Nottötung

Unter welchen Umständen ist eine Nottötung zulässig oder sogar geboten?

Nach § 39 Abs. 1 Nr. 1 des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) ist es verboten, Wildtiere ohne vernünftigen Grund zu töten. Dieselbe Voraussetzung für eine ausnahmsweise zulässige Tötung ergibt sich aus § 1 S. 2 TierSchG, der neben anderen Tieren gleichermaßen auch auf Wildtiere anwendbar ist. Erhebliche Schmerzen oder Leiden, die sich nicht beheben lassen, sind ein vernünftiger Grund, der die Tötung eines Wildtieres rechtfertigen kann. Problematisch ist dabei aber die Kompetenz, um einen derartigen Zustand festzustellen, sowie die Art und Weise der Tötung.

Das Tier muss sich in einem Zustand befinden, in dem eine Heilung aus veterinärmedizinischer Sicht nicht möglich ist. Andere Gründe, auch ein hoher Aufwand oder hohe Kosten für die Heilung, rechtfertigen die Tötung nicht. Um zu beurteilen, ob diese Voraussetzungen vorliegen, ist grundsätzlich veterinärmedizinischer Sachverstand erforderlich. Vor dem Entschluss, das Tier zu töten, ist es daher zunächst von einem Tierarzt zu untersuchen. Für jagdbare Arten räumt das Bundesjagdgesetz in § 22a Abs. 1 auch Jägern die Kompetenz ein, die Heilungschancen eines Wildtieres zu beurteilen. Allenfalls wenn auch für einen Laien keinerlei Zweifel am Fehlen jeglicher Heilungschance bestehen, ist eine Nottötung durch eine beliebige Person erlaubt. Ein solcher Fall liegt insbesondere vor, wenn der sichere Tod des Tieres durch ein Abwarten nur noch hinausgezögert würde und eine Nottötung das Tier von den dabei zu erwartenden Qualen erlöst. Indikatoren hierfür sind Bewegungslosigkeit, ausbleibende Atmung, fehlender Puls, fehlende Reflexe oder eine Trübung der Hornhaut.

Hinsichtlich der Art und Weise der Tötung ist zu beachten, dass § 4 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 TierSchG grundsätzlich die vorherige Betäubung des Tieres vorschreibt. Ausnahmsweise kann davon abgesehen werden, dabei sind nach § 4 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 TierSchG allerdings Schmerzen des Tieres so weit wie möglich zu vermeiden. Notsituationen sind als Ausnahmefall in diesem Sinne anerkannt, so dass auch eine Nottötung zur Erlösung eines Wildtieres darunterfällt, wenn keine ärztliche Hilfe erreichbar ist. Dabei muss allerdings das nach den Umständen schonendste Mittel zur Tötung eingesetzt werden.

Schließlich schreibt § 4 Abs. 1 S. 3 TierSchG vor, dass Wirbeltiere nur töten darf, wer die dazu notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten hat. Solche Kenntnisse und Fähigkeiten beziehen sich vor allem auf Risiken der möglichen Tötungsverfahren und die Bedienung der einzusetzenden Geräte. Auch insoweit ist die Tötung also vorrangig von Tierärzten oder Jägern vorzunehmen. In einem Notfall, der nach den obigen Kriterien keine andere Wahl lässt, dürfte auch ein Verstoß gegen § 4 Abs. 1 S. 3 TierSchG und damit die Nottötung durch eine andere Person aber gerechtfertigt sein. Vor der Tötung ist jedoch aus der Nähe zu prüfen, um welche Verletzungen es sich im Einzelnen handelt.

Um fremdes Jagdrecht zu wahren, wäre auch im Fall einer Nottötung zu versuchen, die Einwilligung des Jagdberechtigten einzuholen. Ist dies nicht möglich, scheidet eine Verletzung fremden Jagdrechts jedoch aus, da der Jagdberechtigte nach § 22a Abs. 1 BJagdG selbst zur Nottötung verpflichtet wäre und daher von seiner mutmaßlichen Einwilligung auszugehen ist.

Dass sich das Tier auf einem Privatgrundstück befindet, ist ebenfalls kein Hindernis für eine Nottötung. Eine Einwirkung auf das Eigentum – etwa durch Betreten des Grundstücks – wäre in diesem Fall wegen Notstands nach § 904 BGB gerechtfertigt, da es zur Abwendung einer gegenwärtigen Gefahr für das Rechtsgut Tierschutz notwendig ist. Natürlich ist es ratsam, auch hier erst zu versuchen, mit dem Eigentümer Kontakt aufzunehmen. Sollte es ausnahmsweise zu Schäden am Grundstück kommen, müssten die allerdings ersetzt werden.

Verendete oder getötete Tiere sollten wegen Seuchengefahr nicht eigenmächtig angefasst oder transportiert werden. Nach § 3 Abs. 1 S. 5 des Tierische-Nebenprodukte-Beseitigungsgesetzes können die Bezirksämter die Beseitigung oder andere Maßnahmen anordnen.

Ist eine Nottötung bei besonders oder streng geschützten Arten, etwa einem Wolf, zulässig?

Aus naturschutzrechtlicher Sicht bedarf die Tötung eines Tieres einer besonders oder streng geschützten Art der Erteilung einer Ausnahme nach § 45 Abs. 7 oder § 67 Abs. 2 des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG). Gemäß § 45 Abs. 7 S. 1 Nr. 5 BNatSchG kann eine Ausnahme vom Tötungsverbot des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG zugelassen werden, wenn zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses eine Tötung erfordern. Lässt man die bestehenden Zweifel an der Übereinstimmung des Ausnahmetatbestands mit EU-Recht einmal außer Acht, ließe sich das darin verlangte öffentliche Interesse an einer Nottötung aus dem Interesse der Allgemeinheit an der tierschutzrechtlichen Vermeidung von Schmerzen und Leiden bei Tieren ableiten, wie es in § 1 S. 2 TierSchG Ausdruck findet. Auch verschlechtert sich nach § 45 Abs. 7 S. 2 BNatSchG der Erhaltungszustand der betroffenen Population bei einer Nottötung nicht, da das fragliche Tier durch seine Krankheit oder seinen ohnehin zu erwartenden Tod bereits für das Ziel der Arterhaltung wegfällt.

Für die Zulassung einer darauf gestützten Ausnahme ist nach § 3 Abs. 1, Abs. 3 S. 1 Nr. 6 des Berliner Naturschutzgesetzes die Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt zuständig. Vor diesem Hintergrund ist vor der Nottötung eines Tieres, das einer geschützten Art angehört, zunächst zu versuchen, eine solche Ausnahmegenehmigung einzuholen, ggf. auch telefonisch. Ist die zuständige Behörde nicht erreichbar, kommt eine Eilzuständigkeit der Polizei nach § 4 Abs. 1 S. 1 des Berliner Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes (ASOG) in Betracht. Dazu müsste allerdings die Situation eines verletzten, kranken oder hilflosen Tieres im öffentlichen Raum als Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung anzusehen sein (dazu hier). Geht man davon aus, könnte die Polizei nach § 17 Abs. 1 ASOG die notwendige Ausnahme zur Nottötung zulassen, wobei sie wiederum zuvor nach Möglichkeit einen Tierarzt oder – bei jagdbaren Arten – einen Jäger zu kontaktieren hätte.

Für jagdbare Arten verdrängt § 22a Abs. 1 Hs. 2 BJagdG das naturschutzrechtliche Verbot, geschützte Arten zu töten. Danach haben insbesondere Jagdausübungsberechtigte das Recht und sogar die Pflicht, schwerkrankes Wild zu erlegen, wenn es nicht möglich und aussichtsreich ist, es zu fangen und zu versorgen.

Für besonders oder streng geschützte Arten, die nicht dem Jagdrecht unterliegen, kommt schließlich ein aus den Grundgedanken der §§ 1 S. 2, 17 Nr. 1 TierSchG, 22a Abs. 1 Hs. 2 BJagdG sowie Art. 20a Alt. 2 GG entwickelter Rechtfertigungsgrund in Betracht, ein verletztes oder krankes Tier zu töten, um es vor Schmerzen oder Leiden zu bewahren. Einen solchen Rechtfertigungsgrund, der auch das naturschutzrechtliche Tötungsverbot aufheben könnte, hat das Oberlandesgericht Celle in einem Fall erwogen, in dem es um die Tötung eines bereits verletzten Wolfs ging. In seiner Entscheidung konnte das Gericht offenlassen, ob ein solcher Rechtfertigungsgrund anzuerkennen ist, da jedenfalls die Voraussetzungen dafür nicht vorlagen. Es spricht allerdings viel dafür, wenn man bedenkt, dass das artenschutzrechtliche Interesse am Erhalt eines unheilbar kranken oder verletzten Tieres sehr gering ausfällt. Die Voraussetzungen für einen solchen Rechtfertigungsgrund würden denjenigen entsprechen, die für eine Nottötung von Wildtieren nicht geschützter Arten dargelegt wurden (siehe oben). Unter diesen Voraussetzungen wäre dann also auch die Nottötung eines besonders oder streng geschützten Tieres durch beliebige Personen zulässig.

Ausdrücklich kodifiziert ist ein solcher Rechtfertigungsgrund für die Nottötung eines Wolfes durch die Polizei in § 10 der Brandenburgischen Wolfsverordnung. Obwohl die Regelung in Berlin nicht gilt, kann das von ihr aufgestellte Verfahren als Richtschnur für die Auslegung des oben entwickelten ungeschriebenen Rechtfertigungsgrundes herangezogen werden.