Landgericht Berlin stärkt den Schutz alter Menschen vor der (Eigenbedarfs-)Kündigung ihres Mietverhältnisses (PM 15/2019)
Pressemitteilung vom 12.03.2019
In einem am heutigen Tage verkündeten und mündlich begründeten Urteil hat die unter anderem für Berufungen in Wohnraumsachen zuständige 67. Zivilkammer des Landgerichts Berlin entschieden, dass Mieter vom Vermieter allein unter Berufung auf ihr hohes Lebensalter die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen können.
Die Parteien des Rechtsstreits streiten über die Räumung und Herausgabe einer von den mittlerweile 87- und 84-jährigen Beklagten im Jahre 1997 von den Rechtsvorgängern der Klägerin angemieteten Wohnung. Die Klägerin erklärte im Jahre 2015 die Kündigung des Mietverhältnisses wegen Eigenbedarfs. Die Beklagten widersprachen der Kündigung unter Verweis auf ihr hohes Alter, ihren beeinträchtigten Gesundheitszustand, ihre langjährige Verwurzelung am Ort der Mietsache und ihre für die Beschaffung von Ersatzwohnraum zu beschränkten finanziellen Mittel.
Das Amtsgericht Mitte hat die von der Klägerin erhobene Räumungsklage mit einem am 26. Oktober 2018 verkündeten Urteil, Aktenzeichen 20 C 221/16, abgewiesen.
Die dagegen erhobene Berufung der Klägerin hatte keinen Erfolg. Die Zivilkammer 67 des Landgerichts Berlin hat die Berufung mit der Begründung zurückgewiesen, dass den Beklagten gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB ein Anspruch auf eine zeitlich unbestimmte Fortsetzung des Mietverhältnisses zustehe.
Die Kammer hat es dabei dahinstehen lassen, ob die von den Beklagten behaupteten gesundheitlichen Beeinträchtigungen tatsächlich derartig erheblich sind wie vom Amtsgericht angenommen. Die beklagten Mieter hätten sich berechtigt darauf berufen, dass der Verlust der Wohnung – unabhängig von dessen gesundheitlichen und sonstigen Folgen – für Mieter hohen Alters eine „Härte“ i.S.d. § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB bedeute. Die Vorschrift sei mit Blick auf den durch Art. 1 Abs. 1 GG und das Sozialstaatsprinzip verkörperten und garantierten Wert- und Achtungsanspruch alter Menschen entsprechend weit auszulegen. Die Richter der Zivilkammer 67 haben es dabei dahinstehen lassen, ab welchem Alter sich Mieter auf den Härtegrund „hohen Alters“ berufen können, da das Lebensalter der bereits zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung über 80-jährigen Beklagten nach sämtlichen in Betracht zu ziehenden Beurteilungsmaßstäben hoch sei.
Die Kammer hat gleichzeitig befunden, dass das als Härtegrund eingewandte hohe Alter des Mieters auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters bei nicht auf einer Pflichtverletzung des Mieters beruhenden Kündigungen durch den Vermieter in der Regel die Fortsetzung des Mietverhältnisses gebiete. Eine Interessenabwägung zu Gunsten des Vermieters komme grundsätzlich nur dann in Betracht, wenn der Vermieter besonders gewichtige persönliche oder wirtschaftliche Nachteile für den Fall des Fortbestandes des Mietverhältnisses geltend machen könne, die ein den Interessen des betagten Mieters zumindest gleichrangiges Erlangungsinteresse begründeten. Ein solches müsse in seiner Bedeutung für den Vermieter über ein gewöhnliches „berechtigtes Interesse“ zur Kündigung noch hinausgehen und an die Gründe heranreichen, die die Beendigung des Mietverhältnisses aus seiner Sicht berechtigterweise als geradezu notwendig erscheinen lassen. Ein entsprechend hohes Erlangungsinteresse könne die Klägerin aber nicht geltend machen, da die von ihr beabsichtigte Eigennutzung der Wohnung zum einen nicht auf eine ganzjährige Nutzung und zum anderen auf bloßen Komfortzuwachs und die Vermeidung unerheblicher wirtschaftlicher Nachteile gerichtet sei.
Die Kammer hat die Revision zum Bundesgerichtshof nicht zugelassen. Eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision würde eine Beschwer von über 20.000,00 EUR erfordern. Ob dieser Wert vorliegend erreicht ist, wäre vom Bundesgerichtshof selbst zu entscheiden.
Die schriftlichen Urteilsgründe liegen noch nicht vor.
Landgericht Berlin, Urteil vom 12. März 2019, Aktenzeichen 67 S 345/18
Vorinstanz: Amtsgericht Mitte, Urteil vom 26. Oktober 2018, Aktenzeichen 20 C 221/16
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