Leben zwischen Dreck und Drogen: Forschungsteam der Humboldt-Universität untersuchte Sicherheitsempfinden der Nachbarschaft um den „Kotti“
Pressemitteilung Nr. 217 vom 25.08.2021
Wie ist das Sicherheitsgefühl der Menschen am und rund um den „Kotti“? Wie lebt es sich an einem Ort, der für Dreck und Drogen bekannt ist? Wodurch fühlen sich die Menschen in ihrem Wohngebiet sicher? Was erwarten sie von anderen Anwohner*innen, und inwiefern tragen solche Erwartungen zum Gefühl der Sicherheit bei? Erhöht die alltägliche Nutzung der Nachbarschaft das Sicherheitsgefühl?
Im Auftrag des Bezirksamtes befragten Prof. Dr. Talja Blokland und Dr. Hannah Schilling gemeinsam mit einem Forschungsteam des Georg-Simmel-Zentrums für Metropolenforschung der Humboldt-Universität Berlin 2019 dazu 323 Anwohner*innen. Das Team klingelte an Haustüren rund um den „Kotti“ und fragte genau nach. Anders als bei anderen Befragungen zu diesem Thema, konnten die Befragten ihre Einschätzung der Sicherheit ohne Vorgaben der Forscher*innen begründen.
Die Antworten der Kreuzberger*innen zeigen, dass auf einer Skala von 1 bis 10 ein Durchschnitt von fast 7,5 an Sicherheit von Menschen vergeben wird, die soziale Kontrolle erfahren oder unbesorgt waren, z.B. da ihnen noch nie was passiert ist. Die niedrigsten Durchschnittswerte von 4,8 begründeten Anwohner*innen mit Verweis auf Drogenprobleme und Kriminalität. Viele Befragte geben an, dass Straftaten in den letzten zehn Jahren zugenommen hätten, aber nur 31 Prozent schätzen es so ein, dass es unsicherer geworden sei. 26 Prozent geben sogar an, die Sicherheit am Kottbusser Tor habe sich verbessert.
Zudem zeigt sich, dass sich Menschen am „Kotti“ vor allem dann sicherer fühlen, wenn sie die lokale Infrastruktur an Läden stark nutzen und regelmäßig mit Fremden ins Gespräch kommen oder immer wieder auf Bekannte treffen. Es entsteht so eine vertraute Öffentlichkeit: Durch solche wiederholten Begegnungen können Anwohner*innen ihre Mitmenschen besser einschätzen. Es zeigt sich, dass die Anwohner*innen Vertrauen in ihre Nachbar*innen haben: Fast alle (95 Prozent) Teilnehmer*innen erwarten Hilfe, wenn eine ältere Dame am „Kotti“ zusammenbricht; auch wenn einer offensichtlich unter Drogen oder Alkohol stehenden Person so etwas passiert, gehen 70 Prozent davon aus, dass Passant*innen helfen würden. Je stärker Anwohner*innen darauf vertrauen, dass sie Hilfe kriegen, wenn sie z.B. auf der Straße bedroht werden, desto sicherer fühlen sie sich: Die Mehrheit der Menschen erwartet solche Hilfe (60 Prozent), nur 5 Prozent gehen davon aus, die Hilfe käme nicht.
„Mit der Befragung von Anwohner*innen am Kottbusser Tor möchten wir besser verstehen, wie die Menschen sich in ihrem Wohnumfeld fühlen, was sie besonders beeinträchtigt und wie das Sicherheitsgefühl verbessert werden kann“, sagt Bezirksstadtrat Knut Mildner-Spindler. „Die Idee und die Konzeption der Studie wurde bereits von unterschiedlichen Akteuren begleitet, neben der Verwaltung waren dies soziale Träger, die Polizei sowie der Quartiersrat und das Quartiersmanagement-Team vor Ort. Die Zusammenarbeit von Verwaltung und Wissenschaft ist ein wichtiges Anliegen und wir freuen uns sehr über die Kooperation mit dem Fachbereich der Stadt- und Regionalsoziologie und Frau Prof. Blokland, um wissenschaftliche Erkenntnisse über die Sozialräume zu erlangen. Auf Grundlage der spannenden Ergebnisse werden Handlungsempfehlungen und konkrete Maßnahmen durch die Verwaltung und weitere Akteure vor Ort gemeinsam und fachübergreifend entwickelt.“
„Auch rund um einen Platz wie dem Kottbusser Tor, wo vielen Menschen Umstände wie Drogenhandel, Vermüllung und vor allem die unüberschaubare Verkehrslage überhaupt nicht gefallen“, sagt Studienautorin Talja Blokland, „können Menschen durch gegenseitiges Wiedererkennen Zuversicht entwickeln und ohne Angst in ihrem Kiez leben. Für eine Verbesserung der Lebensqualität durch Kriminalitätsprävention am Kottbusser Tor braucht es kreative Konzepte zur Förderung der informellen sozialen Kontrolle, umso mehr da es keine Mehrheit gibt, die sich z.B. einfach mehr Polizei wünscht.“
Publikation
„Leben zwischen Dreck und Drogen“, erschienen im Logos Verlag
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