Verlegung von neun Stolpersteinen in Kreuzberg
Pressemitteilung Nr. 226 vom 02.10.2023
Der Künstler Gunter Demnig verlegt neun weitere Stolpersteine in Kreuzberg. Bisher wurden im Bezirk rund 1.000 Stolpersteine verlegt. Darunter sind die ersten Stolpersteine zum Gedenken an Schwarze Menschen, die in Friedrichshain-Kreuzberg verlegt werden. Bezirksbürgermeisterin Clara Herrmann nimmt an der Verlegung teil.
- Wann? Sonntag, 8. Oktober 2023, Beginn um 10.40 Uhr
- Wo? Alte Jakobstraße 134, 10969 Berlin Reichenberger Straße 86, 10999 Berlin (ab 11.25 Uhr)
Bezirksbürgermeisterin Clara Herrmann dazu: „An welche Personen und Perspektiven im öffentlichen Raum erinnert wird, ist eine zentrale Gerechtigkeitsfrage. Unser Bezirk setzt sich in der Gedenkarbeit dafür ein, alle Stimmen zu hören und verschiedene Perspektiven zu berücksichtigen. Wir sind ein bunter und vielfältiger Bezirk. Das muss auch in unserem Gedenken sichtbarer werden. Die Erfahrungen Schwarzer Menschen im Nationalsozialismus fehlen bis heute nahezu gänzlich im öffentlichen und historischen Gedächtnis.“
In der Alten Jakobstraße Straße 134 werden fünf Stolpersteine für Josef und Stephanie Boholle sowie Josefa, Cornelis und Peter van der Want verlegt, die hier bis 1943 lebten. Josef Bohinge Boholle wurde 1880 in Kribi (Kamerun) geboren. 1896 kam er als Teilnehmer der Berliner Kolonialausstellung nach Berlin. Danach begann Josef eine Ausbildung bei einem Bernsteinmeister in Danzig und ließ sich anschließend in Berlin nieder. Hier arbeitete er als Zimmermann. Seine Partnerin Stephanie und er heirateten 1909. Stephanie (* 1885, geborene Urbanowski) kam aus Lodz und arbeitete als Haushälterin. Das Paar bekam drei Kinder: Josefa Luise (* 1907), Rudolf Bohinge (* 1910) und Paul Artur (*1911).
1928 erhielten die Boholles die deutsche Staatsbürgerschaft. Sie gehörten zu den wenigen afro-deutschen Familien, deren Bemühungen erfolgreich waren. Die Söhne Rudolf und Paul heirateten und gründeten eigene Familien.
Im Verlauf der 1930er Jahre arbeiteten die drei Kinder der Boholles im Showgeschäft. Ihre Beschäftigungsmöglichkeiten wurden durch die nationalsozialistische Politik zunehmend eingeschränkt. 1935 wurde der Staatsbürgerstatus der Boholles einer Prüfung durch die Polizei unterzogen. Die Familie konnte den Status als deutsche Staatsbürger behalten – wahrscheinlich lagen außerordentliche Umstände vor. So konnte auch Josefa als sogenannte „Nicht-Arierin“ im August 1943 den niederländischen Varieté-Artisten Cornelis van der Want heiraten, obwohl dies den Bestimmungen der „Nürnberger Gesetze“ widersprach. Das Paar hatte bereits einen Sohn, Peter (*1939).
Im März 1943 wurde das Haus in der Alten Jakobstraße 134 bei einem Bomberangriff der Alliierten zerstört. Josefa, Cornelis, ihr Sohn Peter und Stephanie zogen nach Bromberg (heute Bydgoszcz/Polen), wohin Cornelis bestellt wurde, um eine Dienstverpflichtung als Bühnenarbeiter zu erfüllen. Josef scheint nicht mitgegangen zu sein. Wahrscheinlich war er zu diesem Zeitpunkt bereits verstorben. In Bromberg wurden Cornelis und Josefa im November 1944 von der Gestapo verhaftet. Beide kamen ins Konzentrationslager Stutthof. Wenige Wochen später wurde auch Stephanie verhaftet. Ihr vierjähriger Enkel Peter blieb allein in der Familienwohnung zurück. Nachbar*innen halfen ihm.
Stephanie Boholle verstarb, entweder im Gestapo-Gefängnis in Bromberg oder im KZ Stutthof. Cornelis, Josefa und ihr Sohn Peter überlebten. Josefa starb 1955 an den chronischen Erkrankungen, die von ihrer Zeit im Konzentrationslager Stutthof herrührten. Ihre Brüder Paul und Rudolf Boholle überlebten den Nationalsozialismus.
Diese Stolpersteinverlegung wird unterstützt und begleitet von Berlin Postkolonial e.V., der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD) e.V. und Musiker*innen von „Sauti é Haala“. 1
1 Recherche und biografische Zusammenstellung: Robbie Aitken, Historiker.In der Reichenberger Straße 86 wird um 11.25 Uhr mit der Verlegung von vier Stolpersteinen der Familie Fabian gedacht. Die jüdische Familie lebte hier bis zu ihrer Auswanderung 1933/34.
Sally Fabian (* 1872) studierte in Würzburg Medizin, ließ sich dann in Berlin nieder, gründete 1908 in der Reichenberger Straße 86 eine eigene Praxis und heiratete im selben Jahr Frida Simon (* 1886). Das Ehepaar bekam zwei Kinder: Kurt (* 1909) und Hildegard (* 1913).
Aufgrund der zunehmenden Entrechtung und Verfolgung von Jüdinnen*Juden ab 1933 entschloss sich die Familie auszuwandern: Hildegard Fabian verließ Deutschland schon 1933 und ging nach Paris. Dort heiratete sie den deutsch-jüdischen Flüchtling Gerhard Spiegel und wanderte mit ihm 1938 in die USA aus. Kurt Fabian emigrierte 1934 nach Brasilien, nachdem er in Berlin sein Jura-Studium aufgrund seiner jüdischen Abstammung nicht abschließen konnte. Dr. Sally Fabian und seine Frau Frida flohen 1934 nach Frankreich und folgten ihrem Sohn 1935 nach Brasilien. 1946 siedelten Sally und Frida zu ihrer Tochter nach Glencoe, einem Vorort der US-Metropole Chicago über, wo Dr. Sally Fabian 1948 starb. Seine Frau Frida kehrte 1964 nach Berlin zurück und starb dort ein Jahr später. Kurt war bereits 1947 nach Berlin zurückgekehrt, schloss sein Jura-Studium ab und war bis zu seiner Pensionierung Richter am Amtsgericht Zehlendorf. Er verstarb 1979 in Berlin, Hildegard Spiegel 2014 in den
USA. 2
Stolpersteine, deren Verlegung von Angehörigen oder Nachfahren von Opfern des Nationalsozialismus initiiert wird, finanziert seit 2017 das Bezirksamt. Dieses Vorgehen hat die Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg mit einem Beschluss (DS/0417-15/V) bekräftigt.
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