Die 9. Strafkammer des Landgerichts Berlin – Jugendkammer – hat mit Beschluss vom 2. November 2022 die Zulassung der Anklageschrift gegen einen mutmaßlichen Wachmann eines NS-Kriegsgefangenenlagers abgelehnt. Der heute 99-jährige Angeschuldigte sei aus gesundheitlichen Gründen dauerhaft verhandlungsunfähig. Die Eröffnung des Hauptverfahrens sei daher aus rechtlichen Gründen abzulehnen gewesen.
Die Staatsanwaltschaft Berlin wirft dem Angeschuldigten mit Anklageschrift vom 5. Mai 2022 vor, in der Zeit von Ende November 1942 bis zum 20. März 1943 in mindestens 809 tateinheitlich zusammentreffenden Fällen Beihilfe zum grausamen Mord an damaligen Inhaftierten des Kriegsgefangenenlagers „Stalag 365“ in Wladimir-Wolynsk geleistet zu haben. Als Angehöriger eines Landesschützenbataillons der Wehrmacht sei der Angeschuldigte unter anderem mit der Bewachung der dort untergebrachten sowjetischen Kriegsgefangenen befasst gewesen. Daneben sei er als einfacher Soldat in der Innenverwaltung des Lagers tätig gewesen.
Im Tatzeitraum seien in dem Lager mindestens 809 sowjetische Kriegsgefangene an den Folgen der bewusst unzureichenden Unterbringungs- und Lebensverhältnisse sowie durch Erschießungen und Misshandlungen verstorben. Der Angeschuldigte habe als Wachmann einen dezidierten Einblick in das Lagergeschehen gehabt. Ihm sei bewusst gewesen, dass er durch seine Tätigkeiten einen reibungslosen Ablauf der angeordneten Massenvernichtung unterstützt habe.
Die Staatsanwaltschaft hatte aufgrund des hohen Lebensalters des Angeschuldigten ein Sachverständigengutachten zur Frage der Verhandlungsfähigkeit des Angeschuldigten eingeholt. Der Sachverständige sei zu dem Ergebnis gekommen, dass bei dem Angeschuldigten keine Verhandlungsfähigkeit vorliege. Eine Besserung sei zudem prognostisch nicht zu erwarten. Das Gericht ist den Ausführungen des Sachverständigen vollumfänglich gefolgt und hat die Anklage daher aus rechtlichen Gründen nicht zur Hauptverhandlung zugelassen.
Über die Zulassung der Anklage hat eine Jugendkammer des Landgerichts entschieden, da der Angeschuldigte zum Zeitpunkt der ihm zur Last gelegten Taten 19 Jahre alt gewesen sein soll und damit als Heranwachsender gehandelt haben soll.
Der Beschluss ist noch nicht rechtskräftig.
Hinweis: Da die Anklage nicht zur Hauptverhandlung zugelassen wurde, ist die rechtlich korrekte Bezeichnung Angeschuldigter – nicht Angeklagter.
Az.: 509 KLs 9/22
Inga Wahlen
Stellvertretende Sprecherin der Berliner Strafgerichte