Die 15. Große Strafkammer – Schwurgerichtskammer – des Landgerichts Berlin hat heute im sog. Wettbüromord-Prozess neun von zehn Angeklagten wegen Mordes bzw. wegen Anstiftung zum Mord zu lebenslangen bzw. langen Haftstrafen verurteilt. Der zehnte Angeklagte wurde von dem Vorwurf der Anstiftung zur Tötung freigesprochen. Alle Angeklagten sind nach den Erkenntnissen des Gerichts Mitglieder der Rockergruppierung „Hells Angels“ bzw. stammen aus deren Umfeld.
Nach fast fünf Jahren Hauptverhandlungsdauer sprachen die Richter – drei Berufsrichter und zwei Schöffen – heute am 300. Verhandlungstag den 30-jährigen Recep O., den 35-jährigen Marko P., den 37-jährigen Rami El-S., den 37-jährigen Steve S., den 36-jährigen Selim B., den 31-jährigen Cenkay T. und den 33-jährigen Marcel K. des gemeinschaftlichen Mordes an Tahir Ö. schuldig und verhängten jeweils lebenslange Freiheitsstrafen.
Auch den 32-jährigen Kassra Z. befand die Kammer des Mordes schuldig. Weil er jedoch durch seine Aussage maßgeblich zur Aufklärung der Tat beigetragen habe, machten die Richter von der sog. Kronzeugenregelung des § 46b Strafgesetzbuch Gebrauch und setzten die Strafe auf zwölf Jahre fest.
Den 35 Jahre alten Kadir P., mutmaßlicher Anführer der Berliner „Hells Angels“, verurteilte die Kammer wegen Anstiftung zum Mord ebenfalls zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Er habe die Tötung in Auftrag gegeben, um die Ehre der „Hells Angels“ nach einer vorangegangenen tätlichen Auseinandersetzung mit dem später Getöteten Tahir Ö. wiederherzustellen.
Nach den Feststellungen des Gerichts haben die Angeklagten O., P., El-S., S., B., T., K. sowie Z. am 10. Januar 2014 gemeinsam mit fünf weiteren z. T. gesondert verfolgten Mittätern auf Weisung des Kadir P. in einem Wettbüro in der Residenzstraße in Berlin-Reinickendorf ihren Widersacher Tahir Ö. erschossen. Zwar habe Recep O. allein die tödlichen Schüsse abgegeben, die übrigen genannten Angeklagten hätten jedoch in bewusstem und gewollten Zusammenwirken und einem gemeinsamen Tatplan entsprechend gemeinschaftlich mit dem Schützen gehandelt, so der Vorsitzende Richter heute in seiner mündlichen Urteilsbegründung. Einem „Überfallkommando“ gleich seien sie in Formation kurz vor 23 Uhr in das Wettbüro einmarschiert und hätten Tahir Ö. ohne Vorwarnung binnen Sekunden gezielt getötet. Dabei hätten sie die Mordmerkmale der Heimtücke und der niedrigen Beweggründe erfüllt.
Den ebenfalls angeklagten heute 43-jährigen Yakup S. sprach das Gericht hingegen vom Vorwurf der Anstiftung zum Mord frei. Ihm sei eine Beteiligung nicht nachzuweisen. Wegen eines im Zuge der Festnahme festgestellten Verstoßes gegen das Waffengesetz verhängten die Richter gegen ihn eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten.
Weil die damals zuständigen Ermittler beim Berliner LKA das spätere Tatopfer Tahir Ö. trotz entsprechender Erkenntnisse nicht vorab vor einem Angriff gewarnt hätten, machte die Kammer von der sog. Vollstreckungslösung Gebrauch: Danach gelten wegen Verstoßes gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens jeweils zwei Jahre als vollstreckt, d.h. die tatsächlich abzusitzende Strafe verkürzt sich in diesem Umfang. Bei einer lebenslangen Freiheitsstrafe bezieht sich diese Vollstreckungslösung auf die Mindestverbüßungsdauer von 15 Jahren, bevor eine etwaige Reststrafenaussetzung nach § 57a StGB geprüft werden kann. Die jeweils seit 2014 erlittene U-Haft ist bei allen Angeklagten ebenfalls anzurechnen.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Es ist binnen einer Woche mit dem Rechtsmittel der Revision anfechtbar.
Der Prozess hatte am 4. November 2014 begonnen. Es wurden insgesamt 346 Zeugen und 26 Sachverständige gehört.
Az.: 515 Ks 7/14
Lisa Jani
Sprecherin der Berliner Strafgerichte