Religionsverfassungsrecht
Grundlagen
Die Beziehungen zwischen dem Staat und den Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften werden in erster Linie durch das Grundgesetz geregelt. Dieses sieht keine strikte Trennung zwischen Staat und Religion vor. Vielmehr ist der Staat unter Einhaltung des Neutralitätsgebotes gehalten, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zu fördern. Nach der Kompetenzverteilung des Grundgesetzes sind für die gemeinsamen Angelegenheiten des Staates mit Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften gem. Art. 30, 70 Abs. 1 GG und Art. 140 GG iVm Art. 137 VIII WRV die Länder zuständig.
Die wichtigsten Regelungen finden sich in Artikel 4 des Grundgesetzes (GG) und in den über Artikel 140 GG in das Grundgesetz übernommenen Artikeln der Weimarer Reichsverfassung (WRV). Diese Verfassungsnormen gelten für alle Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften gleichermaßen. Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften werden durch Artikel 140 des Grundgesetzes in Verbindung mit Artikel 137 Absatz 7 der Weimarer Reichsverfassung rechtlich gleichgestellt.
Neben diesen verfassungsrechtlichen Normen hinaus sind viele Fragen in Verträgen zwischen Staat und Religions-, bzw. Weltanschauungsgemeinschaften geregelt.
Glaubens-, Gewissens-, Bekenntnisfreiheit
Jede und jeder kann sich frei zu einer Religion oder Weltanschauung bekennen und einer Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft beitreten. Diese Religions- und Weltanschauungsfreiheit jedes einzelnen garantiert Artikel 4 des Grundgesetzes. In diesem Grundrecht enthalten ist auch die Freiheit, sich nicht zu einer Religion oder Weltanschauung zu bekennen, aus einer Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft auszutreten oder in eine andere überzuwechseln.
Neutralitätsgebot
Der Staat darf sich nicht mit einem bestimmten religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnis identifizieren, sondern muss allen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften neutral und tolerant gegenüberstehen. Anders als in laizistischen Staaten sieht das Grundgesetz allerdings keine strikte Trennung von Staat und Religion vor. Der Staat wirkt mit Religionsgemeinschaften zusammen, etwa um religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisunterricht in den staatlichen Schulen zu organisieren. Dieses Gebot wird insbesondere aus Art. 4 Abs. 1 GG und Art. 140 GG iVm Art. 137 I WRV abgeleitet.
Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften
Das Grundgesetz garantiert den Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, die Formen ihrer Glaubensbetätigung und ihre internen Angelegenheiten ohne staatliche Einflussnahme selber zu organisieren. Die Vereinigungsfreiheit des Grundgesetzes erlaubt jede Form des Zusammenschlusses zu Vereinen und Interessenverbänden mit religiösen, weltanschaulichen, politischen oder kulturellen Zwecken. Im Gegensatz zu anderen Staaten bedarf es in der Bundesrepublik Deutschland daher auch keines staatlichen Anerkennungsaktes für das Bestehen einer Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft. Allerdings ist für das Zusammenwirken von Staat und Religions-, bzw. Weltanschauungsgemeinschaften die rechtliche Organisation von Gläubigen in Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften eine Voraussetzung.
Der Staat kann wegen seiner Verpflichtung zur Neutralität in religiösen und weltanschaulichen Fragen beispielsweise die Inhalte eines bekenntnisgebundenen Religions- oder Weltanschauungsunterrichts nicht selbst bestimmen, sondern ist hierzu auf die Religions-, bzw. Weltanschauungsgemeinschaften angewiesen. Zugleich verpflichten sich die Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zur Rechtstreue gegenüber den verfassungsrechtlichen Grundlagen.
Unter Religions-, bzw. Weltanschauungsgemeinschaften versteht das Grundgesetz Vereinigungen von natürlichen Personen, die sich mit dem Ziel verbunden haben, sich der gemeinsamen Ausübung ihrer Religion oder Weltanschauung zu widmen. Gegenstand der Religions-, bzw. Weltanschauungsgemeinschaft ist die Pflege eines gemeinsamen religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses. Andere Zwecke, etwa die Kultur- oder Brauchtumspflege, konstituieren keine Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft. Sie dürfen daher nur Nebenzwecke einer Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft sein. Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften dienen der umfassenden Erfüllung der durch das religiöse oder weltanschauliche Bekenntnis gestellten Aufgaben. Sie unterscheiden sich damit von den religiös geprägten Vereinen, die sich nur Teilaspekten des religiösen Lebens widmen.
Körperschaften des öffentlichen Rechts (KdöR) sui generis
Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften können in vielfältiger Weise organisiert sein. Häufig sind sie als eingetragener Verein organisiert. Manche haben den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts.
Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften mit dem Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts sind keine gewöhnlichen (mittelbaren oder unmittelbaren) Körperschaften des Staates, sondern Körperschaften des öffentlichen Rechts sui generis (das bedeutet: eigener Art). Anders als andere Körperschaften des öffentlichen Rechts können diese Körperschaften sich auf Grundrechte berufen, unterstehen keiner Fach- und Rechtsaufsicht des Staates und sind nicht Teile der staatlichen Verwaltung, sondern verwalten sich selbst.
Einige Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften haben einen (vor-) verfassungsrechtlich garantierten Körperschaftsstatus. Anderen kann dieser Status unter bestimmten Voraussetzungen auf ihren Antrag hin gewährt werden (Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 5 WRV). Dieser Status räumt den Gemeinschaften, bestimmte Rechte ein, wie z.B. das Recht, Steuern von ihren Mitgliedern zu erheben. Die als Körperschaften des öffentlichen Rechts organisierten Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften können von Steuer-, Gebühren- und Kostenbefreiungen Gebrauch machen. Sie haben eine Wahlmöglichkeit, die Rechtsstellung ihrer Bediensteten privatrechtlich oder öffentlich-rechtlich auszugestalten.
Diese Rechte korrespondieren allerdings mit besonderen Verpflichtungen, sowohl den eigenen Mitgliedern als auch der Allgemeinheit gegenüber. Hier ist insbesondere auf die Geltung der verfassungsmäßigen Ordnung, zu deren Einhaltung die Körperschaft verpflichtet ist, sowie auf die Einhaltung der allgemeinen Gesetze hinzuweisen. Trotz einiger Steuerbefreiungsmöglichkeiten können dennoch Steuern anfallen, soweit sich die Körperschaft in wirtschaftlicher Konkurrenz zu Gewerbetreibenden und Privaten gewerbsmäßig betätigt. Die Möglichkeit, sich selbst zu verwalten und eigenes Recht zu erlassen, korrespondiert mit einem hohen Maß an verfassungsgemäßer und verantwortlicher Ausübung. So muss beispielsweise auch ein verfassungsrechtlich gewährleisteter Austrittswunsch aus der Religionsgemeinschaft von dieser ermöglicht werden. Die Verantwortung als Dienstherr gegenüber den eigenen Angestellten unterliegt ebenfalls der verfassungsrechtlichen Ordnung. Schließlich muss das
Recht zur Widmung von Sachen mit einer der Widmung angemessenen tatsächlichen Nutzung der gewidmeten Sachen einhergehen.
Aus dem Körperschaftsstatus folgt kein Anspruch auf finanzielle Unterstützung durch den Staat. Selbst unter den derzeit bestehenden Körperschaften ist die Zahlung von Staatsleistungen die Ausnahme. Sie ist in diesen Fällen eine ausnahmsweise gewährte Entschädigung für erlittenes Unrecht.
Die Verleihung des Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts ist Sache der Länder. Sie dürfen ihn nur verleihen an Gemeinschaften, die durch ihre eigene rechtliche Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr eines dauerhaften Bestands bieten (Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 5 WRV). In der Staatspraxis werden als Indizien hierfür eine bestimmte Anzahl von Mitgliedern, eine hinreichende finanzielle Ausstattung und eine Bestandszeit von in der Regel 30 Jahren in der Bundesrepublik vorausgesetzt.
Darüber hinaus muss die Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erwarten lassen, dass sie die ihr übertragene Hoheitsgewalt in Einklang mit den verfassungsrechtlichen und sonstigen gesetzlichen Bindungen ausübt und ihr künftiges Verhalten die fundamentalen Verfassungsprinzipien, die dem staatlichen Schutz anvertrauten Grundrechte Dritter sowie die Grundprinzipien des freiheitlichen Religions- und Staatskirchenrechts des Grundgesetzes nicht gefährdet.
Liste der Religionsgemeinschaften mit dem Status als Körperschaft des öffentlichen Rechts in Berlin
Der Beauftragte für Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften
Herr
Hartmut Rhein