Wussten Sie, dass …
- die gezielte Zucht auf äußere Merkmale oder Leistungen, die das Kompensationsvermögen des jeweiligen Tieres überfordern, als Defekt- oder Qualzucht bezeichnet wird und nicht nur bei unseren Heimtieren (z. B. Hunden, Katzen, Kaninchen, Meerschweinchen, Ratten, Mäusen, Vögeln und Fischen), sondern auch bei den sogenannten Nutztieren (z. B. Rindern, Puten, Hühnern, Pferden) vorkommt?
- das Thema Qualzucht nicht nur durch Aktionen und Kampagnen der Tierärztekammern in die Öffentlichkeit gebracht werden:
Wer Tiere achtet, denkt um – „umdenken-tierzuliebe“ - Plakatkampagne der Tierärztekammer Berlin gegen Qualzuchten
sondern auch über sog. Influencer Einzug in die sozialen Netzwerke findet:
Facebook – Jaeger und Sammler
Während es für die landwirtschaftliche Tierzucht und Tierhaltung bedauerlicherweise fast als gesellschaftlich anerkannt gilt, dass besondere Erzeugungs- und Vermarktungsbedingungen hinsichtlich der Zuchtziele als „vernünftige Gründe“ in gewissem Umfang gegenüber Tierschutzaspekten Bestand haben können, kann dies für die Heimtierzüchtung, in der Tiere ausschließlich zur Freude des Menschen produziert werden, nicht gelten. Hier bestimmt zwar weitgehend der Modetrend die Zuchtrichtung, auf für das Tier nachteilige Einzelmerkmale und Eigenschaften darf jedoch nach heutigem Verständnis nicht selektiert werden. Das in § 11 b Abs. 1 und 2 TierSchG normierte Zuchtverbot für Wirbeltiere betrifft daher auch ehemals natürlich entstandene körperliche Anomalien und Merkmale, die früher als anerkannte Art- oder Rassemerkmale angesehen und deshalb in Züchtungen weiter angestrebt worden sind, heute aber im Sinne des Tierschutzes mehrheitlich nicht mehr als vertretbar gelten
können. Vor diesem Hintergrund ist zu berücksichtigen, dass diese Verbotstatbestände Ausdruck eines gewandelten Verständnisses über die Bedeutung des Tierschutzes sind, wonach die den Tieren in bestimmten Rassezuchten zugemuteten körperlichen Belastungen nicht mehr hingenommen werden sollen. Diese Sichtweise wird durch die verfassungsrechtliche Verankerung des Tierschutzes in Art. 20 a GG nachhaltig untermauert. Ein Vertrauenstatbestand, der es Züchtern ermöglichen könnte, jedenfalls seit langem unbeanstandet praktizierte Zuchtformen weiterzuführen, besteht unter diesen Umständen nicht mehr (Beschluss vom 26.06.2003 des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs).
Im Gegensatz zu künstlicher Selektion, also der gezielten Zucht durch den Menschen, steht die spontan erfolgende Mutation. Das Vorkommen von Mutationen ist so selten, dass sie für die alltägliche Zuchtpraxis vernachlässigt werden kann. Zwar sind Fell- und Farbschläge genauso wie Erbkrankheiten ursprünglich durch Mutationen entstanden, aber angesichts der Millionen gezüchteter Katzen und der Anzahl der entstandenen Rassen spielen Spontanmutationen eine verschwindend geringe Rolle. Solche Mutationen bringen zufällig ein Lebewesen hervor, das entweder stirbt oder und auch mit einem Handicap eingeschränkt, oft mit kürzerer Lebenserwartung, überleben kann. Bei der gezielten Anpaarung von Tieren mit extremen Merkmalsausprägungen tritt neben dem ethischen häufig noch ein weiteres tierschutzrelevantes Problem auf. Je seltener das natürliche Vorkommen solcher Merkmalsausprägungen ist, desto weniger Tiere stehen für die Zucht zur Verfügung, weshalb speziell bei Rassen mit
sehr kleiner Population der Inzuchtfaktor sehr hoch ist.
Artikel 5 des Europäischen Übereinkommens zum Schutz von Heimtieren verpflichtet diejenigen, die ein Heimtier zur Zucht auswählen, die anatomischen, physiologischen und ethologischen Merkmale bei der Zuchtauswahl von Heimtieren zu berücksichtigen, die Gesundheit und Wohlbefinden der Nachkommenschaft (…) gefährden könnten. Nach § 11 b des Tierschutzgesetzes (TSchG) handelt es sich um eine Qualzüchtung, wenn man damit rechnen muss, dass bei einem gewissen Prozentsatz der Nachkommen die Sinnesorgane funktionsuntauglich sind oder sogar gänzlich fehlen und hierdurch Schmerzen, Leiden oder Schäden auftreten.
Nach HERZOG (1997) liegt ein Schaden im Sinne des TSchG am Tier vor, wenn der Zustand eines Tieres dauerhaft auch nur geringfügig zum Negativen verändert ist. Der Schaden kann auf körperlicher und psychischer Grundlage erfolgen, gleichzeitiges Leiden und Schmerzempfinden muss nicht gegeben sein. Der artgemäße Gebrauch ist dann nicht mehr gegeben, wenn bestimmte, genetisch festgelegte, für die Lebens- und Fortpflanzungsfähigkeit notwendige Funktionen nicht mehr optimal erfüllt oder ausgeführt werden können.
Bei der Rechtauslegung muss weiterhin berücksichtigt werden, dass § 11 b TierSchG lediglich auf die Gefahr abzielt, dass bei der Zucht erkrankte Nachkommen auftreten können. Dies bedeutet, dass zur Erfüllung des Qualzuchttatbestands nicht zwangsläufig defektbelastete Jungtiere geboren werden müssen