Stellen Sie sich ein altes märchenhaftes Gebäude vor, verziert mit farbenprächtigen Mosaiken und einer golden in der Sonne funkelnden Schornsteinsäule. Stellen Sie sich vor, Bagger rücken an – und räumen die ganze Schönheit kurzerhand für eine geplante Autobahn weg!
So geschah es 1972 mit der „Zauberburg“ genannten Neuköllner Mosaikfabrik Puhl & Wagner. Das 1889 gegründete Unternehmen war im In- und Ausland berühmt für die Herstellung wertvoller Mosaike und Glasfenster. Nach 80 Jahren kam der Konkurs. Trotz heftiger Proteste gab es keine Rettung für den von Franz Schwechten im neoromanischen Stil entworfenen Gebäudekomplex. Lediglich die restlichen Mosaiksteine durften Interessierte bei der Lagerräumung bergen.
Der Volkshochschule Neukölln wurden Kisten mit den einzigartigen Glassteinen in vielen Farbvarianten überlassen. Was tun mit diesem Schatz? Ein Mosaik von Bürgern für Bürger sollte es werden – für das neue Haus der Volksbildung in der Boddinstraße. 1984 übernahmen Ilsebill Zintel und Helge Wütscher die Leitung des ehrgeizigen Gemeinschaftsprojektes.
Ilsebill Zintel hatte Bildweberei studiert. Diese Technik erfordert einen – man könnte heute sagen – pixeligen Blick. So wie beim Weben Faden um Faden ein Bild ergibt, setzt sich ein Mosaik aus vielen kleinen Teilen zusammen. Der Künstler Helge Wütscher kam aus Nürnberg. Er hatte für die Universität Bamberg bereits ein großes Mosaik geschaffen.
Unter dem Motto „Kunst zum Mitmachen von Bürgern für Bürger“ nutzen etwa zehn Kunstinteressierte in drei Semestern die Chance, ihre Ideen zu skizzieren und kleine Probemosaike zu gestalten. Die heterogenen Entwürfe der Seminargruppe flossen später ein in die Komposition des großen Mosaiks, das von Ilsebill Zintel und Helge Wütscher gemeinsam geschaffen wurde.
In einem Kellerraum legten sie die Steine aus, klebten sie mit Papier ab und setzten sie so miteinander verbunden an der eingerüsteten Wand in den feuchten Zement ein. Zuvor musste der alte Putz an den mit Schablonen gekennzeichneten Stellen abgeschlagen werden. Eine aufwändige Arbeit! Anfang 1989 wurde das Mosaik der Öffentlichkeit präsentiert.
Das Wandbild. mittlerweile mehrere Jahrzehnte alt, strahlt, nicht nur Dank des wunderbaren Materials, auch heute noch eine zeitlose Frische aus. Es ist eine Synthese aus Altem und Neuem. Streng symmetrische klassische Ornamente kontrastieren mit eher locker angeordneten, malerisch und modern wirkenden Flächen.
In der Mitte der Wand befindet sich eine Tür. Die Künstler gestalteten sie in Blau und Gelb und machten sie so zum Teil des Bildes. Sie arrangierten um die Tür herum die einzelnen Elemente zu einer bildhaften Erzählung mit poetischer Wirkung, die offen für Interpretationen ist. Ideen der Kursteilnehmer werden so Teil einer Geschichte. Die aufsteigende Dynamik des goldschimmernden Vogels gibt ihr eine optimistische Stimmung. Wie Phönix aus der Asche entsteht aus den magisch glänzenden Steinen der alten Mosaik-Fabrik zusammen mit Porzellan- und Keramikbruchstücken etwas Neues.