenfalls hätte verschaffen können.

25 aa) Jeder Arbeitgeber hat die Erledigung seiner Personalangelegenheiten so zu organisieren, dass er die gesetzlichen Pflichten zur Förderung schwerbehinderter Bewerber erfüllen kann. Die für den Arbeitgeber handelnden Personen sind verpflichtet, das Bewerbungsschreiben vollständig zu lesen und zur Kenntnis zu nehmen. Es kann dahinstehen, ob diese Pflicht aus dem vorvertraglichen Vertrauensverhältnis folgt. Sie beruht jedenfalls auf der gesetzlichen Konzeption der Förderungspflichten gegenüber schwerbehinderten Bewerbern, die § 81 Abs. 1 Satz 4 SGB IX aF und – für öffentliche Arbeitgeber – § 82 SGB IX begründen. Ein ordnungsgemäßer Hinweis auf eine Schwerbehinderung liegt vor, wenn die Mitteilung in einer Weise in den Empfangsbereich des Arbeitgebers gelangt ist, die es ihm ermöglicht, die Schwerbehinderteneigenschaft des Bewerbers zur Kenntnis zu nehmen (BAG 16.09.2008 – 9 AZR 791/07 – Rn. 35, NZA 2009, 79).

26 bb) Vorliegend enthielt die Bewerbung des Klägers keinen ordnungsgemäßen Hinweis auf die Schwerbehinderteneigenschaft, die es dem Arbeitgeber ermöglicht hätte, von dieser Kenntnis zu nehmen. Aufgrund des vorgelegten abgelaufenen Schwerbehindertenausweises war für die Beklagte lediglich erkennbar, dass der Kläger in der Vergangenheit als schwerbehinderter Mensch anerkannt war. Ob die Schwerbehinderteneigenschaft zum Zeitpunkt der Bewerbung noch bestand, war für den Arbeitgeber dagegen nicht erkennbar.

27 Etwas anderes ergibt sich nicht zwingend aus der Regelung des § 69 Abs. 5 S. 4 SGB IX, die bestimmt, dass der Ausweis über die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch eingezogen wird, sobald der gesetzliche Schutz erloschen ist. Denkbar wäre, dass die Kopie noch vor der Einziehung des Ausweises gefertigt worden ist, oder dass der Ausweis ausnahmsweise mit Erlöschen der Schwerbehinderteneigenschaft nicht sofort eingezogen worden ist. Die Vorlage eines abgelaufenen Schwerbehindertenausweises kann daher allenfalls als Anhaltspunkt für eine aktuell bestehende Schwerbehinderteneigenschaft angesehen werden.

28 Den Bewerbungsunterlagen lassen sich im Übrigen auch Anhaltspunkte entnehmen, die gegen den Fortbestand der Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch sprechen könnten. So hat der Kläger im Bewerbungsschreiben ausgeführt, dass sich sein Gesundheitszustand zwischenzeitlich stabilisiert habe und er wieder voll einsatzfähig und belastbar sei. Aus Sicht der Beklagten war daher zumindest denkbar, dass mit der Verbesserung des Gesundheitszustandes die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch entfallen sein könnte und aus diesem Grund lediglich die Kopie eines abgelaufenen Schwerbehindertenausweises vorgelegt worden ist.

29 cc) Die Beklagte war auch nicht verpflichtet, von sich aus Nachforschungen zur Frage der Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers anzustellen. Vom Arbeitgeber kann – über seine Pflicht zur vollständigen Kenntnisnahme der Bewerbungsunterlagen hinaus – nicht verlangt werden, dass er bei Vorliegen bestimmter Anhaltspunkte selbständig Nachforschungen unternimmt, ob ein Bewerber die Schwerbehinderteneigenschaft besitzt. Dies ergibt sich bereits daraus, dass der Arbeitgeber nach überwiegender Auffassung, der sich die erkennende Kammer anschließt, nicht berechtigt ist, Bewerber nach dem Vorliegen der Schwerbehinderteneigenschaft zu befragen.

30 Zwar hat das Bundesarbeitsgericht in der Vergangenheit die Frage nach dem Schwerbehindertenstatus für zulässig erachtet (BAG 18.10.2000 – 2 AZR 380/99 – zu II 1 der Gründe, AP § 123 BGB, Nr. 59). Die Rechtslage hat sich jedoch durch die gesetzliche Normierung des Verbots in § 81 Abs. 2 S. 1 SGB IX, schwerbehinderte Beschäftigte wegen ihrer Behinderung zu benachteiligen, geändert (LAG Hamm 19.10.2006 – 15 Sa 740/06 – Juris; Düwell in LPK – SGB IX, 2. Aufl., § 85, Rn. 19 ff. mwN). Wenn der Arbeitgeber einerseits, um Diskriminierungen wegen der Behinderteneigenschaft auszuschließen, einen Bewerber nicht nach dem Vorliegen der Schwerbehinderteneigenschaft fragen darf, kann er nicht andererseits verpflichtet sein, Nachforschungen in diese Richtung zu betreiben.

31 In der Vorlage eines abgelaufenen Schwerbehindertenausweises ist auch keine stillschweigende Einwilligung in weitere Aufklärungsmaßnahmen durch den Arbeitgeber zu sehen. Vielmehr durfte sich der Arbeitgeber auf den Standpunkt stellen, dass der Arbeitnehmer, wenn er seine aktuell bestehende Schwerbehinderteneigenschaft hätte offenlegen wollen, dies getan hätte.

II.
32 1. Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes beruht dem Grunde nach auf § 61 Abs. 1 ArbGG und entspricht in der Höhe der vom Kläger begehrten Entschädigung.

33 2. Der Kläger trägt als unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits (§ 91 Abs. 1 ZPO).

34 3. Die Entscheidung über die Zulassung der Berufung beruht auf § 64 Abs. 3, 3a ArbGG

Dies und Das oder in Kürze mitgeteilt

  • Geschäftslage des Bundesarbeitsgerichts zum 1. Januar 2011

Die Zahl der Eingänge beim Bundesarbeitsgericht ist weiterhin hoch. Im vergangenen Jahr sind insgesamt 2.471 Verfahren anhängig gemacht worden. Das ist die vierthöchste Eingangszahl seit Gründung des Gerichts.
Von den entschiedenen Revisionen hatten 38,6 % Erfolg. Bei den Nichtzulassungsbeschwerden belief sich die Erfolgsquote auf 9,4 %. Die Zahl der am Jahresende noch nicht erledigten Verfahren ist erneut leicht gesunken. Anhängig sind am Ende des Berichtsjahres noch 1.511 Sachen.
Die durchschnittliche Verfahrensdauer aller erledigten Verfahren belief sich beim Bundesarbeitsgericht auf 8,3 Monate.
Einzelheiten des Jahresberichts können auf der Homepage des Bundesarbeitsgerichts unter www.bundesarbeitsgericht.de/aktuelles.html eingesehen werden.

  • EU ratifiziert UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen

Im Dezember 2010 hat die Europäische Union die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung ratifiziert und damit die Gleichbehandlung und den Schutz von behinderten Menschen festgeschrieben. Die Konvention gewährleistet, dass Menschen mit Behinderungen ihre Menschenrechte und Grundfreiheiten wahrnehmen können wie alle anderen. Die EU ist damit verpflichtet, politische Maßnahmen, Gesetze und Programme auf EU-Ebene mit den Bestimmungen der UN-Konvention in Einklang zu bringen, soweit es ihre Zuständigkeit erlaubt.
Mit der Konvention ratifiziert erstmalig die EU als Ganzes einen Menschenrechts-Vertrag. Daneben haben auch sämtliche 27 Mitgliedstaaten den Vertrag unterzeichnet, und 16 von ihnen haben ihn bereits ratifiziert. Mit der Vertragsunterzeichnung unternimmt die EU einen weiteren Schritt in Richtung auf das Ziel der Kommissionsstrategie, bis 2020 ein barrierefreies Europa für die rund 80 Millionen Europäer mit Behinderungen zu schaffen.
Mehr Informationen finden Sie unter diesem Link: http://europa.eu/index_de.htm

  • Benachteiligung bei Stellenbesetzung

Macht ein Bewerber geltend, er sei bei der Besetzung einer ausgeschriebenen Stelle entgegen dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) benachteiligt worden, so setzt dies grundsätzlich voraus, dass seine Bewerbung um die Stelle schon im Zeitpunkt der Besetzungsentscheidung vorlag.
Die Beklagte hatte im Dezember 2007 im Internet eine offene Stelle für einen Entwicklungsingenieur angezeigt. Die vorgesehene Mitteilung an die Agentur für Arbeit und das weitere Verfahren zur besonderen Förderung schwerbehinderter Menschen als Stellenbewerber hielt die Beklagte nicht ein. Mitte Dezember 2007 besetzte sie die annoncierte Stelle, löschte jedoch die Stellenanzeige nicht. Der Kläger ist Diplom-Ingenieur (FH) und schwerbehindert. Er nahm die Stellenanzeige auf der Homepage der Beklagten am 29.12. wahr und bewarb sich noch am selben Tage. Nach Erhalt der Absage verlangte der Kläger eine Entschädigung nach dem AGG, weil die Beklagte ihm bei seiner Bewerbung durch die Nichteinhaltung der Förderungsvorschriften des SGB IX benachteiligt habe.

Die Klage blieb in allen drei Instanzen ohne Erfolg. Der Achte Senat des Bundesarbeitsgerichts hat entschieden, dass der Kläger aufgrund seiner Bewerbung auf eine als offen ausgeschriebene Stelle zwar zum „Beschäftigten“ im Sinne des AGG geworden ist. Da die Stelle aber bereits davor besetzt wurde, hat er als „Beschäftigter“ keine Benachteiligung erfahren. Der Arbeitgeber hatte auch nicht, etwa durch Angabe einer Bewerbungsfrist, versprochen, die Stelle für eine bestimmte Zeit nicht zu besetzen. Ob der Kläger einen Anspruch auf Schadensersatz wegen der von vorneherein vergeblichen Bewerbung hat, war nicht Gegenstand des Verfahrens.

BAG, Urteil v. 19.08.2009 – 8 AZR 370/09