Gebäudebrüter

Haussperlinge, die vor Berliner Cafés um heruntergefallene Kuchenkrümel kämpfen oder Mauersegler, die an langen Sommerabenden laut rufend und hoch in der Luft über der Bernauer Straße ihre Kreise ziehen. Rüttelnd in der Luft „stehende“ Turmfalken auf dem Tempelhofer Feld oder Hausrotschwänze, die in ruhigen Nebenstraßen mit wippendem Schwanz von einem geparkten Auto zum nächsten hüpfen und einem Schnabel voller Insekten ihre Jungen versorgen. Solche und viele ähnliche Naturbeobachtungen überall in der Stadt zeigen, dass Berlin nicht nur Heimat für über 3,6 Millionen Menschen, sondern auch Lebensraum für unzählige Arten von Wildvögeln ist, von denen sich viele über Generationen hinweg an ein Leben im städtischen Raum und die Koexistenz mit dem Menschen angepasst haben. Und nicht selten zeigt sich auch, dass diese Tiere oftmals nicht nur in der gleichen Stadt leben wie ihre menschlichen Nachbarn, sondern häufig sogar die gleichen Gebäude bewohnen wie diese. Und ähnlich wie sie, nutzen auch die Vögel die von ihnen gewählten Behausungen für die gleichen Zwecke: Sie bieten ihnen Ruhe für die Nacht, Schutz vor schlechter Witterung oder ein Heim für die Gründung einer Familie. Versinnbildlicht wird diese Vorliebe für menschliche Behausungen nicht selten auch durch Vorsilben in der jeweiligen Artbezeichnung dieser Tiere: „Haus-“, „Mauer-“ oder „Turm-“.

Dort – unter Dächern, Traufen und Dachpfannen, hinter Fallrohren oder Fenstersimsen gesellen sich neben unsere gefiederten Nachbarn oftmals auch verschiedene Arten von Fledermäusen, die mit Einbruch der Dämmerung ihre Quartiere verlassen, um zu ihren allabendlichen „Nachtschichten“ aufzubrechen. Und während sich die Vögel in ihre Verstecke an mit Efeu bewachsenen Mauern oder hinter Hausfassaden zurückgezogen haben und dort geschützt die Nacht verbringen, treten an ihre Stelle nun diese Tiere, um auf der Suche nach nachtaktiven Futterinsekten durch die Hinterhöfe großer Mietshäuser oder über die Teiche der städtischen Parks zu flattern. Von den 24 in Deutschland nachgewiesenen Fledermausarten leben 17 auch in Berlin. Und wenn sich am abendlichen Himmel von diesen 17 Arten dann zum Beispiel Individuen des Großen Abendseglers oder der Breitflügelfledermaus durch ihre jeweils arteigenen Sozialrufe mit Artgenossen verständigen, dann können diese leisen, „flüsternden“ Klick-Laute von vielen Kindern, deren Gehör noch fein genug ist, beim Beobachten der Tiere gehört werden. Und wenn sich Zwergfledermäuse tagsüber, dichtgedrängt in ihren Quartieren, laut zirpend miteinander „streiten“, dann hören dies selbst die Mamas und Papas. All diese Naturerfahrungen sind es, die vielen Menschen in ihrem Alltag bewusstmachen, dass sie mit Berlin nicht nur in einer grünen, sondern auch einer in einer tierisch bunten Stadt leben und diese sowohl Lebensraum für Menschen aller Herren Länder als auch für ein breites Spektrum anderer tierischer Mitgeschöpfe ist.

Doch all diese kleinen und großen Naturerfahrungen, die uns gerade durch die so dicht an unseren eigenen Behausungen lebenden und als Gebäudebrüter bezeichneten Vögel und Fledermäuse ermöglicht werden und die jede® der Berlinerinnen und Berliner in ihrem/seinen Alltag – ob auf dem Weg zur Schule, zur Arbeit, beim Feierabendbier oder beim Picknick im Park – erleben kann, laufen Gefahr, in Zukunft seltener zu werden. Denn mit zunehmender Modernisierung vieler alter Gebäude, energetischen Fassadensanierungen oder Wärmedämmungen und dem damit oft einhergehenden Verschwinden jeglicher Versteck-, Brut- oder Schlafquartiere, schwindet genau der „Wohnraum“, der für viele dieser Tierarten als essentiell für deren (Über-)leben in unserer direkten Nachbarschaft anzusehen ist.

Zweifelsohne sind Sanierungsmaßnahmen notwendig und gerade hinsichtlich besserer Energiekonzepte essentiell für die Eindämmung des uns alle betreffenden Klimawandels. Doch Klimaschutz geht weiter als die alleinige Reduzierung unseres Energiebedarfs. Klimaschutz ist immer auch Natur- und Artenschutz. Aus diesem Grund und auch um den die Gesundheit fördernden Einfluss einer ökologisch gut funktionierenden Stadt auf die in ihr lebenden Menschen zu stärken, muss es weiterhin möglich sein, auch im urbanen, stark verdichteten Raum wie Berlin, wilde Natur zu erleben. Dieses Natur-Erleben auch im Hinblick auf die in der Stadt vorkommenden Gebäudebrüter zu bewahren und die hierfür notwendige Lebensraumerhaltung für solche kulturfolgenden Arten zu gewährleisten, ist im Rahmen von ökologischen Ausgleichsmaßnahmen zum Beispiel nach Gebäudesanierungen gesetzlich vorgesehen und durch die Berliner Gebäudebrüter-Verordnung geregelt. In ihr finden sich generelle bzw. für einige Arten spezifische Vorgaben, die den bei Baumaßnahmen entstandenen Lebensraumverlust kompensieren und damit die Abnahme der entsprechenden Bestandszahlen der jeweiligen Gebäudebrüter verhindern sollen.

Hierdurch könnte prinzipiell das Weiterbestehen der betreffenden Populationen gewährleistet sein, doch werden die festgesetzten Maßnahmen oftmals nicht oder nur ungenügend umgesetzt. Auch im Rahmen von Sanierungen entfernte Wandbegrünungen werden nicht in allen Fällen nach Beendigung der Bauarbeiten wieder angelegt. Notwendige Vorabkontrollen in Vorbereitung der vielfach inmitten der Brutzeit (Frühlings- und Sommermonate) durchgeführten Baumaßnahmen entfallen häufig bzw. können bei ungenügender Ausführung oder selbst im Hinblick auf andere mögliche Ordnungswidrigkeiten, z.B. hinsichtlich illegal entfernter Nistplätze, diese auf Grund strukturell bedingter Vollzugsdefizite durch lokale Naturschutz- und Baubehörden oftmals nicht verfolgt, belegt oder geahndet werden.

Den Erhalt und die Stabilisierung des städtischen Umfelds als vielfältiger Lebensraum für wilde Tiere haben sich viele Städte und Kommunen und so auch Berlin durch unterschiedliche Strategiepapiere zum Ziel erklärt. Lange genug ist der positive Effekt auf die menschliche Gesundheit durch eine intakte und umfangreiche Stadtnatur bereits bekannt. Und so sollte ganz im Sinne des „One-Health-Konzeptes“, nach dem die Gesundheit von Natur, Tieren und Menschen in stetiger Wechselwirkung zueinanderstehen, auch der Schutz der Gebäudebrüter mitberücksichtigt und notwendige Baumaßnahmen unter Berücksichtigung auch ihrer Anforderungen durchgeführt werden.

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