Führungswechsel im Gesundheitsamt
Bild: Sara Lühmann
Im öffentlichen Dienst findet aktuell ein großer Umbruch statt, der noch einige Jahre anhalten wird. Nach und nach gehen viele der so genannten Baby-Boomer-Generation in den Ruhestand, darunter auch einige Amtsleitungen im Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg.
In diesem Jahr haben wir bereits neue Leiter im Stadtentwicklungsamt, im Amt für Bürgerdienste und im Rechtsamt begrüßt. Seit März ist Dr. Sebastian Graubner Amtsarzt und Leiter des Gesundheitsamtes. Der bisherige Amtsarzt und Leiter, Dr. Raimund Pitzing, begleitet Dr. Graubner durch einen sechsmonatigen Wissenstransfer in seinem Einarbeitungsprozess mit einer Verantwortung für über 150 Mitarbeiter*innen.
Von Leipzig nach Friedrichshain
Raimund Pitzing begann seine Tätigkeit 1992 im Gesundheitsamt des damaligen Bezirkes Friedrichshain und übernahm nach kurzer Zeit die Leitung des Sozialpsychiatrischen Dienstes in der Koppenstraße. Vorher war Dr. Pitzing an der Universität Leipzig tätig und erwarb dort, nach Beendigung seines Medizinstudiums die Qualifikation als Facharzt für Neurologie und Psychiatrie. „Nach Berlin wollte ich schon lange. Ich kannte Ostberlin aus meiner Kindheit, weil wir dort in den Ferien häufig Verwandte besucht haben. Der Mauerfall und die Wiedervereinigung haben mir dann den Wechsel nach Berlin ermöglicht.“
Nach der Bezirksfusion von Friedrichshain und Kreuzberg 2001 übernahm Dr. Pitzing die Leitung des Sozialpsychiatrischen Dienstes des fusionierten Bezirks und zog mit seinem Arbeitsplatz nach Kreuzberg in die Müllenhoffstraße. Kurz darauf absolvierte er den Amtsarztkurs als einen notwendigen Baustein zum Facharzt für öffentliches Gesundheitswesen. Diese fachärztliche Qualifikation ist in Berlin Voraussetzung, um als Amtsarzt /Leitung des Gesundheitsamtes tätig zu sein. Dr. Pitzing übernahm 2008 die Leitung des Gesundheitsamtes von seiner Vorgängerin, als diese in Pension ging.
Zufällig im öffentlichen Gesundheitsdienst gelandet
Dass Dr. Pitzing im öffentlichen Gesundheitsdienst landete und blieb, war eher Zufall. Weil er eine fünfjährige berufsbegleitende Facharztweiterbildung (Psychotherapie) absolvieren wollte, war er auf der Suche nach einer Stelle, die sich gut mit der Weiterbildung vereinbaren ließ. „Wenn man als Arzt in der Klinik im Schichtbetrieb arbeitet, ist es schwierig, eine Weiterbildung mit festen Zeiten, abends und an Wochenenden, mit dem Arbeitsalltag zu vereinbaren.“ Ein Mitarbeiter des Weiterbildungsinstituts gab ihm den Tipp, in den öffentlichen Gesundheitsdient zu gehen. „Ich habe damals einfach an die Tür der Amtsärztin in Friedrichshain geklopft und nach einer Stelle gefragt. Das hat geklappt.“
Der Sozialpsychiatrische Dienst (SpD) in Friedrichshain wurde damals gerade neu aufgebaut. „Damals gingen mit dem Mauerfall viele gesellschaftliche Umbrüche einher, verbunden auch mit erheblichen sozialen und psychosozialen Problemen für weite Teile der Bevölkerung.“ Damit gab es auch großen Bedarf für die Arbeit des SpD. Doch das Tätigkeitsfeld war für viele der Mitarbeiter*innen neu. „Bis auf zwei Psychologinnen hatte niemand im Team Erfahrung mit dem Bereich Psychiatrie. Was Sozialarbeit in diesem Feld bedeutet und wie wir sie gestalten können, mussten wir erstmal erarbeiten“, erinnert sich Dr. Pitzing. Fortbildungen spielten daher eine große Rolle. „Wir hatten die Aufgabe, einen SpD im Bezirk Friedrichshain aufzubauen. Das war eine sehr spannende Zeit und ein tolles Miteinander im Team.“
Immer im Veränderungsmodus
Durch die Fusion der Bezirke kam dann die nächste „energiefordernde“ Aufgabe. Die Sozialpsychiatrischen Dienste der beiden Alt-Bezirke Friedrichshain und Kreuzberg sollten zusammenfinden. „Da war ich also wieder im Veränderungsmodus. Natürlich gab es Konflikte, das ist vorprogrammiert. Keiner der Dienste wollte sich grundsätzlich verändern. Die Kreuzberger wollten Kreuzberger bleiben und die Friedrichshainer Friedrichshainer. Aber wir haben das Verbindende herausgearbeitet und sind zu einem gemeinsamen Dienst zusammengewachsen. Die Bürger haben ja auch ein Recht darauf, dass sie in beiden Ortsteilen einheitlich behandelt werden.“
Schade findet Dr. Pitzing, dass er aufgrund der Pandemie und der damit verbundenen Infektionsschutzmaßnahmen nicht im gewünschten Rahmen von allen Abschied nehmen kann, mit denen er viele Jahre zusammengearbeitet hat, beispielsweise mit den beiden großen Krankenhäusern. „In den Kliniken am Urban und am Friedrichshain war ich neben den jährlichen Amtsarztbegehungen häufig tätig. Ich bin immer dafür, direkt ins persönliche Gespräch zu kommen und die Dinge vor Ort gemeinsam zu lösen. Also bin ich immer in die Kliniken gefahren, wenn es Klärungsbedarf gab.“
Auch zu den regelmäßigen Begehungen durch das Gesundheitsamt war Dr. Pitzing seit Jahren vor Ort auf den Stationen. „Ich hätte mich gern von den Mitarbeiterinnen/Mitarbeitern der Krankenhäuser, mit denen ich so lange zusammengearbeitet habe, persönlich verabschiedet und es ist wirklich traurig, dass das gerade nicht möglich ist.“
Von den Einschulungsuntersuchungen zur Pandemiekoordination
Der neue Amtsleiter Sebastian Graubner ist seit 2010 im Gesundheitsamt unseres Bezirks tätig. Der gebürtige Niedersachse hat in Gießen, Lancaster (GB) und Berlin Medizin, Cultural Studies und Public Health studiert. 2019 hat er seine Weiterbildung zum Facharzt für öffentliches Gesundheitswesen abgeschlossen, die ihn zur Übernahme der Amtsleitung qualifiziert. Vor seinem Wechsel in den öffentlichen Gesundheitsdienst war Dr. Graubner in den Fachgebieten Psychiatrie, Psychosomatik und Neurologie in Klinik und Reha tätig sowie als Psychotherapeut in einer Praxis.
Anders als sein Vorgänger hatte er das öffentliche Gesundheitswesen schon lange ins Auge gefasst und nach dem Studium versucht, dort eine Stelle in Berlin zu finden. „Das war aber kurz nach der Bezirksfusion und ein schlechter Zeitpunkt für Bewerbungen in den Gesundheitsämtern.“ Nach ein paar Jahren klappte es dann. Dr. Graubner bekam erst eine befristete Stelle im Kinder- und Jugendgesundheitsdienst – und blieb. Mit Beginn der Corona-Pandemie in Berlin im März 2020 übernahm Sebastian Graubner im Gesundheitsamt die Verantwortung für die Pandemiekoordination. „Wir haben früh erkannt, dass wir zur Bewältigung der Pandemie eine neue Struktur aufbauen müssen. Das war eine Herausforderung, aber es hat gut geklappt.“
Pandemiepläne – von der Theorie in die Praxis
Dr. Pitzing ergänzt: „Das war eine sehr gute Zusammenarbeit zwischen uns beiden und eine hilfreiche Entlastung für mich als Amtsleiter. Es musste ja sehr viel auf einmal gemanagt werden.“ Zwar gab es natürlich Seuchen- und Pandemiepläne, doch die seien sehr theoretisch gewesen. „Die Pläne waren alle aus der Theorie geschöpft, meistens basierend auf Gedankenspielen, dass sich die Pocken wieder ausbreiten könnten. Aber jedes Virus hat seine eigene Logik und so mussten wir die theoretischen Pläne in die Praxis überführen.“
Die Pandemie sei die Stunde des öffentlichen Gesundheitswesens. „Natürlich hätten wir gern auf diese Erfahrungen verzichtet. Aber wir konnten durch Corona sehr viel lernen. Künftig sind wir besser vorbereitet“, erklärt Dr. Graubner. Eine konkrete Lektion sei es etwa, dass inzwischen alle Bewerber*innen für Stellen im Gesundheitsamt schon beim Vorstellungsgespräch zu ihrer Bereitschaft zum Einsatz in einer pandemischen Lage befragt werden.
Positiv sehen beide Leiter, wie schnell im Bezirksamt neues Personal für die Pandemiekoordination und die Kontaktnachverfolgung eingestellt wurde. „Wir haben zwar ein vergleichsweise kleines Pandemieteam, aber dafür eine sehr gut funktionierende Zusammenarbeit. Dadurch, dass wir so schnell festes Personal eingestellt haben, gab es nicht so viel Wissensverlust. Außerdem konnten wir unser Personal aus den anderen Fachbereichen des Gesundheitsamtes schneller wieder aus dem Pandemieteam entlassen“, erzählt Sebastian Graubner. So konnten die Ärzt*innen und anderes medizinisches Personal sich schon früh wieder ihren originären Aufgaben widmen. Dadurch steht Friedrichshain-Kreuzberg beispielsweise bei den Schuleingangsuntersuchungen wesentlich besser da als manch anderer Bezirk. Auch andere Dienstleistungen des Gesundheitsamtes konnten trotz der Pandemie frühzeitig wieder angeboten werden. Beide loben im Umgang mit den Herausforderungen auch die Zusammenarbeit mit dem politischen Bezirksamt. „Da fühlten wir uns immer unterstützt. Das war eine sehr kooperative und vertrauensvolle Zusammenarbeit.“ Dadurch konnte das Pandemieteam schnell neue Räumlichkeiten sowie IT-Ausstattung beschaffen und sehr frühzeitig das Programm SORMAS zum Kontaktpersonenmanagement einsetzen.
Welche Herausforderungen gibt es für das Gesundheitsamt in den nächsten Jahren?
Neben möglichen künftigen Pandemien steht der öffentliche Gesundheitsdienst, wie alle Behörden, vor dem demografischen Wandel. Eine Generation an Mitarbeiter*innen tritt ab. Die Herausforderung ist es, neues Personal zu finden. „Wir müssen als Arbeitgeber attraktiv und interessant für die verschiedenen Berufsgruppen sein, die wir im Gesundheitsamt beschäftigten. Wir brauchen hier eine Vielfalt an Berufen, damit alles funktioniert“, erklärt Dr. Graubner.