Landgericht Berlin: Auftrag eines Mieters an eine Legal-Tech-Plattform, die „Mietpreisbremse“ durchzusetzen, ist nach der gegenwärtigen Fassung des Rechtsdienstleistungsgesetzes keine vergütungspflichtige Inkassodienstleistung (PM Nr. 29/2020)
Pressemitteilung vom 29.04.2020
Der Präsident des Kammergerichts
Elßholzstraße 30 – 33, 10781 Berlin
Die für Berufungen in Mietsachen zuständige Zivilkammer 64 des Landgerichts Berlin hat aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 19. Februar 2020 in dem heute in öffentlicher Sitzung verkündeten und dabei mündlich kurz begründeten Urteil entschieden, dass die Rückforderung einer von einem Mieter an seine Vermieterin unter Vorbehalt gezahlten überhöhten Miete nicht mehr als „eigenständige“ Inkassodienstleistung im Sinne der aktuellen Fassung des Rechtsdienstleistungsgesetzes (RDG) bewertet werden könne, wenn der Auftrag des Mieters an die für ihn handelnde Legal-Tech-Plattform darüber hinausgehend gelautet habe, für ihn die „Mietpreisbremse“ bei der Vermieterin durchzusetzen und die im Wohnungsmietvertrag vereinbarte Miete auf das höchstzulässige Maß herabzusetzen.
Zwar könne die Klägerin – eine als Inkassodienstleisterin zugelassene Legal-Tech-Plattform – aus dem an sie abgetretenen Recht des Mieters eine gegen die Vorschriften der „Mietpreisbremse“ verstoßende und von dem Mieter an seine Vermieterin gezahlte überhöhte Miete zurückfordern. Da diese Tätigkeit hier jedoch als Mittel zum Zweck der Durchsetzung der „Mietpreisbremse“ und nicht als „eigenständige“ Inkassotätigkeit im Sinne des RDG zu bewerten sei, könne die Klägerin dafür keine Vergütung nach dem Gesetz über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (RVG) beanspruchen und daher auch nicht von der Vermieterin einklagen.
In dem zugrundeliegenden Rechtsstreit hatte das Amtsgericht Charlottenburg eine u. a. auf Auskunft über vergangene Mieterhöhungen und Modernisierungen, auf Rückzahlung einer überhöhten Monatsmiete sowie auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten gerichtete Klage gegen eine Vermieterin mit Urteil vom 22. März 2019 in der ersten Instanz abgewiesen. Auf die dagegen eingelegte Berufung der klagenden Legal-Tech-Plattform, die gewerblich u.a. die Rechte von Wohnraummietern aus den Vorschriften der sog. „Mietpreisbremse“ (§§ 556d ff. BGB) geltend macht und die sich dafür Rechte des Mieters gegen seine Vermieterin hatte abtreten lassen, haben die Richter der Zivilkammer 64 mit ihrem heutigen Urteil die Entscheidung der ersten Instanz zu den geltend gemachten Auskunftsansprüchen bestätigt, aber der Klage auf Rückzahlung einer überhöhten Monatsmiete im Ergebnis stattgegeben. Die Zivilkammer 64 – so der Vorsitzende in der heutigen Urteilsbegründung – habe bereits in anderen Verfahren entschieden, dass die gesetzlichen Vorschriften über die „Mietpreisbremse“ einschließlich der Berliner Mietenbegrenzungsverordnung wirksam seien und daher der überhöhte Teil der Monatsmiete zurückzuzahlen sei.
Die eigentliche Bedeutung dieses Urteils liegt aber darin, dass nach Auffassung der Zivilkammer 64 des Landgerichts Berlin der vom Mieter an die Legal-Tech-Plattform erteilte Auftrag zur Durchsetzung der „Mietpreisbremse“, auch wenn er die Rückforderung einer vom Mieter gezahlten überhöhten Monatsmiete umfasst, nicht mehr als „eigenständige“ Inkassodienstleistung im Sinne der aktuellen Fassung des Rechtsdienstleistungsgesetzes (RDG) bewertet werden könne. Daher könne die Klägerin für diese Tätigkeit auch keine Vergütung nach dem RVG – im konkreten Fall vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 534,31 Euro nebst Zinsen – beanspruchen.
Die Zivilkammer 64 – so der Vorsitzende in der heutigen Urteilsbegründung – folge zwar der Auffassung des Bundesgerichtshofs in dessen Urteil vom 29. November 2019 – VIII ZR 285/18 –, wonach der Begriff der Inkassotätigkeit ausweislich der Gesetzesbegründung des RDG weit auszulegen sei, um neuen Berufsbildern nicht von vorne herein den Weg zu verstellen und den Bereich der Rechtsberufe und der freien Berufe zu entbürokratisieren und zu liberalisieren.
Im hier zu entscheidenden Fall sei aber angesichts des zur Beauftragung der Klägerin dienenden und mit den Worten „Mietsenkung beauftragen“ beschrifteten Buttons auf ihrer Homepage das Interesse des Mieters nicht darauf gerichtet gewesen, die nach Ausspruch der Rüge wegen Verstoßes gegen die „Mietpreisbremse“ unter Vorbehalt gezahlte Miete teilweise zurück zu erlangen, also Zahlungsansprüche durchzusetzen. Vielmehr habe die Klägerin dem Mieter versprochen, seine Rechte aus den gesetzlichen Vorschriften über die „Mietpreisbremse“ nach Kräften durchzusetzen und die Vermieterin dazu zu bringen, die vertraglich vereinbarte Miete auf das gesetzlich zulässige Maß zu reduzieren. Auch die Vergütung der Klägerin habe nicht etwa vom Gesamtbetrag der insgesamt erfolgreich zurückgeforderten Mietzahlungen, sondern vom Jahresbetrag der durchzusetzenden Mietreduzierung abhängen sollen.
Nicht anders als im Falle der Abwehr einer ungerechtfertigten Mieterhöhung, die auch nach der Gesetzesauslegung des Bundesgerichtshofs nicht mehr als Inkassodienstleistung im Sinne des RDG begriffen werden könne, könne daher nach Auffassung der Richter der Zivilkammer 64 – angesichts des gegenwärtigen Wortlauts des RDG und angesichts des viel weiter gehenden an die Klägerin erteilten Auftrags – die Rückforderung einer überhöhten Miete nicht als „eigenständige“ Inkassodienstleistung angesehen werden, sondern diene der Anspruchsabwehr. In der mündlichen Urteilsbegründung hat der Vorsitzende der Zivilkammer 64 ergänzend ausgeführt, dass es aus Sicht der Kammer erforderlich sei, dass der Gesetzgeber durch eine Konkretisierung des RDG klarstelle, ob auch solche weiter gehenden Tätigkeiten wie die der Klägerin im hiesigen Fall noch als zulässige Inkassodienstleistung bewertet werden sollen.
Dieses Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die Zivilkammer 64 hat die Revision zum Bundesgerichtshof mit der Begründung zugelassen, dass sie mit ihrem Urteil von der Rechtsprechung des VIII. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs abweiche. Eine Revision kann beim Bundesgerichtshof innerhalb von einem Monat ab förmlicher Zustellung des Urteils eingelegt werden.
Wegen der weiteren Einzelheiten muss auf die schriftlichen Urteilsgründe verwiesen werden. Nach den Presserichtlinien kann über diese aber erst berichtet werden, wenn das heute verkündete Urteil den Parteien in schriftlicher Form zugestellt wurde bzw. alle Verfahrensbeteiligten dieses Urteil sicher erhalten haben.
Landgericht Berlin, Urteil vom 29. April 2020, Aktenzeichen: 64 S 95/19
Amtsgericht Charlottenburg, Urteil vom 22. März 2019, Aktenzeichen: 220 C 111/18
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