Am östlichen Rand Neuköllns, versteckt zwischen Ringbahn und S-Bahn, steht ein unscheinbarer Bau, der einst eine Revolution im deutschen Schulwesen anbahnen sollte: Der Versuchspavillon von Bruno Taut am Dammweg 216. Entworfen im Jahr 1928, sollte er Teil einer innovativen Schule sein, die den strengen Frontalunterricht hinter sich ließ und neue pädagogische Konzepte erprobte.
BEDRARFSGERECHTES SCHULGEBÄUDE
Taut, der in Neukölln vor allem für die als Unesco-Weltkulturerbe eingetragene Hufeisensiedlung in Britz bekannt ist, arbeitete eng mit dem Pädagogen Fritz Karsen zusammen. Gemeinsam entwarfen sie die Form einer Gesamtschule, die allen Kindern vom Kindergarten bis zur Oberstufe offenstehen sollte. Flexible Räume, die dem Unterricht und den Bedürfnissen der Schülerinnen und Schüler angepasst werden konnten, sowie ein direkter Zugang zum Freien aus jedem Klassenraum waren zentrale Elemente ihrer Idee. Zudem sollte das Ganze kostengünstig in industrieller Weise produziert werden können.
FUNKTIONALES RAUMKONZEPT
Der Versuchspavillon diente als Experimentierfeld für diese neuen Ideen. Anhand des 15 × 15 Meter großen Gebäudes entwickelte Taut ein möglichst funktionales Raumkonzept, in dem auch die pädagogischen Neuerungen Karsens auf ihre Praxistauglichkeit getestet wurden. Damit der Raum so flexibel wie möglich genutzt werden konnte, erhielt er ein umlaufendes Oberlicht zur gleichmäßigen Belichtung. Um bei Bedarf Unterricht und Pausen an der frischen Luft verbringen zu können, wurde eine Seite des Gebäudes mit einer Front aus Glastüren und einem großen Vordach versehen. Unterrichtsmaterialien sollten in der erhaltenen Einbauschrankwand verstaut werden, während des restliche Mobiliar frei im Raum bewegt werden konnte.
PLÄNE UND POLITISCHE REALITÄT
Geplant war ursprünglich ein langgestreckter Schulkomplex, mit einer Vielzahl solcher Pavillons, die sich entlang eines Mittelflures reihen und durch eine Aula, Turnhallen, ein Schwimmbad, ein Schulkino, eine Bibliothek, Schulgärten und Spielplätze ergänzt werden sollten. Doch das ambitionierte Projekt scheiterte letztendlich an Abstimmungs- und Finanzierungsproblemen sowie der politisch bedingten Emigration Tauts 1933.
ZEUGNIS EINER VISIONÄREN IDEE
Heute steht der Versuchspavillon als einziges Zeugnis dieser visionären Idee da und seit 1990 unter Denkmalschutz. Er erinnert uns an eine Zeit, in der Architekten, Pädagogen und Politiker gemeinsam nach neuen Wegen der Bildung suchten, und verdeutlicht die Aktualität pädagogischer und architektonischer Diskussionen, die bereits vor knapp 100 Jahren geführt wurden.