Faire und gerechte Lösung für Kirchner-Gemälde aus der Wallerstein-Sammlung im Brücke-Museum erreicht
Pressemitteilung vom 04.06.2024
Die Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt unter Leitung von Kultursenator Joe Chialo und Staatssekretärin Sarah Wedl-Wilson und Anne Webber, Co-Vorsitzende der Commission for Looted Art in Europe, als Vertreterin der Erben von Dr. Victor Wallerstein, geben gemeinsam bekannt, dass für den Restitutionsanspruch für das Gemälde „Erich Heckel und Otto Mueller beim Schach“ (1913) eine faire und gerechte Lösung gefunden wurde. Das bedeutende Gemälde verbleibt im Berliner Brücke-Museum und wird ab September im Rahmen der Ausstellung „Biografien der Moderne. Sammelnde und ihre Werke“ präsentiert. Der Verbleib wird ermöglicht durch die finanziellen Mittel der Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt, der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, der Kulturstiftung der Länder und der Ernst von Siemens Kunststiftung.
Joe Chialo, Senator für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt: „Die Aufarbeitung des NS-Kunstraubes und die Auseinandersetzung mit den Schicksalen der überwiegend jüdischen Opfer sind gesamtgesellschaftliche Aufgaben von immenser Bedeutung. Seit 2010 fördert der Berliner Senat Projekte zur systematischen Prüfung der Provenienz von Kunstwerken in den Berliner Kultureinrichtungen. Damit kommt das Land Berlin seiner historischen Verantwortung nach, auf der Grundlage der Washingtoner Prinzipien von 1998 NS-Raubgut zu identifizieren, zu dokumentieren und an die Berechtigten zurückzugeben. Der engagierten Erfüllung dieser Aufgabe sind und bleiben wir den von den Nationalsozialisten ihres Eigentums und ihrer Rechte beraubten, verfolgten und ermordeten Menschen und ihren Familien weiterhin schuldig.“
Kulturstaatsministerin Claudia Roth: „Es ist es sehr erfreulich für Berlin und ganz Deutschland, dass dieses bedeutende Gemälde Ernst Ludwig Kirchners dauerhaft im Brücke-Museum öffentlich zugänglich bleiben kann. Dafür danke ich den Erben sehr herzlich. Die Bundesregierung hat den Ankauf des Gemäldes sehr gerne unterstützt. Zudem freue ich mich, dass die Besucherinnen und Besucher des Museums zukünftig mehr über das Leben, Wirken und Schicksal von Victor Wallerstein als einem der Wegbereiter der Moderne erfahren werden.“
Anne Webber, Co-Vorsitzende der Commission for Looted Art in Europe: „Für die Erben ist die faire und gerechte Lösung dieses Restitutionsanspruchs eine Anerkennung des Schmerzes, des Terrors und der Tragödie, der die unschuldige Familie Wallerstein ausgesetzt war. Sie ist auch eine Anerkennung des kulturellen Beitrags, den Dr. Victor Wallerstein und seine Geschwister für die Kunst und die Gesellschaft in Deutschland geleistet haben und der das Wesen der Familie ausmachte. Die Erben sind erfreut, dass dieses Gemälde, das unter Zwang veräußert wurde, im Brücke-Museum verbleiben kann, und freuen sich, dass die kommende Ausstellung ‚Biografien der Moderne. Sammelnde und ihre Werke‘ Dr. Victor Wallerstein als einen der führenden Mäzene des deutschen Expressionismus würdigen wird.“
Der jüdische Kunsthistoriker Dr. Wallerstein (geb. 1878 in Prag – gest. 1944 in Florenz) war ein bedeutender Kunstkenner, Kunsthändler, Sammler und Förderer der Künstlerinnen und Künstler der Moderne. 1919 hatte Dr. Wallerstein gemeinsam mit Dr. Fritz Goldschmidt in Berlin die „Galerie Goldschmidt – Wallerstein“ gegründet, in deren Abteilung für moderne Kunst u.a. die „Brücke“-Künstler ausgestellt wurden. Neben seiner Tätigkeit als Kunsthändler und Galerist baute Dr. Wallerstein eine private Sammlung auf, zu der auch Werke von Oskar Kokoschka und Ernst Ludwig Kirchner zählten und pflegte persönliche Kontakte und Freundschaften zu vielen Künstlern seiner Sammlung.
Aufgrund der NS-Diktatur wurde die Kunsthandlung im Sommer 1934 zwangsweise geschlossen und musste im Juni 1936 liquidiert werden. Wallerstein selbst war durch die nationalsozialistische Verfolgung gezwungen, Berlin, den Mittelpunkt seines Lebens, zu verlassen. 1936 suchte er Zuflucht in Italien und nahm einen kleinen Teil seiner Privatsammlung, einschließlich des Gemäldes „Erich Heckel und Otto Mueller beim Schach“, mit. In Florenz, wo er nach den italienischen Rassengesetzen weiterer Verfolgung ausgesetzt war, hatte er keine Möglichkeit, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Dr. Wallerstein sah sich durch die deutsche und italienische Repression gezwungen, Kunstwerke zu verkaufen, darunter das Kirchner-Gemälde, das er um 1940 veräußern musste. Dr. Victor Wallerstein starb im Juli 1944 in einem Krankenhaus in Florenz, nach seiner Festnahme durch die SS. 1973 gelangte das Gemälde aus dem Kunsthandel in das Brücke-Museum.
In Anerkennung der Verfolgung Dr. Wallersteins durch das Nazi-Regime und des erzwungenen Verkaufs des Kirchner-Gemäldes einigten sich die Beteiligten gemäß den Washingtoner Prinzipien von Dezember 1998 darauf, dass das Werk gegen eine Entschädigungszahlung an die Erbengemeinschaft im Brücke-Museum verbleibt. Über die Höhe der Entschädigung wurde Stillschweigen vereinbart.
Ernst Ludwig Kirchners Gemälde zählt zu den Höhepunkten seiner Berliner Schaffenszeit. Kurz vor Auflösung der Künstlergruppe „Brücke“ im Jahr 1913 geschaffen, zeigt es eine intime Atelierszene, die sich vermutlich in seinem Wohnatelier in der Durlacherstraße abspielt: Dargestellt sind seine Künstlerfreunde und Brücke-Kollegen Erich Heckel und Otto Mueller beim Schachspiel, im Hintergrund liegt Kirchners Lebensgefährtin Erna Schilling unbekleidet auf einem Sofa. Stilistisch ist das Werk ein typisches Beispiel für Kirchners Berliner Jahre, eine perspektivische Verzerrung und das Gegenüber von aufsteigenden und abfallenden Linien erzeugen eine besondere, aufgeladene Atmosphäre. Doch nicht nur stilistisch nimmt das Werk eine wichtige Rolle im Gesamtwerk des Künstlers ein. Es ist das letzte malerische Dokument der Brücke-Gemeinschaft vor deren Auflösung. In diesem Sinne ist das Gemälde von besonderer Bedeutung im Bestand des Brücke-Museums.
Prof. Dr. Markus Hilgert, Generalsekretär der Kulturstiftung der Länder: „Ich freue mich, dass Ernst Ludwig Kirchners Gemälde ‚Erich Heckel und Otto Mueller beim Schach‘, das von gesamtstaatlicher kultureller Bedeutung ist, in Berlin verbleiben kann. Das Brücke-Museum ist der ideale Ort, um das Werk in seinem kunsthistorischen, regionalen und insbesondere auch provenienzgeschichtlichen Kontext zu zeigen. Insbesondere freut es mich, dass nun auch die Rolle des Sammlers Victor Wallerstein – der exemplarisch für viele jüdische Biografien steht – durch die Vermittlung im Museum eine Würdigung erfährt.“
Dr. Martin Hoernes, Generalsekretär der Ernst von Siemens Kunststiftung: „Eine private Kunststiftung beteiligt sich in gleicher Höhe wie Bund und Ländergemeinschaft an der fairen und gerechten Lösung, die den Verbleib eines verfolgungsbedingt verkauften Kunstwerks im Brücke-Museum ermöglicht. Die große Bedeutung von Kirchners Gemälde ‚Erich Heckel und Otto Mueller beim Schach‘ für die vorzügliche Sammlung des Brücke-Museums und die Kunststadt Berlin – aber auch die gemeinsame Verantwortung für die Aufarbeitung der unsäglichen Barbarei des nationalsozialistischen Deutschlands haben uns zum Engagement motiviert.“
Lisa Marei Schmidt, Direktorin Brücke-Museum: „Ein transparenter und verantwortungsvoller Umgang mit der Erforschung der Herkunftsgeschichten der Werke unserer Sammlung gehört für mich mit zu den dringlichsten Aufgaben der musealen Arbeit. Das Unrecht der nationalsozialistischen Verfolgung und das daraus resultierende Leid bedeutet für uns eine große Verpflichtung. Umso mehr freut es mich, dass in Bezug auf Kirchners Gemälde ‚Erich Heckel und Otto Mueller beim Schach‘ eine faire und gerechte Lösung gefunden werden konnte. Dass dieses wunderbare Werk, das einen Höhepunkt in Kirchners Berliner Schaffen darstellt, im Brücke-Museum verbleiben darf, ist dabei von besonderem Wert. Gleichzeitig ist es mir ein wichtiges Anliegen das Andenken an den ehemaligen Eigentümer Victor Wallenstein zu bewahren.“
Das Brücke-Museum widmet sich seit 2018 intensiv der Erforschung der Provenienzen der Sammlung. Die kommende Ausstellung „Biografien der Moderne. Sammelnde und ihre Werke“ vom 1. September bis 24. November 2024 gibt Einblicke in die Provenienzforschung am Haus. Der Fokus der Präsentation liegt dabei nicht auf den Herkunftsgeschichten der Kunstwerke, sondern auf den Biografien von neun früheren Eigentümerinnen und Eigentümern: visionäre jüdische Persönlichkeiten, die die moderne Kunst in Deutschland maßgeblich unterstützt und gefördert haben. Dr. Victor Wallerstein wird als eine der zentralen Personen erinnert und geehrt – und das Gemälde „Erich Heckel und Otto Mueller beim Schach“ prominent präsentiert werden. Die Erforschung der Provenienz erfolgte am Brücke-Museum mithilfe der Förderung des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste und der Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt.
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Pressemitteilung: Faire und gerechte Lösung für Kirchner-Gemälde aus der Wallerstein-Sammlung im Brücke-Museum erreicht
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Press release: A fair and just solution agreed for a Kirchner painting from the Wallerstein Collection in the Brücke-Museum
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