Vorstellung des Mehrgenerationenhauses Gneisenaustraße

Mehrgenerationenhaus Gneisenaustraße

Sarah Albert (zweite von links) und Tim Ünsal (erster von rechts) mit Kollegen und Besuchern aus dem Mehrgenerationenhaus

Am Freitag, 31. Mai 2024, feiern Nachbar*innen in ganz Deutschland zum siebten Mal den europäischen Tag der Nachbarschaft. Es ist ein Ehrentag für starke Gemeinschaften wie auch der Einrichtungen unserer Stadt, die sich täglich aktiv für mehr Lebensqualität und Teilhabe in unseren Kiezen einsetzen. Eine dieser Einrichtungen ist das Mehrgenerationenhaus in der Gneisenaustraße.

Das Mehrgenerationenhaus (MGH) Gneisenaustraße besteht als solches seit März 2017. Bis Ende Februar 2017 wurde es als kommunale Begegnungsstätte betrieben. Inzwischen ist das Haus intergenerativ für alle Nutzergruppen offen. „Gegenseitige Toleranz und Akzeptanz gehören zu unseren Grundwerten.“, macht Sarah Albert deutlich.

Die 35-Jährige leitet die Einrichtung seit 2020. Die gebürtige Friedrichshainerin, die am Boxhagener Platz aufgewachsen ist, lernte als Studentin der „Sozialen Arbeit“ an der Evangelischen Hochschule Berlin (EHB) Markus Runge kennen, der als Dozent aus der Praxis Gemeinswesenarbeit lehrte, und Leiter des Nachbarschaftshauses Urbanstraße e.V. ist. Nach einem Praktikum beim Träger übernahm sie nach ihrem Studienabschluss die Leitung des Mehrgenerationenhauses.

Ihr Kollege Tim Ünsal ist bereits seit 2018 im Mehrgenerationenhaus tätig. Auch er ist Berliner und fand den Weg über ein Praktikum beim Nachbarschaftshaus Urbanstraße e.V. und ist ebenfalls Absolvent der EHB. Der 45-Jährige wohnt selbst in Kreuzberg.

Reparatur-Stammtisch

Unterstützung von Ehrenamtlichen gesucht

Das Mehrgenerationenhaus ist an diesem kühlen und windigen Dienstagmittag im Mai gut besucht. In einem Raum sitzen mehrere Gäste bei Getränken, Handarbeiten oder Spielen zusammen. Zum Gespräch nehmen wir im zweiten Raum Platz, wo Adam im hinteren Teil sitzt und ein technisches Gerät repariert. „Adam macht gemeinsam mit Thomas den Repairstammtisch im Haus“, erklärt Tim.

Der Stammtisch findet jeden ersten und dritten Mittwoch im Monat statt. Adam sei aber fast immer hier und widme sich der Geräte, die die Nachbar*innen vorbeibringen: Haushaltsgeräte, Smartphones oder andere Technik. Das Angebot werde sehr gut angenommen. Beim Reparieren übernehmen die Menschen Verantwortung und kommen in den Austausch miteinander.

Das hauptamtliche Team des MGH besteht aus Sarah, Tim und Ela. Alle anderen Mitarbeiter*innen befinden sich entweder in Beschäftigungs- oder Qualifizierungsmaßnahmen des Jobcenters oder sind ehrenamtlich tätig. Unterstützt wird das Team außerdem regelmäßig von Praktikant*innen. Viele der Beschäftigten sind bilingual und sprechen neben Deutsch auch Arabisch oder Türkisch.

„Die seit 2017 gleichbleibende Finanzierung aus dem Bundesprogramm der Mehrgenerationenhäuser macht unsere Arbeit zunehmend schwerer. Durch steigende Personal- und Sachkosten haben wir von Jahr zu Jahr weniger Spielräume.“ Mehr und mehr seien sie auf die Arbeit Ehrenamtlicher angewiesen. „Zum Glück haben viele Menschen Lust, sich zu engagieren und haben Ideen, wie sie sich einbringen können.“

Vieles werde schon jetzt von der Gemeinschaft getragen und passiere komplett selbstverwaltet. Wenn keine Aufstockung der Förderung kommt, werde dies wohl weiter zunehmen. Dadurch seien sie immer auf der Suche nach Freiwilligen, die sich in der Einrichtung engagieren. Wer Interesse an einer ehrenamtlichen Tätigkeit im MGH hat, kann jederzeit Kontakt zu Sarah oder Tim aufnehmen.

Arbeit mit Seniorinnen und Senioren

Netzwerkarbeit und Digitalisierung

Ein wichtiger Bestandteil ihrer Aufgabe ist für Sarah und Tim die Netzwerkarbeit. Sie vernetzen sich mit den Sozialdiensten der Krankenhäuser und stellen ihre Angebote regelmäßig vom Vivantes-Klinikum Am Urban vor. Auch mit dem sozialpsychiatrischen Dienst des Gesundheitsamtes kooperiert das Mehrgenerationenhaus.

„Wir sind ein offener Treffpunkt für alle mit sehr niedrigschwelligen Angeboten und einem familiären Miteinander, sodass niemand Hemmungen haben muss, zu uns zu kommen.“, erklärt Sarah den Ansatz der Mehrgenerationenhaus. Das Haus und seine Angebote bieten für viele Menschen aus dem Kiez eine gewisse Tagesstruktur. „Unser Haus wird als Ort sehr gut genutzt, auch weil er so niedrigschwellig zugänglich ist.“ Auch wer allein auf der Terrasse sitzen möchte, sei jederzeit willkommen.

Ein Schwerpunkt der Arbeit liegt im Bereich Digitalisierung. Seit 2019 ist das Haus Digital-Kompass-Standort und gehört so einem Netzwerk von bundesweit 100 Orten an. Ziel ist es, ältere Menschen im Umgang mit Computern, Internet und Smartphone zu schulen. Im Zuge einer einmaligen Förderung konnte das MGH auch Hard- und Software wie Smartwatches und Sprachassistenten beschaffen, mit denen gearbeitet wird. Einmal wöchentlich findet das offene Angebot hierzu statt, das ebenfalls von Freiwilligen unterstützt wird. An zehn Tischen sitzen dann mindestens ein Dutzend Interessierte und lernen, wie sie das Internet und Endgeräte im Alltag sicher nutzen können. Inzwischen wurde das Angebot auf weitere Nachbarschafts- und Stadtteileinrichtungen im Bezirk ausgeweitet.

Das MGH ist mit dem Alpha-Siegel ausgezeichnet, das Einrichtungen erhalten, die für Menschen mit geringer Alphabetisierung leicht zugänglich sind. Hierfür wurden die Mitarbeiter*innen entsprechend geschult und sind für das Thema sensibilisiert. „Wir haben gelernt, worauf wir achten sollten und wissen, wie wichtig es ist, kurze Sätze in einfacher Sprache zu nutzen, auch am Telefon.“, erläutert Tim.

Gemüse

Kochen und Bewegung

Im Mehrgenerationenhaus spielen auch die Themen Lebensmittel und Ernährung eine große Rolle. Seit Jahren engagiert sich die Einrichtung im „Foodsharing“. Im Vorraum gibt es einen Kühlschrank und ein Regal, das als „Fair-Teiler“ fungieren. Nachbar*innen können sich dort gerettete Lebensmittel aus umliegenden Supermärkten und anderen Geschäften oder von anderen Menschen gespendetes Essen mitnehmen. Außerdem ist die Einrichtung einer der LebensMittelPunkte im Bezirk.

LebensMittelPunkte sind Treffpunkte, Lern- und Austauschorte rund um das Thema Ernährung und richten sich an die Menschen aus dem Kiez. Hier dreht sich alles um das Thema Ernährung. Es werden Nahrungsmittel verteilt, gelagert, verarbeitet, gekocht und gegessen. In Gemeinschaftsküchen werden Speisen zusammen zubereitet oder in Kochkursen neue Rezepte und Tipps, etwa zur Lebensmittellagerung, ausgetauscht. Zweimal die Woche wird im Mehrgenerationenhaus gemeinsam gekocht. „Das ist immer ein Magnet. Denn über Essen findet unheimlich viel Gemeinschaft statt“, sagen Sarah und Tim.

Außerdem gibt es im Haus zahlreiche Bewegungsangebote, vor allem für ältere Menschen. Im April 2024 beteiligte sich das Haus an der berlinweiten Aktion „GE(h)meinsam geht’s an die frische Luft“. Bei den Spaziergangsaktionstagen für ältere Menschen ging es darum, gemeinsam an die frische Luft zu kommen und zu Fuß die lokale Umgebung zu erkunden. Die Aktion war für das Mehrgenerationenhaus ein voller Erfolg.

Beratungssituation

Beratungen sind gefragt

Die Kieze rund um die Gneisenaustraße sind von einer sehr heterogenen Bewohnerstruktur geprägt. Einerseits gibt es rund um die Bergmannstraße viele gut situierte Bürger*innen, andererseits zeigen sich Armut, Wohnungsnot und Einsamkeit aber auch Suchterkrankungen und Obdachlosigkeit. „Die Gegend hier ist manchmal eine Herausforderung“, erklärt Sarah. Umso wichtiger sei, dass die Mitarbeiter*innen im Umgang mit diesen Themen geschult seien. Für die Besucher*innen des Hauses gibt es alle zwei Wochen Sozialberatungen und Mieterberatungen, die regelmäßig genutzt werden und immer wieder neue Menschen ins Haus bringen. Auch während der Einschränkungen der Coronazeit war die Einrichtung immer geöffnet.

Im Winter 2022/2023 war das Haus Teil des Netzwerks der Wärme. Die Coronapandemie und die Inflation der vergangenen Jahre hätten die Gesellschaft weiter verändert und bei vielen die Nöte verstärkt. „Die Menschen haben teilweise große Unsicherheit und ein erhöhtes Redebedürfnis. Dadurch gibt es aktuell einen größeren Bedarf an Nachbarschaft.“, erzählt Sarah. „Unsere Aufgabe ist es, ein offenes Ohr zu haben, die Diskussionen, die entstehen zu begleiten und den Austausch dazu ein wenig zu leiten.“ Wo möglich, unterstützt das Team die Besucher*innen mit ihren Fragen und Bedürfnissen und verweist sie weiter an die richtigen Anlaufstellen.

„Durch unsere tägliche Arbeit mit den Menschen aus dem Kiez sehen wir sehr genau, wo die Bedarfe sind und an welcher Stelle mehr Angebote dringend nötig sind.“ Aus Sarahs Erfahrung fehlt es in Berlin vor allem an psychologischen Unterstützungsangebot.

Auch viele Gruppen und Initiativen treffen sich im Haus in der Gneisenaustraße, etwa „Kreuzberg United“ oder der Städtepartnerschaftsverein Friedrichshain-Kreuzberg – Dêrik, aber auch eine Capoeira-Gruppe und die Pfadpfinder*innen. Vieles laufe selbstorganisiert und auf Vertrauensbasis.

„Am Ende machen die Menschen, die zu uns kommen, den Ort, gemeinsam zu dem, was er ist.“, fasst Tim die Gemeinschaft im Haus zusammen.

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Anlässlich des Tags der Nachbarschaft stellen wir auch weitere Nachbarschaftseinrichtungen vor: