Ich frage das Bezirksamt:
- Werden derzeitig alle Sanktionen aufgrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichtes, auch die grundsätzlich rechtlich zulässigen, bei Pflichtverletzungen nach 31a II, ausgesetzt?
- Wie viele Leistungsberechtigte sind von den Sanktionen betroffen und erhalten nun wieder existenzsichernde Leistungen?
- Werden die bisher ausstehenden doch nunmehr durch das BVerfG-Urteil vom 05.11.2019 zustehenden Leistungen von Amtswegen oder auf Antrag erbracht?
Beantwortung: BezStR Herr Mildner-Spindler
Lassen Sie mich erst einmal etwas vorbemerken:
Ich glaube, dass es nicht nur begrüßenswert war, sondern dass es eine Wiederherstellung von Recht und von Gerechtigkeit ist, dass das Bundesverwaltungs…, Bundesverfassungsgericht am 05.11. d.J. festgestellt hat, dass ein Sozialgesetz kein Strafgesetz sein darf.
Das ist eine Position von vielen in diesem Haus seit vielen, vielen Jahren. Andere werden jetzt sozusagen mit einer Wertung durch das Bundesverfassungsgericht konfrontiert. Es ist eine Bestätigung dafür, wofür viele seit vielen Jahren gestritten haben in Parteien, in Wohlfahrtsverbänden wie den Paritäter und in vielen betroffenen Organisationen.
Es ist also durchaus nicht nur zu begrüßen, sondern es ist richtig, dass Sanktionen nunmehr nicht mehr in die Kosten der Unterkunft gehen können. Das hat uns in Berlin angesichts der Wohnungssituation immer am meisten gestört und betroffen, dass Wohnen existentiell ein Recht gefährdet wurde durch diese Sanktionspraxis im SGB II.
Leider hat sich das Gericht noch nicht zur Gruppe der unter 25jährigen geäußert. Das scheint uns wichtig. Das scheint uns auch wichtig, da in Berlin, glaube ich, in der Koalition und darüber hinaus die Übereinstimmung ist, dass unter 25jährige von dieser Praxis gänzlich ausgenommen werden sollten.
Nicht definiert ist bedauerlicherweise auch jetzt noch der Begriff der außergewöhnlichen Härte und wir erwarten Regelungen seitens der Bundesagentur auf die Anwendung dessen, was jetzt Recht gesprochen wurde und wir erleben im Moment eine Debatte, wo ein Bundesminister damit zitiert wird, dass er da durchaus noch Gestaltungsspielraum sieht. Am selben Tag, nachdem der Spiegel darüber berichtet, zurückrudert, das korrigiert ist. Insofern warten wir alle darauf, dass das auf Bundesebene zwischen Ministerium und Agentur geklärt wird, damit Sicherheit in der Anwendung im Jobcenter auch in Friedrichshain-Kreuzberg besteht.
zu Frage 1: Ja, die Sanktionen werden grundsätzlich ausgesetzt. Dennoch werden Verfahren nach den §§ 31 bis 31b SGB II weiterhin eingeleitet bzw. dem Grunde nach fortgeführt. Abschließende Entscheidungen über Sanktionsbescheide werden jedoch vorerst zurückgestellt. Es wird erwartet eine Regelung und eine Weisungspraxis durch Ministerium und Agentur.
zu Frage 2: Es wird im Moment im Jobcenter ermittelt, wie viele Fälle davon betroffen sind. Wir haben ja immer so ein Stück die Schwierigkeit mit den Anwendungssystemen, was dürfen wir, was können wir abfragen in den operativen Datensätzen. Nach ersten Erhebungen sind aktuell ca. 200 Fälle betroffen, bei denen die Leistungen über 30% hinaus gemindert worden sind, die aktuell überprüft werden.
zu Frage 3: Soweit Bescheide über Leistungsminderungen nach § 31a Abs. 1 Satz 2 und 3 SGB II über eine Minderung in Höhe von 30% des maßgebenden Regelbedarfs hinausgehen, werden diese Fälle von Amts wegen durch das Jobcenter geprüft und nachgezahlt. Das bedeutet, dass am 05.11. bestandskräftige Sanktionsbescheide mit einem Sanktionszeitraum über den 05.11. hinaus für die Zeit ab dem 05.11. auf 30% reduziert sind.
Am 05.11.2019 nicht bestandskräftige Sanktionsbescheide mit einer Minderung von über 30% werden von Anfang an aufgehoben.