Im Zivilrechtsstreit wegen der im März 2017 aus dem Bode-Museum in Berlin gestohlenen Goldmünze „Big Maple Leaf“ hat der 6. Zivilsenat des Kammergerichts in der zweiten Instanz als Berufungsgericht das klageabweisende Urteil der Zivilkammer 4 des Landgerichts Berlin vom 17. März 2020, Aktenzeichen: 4 O 63/19 – dahin geändert, dass dem Kläger von den eingeklagten 3,36 Mio. EUR ein Anspruch auf Zahlung von 1,26 Mio. EUR gegen die beklagte Versicherungsgesellschaft zustehe. Wegen des darüber hinaus geforderten Betrages hatte die Klage des Eigentümers dagegen auch in der zweiten Instanz keinen Erfolg.
Der Versicherer (Beklagter und Berufungsbeklagter des Verfahrens) hatte dem Eigentümer (Kläger und Berufungskläger des Verfahrens) nach dem Diebstahl der Goldmünze aus dem Bode-Museum nur 20% der Versicherungssumme ausgezahlt. Das Landgericht Berlin hatte die Klage des Eigentümers der Goldmünze gegen den Versicherer auf Zahlung von 3,36 Mio. EUR nebst Zinsen abgewiesen. Gegen dieses erstinstanzliche Urteil hatten sowohl der Kläger als auch die Stiftung Preußischer Kulturbesitz als Trägerin des Bode-Museums (Streithelferin des Verfahrens auf Klägerseite) Berufung zum Kammergericht eingelegt.
Gemäß den schriftlichen Urteilsgründen hat der 6. Zivilsenat des Kammergerichts seine Entscheidung vom 30. April 2021, die beklagte Versicherungsgesellschaft zur Zahlung von 1,26 Mio. EUR nebst Zinsen zu verurteilen, damit begründet, dass das Bestehen eines Versicherungsvertrages zwischen dem Kläger und der Stiftung Preußischer Kulturbesitz sowie der Eintritt des Versicherungsfalles durch die Entwendung der versicherten Goldmünze im Jahre 2017 jeweils unstreitig seien. Auch seien die Ermittlungen zum Sachverhalt abgeschlossen, so dass der Anspruch auf Zahlung der Versicherungsleistung auch fällig sei.
Allerdings – so der 6. Zivilsenat des Kammergerichts – sei die beklagte Versicherungsgesellschaft gemäß § 26 Abs. 2 Satz 1 des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) in Verbindung mit § 26 Abs. 1 Satz 2 VVG berechtigt, ihre Leistung um 50% zu kürzen. Der Stiftung Preußischer Kulturbesitz als Versicherungsnehmerin habe nämlich grob fahrlässig die Anzeige einer eingetretenen Gefahrerhöhung im Sinne des § 23 Abs. 3 VVG unterlassen. Der Defekt der Fensterflügel in dem Herrenumkleideraum im Bode-Museum sei aber eine anzeigepflichtige Gefahrenerhöhung gewesen. Diese Defekt habe dazu geführt, dass die Öffnungssicherung der elektronischen Sicherungsüberwachung nicht mehr funktioniert, sondern stets einen Alarm wegen einer Öffnung des Fensters in diesem Raum angezeigt habe. Deswegen sei das Fenster im Herrenumkleideraum aus der Öffnungssicherung herausgenommen worden, um die Alarmanlage mit der Öffnungssicherung wenigstens in den übrigen aufgeschalteten Räumen wieder
in Betrieb
nehmen zu können. Dieser Umstand habe zu einer Erhöhung der Wahrscheinlichkeit eines Einbruchs in das Museum mit dem Ziel eines Diebstahls der Münze geführt und sei auch nicht durch andere Umstände kompensiert worden. Gegenüber anderen Fenstern des Bode-Museums habe zudem bezüglich des Fensters dieses Umkleideraumes eine besonders hohe
Wahrscheinlichkeit der Möglichkeit des Eindringens von Tätern in das Gebäude bestanden, weil sich unter diesem Fenster ein Vorbau befinde, der über eine aufgestellte Leiter von der
Bahntrasse aus für Täter zu erreichen gewesen sei.
Der 6. Zivilsenat des Kammergerichts sei daher davon überzeugt, dass die Beklagte die Einzelpolice nicht mit dem konkreten Inhalt abgeschlossen hätte, wenn sie von einer dauerhaften Deaktivierung der Öffnungssicherung am Fenster im Umkleideraum gewusst hätte. Im Ergebnis sei der Versicherungsvertag daher so auszulegen, dass zumindest alle bei Vertragsschluss vorhandenen Sicherungen voll gebrauchsfähig zu erhalten und zu betätigen seien.
Die besonders grobe Verletzung der Anzeigepflicht liege – so der 6. Zivilsenat des Kammergerichts – darin begründet, dass es die Stiftung Preußischer Kulturbesitz nach Eintritt der Gefahrerhöhung im Laufe des Jahres 2014 dennoch über Jahre hinweg unterlassen habe, diese Anzeige zu erstatten. Die Frist zur Anzeige der Gefahrerhöhung sei damit bei Eintritt des Versicherungsfalls im März 2017 bereits lange – deutlich länger als der zulässige 1 Monat – abgelaufen. Der Beklagten sei dagegen diese Gefahrerhöhung bis zum Eintritt des
Versicherungsfalls nicht bekannt gewesen, sondern erst bei der Bearbeitung des Versicherungsfalls nach dem März 2017 bekannt geworden. Bei der Berücksichtigung und
Abwägung aller vorgetragenen Umstände hielt daher der 6. Zivilsenat des Kammergerichts eine Leistungskürzung durch die Beklagte um 50% für angemessen aber auch ausreichend.
Bei einem Versicherungswert der entwendeten Goldmünze in Höhe von 4,2 Mio. EUR entspräche die Leistungskürzung um 50% einem Betrag von 2,1 Mio. EUR. Unter Berücksichtigung der von der Beklagten vorprozessual bereits gezahlten 840.000,- EUR verbleibe eine offene Forderung in
Höhe von 1,26 Mio. EUR, sodass der 6. Zivilsenat des Kammergerichts die beklagte Versicherungsgesellschaft zur Zahlung dieser Summe nebst Zinsen verurteilt hat.
Dieses Urteil ist noch nicht rechtskräftig; gegen die Nichtzulassung der Revision kann Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesgerichtshof innerhalb von einem Monat ab förmlicher Zustellung des Urteils eingelegt werden.
Kammergericht: Urteil vom 30. April 2021, Aktenzeichen: 6 U 1015/20
Landgericht Berlin: Urteil vom 17. März 2020, Aktenzeichen: 4 O 63/19
Antje Klamt
als Vertreterin des Pressesprechers der Berliner Zivilgerichte
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