Die Atmosphäre während des Spazierganges entlang der Heidestraße war speziell. Es gibt viel Verkehr, viel Baulärm. „Jedoch“, so die Anmerkung eines Teilnehmers, „der Baulärm geht. Der Verkehr bleibt.“
Auf der westlichen Seite der Heidestraße befindet sich noch vereinzelt Altbaubestand, ca. um 1905 erbaut, z.T. noch bewohnt, jedoch größtenteils in unsaniertem Zustand. Ein Nachbar äußerte sich dazu: „Es ist super dort zu wohnen. Man braucht keine Modernisierung.“ Zusätzlich zu den Wohnungen in diesem Bereich gibt es auch Gewerbe. Einzelne dieser Unternehmungen, ob Architekturbüros oder Handwerksbetriebe, bestehen schon seit mehreren Jahren, z.B. das Grafikbüro Aisslinger seit 2006 oder das Architekturbüro Graft. Jedoch veränderte sich die Struktur erheblich. Viele Bewohner*innen zogen im Zuge der Bautätigkeiten für die Europacity weg, ebenso Ateliers oder auch Kunstgalerien, die in den 2000er Jahren in diesem Gebiet beheimatet waren, das in dieser Zeit eine große Anziehungskraft auf die kreative Szene hatte.
Bezirksstadtrat Ephraim Gothe gab einen Einblick in die aktuellen Entwicklungen in diesem Bereich. Das Grundstück, auf dem sich die verschiedenen Gewerbehöfe befinden, gehört einer Berliner Baufirma, die die Firma Bechstein, eine berühmte Klavierfirma, aufgekauft hat. „Sie wollen hier ein Bechstein-Zentrum bauen mit einem Konzertsaal, der sich hier an der Straße platzieren soll, mit vielen Dingen rund um das Thema Musik. Sie wollen auch eine größere Verkaufsfläche haben, wo man einen Bechstein-Flügel kaufen kann“, erklärte Ephraim Gothe. Zudem sollen auch Studierendenappartments entstehen, speziell für Musikstudierende. Alle Gebäudeteile sollen dabei erhalten bleiben. Generell sei diese Entwicklung sehr positiv für alle Akteure, die in diesem Areal investieren, so die Aussage des Bezirksstadtrates.
Auf die Frage eines Teilnehmers zur großteiligen Flächenvergabe in der Europacity und zur hochpreisigen Entwicklung des Areals erläuterte Bezirksstadtrat Ephraim Gothe die Planung des Areals: „Als die Entwicklung hier begann, vor etwa 10 Jahren, gehörte das gesamte Areal zwei Eigentümern. Das war die Deutsche Bahn und die CA Immo, die früher Vivico hieß. (…) Ca. 20 unterschiedliche Eigentümer kauften in der Zwischenzeit diese Flächen der Bahn und der CA Immo ab.“ Er stellte zudem klar, dass das Bezirksamt Mitte wenig Mitspracherecht hatte: „Auch mein Wunsch wäre es gewesen es noch kleinteiliger zu parzellieren, (…) weil dann die Gewähr gewesen wäre, dass es noch vielfältiger wird, architektonisch abwechslungsreicher und auch von der Nutzung abwechslungsreicher. Aber das hatten wir nicht in der Hand zu steuern. Das war die Verkaufspolitik der beiden Großeigentümer sozusagen.“ Trotzdem attestierte er den Gebäuden eine hohe Qualität: „Es ist vielleicht in der Natur der Sache, dass man diese neuen Formen von Stadt erstmal als schwierig empfindet. Mit der Zeit, zwei Generationen später, sagen alle, es ist ganz toll.“ Zur Zeit der Entwicklung des Masterplans gab es zudem keine Vorgaben und keine Förderung für sozialen Wohnungsbau bei Neubauprojekten. Das „Berliner Modell der kooperativen Baulandentwicklung“, wobei ein Anteil von mindestens 30% sozialer Wohnungsbau vorgeschrieben ist, trat nicht rechtzeitig in Kraft. Nachverhandlungen führten zu einem Anteil von 15% in der Europacity.
Bezirksstadtrat Ephraim Gothe berichtete in diesem Zusammenhang von einer Studie der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr, Klimaschutz zum Thema Umweltgerechtigkeit. Welche Quartiere sind aus Umwelterwägungen benachteiligt? Darin ist für das Quartier Heidestraße die höchste Umweltbelastung im Bezirk Mitte ausgewiesen. Die soziale Lage in den Bestandswohnungen ist demnach prekär, zudem die Lärmbelastung durch den Verkehr und die Bauarbeiten hoch.
Außerdem wurde über die Auswirkungen der Entwicklungen in der Europacity auf die Nachbarquartiere diskutiert. Sonja Kreitmair von der BVV-Mitte hob den Döberitzer Grünzug hervor, der als Verbindung nach Moabit entstehen soll. Desweiteren sollen Brücken über die Bahntrasse zur Lehrter Straße und über den Spandauer Schifffahrtskanal entstehen. Die Heidestraße verläuft als Teil der B96 durch das Quartier. Besonders breite Gehwege und die drei Reihen von Bäumen sorgen nach Aussage von Bezirksstadtrat Gothe für eine erhöhte Aufenthaltsqualität.
Weitere Informationen:
Studie Umweltgerechtigkeit
Kreative Historie:
Das ehemals durch Gleisanlagen und Fabrikgebäude geprägte Areal entlang der Heidestraße, nördlich des damals noch existierenden Lehrter Stadtbahnhofes und des Hamburger Bahnhofes, entwickelte in den 2000er Jahren eine große Anziehungskraft für die kreative Szene. Die z.T. leerstehenden Backsteinbauten & Fabrikhallen zogen Künstler*innen und Kreative an. Es entstanden Galerien und Ateliers von namhaften Künstler*innen und Kurator*innen, wie Thomas Demand, Olafur Eliasson oder Tacita Dean. Die Szene schmiedete große Pläne. Eine Kunsthalle sollte Besucher*innen aus der ganzen Welt anlocken. Doch mit den Plänen zum Bau der Europacity verschwanden jene Ideen genauso schnell wie viele Künstler*innen und Kreative. Auch Clubs, wie das Tape, zogen weg und übrig blieben wenige Galerien und die kreative Vergangenheit.
Jürgen Schwenzel aus dem B-Laden erläuterte die künstlerischen und kulturellen Nutzungen in den 2000er Jahren entlang der Heidestraße. Auf dem heutigen Gelände des KunstCampus stand die „Halle am Wasser“, ein Leichtbaugebäude, das als Übergangslösung für Künstler*innen gedacht war. Dort gab es sieben bis acht Ausstellungsräume. Verschiedenste kulturelle Aktivitäten fanden auch im Bereich des Altbaubestandes statt. Es gab zahlreiche interaktive Ausstellungen und Galerien, z.B. Rene Block, mit seiner Ausstellung Tanas Berlin über zeitgenössische Kunst aus der Türkei und arabischen Ländern. „Sehr berühmte Künstler*innen fanden dort ihre Heimat, dessen Kunstwerke in einen Bereich bis 100 Mio. Euro gehen“, so führte Jürgen Schwenzel aus. Es gab außerdem „gemeinsame Spaziergänge der Künstler*innen“ als Event aufgrund der hohen Galeriendichte. „In der Zeit wurde auf der Heidestraße eine Fußgängerampel installiert, weil die Massen an Fußgängern, die da hinüber wollten, weitaus größer waren als die Anzahl der Autos, die dort gefahren sind.“ Nach seiner Meinung gab es damals generell eine hohe städtebauliche Vielfalt in der Architektur der Gebäude.
Weitere Informationen:
Artikel Moabit Online