Senat hält Volksbegehren „Berlin 2030 klimaneutral“ nicht für zielführend

Pressemitteilung vom 03.05.2022

Aus der Sitzung des Senats am 3. Mai 2022:

Der Senat hat in seiner heutigen Sitzung auf Vorlage der Senatorin für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz, Bettina Jarasch, seinen Standpunkt zum Antrag auf Einleitung des Volksbegehrens „Berlin 2030 klimaneutral“ beschlossen: Der Senat teilt dabei ausdrücklich das grundsätzliche Anliegen des Volksbegehrens, den Klimaschutz in Berlin zu intensivieren und zu beschleunigen, um die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens zu erreichen. Die durch das Volksbegehren vorgeschlagenen Änderungen des Berliner Klimaschutz- und Energiewendegesetzes (EWG Bln) sind dazu aus Sicht des Senats allerdings nicht geeignet, weil sie die Handlungsoptionen des Landes fehleinschätzen oder gar nicht berücksichtigen.

Bettina Jarasch, Senatorin für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz: „Ich bin den Initiator*innen dankbar, dass sie mit großem Engagement mehr Klimaschutz in Berlin erreichen wollen und vehement einfordern. Klimaschutz ist ein absolut entscheidendes Thema, um Berlin als Metropole zukunftsfest zu machen. Der Senat teilt daher diese Ziele des Volksbegehrens ausdrücklich. Doch wir müssen jetzt all unsere Kraft dafür verwenden, in Berlin zu wirklich effektiven, konkreten Maßnahmen für Klimaschutz und Klimaanpassung in den entscheidenden Sektoren zu kommen – statt immer nur neue Klimaschutzziele in Gesetze zu schreiben. Diese Kraftanstrengung unternimmt das Land gerade. Und ich setze darauf, dass die Zivilgesellschaft uns dabei weiter konstruktiv-kritisch unterstützen wird.“

Der Gesetzentwurf des Volksbegehrens zielt im Wesentlichen darauf ab, das Land Berlin im Wege einer Änderung des EWG Bln zur Emissionsminderung von mindestens 70 Prozent bis 2025 und zur Erreichung der Klimaneutralität bis 2030 zu verpflichten. Die aktuellen Klimaschutzziele im EWG Bln (70 Prozent Emissionsminderung bis 2030, 90 Prozent Emissionsreduzierung bis 2040 und Klimaneutralität bis 2045) sollen dazu also verschärft werden.

Die von der Senatsverwaltung für Inneres, Digitalisierung und Sport durchgeführte Zulässigkeitsprüfung hatte ergeben, dass der Gesetzentwurf mit höherrangigem Recht vereinbar und sowohl formell als auch materiell-rechtlich zulässig ist.

Der Senat unterstützt in seinem aktuellen Beschluss nachdrücklich die Absicht des Volksbegehrens, den Klimaschutz in Berlin an den Zielen des Pariser Klimaschutzabkommens auszurichten. Dazu braucht es zielführende gesetzliche Regelungen, verbesserte Strukturen der Klima-Governance und vor allem die konsequente Umsetzung konkreter, tiefgreifender Klimaschutzmaßnahmen in den Bereichen Gebäude, Verkehr und Energieversorgung. Diesen Pfad beschreitet Berlin mit großer Entschlossenheit und im Bewusstsein, dass bereits das Erreichen der bestehenden Berliner Klimaschutzziele enorme zusätzliche Kraftanstrengungen auf allen politischen Ebenen und in allen gesellschaftlichen Sektoren erfordert.

Mit den im Volksbegehren vorgeschlagenen Änderungen des EWG Bln lässt sich der Weg zur Klimaneutralität dabei nicht beschleunigen. Vielmehr messen die vorgeschlagenen Änderungen der Landesebene Handlungs- und Regelungsmöglichkeiten bei, über die sie gar nicht verfügt. Das Volksbegehren versucht, das Land Berlin damit auf Ziele zu verpflichten, deren Einhaltung nicht hinreichend zu beeinflussen ist: So kann sich das Land Berlin schon von den übergreifenden Zielen auf Bundes- und EU-Ebene (Klimaneutralität bis 2045 beziehungsweise bis 2050) nicht so weit entkoppeln, dass es im Alleingang und aus eigener Kraft 15 oder 20 Jahre früher die proklamierten Ziele erreicht. Denn entscheidende rechtliche, wirtschaftliche und technologische Rahmenbedingungen für den Übergang zur Klimaneutralität werden auf der Bundes- und EU-Ebene gesetzt, etwa zur raschen Umstellung auf erneuerbare Energieversorgung, zur Dekarbonisierung des Verkehrs und zur Gebäudesanierung.

Eine Zieldefinition ohne entsprechende Mittel, wie sie das Volksbegehren vorschlägt, droht dabei sogar falsche Erwartungen zu wecken, die der eigentlichen Herausforderung, auf Bundes- und Landesebene den Klimaschutz in Deutschland in Form konkreter Maßnahmen voranzutreiben, zuwiderlaufen können.

Das Land Berlin hat sich mit dem EWG Bln bereits eines der ehrgeizigsten Klimaschutzgesetze Deutschlands gegeben. Die Berliner Klimaschutzziele wurden mit der jüngsten EWG-Novelle im September 2021 noch einmal angehoben. Bei dieser Novelle hat sich das Land ausdrücklich an den Vorgaben des Pariser Klimaschutzabkommens ausgerichtet und dafür spezifische Studien etwa zum verbleibenden Berliner CO2-Budget beauftragt und berücksichtigt. So geht das Ziel, die Berliner CO2-Emissionen bis 2030 um mindestens
70 Prozent und bis 2040 um 90 Prozent gegenüber dem Jahr 1990 zu reduzieren, bereits heute über die Vorhaben des Bundes und der EU hinaus.

Mit dem Berliner Energie- und Klimaschutzprogramm 2030 (BEK 2030) hat das Land schon 2018 ein umfassendes Maßnahmenprogramm für Klimaschutz und Klimaanpassung auf den Weg gebracht, das aktuell für den Umsetzungszeitraum bis 2026 fortgeschrieben wird. Ende 2019 hat Berlin als erstes Bundesland die Klimanotlage anerkannt, 2021 beschloss der Senat zusätzliche Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung. Den kompletten Ausstieg aus der Kohlenutzung strebt das Land aktuell schon für 2028/2029 an. Auf dem Weg zu einer regenerativen und dezentralen Energieversorgung treibt der Senat dabei den „Masterplan Solarcity“ voran, um das Ausbauziel von 25 Prozent an der Berliner Stromerzeugung möglichst schon im Jahr 2035 erreichen. Auch bei der ökologischen Fernwärmeregulierung und der Einführung einer Solarpflicht für private und öffentliche Gebäude gehörte und gehört Berlin zur klimapolitischen Avantgarde unter den Bundesländern. Das Gleiche gilt für die Einführung eines Klimachecks für Senatsvorlagen im Jahr 2021 sowie in diesem Jahr für die Bildung eines senatsseitigen Klimaschutz-Ausschusses, die Einberufung eines Klimaschutzrats als beratendes Expert*innen-Gremium und die Einsetzung des ersten Klimabürger:innenrates auf Länderebene in Deutschland.

Aus den dargelegten Gründen empfiehlt der Senat dem Abgeordnetenhaus von Berlin, den Gesetzentwurf des Volksbegehrens nicht anzunehmen. Lehnt das Abgeordnetenhaus das Begehren ab oder übernimmt das Abgeordnetenhaus es nicht innerhalb von vier Monaten inhaltlich in seinem wesentlichen Bestand, so kann die Trägerin die Durchführung des entsprechenden Volksbegehrens verlangen.