Fünfte Sitzung des Runden Tisches Sexarbeit
Am 08.08.2019, 09:00 Uhr bis 12:00 Uhr
Im Rathaus Schöneberg, Louise-Schroeder-Saal
Themenschwerpunkte: Soziale Absicherung und Gewalt und Ausbeutung
Tagesordnung
- TOP 1: Eröffnung und Begrüßung
- TOP 2: Verabschiedung Protokoll und Bericht aus dem Begleitgremium
- TOP 3: Input aus der „Sexworker-Only“-Gruppe
- TOP 4: Diskussion der Handlungsempfehlungen zum Themenbereich „Soziale Absicherung“
- TOP 5: Input und Diskussion der Handlungsempfehlungen zum Themenbereich „Gewalt und Ausbeutung“
- TOP 6: Weiteres Vorgehen
- Download des Protokolls als PDF
TOP 1: Eröffnung und Begrüßung
Die Moderatorin, Frau Caroline Ausserer, begrüßt die anwesenden Teilnehmer_innen.
Frau Bezirksbürgermeisterin Angelika Schöttler und Frau Staatssekretärin Barbara König begrüßen ebenfalls die Anwesenden und bedanken sich für die Zusammenarbeit am Runden Tisch und vor allem auch in den vorbereitenden Unterarbeitsgruppen und der „Sexworker only“-Gruppe.
TOP 2: Verabschiedung Protokoll und Bericht aus dem Begleitgremium
Frau König berichtet aus der Sitzung des Begleitgremiums vom 31.07.2019. Die am Runden Tisch erarbeiteten Handlungsempfehlungen zu den Themenbereichen Betriebsstätten, Arbeitsbedingungen und Verlagerung der Sexarbeit ins Internet wurden dort zum großen Teil befürwortet. Kontroverse Diskussionen gab es vor allem beim Themenbereich Betriebsstätten. Das Begleitgremium einigte sich auf einen lösungsorientierten Prüfweg zur Frage des Baurechts im Kontext der Erlaubnisse nach ProstSchG.
Weitere Prüfungen sind durch die zuständige Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung bei den Handlungsempfehlungen zu den Themenbereichen Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG) und Ombudsstelle vorzunehmen. Hier ist zunächst festzuhalten, dass berufs- bzw. branchenbezogene Merkmale in der Logik der Antidiskriminierungsgesetze nicht vorgesehen sind, Sexarbeitende aber über andere Merkmale (z.B. sozialer Status) ebenfalls die Möglichkeit haben, diese Gesetze in Anspruch zu nehmen. Personen, die im Rahmen öffentlich-rechtlichen Handelns aufgrund eines der in § 2 LADG genannten Diskriminierungsgründe (z.B. „sozialer Status“) diskriminiert werden, können sich zur Durchsetzung ihrer Rechte nach dem LADG an die LADG-Ombudsstelle wenden. Das gilt gleichermaßen auch für Sexarbeitende.
Das im Vorfeld versendete Protokoll der 4. Sitzung vom 20.05.2019 wird auf der Webseite des Runden Tisches veröffentlicht.
TOP 3: Input aus der „Sexworker only“-Gruppe
Samantha Yamoah, Leitung der „Sexworker-only”-Gruppe
- Im Rahmen einer eigenen Unterarbeitsgruppe wurden insgesamt drei Treffen organisiert. Bei den Treffen tauschten sich eine Vielzahl von Sexarbeitenden über die Themenbereiche des Runden Tisches aus und brachten eigene Themen ein.
- Das erste Treffen fand im Frauentreff Olga statt. Dort wurden vor allem Themen wie Hygiene, Gesundheit, Wohnraum, die Verantwortung der Freier und fehlende Zusammenarbeit der Sexarbeitenden untereinander besprochen.
- Die beiden folgenden Treffen fanden im Hydra Café, jeweils im Kontext anderer Veranstaltungen wie z.B. eines Kleidertausches, statt. Dort wurde über die Themen „isoliertes Arbeiten“ und über das ProstSchG im Zusammenhang mit Gefahren, die beispielsweise durch Erpressungsversuche entstehen, gesprochen. Der Umgang mit Gewalt, Erfahrungen damit und Möglichkeiten der Therapie waren ebenfalls wichtige Themen für die Sexarbeitenden.
- Viele Sexarbeitende sind an Lösungen und an einer Zusammenarbeit mit Politik und Verwaltung interessiert, allerdings gibt es auch Berührungsängste und Befürchtungen, z.B. eines ungewollten Outings, weshalb die „Sexworker only“-Gruppe eine sinnvolle Ergänzung des Runden Tisches darstellte.
- Wichtig ist, dass Sexarbeitende nun auch in die Umsetzung der besprochenen Maßnahmen einbezogen werden müssen.
TOP 4: Diskussion der Handlungsempfehlungen zum Themenbereich „Soziale Absicherung“
Ausführlich diskutiert werden die bisherigen gesetzlichen Möglichkeiten der sozialen Absicherung, die sowohl für verschiedene Zielgruppen variieren als auch zum Teil in der Praxis aus diversen Gründen nicht umgesetzt werden können. Lücken und Probleme in der Umsetzung bestehender Rechtsansprüche sollen für die verschiedenen Zielgruppen der Sexarbeitenden identifiziert und geschlossen werden. Ein Faktor stellt in diesem Zusammenhang auch die strukturelle Diskriminierung von Menschen mit Migrationsgeschichte und Sexarbeitserfahrung dar. In Zusammenarbeit mit den Fachberatungsstellen soll geprüft werden, wie eine veränderte Praxis in der Geltendmachung von Ansprüchen aussehen kann.
Eine vorgeschlagene Handlungsempfehlung umfasst die Bereitstellung von Informationen, die direkt in den Herkunftsländern angeboten werden sollen. Die Zielgruppe sind vor allem die Personen, die in Deutschland aufgrund mangelnder Kenntnis ihrer Rechte und der Gesetzeslage in ausbeuterische Bedingungen geraten.
Zum Themenbereich Wissens- und Informationsbereitstellung wird ergänzt, dass auch Behördenmitarbeitende in Bezug auf strukturelle Diskriminierung und speziell den Umgang mit der Zielgruppe der Sexarbeitenden geschult werden sollen. Vor allem Behörden, die mit der Bewilligung von Leistungen befasst oder aus anderen Gründen mit der Zielgruppe der Sexarbeitenden konfrontiert sind, sollen dabei im Fokus stehen.
Geplante Professionalisierungsprogramme in der Sexarbeit sollen mit jeweils eigenen Formaten für die unterschiedlichen Bereiche in der Sexarbeit ausgebaut werden. Ein Ziel ist hierbei auch die Bekämpfung von Ausbeutung durch die Förderung und Stärkung professionellen Arbeitens und die Vermittlung von Wissen über die eigenen Rechte.
Das Soziale Entschädigungsrecht wird aktuell auf Bundesebene reformiert, in Berlin ist die Senatsverwaltung für Soziales für das Entschädigungsrecht der Opfer zuständig. Das Gesetzgebungsverfahren ist auf Bundesebene bereits weit fortgeschritten, die Thematik der Gewaltvorfälle im Arbeitskontext wird dort bereits berücksichtigt. Wichtig für die Zielgruppe der Sexarbeitenden ist unter anderem, dass die Anforderungen an die Kooperation mit Strafverfolgungsbehörden niedrigschwellig gehalten werden, da viele Sexarbeitende aus unterschiedlichen Gründen nicht bereit sind, die Taten anzuzeigen. Auch hier wird es in Zukunft wichtig sein, dass die Mitarbeitenden in den das Gesetz umsetzenden Behörden für die Belange der Zielgruppe der Sexarbeitenden sensibilisiert und geschult werden.
Ein weiteres zentrales Thema im Bereich der sozialen Absicherung ist die Dringlichkeit einer besseren Wohnraumversorgung. Hier hat sich durch das Prostituiertenschutzgesetz die Lage verschärft, da damit das Übernachten am Arbeitsplatz verboten wurde. Sexarbeitende sollen als Zielgruppe in die gesamtstädtische Strategie gegen Wohnungslosigkeit einbezogen werden.
Zur Diskussion um die Anerkennung von Sexarbeit als freien Beruf wird festgehalten, dass dieser Begriff in verschiedenen Rechtsbereichen mit jeweils eigenen Definitionen existiert (z.B. Baurecht, Gewerberecht, Ausländerrecht und Einkommenssteuerrecht). Zusammenhängend mit dieser Kategorisierung gibt es einige Vorteile, z.B. erlaubt die Baunutzungsverordnung Räume für die Ausübung freier Berufe auch in Wohngebieten, allerdings gilt auch hier das Rücksichtnahmegebot. Weiterhin erleichtert die Einordnung als freier Beruf, ein Visum für eine selbstständige Tätigkeit in Deutschland zu erhalten. Je nach Rechtsbereich muss die Einordnung von verschiedenen Senatsverwaltungen geprüft werden.
TOP 5: Input und Diskussion der Handlungsempfehlungen zum Themenbereich „Gewalt und Ausbeutung“
Petra Kolb, Hydra e.V. Treffpunkt und Beratung für Prostituierte
- Durch das Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG) hat sich auch die Situation im Bereich Gewalt und Ausbeutung drastisch verändert. Es gibt zahlreiche Gründe, warum Sexarbeitende ihre Tätigkeit nicht nach dem ProstSchG anmelden wollen oder können. Hierzu zählen z.B. Angst vor dem Outing, Vorbehalte vor dem Kontakt mit Behörden und Sprachbarrieren.
- Dadurch verlagert sich ein großer Teil der Prostitution in Graubereiche und die Erreichbarkeit dieser Zielgruppe auch für anonyme und freiwillige Beratungsangebote sinkt. Die Hürden für Beratungsarbeit sind damit in den letzten Jahren insgesamt höher geworden.
- Vor allem durch die verstärkt vereinzelte Arbeitsweise der Sexarbeitenden gibt es häufiger Berichte von Gewaltvorfällen bei Haus- und Hotelbesuchen, da es eine geringere soziale Kontrolle gibt als z.B. in Bordellen.
- Durch das ProstSchG sind außerdem neue Formen der Ausbeutung entstanden, es wird von Erpressungsversuchen bei (vermuteter) fehlender Anmeldung nach ProstSchG berichtet und von Personen, die die Unsicherheit der Sexarbeitenden rund um die neuen gesetzlichen Regelungen ausnutzen.
- Weiterhin gibt es auch bei Sexarbeitenden Gewaltvorfälle im sozialen Nahbereich, die mitunter auch einen Zusammenhang mit der Stigmatisierung der Tätigkeit in der Prostitution aufweisen.
In der an den Input anschließenden Diskussion wird unter anderem auf mögliche Kooperationen und Austausch mit der Polizei eingegangen. Anstatt polizeiinterner Standards sollen Empfehlungen, ähnlich wie Arbeits- oder Merkblätter, erarbeitet werden. Die Expertise von Sexarbeitenden und Fachberatungsstellen soll in die Erstellung der Empfehlungen einbezogen werden.
Als weitere wichtige Maßnahme wird die Erweiterung der bisher bestehenden Angebote in den Fachberatungsstellen um ein Kontingent von Therapieleistungen diskutiert. Hierbei soll vor allem zeitnah auf akute Problematiken durch psychologisches Fachpersonal reagiert werden. Die bisherigen Kapazitäten reichen nicht aus und die bedarfsgerechte Unterstützung der Zielgruppe der Sexarbeitenden soll ausgebaut werden.
TOP 6: Weiteres Vorgehen
Die inhaltlichen Sitzungen des Runden Tisches sind hiermit beendet. Das auf den Handlungsempfehlungen basierende Konzept wird in den kommenden Wochen erarbeitet und in der letzten Sitzung des Runden Tisches im November vorgestellt.
Die nächste und letzte Sitzung des Runden Tisches findet am 07. November 2019 statt.