Am 30. und 31. August 2023 werden 10 weitere Stolpersteine im Bezirk verlegt

Pressemitteilung Nr. 185 vom 23.08.2023

In Friedrichshain-Kreuzberg werden im August 10 weitere Stolpersteine verlegt. Bisher sind im Bezirk rund 1.000 Stolpersteine verlegt worden.

  • Wann? Mittwoch, 30. August 2023, um 10.25 Uhr und Donnerstag, 31. August 2023, ab 13.20 Uhr

Bezirksbürgermeisterin Clara Herrmann dazu: „Jeder Stolperstein erzählt eine Geschichte. Er erinnert an Menschen, die hier in unserem Bezirk gelebt und gewirkt haben und er erinnert an die Grausamkeiten, die diesen Menschen während des Holocausts widerfahren sind. Die Stolpersteine machen uns tagtäglich bewusst, dass sich die schrecklichen Taten während der nationalsozialistischen Diktatur und des Zweiten Weltkriegs niemals wiederholen dürfen. Der Bezirk steht in der Pflicht, historische Verantwortung zu übernehmen. Wir müssen uns aktiv gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus positionieren- nicht nur wir als Bezirk sondern auch jede*r einzelne Xhainer*in, jeden Tag!“

Am Mittwoch, 30. August 2023 werden um 10.25 Uhr in der Petersburger Str. 31 vier Stolpersteine für Simon, Rosa, Regina und Margot Altkorn verlegt.
Im Haus Petersburger Straße 31 (früher Nr. 36) wohnte die jüdische Familie Altkorn. Rosa (*1883), geb. Schwimmer, und ihr Mann Simon (*1887) kamen in einem galizischen Dorf in der Nähe von Lemberg (damals Habsburgerreich, heute Lwiw im Westen der Ukraine) zur Welt. Um 1910 zog das Ehepaar nach Berlin, wo die beiden Töchter geboren wurden: Regina (*1912) und Margot (*1913). Die Familie lebte im Laufe der Jahre an verschiedenen Adressen in Friedrichshain. Simon Altkorn verdiente als Kaufmann den Lebensunterhalt der Familie, zunächst als Eierhändler, später als Textil-Kaufmann. Seit etwa 1935 wohnten die Altkorns in der Petersburger Straße 36.
Da Juden und Jüdinnen seit 1933 von den Nationalsozialisten zunehmend entrechtet und verfolgt wurden, wanderten die Töchter 1936 aus: Regina emigrierte nach Palästina, Margot nach Spanien und von dort 1939 nach Frankreich. Simon Altkorn wurde aufgrund seiner polnischen Staatsangehörigkeit Ende Oktober 1938 nach Polen ausgewiesen. Er zog zurück nach Lemberg. Im Sommer 1939 bekam er eine Einreiseerlaubnis, um seine Frau, die krank in Berlin zurückgeblieben war, zu sich zu holen. Simon und Rosa Altkorn hofften, von Lemberg nach Palästina auswandern zu können. Mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs verliert sich aber ihre Spur und es ist davon auszugehen, dass sie zu einem unbekannten Zeitpunkt ermordet wurden.
Bezirksbürgermeisterin Clara Herrmann wird bei dieser Verlegung teilnehmen.

Am Donnerstag, 31. August 2023 werden von 13.20 Uhr bis 14.55 Uhr weitere Stolpersteine verlegt.

In der Hagelberger Straße 21 wird um 13.20 Uhr mit der Verlegung eines Stolpersteins Käte Rogalli gedacht.

Käte Rogalli kam 1903 in Berlin zur Welt, bei der Geburt wurde ihr das männliche Geschlecht zugeschrieben. Sie arbeitete später als technische Zeichnerin und Feinmechanikerin. Am Arbeitsplatz wurde Käte häufig für „ein Mädchen in Männerkleidung“ gehalten und verlor wegen Diskriminierung ihre Anstellungen. Käte identifizierte sich selbst als Transvestit (damals geläufige Bezeichnung für trans Personen) und wünschte sich, als Frau anerkannt zu werden. 1924 beantragte sie eine Namensänderung, die ihr 1928 genehmigt wurde, jedoch nicht auf ihren Wunschnamen Käte.
Nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten 1933 wurden auch Homosexuelle und trans Personen verfolgt. Käte wurde mehrmals wegen des Tragens von Frauenkleidung denunziert. Ende 1936 wurde Käte der sogenannte „Transvestitenschein“ von der Gestapo entzogen und sie wurde gezwungen, Männerkleidung zu tragen, was sie nachhaltig traumatisierte. Kurz danach wurde sie 1936 wegen Tragen von Frauenkleidung vier Wochen in sogenannte „Schutzhaft“ genommen. Bald darauf folgte die nächste Denunzierung und Verhaftung. Vom 27. Mai 1937 bis 22. März 1938 war sie im KZ Sachsenhausen inhaftiert. Dann wurde sie 1938 in einem Gerichtsverfahren wegen „Erregung öffentlichen Ärgernisses“ zu zwei Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Sie wurde nach Bayern überstellt und musste dort beim Bau der sogenannten „Ostmarkstraße“ arbeiten. Nach der Entlassung aus der Haft 1940 lebte Käte in der Hagelberger Straße 21. 1941 wurde sie wieder festgenommen und vor Gericht wurde ihr von einem psychiatrischen Gutachter die Zurechnungsfähigkeit abgesprochen. Käte wurde in die Wittenauer Heilstätten (heute Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik) zwangseingewiesen. Ein weiteres Gutachten machte ihre Hoffnung zunichte, bald aus der Psychiatrie entlassen zu werden. Käte Rogalli wurde am 11. April 1943 in der Toilette erhängt aufgefunden.

Mit der Verlegung eines Stolpersteines um 13.55 Uhr am Fraenkelufer 30 wird an Jona und Auguste Kurzberg erinnert.

Jona Kurzberg kam 1879 in Kolomea in Galizien (heute im Westen der Ukraine gelegen, gehörte bis 1918 zur Habsburgermonarchie) zur Welt. Er übersiedelte zu einem unbekannten Zeitpunkt nach Berlin und heiratete dort 1913 Auguste Hennig (*1881 in Neumark/ Westpreußen). Beide gehörten der jüdischen Religionsgemeinschaft an. Er war als Kaufmann tätig und sie als Buchhalterin.
In der Oranienstraße 160 eröffnete das Ehepaar eine Maßschneiderei für Damen und Herren. Das Geschäft florierte und ermöglichte ihnen einen gutbürgerlichen Lebensstandard. Sie betrieben zeitweise noch eine Filiale in der Chausseestraße in Mitte. Die Kurzbergs bezogen um 1933 eine 4-Zimmer-Wohnung im Haus Kottbusser Ufer 56a (1937 umbenannt und neu nummeriert in Thielschufer 30, heute Fraenkelufer 30).
Mit der schrittweisen Entrechtung und Verfolgung von Juden und Jüdinnen seit 1933 begannen auch Zwangsmaßnahmen gegen Jona und Auguste Kurzberg. Ende der 1930er Jahre verloren sie ihr Geschäft durch die sogenannte „Arisierung“ (Enteignung oder erzwungener Verkauf, meist unter Wert). Jona Kurzberg wurde am 22. September 1939 im KZ Sachsenhausen inhaftiert, wurde aber wieder entlassen. Anschließend musste er als Bügler Zwangsarbeit leisten. Auch die Wohnung am Fraenkelufer 30 musste das Ehepaar aufgeben, so dass sie ab Mai 1941 zur Untermiete im Haus Kottbusser Damm 28 lebten.
Am 28. März 1942 wurden Jona und Auguste Kurzberg mit dem sogenannten „11. Osttransport“ nach Piaski (heute im Osten Polens gelegen) deportiert. Auguste Kurzberg starb im dortigen Ghetto vermutlich an Hunger, Entkräftung oder Krankheit. Jona Kurzberg wurde zu einem unbekannten Zeitpunkt im 10 km entfernten Trawniki ermordet, wahrscheinlich war er in das dort befindliche Zwangsarbeiterlager verlegt worden.

Zur Erinnerung an Fritz Dubinsky wird um 14.30 Uhr in der Manteuffelstraße 28 ein Stolperstein verlegt.

Fritz Dubinsky wurde 1907 in Berlin geboren. Er besuchte bis zum 14. Lebensjahr die Gemeindeschule in der Reichenberger Straße. Mit 16 Jahren kam er, nach Auseinandersetzungen mit dem neuen Mann seiner Mutter, in die Erziehungsanstalt Lindenhof in Berlin-Lichtenberg, später in das etwa 140 km östlich von Berlin gelegene Erziehungsheim in Berlinchen (heute Barlinek in Polen). Danach verdiente Fritz Dubinsky seinen Lebensunterhalt mit Gelegenheitsarbeiten, war zeitweise auch arbeitslos oder arbeitsunfähig, da er unter Rheumatismus litt. Ende der 1930er Jahre wohnte er in der Manteuffelstraße 28.
Fritz Dubinsky war homosexuell. Bereits 1932 und 1935 waren aufgrund seiner sexuellen Orientierung gegen ihn Verfahren wegen des Verstoßes gegen den §175 anhängig gewesen, diese wurden jedoch mangels hinreichender Beweise eingestellt. Der Paragraph 175 stellte sexuelle Handlungen zwischen Personen männlichen Geschlechts unter Strafe und ermöglichte die Verfolgung Homosexueller. Die Nationalsozialisten verschärften diese Bestimmungen 1935.
Fritz Dubinsky wurde Ende der 1930er Jahre die Liebe zum Verhängnis. Er wurde im März 1939 festgenommen und im Juli 1939 zu einer Strafe von einem Jahr Gefängnis verurteilt, die er in Tegel verbüßte. Nach der Haftentlassung im Mai 1940 zog Fritz Dubinsky zu seiner Mutter nach Friedrichshain und musste als Wachmann in einem Zwangsarbeiterlager in Berlin-Grunewald arbeiten. Ende 1944 sollte ihm erneut der Prozess gemacht werden und er kam Anfang November in Untersuchungshaft nach Moabit. Dort verstarb er am 3. Januar 1945 im Alter von 37 Jahren an einer Sepsis.

Um 14.55 Uhr wird an der Naunynstraße 60 Ignatz Tannenbaum und Lotte Wurmann gedacht.

Das jüdische Ehepaar Tannenbaum wohnte im Haus Naunynstr. 60 bis zu seiner Flucht vor der Verfolgung durch die Nationalsozialisten. Ignatz Tannenbaum kam 1909 in Berlin zur Welt, besuchte bis 1925 die Realschule in der Mariannenstraße und absolvierte dann eine Lehre als Kaufmann in einer Herrenkleiderfabrik in Mitte, wo er auch anschließend als kaufmännischer Angestellter beschäftigt war. Ignatz Tannenbaum war sportbegeistert und gehörte dem Handball-Team von Bar Kochba Berlin an, dem 1898 gegründeten ersten jüdischen Sportverein des deutschen Kaiserreichs.
Nach dem Tod des Vaters 1930 übernahm Ignatz dessen Eierhandlung in der Adalbertstr. 80, gab sie aber wegen des zunehmenden Boykotts jüdischer Geschäftsleute nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten bald auf. Ignatz Tannenbaum gründete 1934/35 mit einem Geschäftspartner einen Gebrauchtwagenhandel, der ihm ein gutes Einkommen sicherte. Um 1936 zog er in die Naunynstr. 60. Im Januar 1938 heirateten er und Lotte Wurmann (*1916 in Berlin), die als kaufmännische Angestellte tätig war.
Aufgrund der zunehmenden Entrechtung und Verfolgung von Juden und Jüdinnen entschied sich das Ehepaar auszuwandern. Ignatz und Lotte Tannenbaum verließen Berlin Anfang September 1938 und reisten nach Argentinien, wo sie sich in Buenos Aires niederließen. Trotz anfänglicher Schwierigkeiten gelang es ihnen, sich dort eine Existenz aufzubauen. Das Ehepaar bekam 2 Söhne. Ignatz Tannenbaum starb 1982, Lotte Tannenbaum 2007 in Buenos Aires.

Recherchen und biografische Zusammenstellung: Christiana Hoppe, Stolperstein-Initiative Friedrichshain-Kreuzberg
Recherche und biografische Zusammenstellung für Käte Rogalli: Kai* Brust

Stolpersteine, deren Verlegung von Angehörigen oder Nachfahren von Opfern des Nationalsozialismus initiiert wird, finanziert seit 2017 das Bezirksamt. Dieses Vorgehen hat die Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg mit einem Beschluss (DS/0417-15/V) bekräftigt.

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