Laudatio Frauenpreis 2024

Laudatio von Prof. Dr. Susanne Baer an Prof. Dr. Heide Pfarr

Die wahren Eigenschaften der Berlinerin:
Deshalb Heide Pfarr! Laudatio zur Vergabe des Berliner Frauenpreises 2024 Susanne Baer

Der Berliner Frauenpreis wird seit 1987 an „weibliche Persönlichkeiten der Stadt Berlin“ vergeben. Er ist dotiert – das ist weder selbstverständlich noch bei einer Person banal, die sich für Lohngleichheit einsetzt. Zudem gibt es Kunst – und das ist bei einer Person, die sehr kreativ ist, ebenfalls erwähnenswert. Aber warum erhält sie den Preis: Heide Pfarr?

Alle Bürgerinnen und Bürger sind vorschlagsberechtigt.
Es gab dreizehn Vorschläge. Die Jury hat sich für Heide Pfarr entscheiden. Nur: warum?
Sie mag so viel Aufhebens um sich selbst eigentlich nicht: Zu persönlich, zu privat. Aber jetzt ist es zu spät: Auf der Website der Senatsverwaltung wird betont, der Rechtsweg gegen die Entscheidung der Jury sei ausgeschlossen. Also kommt hier die Begründung: Deshalb Heide Pfarr.
Sie sagt über sich selbst, nicht untypisch kurz, klar, wahr: „Ich bin, ganz kurz gefasst, Sozialdemokratin, gewerkschaftsnah, organisationsfreundlich, nicht allzu dogmatisch, sozialwissenschaftlich orientiert, dennoch nehme ich Norm und Normtext ernst.“ 1 Und das genügt doch eigentlich. Aber dafür ist es auch zu spät. Hier wird immerhin der Frauenpreis des Landes Berlin verliehen. Also gibt es eine Laudatio:
Deshalb Heide Pfarr!

Als Moderatorin des Abends hat Ulrike Spangenberg bereits darauf hingewiesen, dass hier eine Juristin ausgezeichnet wird. Schon das ist bemerkenswert. Offiziell heißt es in der Pressemitteilung: „Die Preisträgerin erhält den Preis für ihren jahrzehntelangen Einsatz für die Gleichstellung der Geschlechter in der Arbeitswelt.“
Sie setze sich „unter vielem anderen für die Lohngleichheit von Frauen und Männern ein.“ Auch das ist nicht wenig. Aber das ist auch nicht alles. „Unter vielem anderen“ heißt es da. Was steckt dahinter?

Die Senatorin hat ergänzt; Sie ist „ein Vorbild für viele Frauen, die …
in Wissenschaft und Politik Führungspositionen anstreben.“ Und Heide Pfarr hat tatsächlich sehr sehr viele gefördert. Oder sagen wir mal: Sie hat gefordert und gefördert, in der ihr ganz eigenen Art.
Bislang wissen wir also: Einsatz, maßgeblich, Vorbild. Deshalb Heide Pfarr. Aber ist es nur das? Was steckt wirklich dahinter? Und da sie unglaublich scharfsinnig ist und schnell im Kopf, bin ich jetzt natürlich nervös. Hoffentlich hat sich kein Fehler eingeschlichen. Doch auch für mich ist es für einen Rückzieher zu spät. Also: Deshalb tatsächlich Heide Pfarr!

So ganz Berlin

Das zentrale Kriterium zur Vergabe des Berliner Frauenpreises lautet: Es muss eine in Berlin wirkende Frau sein, und sie muss leben, es gibt den Preis nicht posthum. Also: eine Berlinerin.

Offiziell stimmt das so einigermaßen: Heide Pfarr ist nicht hier geboren, sondern in Godendorf – 70 Meter über Normalnull, also sofort mit Bodenhaftung. Aber sie ist früh nach Berlin gekommen, hier aufgewachsen, hat Abitur an der Leibniz Schule in Kreuzberg gemacht und an der FU Berlin 1963-1968 studiert. Und sie ist zurückgekehrt, vor einigen Jahren, lebt also hier. Tatsächlich steckt natürlich mehr dahinter. Heide Pfarr ist nämlich, hugenottisch gesagt, „très Berlin“. Sie wollte eigentlich nicht Jura, sondern Theaterwissenschaften und Germanistik – um sich dem „Weltschmerz“ hinzugeben. War nüscht, is nich. Also weitermachen. Très Berlin.
Und Jura, das war dann hart und herzlich. Arbeitsrecht!
Im Job in einem kleinen metallverarbeitenden Betrieb in Kreuzberg hat sie früh erlebt, wie Erwerbsarbeit funktioniert: Diskriminierend. Und solidarisch, in der Pause mit den Arbeiterinnen. Rau, aber liebevoll, und clever. Eben très Berlin. Aktuell ist Heide Pfarr im roten E-Mobil unterwegs, tritt auch in Lederjacke auf, ist in einer Bar tätig – es ist die „Haltbar“, wo Dinge getauscht werden zugunsten der Berliner Tafel. Alles très Berlin. Und sie bleibt kreativ, war leidenschaftliche Fotografin, tanzt, macht Bleiglasmosaike, vor allem Perlen und Monsterpuppen, und was für welche … eben très Berlin.
Und das war und ist natürlich nicht alles.
Es gibt noch (mindestens) vier weitere Gründe, die Heide Pfarr zu einer Berliner Persönlichkeit machen. Sie ist
1. so unglaublich politisch,
2. so clever,
3. so kluge Avantgarde und
4. so direkt und witzig.

So unglaublich politisch

Das 1. Kriterium für diesen Preis ist das „besondere und überdurchschnittliche Engagement für die Emanzipation der Geschlechter“. Es stimmt! Heide Pfarr ist ein zutiefst politischer, vor allem aber auch ein zutiefst unideologischer Mensch. Das ist ganz offiziell so: 1971 in die SPD eingetreten. Weil die Frauenbewegung die Arbeiterinnen vergaß und die Arbeiterbewegung die Frauen. Sie sagte dazu mal, sie wolle „neben der Frauenbewegung das Überleben der Arbeiterbewegung sichern …. Und ich denke, wenn beide getrennt weitermarschieren, dann geht das schief – für beide.“ 1987 wurde sie Mitglied im Deutschen Juristinnenbund, dem djb: ein überparteilicher, aber für Frauen höchst parteiischer Verein.
Irgendwann wurde sie Mitglied des Gewerkschafts- und Sozialbeirats von Bündnis 90/Die Grünen.
Also immer irgendwo mit einer Idee unterwegs.

Das politische Talent haben dann auch mehrere erkannt. 1983 stand Heide Pfarr im Schattenkabinett Engholm in Schleswig-Holstein für das Justizressort, 1986 in Niedersachsen im Schattenkabinett Schröder als Wirtschaftsministerin. Sie war von 1989 bis 1991 Senatorin für Bundesangelegenheiten und Europabeauftragte des Landes Berlin, kurz auch für Schulwesen, Berufsbildung und Sport, also Ministerin in der ersten deutschen Regierung, der mehr Frauen als Männer angehörten, unter Momper. Und 1991 bis 1993 war sie Ministerin im Kabinett Eichel in Hessen. Das ist die offizielle Bilanz. Tatsächlich steckt natürlich mehr dahinter: Heide Pfarr wollte eigentlich was anderes. Sie wollte einen Öko-Bauernhof in Lüchow- Dannenberg. Biodynamisch. Traktoren, Hühner. Das wurde nichts. Unser Glück. Und Heide Pfarr regt sich auf. Sie kann es nicht leiden, wenn jemand sie hinter die Fichte führen will, oder schlimmer noch: Wenn jemand keine Argumente hat. Daher ist sie der Politik „immer wütender geworden“. Und Heide Pfarr ist unideologisch konsequent. Solidarität ist ihr wichtig, zum Beispiel. Also initiierte sie in Berlin mit den Kolleginnen im Senat kein Küchenkabinett, sondern gleich ein Hexenfrühstück. So geht das.

So unglaublich clever

Das 2. Kriterium für die Vergabe des Berliner Frauenpreises ist eine „Position als Vorreiterin“. Auch das trifft zu! Heide Pfarr ist nicht nur unglaublich unideologisch politisch, sondern auch unglaublich clever.
Offiziell sieht das so aus: 1991 bis 1993 war sie Staatsministein für Frauen, Arbeit und Sozialordnung im Kabinett Hans Eichel. Die Kombi macht´s! So hatte sie sich das gewünscht. Und sie betrieb dann sofort aktive Frauenförderung, mit der ersten Abteilungsleiterin in einem Arbeitsministerium. Sie entwickelte das „Hessische Gesetz über die Gleichberechtigung von Männern und Frauen und zum Abbau von
Diskriminierung von Frauen in der öffentlichen Verwaltung“. Das war und ist wegweisend! Und es hielt stand, als die CDU-Fraktion es vom Gerichtshof der Europäischen Union, dem EuGH, überprüfen ließ, in der Rechtssache Badeck. Das ist bis heute beispielgebend, denn so differenziert kann Quote sein!
Und dabei blieb es nicht. Im Herbst 2000 beauftragte die Bundesministerin Bergmann Heide Pfarr damit, ein Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft zu entwerfen. Die baute flugs eine Expertinnenkommission und legte einen Entwurf vor. Der scheiterte am Kanzler: „Gedöns“. Aber er war clever und ist bis heute wegweisend. Clever nicht nur da. Heide Pfarr setzt nie nur einfach auf Recht, sondern setzte schon auf regulierte Selbstregulierung, also davon keiner so sprach. Ihr geht es nie nur um die Norm, sondern immer auch um die Durchsetzung; sie denkt materielles Recht und Verfahrensrecht zusammen. „Die Entgeltgleichheit…erfordert ein Durchsetzungsgesetz“ schreibt sie in den WSI Mitteilungen 2011. Und da müssen alle ran: „Entgeltgleichheit in kollektiven Entgeltsystemen: Aufgabe für die
Tarifparteien, die Rechtsprechung, aber auch die Gesetzgebung“.

Clever also, die Heide. Das setzt sich, freundlich formuliert, nicht immer gleich durch. Sie ist eben ihrer Zeit oft voraus. Wenn Gewerkschaften und Betriebsräte auch Frauenpolitik machen sollen, ignoriert auch sie nicht, welch ambivalente Rolle die Kollegen als Verbündete und Gegner oft spielen. Aber clever ist es. Wie auch das kurze Duett mit Thomas de Maizière, 2023, als Schlichterin im Bahnstreik.
Das ist das Offizielle. Aber tatsächlich steckt auch hier mehr dahinter. So gibt es da eine sehr sportliche Seite, durchaus kompetitiv. Die sollten Sie nichtunterschätzen: Heide Pfarr spielt immer streng nach den Regeln – Dogmatik, Systematik, Logik, Klarheit, Bestimmtheit – you name it. Sie lässt sich darauf ein.Aber sie tut auch alles, um zu gewinnen. Es gibt da ein „Jetzt hab ich Euch!“ Sie freut sich dann nicht nur. Sie freut sich diebisch, wenn es gelingt. Sollte sie also jemals nur lächeln, wo es um ihre Anliegen geht – seien Sie auf der Hut!

So unglaublich klug und ihrer Zeit voraus

Das 3. Kriterium für diesen Preis sind „zukunftsweisende und innovative Ideen und Konzepte“. Und das stimmt auch! Heide Pfarr ist nicht nur unideologisch politisch und unglaublich clever, sie ist auch unglaublich klug und sehr oft ihrer Zeit voraus. Offiziell sieht das so aus: Ihr Staatsexamen war damals das Beste der letzten 5 Jahre. Die Ämter: reichlich Spitzenjobs. Und so viele Bücher und Aufsätze und Reden. Wir haben keine offizielle Liste gefunden. Aber Luna Mono hat gesucht. Und was sich findet, hat es in sich. Da ist das Gutachten mit Klaus Bertelsmann zur „Lohngleichheit“ von 1981. Marianne Weg nannte es einen „frauenpolitischen Paukenschlag.“ Dann kam 1985, wieder mit Bertelsmann, das rote Buch: „Gleichbehandlungsgesetz. Zum Verbot der unmittelbaren und der mittelbaren Diskriminierung von Frauen im Erwerbsleben“. Sie hat die mittelbare Diskriminierung nicht erfunden, aber sie hat sie nach Deutschland übersetzt. Mit Bertelsmann folgte 1989 „Diskriminierung im Erwerbsleben: Ungleichbehandlung von Frauen und Männern in der Bundesrepublik Deutschland“. Ein Grundlagenwerk, lesenswert bis heute. Und es gibt noch viel mehr, oft in Koproduktion. Mit Herta Däubler-Gmelin und Marianne Weg hieß es „Mehr als nur gleicher Lohn“ 1985; mit Christine Fuchsloch in der NJW die „Verfassungsrechtliche Beurteilung von Frauenquoten“ 1988, mit Ulla Schmidt „Für eine humane Gestaltung der Nachtarbeit für Frauen und Männer“ 1992, mit Eva Kocher die tolle Studie zu „Kollektivverfahren im Arbeitsrecht:
Arbeitnehmerschutz und Gleichberechtigung durch Verfahren“ 1998, mit Marcus Bradtke etwas für die Unternehmen 2005, mit Ulrich Haug und Gerhard Struck zur „Beschleunigung des arbeitsrechtlichen Verfahrens“ 2020, und mehrfach mit Isabell Hensel zu Gleichstellung in der und für die Privatwirtschaft (RuP 2021, djbZ 2023). Heide Pfarr ist unglaublich klug, und innovativ, auch weil sie ständig mit anderen denkt, wie mit den Arbeiterinnen in Kreuzberg, und sie fordert und fördert.
Noch schlagkräftiger wird das in Gruppen. Da ist die Arbeitsgruppe Benchmarking über Möglichkeiten zur Verbesserung der Beschäftigungschancen gering qualifizierter Arbeitnehmer 1999. Oder „ihre“ Expertinnenkommission – mit Weber, Rust, Schiek, Lawkowski, Kocher – für den Entwurf eines Gleichstellungsgesetzes für die Privatwirtschaft 2001. Oder, als Direktorin des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts in der Hans-Böckler-Stiftung 1995 bis 2011, das interdisziplinäre Team für Untersuchungen zur „Regulierung des Arbeitsmarktes“, REGAM.
Heide Pfarr also mit anderen oder in Gruppen gut. Aber sie ist auch allein nicht ohne.
1976 erhält sie den Ruf auf eine Professur an der Universität Hamburg, für
Bürgerliches Recht und Arbeitsrecht, bis 2010. Wohlgemerkt: Entscheidend waren die Stimmen der Studierenden, gegen viele Kollegen, eben: Avantgarde: Anfang der 1980er Jahre gab es acht Frauen unter 730 Juraprofessoren. 2 1986 wurde sie als erste Frau in der Geschichte der Universität Hamburg dann deren Vizepräsidentin.
Schwups kam der 1. Frauenförderplan. Und postwendend denunzierte ihn eine progressive Fakultät als verfassungswidrig. Wir wissen: Das hat sie nicht verschreckt. Ganz im Gegenteil: Heide Pfarr steht wie kaum andere für die Quote – clever, unglaublich klug und oft ihrer Zeit voraus. 1984 votiert sie für Gleichstellung, die auch Männern nutzen würde, „wenn sie als vollständige Menschen leben wollen“ (so in der Kritik am EuGH, der Vätern keinen „Mutterschaftsurlaub“ geben wollte). 3 Sie kritisiert all jene scharf, die behaupten, Recht sei wirtschaftlich eher dysfunktional. Und wem ein hübsches Gesetz genügt, wird von Heide Pfarr sofort damit konfrontiert, dass es Strukturen braucht, institutionelle Absicherung, damit Themen dauerhaft auf der Agenda bleiben. Clever, klug, oft ihrer Zeit voraus, innovativ. Und immer wieder die Frauenförderung, gegen alle Widerstände. Der Spiegel schrieb 1992: „Heide Pfarr ist eine der Anstifterinnen des Geschlechterstreits um Arbeitsplätze.“ Eine Anstifterin – wie aufregend! Jutta Limbach nannte sie eine „Vorkämpferin der Frauenpolitik“. Wenn Sie also eine wirklich scharfsinnige Argumentation zur Quote wollen – lesen Sie nochmal „Quoten und Grundgesetz: Notwendigkeit und Verfassungsmäßigkeit von Frauenförderung“ 1988, oder zackiger „Quotierung – Ein Reizwort auch in der Verfassung“ in: Feministische Studien 1991 – oder fragen Sie einfach Heide Pfarr.
Dann hören Sie zum Beispiel: „Es besteht kein Anlass, mit Mitteln der Politik oder des Rechts anzustreben, dass Frauen heute und zukünftig erwerbstätig sind unter Bedingungen, die auf Männer und ihre Lebensmuster hin konzipiert sind und in ihren Grundstrukturen menschen- und familienfeindlich sind.“ 4 Und auch noch: „Frauenpolitik ist Institutionskritik, Frauenpolitik ist Gesellschaftsreform.“ 5
Ihr Ansatz ist umfassend und übrigens, wie es heute heißt: intersektional. Heide Pfarr betrieb Gleichstellungspolitik avant la lettre, also bevor es dieses Konzept und die Kontroversen gab. Sie nahm die unterschiedlichen Lebenslagen von Frauen in den Blick. So setzte sie in Hessen die Gründung eines Frauenverbands für Behinderte „auf die Spur“. Natürlich betont sie dann sofort, es habe an den vielen schlauen Frauen gelegen, dass daraus etwas wurde. Aber sie war es auch, und ist auf die Idee auch „mächtig stolz“. Unglaublich klug also, oft ihrer Zeit voraus, innovativ. Alles da. Und tatsächlich steckt auch hier noch mehr dahinter. Heide Pfarr hat nicht nur Dinge gedacht und getan, bevor die Konzepte populär wurden. Mit Eva Kocher lässt sich hinzufügen: „Es gibt wenige Frauen, die in einer Männerwelt Karriere gemacht haben und dennoch in der Lage sind, eigene Diskriminierungserfahrungen so klar zu
reflektieren.“ Manches wird sie auch mit dem wunderbaren Thomas Dietrich besprochen haben: Im Doppelpack völlig unschlagbar – scharfsinnig, politisch, clever, klug, den Dingen oft weit voraus, noch dazu charmant … Und ich sage nur: E-Mobil. Perlen. Monsterpuppen. Très Berlin.

So unglaublich direkt

Das letzte, 4. Kriterium für diesen Frauenpreis an Berlinerinnen ist ein „besonderes Engagement für soziale Gerechtigkeit“.
Ich lege das so aus:
„Besonders“ bedeutet bei Heide Pfarr besonders direkt, besonders witzig. Und auch das ist besonders Berlin.
Dafür gibt es wieder offizielle Belege. Besonders direkt wird Heide Pfarr wie erwähnt beim Thema Quote. In einer Anhörung im Parlament sagt sie 1985: „Natürlich gibt es Quoten, die an das Geschlecht anknüpfen, die nicht für rechtswidrig gehalten werden und an denen sich niemand stört – Quoten zugunsten von Männern. Hierfür gibt es zahlreiche empirische Beispiele!“ Denn: „Es ist doch heute auch nicht so, dass jede Position an den vergeben wird, der dafür am besten geeignet wäre. Und was sind denn die Kriterien für die vielumjubelte Qualifikation:
Eine laute Stimme, so albern das klingt, gilt als Wert. … Eine Bevorzugung von Frauen brächte nicht unqualifizierte Kandidatinnen in Ämter und Funktionen, aber vielleicht welche mit anderen Qualitäten.“ 6 Aha.
So direkt wird Heide Pfarr auch gern im Arbeitsrecht:
Diskriminierende Tarifverträge sind verfassungswidrig und nicht von der Tarifautonomie gedeckt. Das Normalarbeitsverhältnis ist ein männliches Konstrukt. Und ein Forschungsinstitut der Gewerkschaften muss auch gewerkschaftskritische Studien veröffentlichen, gern mit Pressemitteilung, und auch mit Peer Review-Verfahren bei den WSI-Mitteilungen. Wenn schon, denn schon.
Aber tatsächlich steckt auch da natürlich mehr dahinter. Heide Pfarr hat für die direkte Art, wie sie sagt, oft „Dresche bezogen“, in der Politik, in den Gewerkschaften, in der Wissenschaft. Auf die Professur wurde sie eben mit der Mehrheit der Studierenden berufen, gegen viele Kollegen. Einmal musste sie auch vorzeitig aus einem Amt gehen: Das war nicht schön. Aber sie sagt über sich selbst: „Wenn man es gemütlich haben will, ist es gewiss der falsche Weg.“ Und über andere: „Ich will Frauen in der Politik haben, die noch nicht beschliffen sind, echter Sand im Getriebe. Massenhaft will ich welche haben, die es wagen, auch dumme Fragen zu stellen. Sie müssen dasitzen und sagen: Das geht auf Kosten der Frauen und dann dagegen stimmen. Das werden Männer den Frauen doch wohl zutrauen.
Jede kann das.“ 7
Marion Eckertz-Höfer nennt sie „angstfrei“. Ich würde sagen: direkt und in diesem Sinne „besonders“.
Außerdem ist Heide Pfarr witzig, gerade auch in den harten politischen Fragen. Marianne Weg spricht von „Souveränität und Prägnanz beim Vortrag“; sie „verschiebt gewohnte Machtverhältnisse und Rederituale“.
Und sie hat einen besonderen Witz, zumindest für manche. Zum Beispiel: „Frauen verhalten sich unterschiedlich. Manche bleiben kühl, manche weinen, manche schreien herum, manche sind von Männern überhaupt nicht zu unterscheiden. Frauen sind eigene Persönlichkeiten. Das verblüfft Männer immer wieder.“ 8 Heide sagt so was! Oder zum Arbeitsrecht: Das sei ein „Tanker im Nebel“ (GM 1995). Das fanden sicher nicht alle lustig, ist es aber irgendwie.
Oder ganz kühl: „Frauenpolitik ist nicht nur dringend notwendig, sondern ebenauch unter bestimmten Umständen und in eingeschränktem Maße auch möglich.“ 9 Really?! Das finde ich witzig.
Oder: In einem ihrer Seminare bewarben sich Frauen auf Stellen, die nur für Männer annonciert waren, und klagten dann auf Schadensersatz. Didaktisch wertvoll. Fanden sicher nicht alle witzig, aber ist es doch eigentlich, um den Portoparagraphen zu entlarven.
Witzig ist auch, wenn Heide Pfarr sagt, sie sei „nie auf Karriere aus gewesen“, sondern habe „immer so vor sich hingelebt“. Oder wenn sie konstatiert, sie möge George Clooney! Das finde ich wirklich komisch. Natürlich alles eine Frage des Humors.
Aber konstatieren lässt sich: Heide ist très Berlin. Die Jury hat sich nicht geirrt. Quot erat demonstrandum. Das war´s.

Die Berlinerin ganz kurz

Und ja, es wäre auch kürzer gegangen. Marion Eckertz-Höfer 2023: „Heide ist ein Glücksfall“. Sie meinte: Für den djb. Heute Abend ist klar: Für Berlin. Für uns alle. Margret Mönig-Raane, eminente Gewerkschafterin, beschrieb Heide Pfarr als „klug, eloquent, warmherzig, hartnäckig, charmant, erfolgreich, genussfähig, kreativ, verantwortungsbewusst, konstruktiv, lösungsorientiert, konfliktfähig und streitbar, unabhängig, mutig…“; ein „Offensivgeist“. Das wäre auch kürzer gewesen. Und alles stimmt.
Oder auch kurz: Heide Pfarr lebt im Sternzeichen Waage. Das bedeutet, sie ist harmoniestiftend, charmant, rücksichtsvoll und mitfühlend, gesellig und künstlerisch begabt, diplomatisch und ausgeglichen, vermittelnd und streitschlichtend. Das Element Luft verstärkt zudem den Drang der Waage, Informationen auszutauschen, miteinander zu reden und die Welt um einen herum besser zu verstehen. Stimmt auch.
Heide Pfarr erhält also den Frauenpreis, weil sie die perfekte Berlinerin ist. Und frei mit Tucholsky geht das so:
Heide, kein Casanova hätte dir je imponiert. Du glaubst doch nie, was ein doofer Schwärmer von dir phantasiert! Sänge je irgendwer liebesbesiegt, würdest du flüstern: »Woll mit die Pauke jepiekt ?« Willst du romantische Feste, gehst du ins Kino hin …
Denn du bist unsere Beste, du, die Berlinerin –!
Venus der Spree – wie so fleißig, auch wie pünktlich dabei!
Falls das auch einmal nötig, denkst Du des Nachts bis nach zwei.
Alles erledigst du fachlich, bleibst immer treu Deiner Natur ordentlich, sauber und sachlich: Lebende Registratur! Wie dich ein Arm auch preßte: gibst dich nur her und nicht hin.
Bist eben unsere Beste, du, die Berlinerin -! 10

Herzlichen Glückwunsch zum Berliner Frauenpreis 2024!

Quellen:

1 Fabricius-Brand, M., Berghahn, S., Sudhölter, K., Juristinnen. Berichte, Fakten, Interviews, 1982, S. 170 ff.
2 Rust, U., Juristinnen an Hochschulen, 1997, S. 5; S. 91 ff.
3 Streit 1986, S. 19 ff.
4 Die mittelbare Diskriminierung von Frauen im Erwerbsleben, in: Gerhard/Limbach (Hrsg.), Rechtsalltag von Frauen, 1988, S. 33 ff.
5 Referat 1994 – verändert gehalten zum 10-jährigen Bestehen des Frauenministeriums Schleswig-Holstein, 5.1.1998 – „Die Unmöglichkeit von Frauenpolitik“ (Manuskript), These 3.
6 Expertenanhörung der Hessischen Landesregierung am 2. Mai 1985, Wortprotokoll, S. 8 ff. Ihrer Partei gab sie gleich mit auf den Weg: „Eine Partei, die öffentlich ausgetragene Kontroversen und interne Kritik nicht aushält, sollte keine Wahl gewinnen.“
7 Beides in Rust, U., Juristinnen an Hochschulen, 1997, S. 45.
8 Interview in DER SPIEGEL 49/1985, 01.12.1985.
9 Referat 1994 und zum 10-jährigen Bestehen des Frauenministeriums Schleswig-Holstein am 5.1.1998 – „Die Unmöglichkeit von Frauenpolitik“ (Manuskript), These 7.
10 Theobald Tiger, Die Weltbühne, 23.03.1922, Nr. 12, S. 302. Es gibt eine weitere Strophe, die so endet:
Älter wirst du. Die Reste gehn mit den Jahren dahin. Laß die mondäne Geste! Bist ja doch Mu􀆩erns Beste,
du süße Berlinerin –!