"Wir sind die Guten" - Vorstellung des Ordnungsamtsleiters Joachim Wenz

Joachim Wenz

Seit 20 Jahren gibt es die Berliner Ordnungsämter. Den Großteil dieser Zeit leitet Joachim Wenz das Amt in Friedrichshain-Kreuzberg. Im Mai 2009 übernahm er seinen jetzigen Posten. Vorher war er 15 Jahre lang im Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg tätig, erst als Baujurist im Stadtentwicklungsamt und dann als kommissarischer Leiter des Fachbereichs Bau- und Wohnungsaufsicht. Sein Steckenpferd damals war das Thema Denkmalschutz. Hier schrieb er 2008 auch am ersten Kommentar zum Denkmalschutzgesetz Berlin mit. Zur kommissarischen Leitung innerhalb des Stadtentwicklungsamtes kam er „wie die Jungfrau zum Kinde“, stellte dann aber fest, dass ihm Führung liege. „Ich habe gemerkt, dass ich dafür ein geschicktes Händchen habe.“ Mit diesem neu gewonnen Führungs-Selbstvertrauen schaute er sich um, welche Führungsaufgabe er als Jurist innerhalb des Landesdienstes übernehmen könnte. Nachdem die Tätigkeit als Baujurist vor allen aus dem Verfassen von Gutachten bestanden hatte, wollte er künftig gern praxisorientierter arbeiten. So kam er zum Ordnungsamt Friedrichshain-Kreuzberg und leitet nun ein Amt mit 162 Mitarbeiter*innen.

Aufgewachsen ist er in Fulda, Mannheim, Saarbrücken und München. Verbunden mit der Tätigkeit seines Vaters bei der Commerzbank zog die Familie mehrfach um. Nach dem Abitur in München studierte er an der Ludwig-Maximilians-Universität Jura und absolvierte sein Referendariat am Oberlandesgericht München. Nach seinem zweiten Staatsexamen wollte Joachim Wenz gern in den öffentlichen Dienst gehen. „In München fuhren damals 2.000 Juristen Taxi!“ Da er über seine Mutter, die Berlinerin ist, familiäre Verbindungen nach Berlin hatte, bewarb er sich in der Hauptstadt – und erhielt zwei Zusagen. „Um ein Haar wäre aus mir ein Rechtsanwalt geworden.“ Bei der Rechtsanwaltskanzlei hatte er zuerst zugesagt, bevor die Rückmeldung vom Bezirksamt kam. Aus dieser Zusage kam er dann doch noch heraus und begann so 1993 im Berliner Landesdienst.

Der Amtsleiter wohnt selbst in Gatow. „Jeden Tag habe ich quasi zwei Kulturschocks – einen morgens auf dem Weg von zu Hause nach Friedrichshain-Kreuzberg und nachmittags dann wieder. Auf der Fahrt komme ich jedes Mal von einer Welt in eine andere, von der vermeintlichen Idylle Spandaus in die pulsierende Stadt.“ Friedrichshain-Kreuzberg möge er als Arbeitsort sehr, aber in Kladow könne er Kraft tanken, um sich den Aufgaben des Ordnungsamtes stellen zu können. Zum Ausgleich tanzt er in seiner Freizeit. 1981 hat er mit Gesellschaftstanz begonnen und 1985 darüber seine Ehefrau kennengelernt. 2012 haben die beiden zum Line Dance gewechselt. Aktuell tanzen sie hauptsächlich im temporeichen Catalan-Style, der viele Sprünge enthält.

Ordnungsamt Außendienst

Auch Veterinär- und Lebensmittelaufsicht und Gewerbeeingriffe sind Aufgaben des Ordnungsamtes

Seit rund zehn Jahren arbeitet Joachim Wenz in der Leitung des Amtes konstant mit dem gleichen Führungsteam zusammen. Dadurch ergebe sich eine sehr vertrauensvolle Zusammenarbeit. Das erleichtere den teils aufgeregten und aktionsreichen Dienstalltag. Die wichtigste Eigenschaft sei Besonnenheit. Aber auch Kommunikationsgeschick sei gefragt, mit den Bürger*innen und den zahlreichen anderen Schnittstellen.

Der Zuschnitt und die Zuständigkeiten des Ordnungsamtes haben sich, seit Joachim Wenz 2009 die Leitung übernahm, immer wieder gewandelt. 2012 kam berlinweit die Veterinär- und Lebensmittelaufsicht (VetLeb) vom Gesundheitsamt zum Ordnungsamt. Aus Joachim Wenz‘ Sicht eine sinnvolle Umstrukturierung: „Der Bereich passt gut zu uns. Denn das VetLeb ist in erster Linie eine Ordnungsbehörde. Was die Kollegen machen, sind Eingriffe oder eingreifende Verwaltungsakte.“ Dennoch habe der Fachbereich mit seinen 20 Beschäftigten seine Besonderheiten – durch die spezielle Ausbildung der Mitarbeiter*innen und das Europarecht, das sie umsetzen.

Auch die Straßenverkehrsbehörden wurden 2012 den Ordnungsämtern zugeordnet, gingen dann in 2018 in einer weiteren Veränderung in allen Bezirken in die Straßen- und Grünflächenämter.

Zum Ordnungsamt gehören drei Ordnungsdienste. Im Bereich Parkraumüberwachung sind aktuell rund 50 Personen beschäftigt. „Als ich 2009 hier anfing, waren es sechs Kräfte in diesem Bereich für zwei kleine Parkraumzonen in Friedrichshain.“ Im 2021 eingeführten Verkehrsüberwachungsdienst (VÜD) sind aktuell zehn Kolleg*innen beschäftigt. 35 Beschäftige sind im Allgemeinen Ordnungsdienst eingesetzt. Im Hintergrund arbeiten sieben Kolleg*innen im Bereich Ordnungswidrigkeiten und belastende Verwaltungsakte/Gewerbeeingriffe. Sie bearbeiten die von den Außendiensten festgestellten Ordnungswidrigkeiten. Nur verkehrliche Vorgänge werden an die Polizei übergeben.

Der Gewerbeservice ist die Anlaufstelle für Genehmigungen im Gewerbebereich. Viele der Vorgänge in diesem Bereich sind nur anzeigepflichtig und müssen nicht explizit genehmigt werden. Genehmigungspflichtig sind nur wenige Gewerbe, etwa Makler, Finanzanlagenvermittlungen, Spielhallen, aber auch Gastronomie mit Alkoholausschank. „Hier ist eigentlich alles online möglich.“ Auch eine digitale Gewerbesprechstunde hat das Ordnungsamt vor wenigen Monaten eingerichtet. „Aber viele Gewerbetreibende suchen den persönlichen Kontakt und wollen direkt bei uns vorsprechen.“ Diese kämen auch ohne Termine oder Sprechstunden vorbei, was nicht vorgesehen sei. In den Bereichen Ordnungswidrigkeiten und Gewerbeeingriffe arbeiten zusammen genommen 18 Mitarbeiter*innen.

Umsetzaktion

Spitzenreiter in der Ordnungsamts-App mit 4.000 Meldungen monatlich

„Häufig sprechen die Menschen uns im Außendienst unsere Kompetenzen ab, weil sie glauben, dass gewisse Dinge nur die Polizei dürfe. Dabei haben wir eigentlich die gleichen Möglichkeiten – nur eben in Bezug auf Ordnungswidrigkeiten und nicht auf Straftaten.“ Vielfach kommt es im Bezirk zur Einmischung durch Dritte, die sich – meist ohne weitere Kenntnis der Situation – auf die Seite derer schlügen, die geraden vom Außendienst kontrolliert werden. „Vielleicht ist das ein spezifisches Friedrichshain-Kreuzberger Phänomen?“ Der Bezirk und seine Bewohner*innen seien besonders: „Wir haben ein unpreußisches Publikum, das immer ganz genau aufpasst, was die Politik und die Verwaltung machen. Die Menschen in Friedrichshain-Kreuzberg hinterfragen immer alles.“ Das mache die Arbeit des Ordnungsamtes nicht unbedingt leichter. Wichtig sei daher, dass die Ordnungskräfte mindestens zu zweit unterwegs seien und durchsetzungsstark agierten. Man müsse mutig sein, besonnen und angemessen auftreten. „Wir sind die Guten.“ Aber das käme nicht immer so an. „Denn wir legen ja bei Fehlverhalten den Finger in die Wunde. Und damit macht man sich naturgemäß unbeliebt.“

Insgesamt wächst das Amt von Joachim Wenz kontinuierlich: „Wir expandieren und schaffen Arbeitsplätze mit niedrigschwelligen Einstiegsmöglichkeiten.“ Für die neuen eingerichteten Parkbewirtschaftungszonen in Kreuzberg bräuchte das Ordnungsamt eigentlich 113 zusätzliche Mitarbeiter*innen. „Aber die kriegen wir aktuell nicht am Markt.“ Auch hier mache sich der Arbeitskräftemangel bemerkbar. Doch nicht nur an Personal fehlt es, auch Räume stehen nicht ausreichend zur Verfügung. Obschon die Kolleg*innen der Parkraumüberwachung den größten Teil der Arbeitszeit unterwegs verbringen, benötigen sie natürlich Umkleideräume, Büroräume und Aufenthaltsräume. Im dicht besiedelten Friedrichshain-Kreuzberg werde es schwierig, diese zu finden.

In der App „Ordnungsamt-Online“ des Ordnungsamtes liegt Friedrichshain-Kreuzberg mit der Anzahl der Meldungen auf Platz 1. Rund 4.000 Meldungen von Bürger*innen gehen monatlich ein. „Das sprengt natürlich unsere Kapazitäten.“ Die hohe Zahl an Meldungen liege einerseits an den herrschenden Missständen und den fehlenden personellen Kapazitäten, aber auch am kritischen Publikum im Bezirk. Friedrichshain-Kreuzberg ist dicht bebaut und ebenso dicht besiedelt. Hier werde in der Innenstadt nicht nur gearbeitet, sondern auch gewohnt. So entstünden größere Konflikte. „Unsere Aufgabe als Ordnungsamt ist es, diese Konflikte mit rechtsstaatlichen Instrumenten zu lösen. Wir fordern die Rücksichtnahme ein, die man eigentlich erwarten sollte.“

Zigarettenkippen

Vorbild Wien beim Thema Waste Watching

Eines von Joachim Wenz‘ Herzensthemen ist das Waste Watching. Um Einblicke zu bekommen, wie andernorts mit Vermüllung und illegalen Ablagerungen umgegangen wird, verbrachte der Ordnungsamtsleiter 2018 im Rahmen des Verwaltungsaustauschprogramms „Logo Europe“ vier Wochen in Wien bei der Magistratsabteilung 48. „Da habe ich sehr viel mitgenommen.“ Und einige der Ansätze aus Wien waren auch in Berlin umsetzbar – etwa, dass AOD-Kolleg*innen in zivil als Waste Watcher unterwegs sind. Dies war in Berlin vorher nicht möglich, da Außendienstkolleg*innen ihre Schichten generell in Uniform leisten mussten.

Nach dem Wiener Vorbild brachte Joachim Wenz die Initiative der zivilen Kräfte im Land Berlin ein und erwirkte eine Änderung. Friedrichshain-Kreuzberg startete damit, die anderen Bezirke zogen nach. Diese Aufgabe rotiert innerhalb des Team, sodass alle AOD-Beschäftigten mal in zivil unterwegs seien. „Dadurch erkennen die Müllsünder uns nicht mehr 100 Meter gegen den Wind.“ So können die AOD-Kräfte nun regelmäßig Menschen auf frischer Tat überführen. Einen großen Anteil des ordnungswidrig entsorgen Müll machen Zigaretten aus. „Das Wegwerfen von Kippen wird häufig als Kavaliersdelikt gesehen.“ Dabei müssten die Stummel händisch entfernt werden, da die Reinigungsmaschinen der BSR diese nicht aufnehmen können. Über die Kippen dringen Gifte ins Grundwasser. Hier sei die Kontrolle mit den Waste Watchern in zivil deutlich einfacher. „Wenn die Kollegen jemanden sehen, der seine Kippe wegwirft, gehen sie auf ihn zu, sprechen ihn an und können die Ordnungswidrigkeit aufnehmen.“ Echte Detektivarbeit sei jedoch das Überführen bei systematischer Sperrmüllablagerung, die häufig von Gewerbetreibenden vorgenommen werde. Hier gebe es einige auffällige Orte, die das Ordnungsamt regelmäßig kontrolliert. Auch aus der Bevölkerung erhält die Behörde Hinweise, die weiterhelfen. Teilweise seien es schwierige Verfahren, die das Amt durchficht. „Aber jeder Fall ist es wert, dass wir ihn verfolgen!“ Einige Erfolge konnten die Kolleg*innen bereits feiern.

Eine andere Wiener Idee konnte Joachim Wenz in Berlin bislang nicht etablieren: In der österreichischen Hauptstadt können auch Mitarbeiter*innen anderer Abteilungen nach kurzer Einführung als Waste Watcher unterwegs sein und Ordnungswidrigkeiten ahnden. „Das war hier leider nicht durchsetzbar.“

Fahrradstaffel Ordnungsamt

Zahnloser Tiger?

Eine besondere Herausforderung für das Amt sei die Corona-Pandemie gewesen, da der AOD für die Kontrollen der Infektionsschutzverordnung zuständig war. „Alle 14 Tage kam eine neue Verordnung, die wir durchsetzen mussten. Das war eine prägende und stressige Zeit. Teilweise war es wirklich abenteuerlich und wir mussten kreativ werden.“ So habe ein Kollege beispielsweise Desinfektionsmittel von einer Schnapsbrennerei besorgt, um die Teams auszustatten.

Eine Schwierigkeit für das Ordnungsamt sei, dass es schnell für Dinge zuständig gemacht würde, für die eigentlich keine originäre Zuständigkeit vorliege oder ausreichend Personal vorhanden sei. Ein Beispiel hierfür ist das Konsumcannabisgesetz, für das immer wieder im Gespräch war, dass die Ordnungsämter für die Kontrollen der Abstände zuständig seien. „Aber woher soll der Kiffer denn überhaupt wissen, ob er 99 oder 101 Meter von einem Schulgelände entfernt ist!”

„Was mich stört, ist, dass wir häufig doch noch ein zahnloser Tiger sind. Ich möchte gern schneller und stärker Wirkung erzielen.“ Doch im bürokratischen rechtsstaatlichen Prozedere gebe es viele langwierige Zwischenschritte: Anhörungen, das Androhen und Festsetzen von Zwangsmitteln und Widerspruchsmöglichkeiten. „Erst wenn alle Widerspruche abschlägig beschieden wurden, können wir vollstrecken.“ Das dauere oft Jahre und sei schwierig in der Kommunikation – mit Beschwerdeführer*innen und der Öffentlichkeit. „Aber ich habe die Hoffnung, dass diese rechtsstaatlichen Prozesse beschleunigt werden können.“

Trotz all dieser Widrigkeiten mache ihm seine Arbeit weiterhin Spaß. So viel Spaß, dass der 64-Jährige verlängert hat und anderthalb Jahre später in Pension gehen wird, als ursprünglich geplant. Denn auch auf zahlreiche Erfolge in den letzten 15 Jahren kann Joachim Wenz zurückblicken. Neben seinem Herzensthema Waste Watching sind das die umfangreiche Erweiterung der Parkraumbewirtschaftung, die Durchsetzung des Berliner Spielhallengesetzes, auf Basis dessen das Ordnungsamt die Anzahl der Spielhallen deutlich reduzieren konnte, und das Nichtraucherschutzgesetz. „Hier mussten wir in den ersten Jahren wirklich Überzeugungsarbeit leisten.“ Doch seit der Einführung Anfang 2008 habe sich in dieser Thematik ein gesellschaftlicher Wandel vollzogen und vor allem in Gaststätten viel verändert.