Thomas Gottschalk berichtet aus Paris

Thomas Gottschalk in Paris - Woche 4

Bericht vom 27.09.2024

Unglaublich wie schnell so ein Monat vergeht! Meine letzte Woche war nochmal richtig voll mit einer Bibliothekstour durch die gesamte Stadt. Im Programm waren Vorzeigebibliotheken, die frisch oder relativ frisch eröffnet sind, sowie Bibliotheken, die zwar etwas in die Jahre gekommen sind, aber spannende Nachbarschaftsprojekte haben.

Besonders hervorstechend war für mich die Médiathèque Marguerite Yourcenar. Sie hat einen Barrierefreiheitsschwerpunkt auf blinde und eingeschränkt-sehende Menschen mit Angeboten von Medien in großer Schrift bis zu Vorlesegeräten. Auffällig war auch die sehr lebendige Musikbibliothek. So bieten die Bibliothekar*innen zum Beispiel Listening Sessions an, bei denen sie ein bestimmtes Album kurz vorstellen und dann hören sie sich dieses gemeinsam mit den Besucher*innen von Anfang bis Ende an. Dabei werden im Veranstaltungsraum Kissen ausgelegt und Sessel aufgestellt. Das Angebot wird überraschend gut angenommen.

Spannend fand ich außerdem den Kennenlerntermin mit der Nachbarkulturinstitution MPAA (Maison des Pratiques Artistiques Amateurs). Sie bietet Proberäume für Laien-Theater- und -Tanzgruppen an, die hier bis zu sechs Monate lang an eigenen Projekten arbeiten können. Zum Gesamtpaket gehören neben den Räumlichkeiten auch technische Unterstützung mit Geräten und Personal. Das Angebot ist komplett kostenfrei und künstlerisch in alle Richtungen offen. Ausgeschlossen von dem Angebot sind professionelle und halb-professionelle Gruppen, sowie Laien-Gruppen die bereits die Räume genutzt haben. Die Nachfrage in der Stadt ist enorm, weswegen es insgesamt fünf Häuser dieser Art gibt. Ein solches Angebot wäre auch für Berlin ein außerordentliches Geschenk! Das MPAA, die Médiathèque de la Canopée und die Urban Dance-Tanzschule The Place teilen sich einen Eingang und kooperieren in verschiedenen Projekten.

Wirklich gerührt war ich in an meinem letzten Tag, als das ganze Team in der Küche zusammenkam und einen kleinen Aperó vorbereitet hatte. Bei Snacks und Wein wurde mir ein Abschiedsgeschenk und Abschiedskarten von allen überreicht. Wirklich unglaublich lieb! Der Abschied fiel mir wirklich schwer, aber ich werde bestimmt in Zukunft mal wieder vorbeischauen.

Zweisprachiges Vorlesen

Bericht vom 20.09.2024

Meine dritte Woche begann historisch: Ich hatte das große Glück eine persönliche Führung durch die historische Bibliothek der Stadt Paris zu bekommen. Allein das Büro des Leiters, Fabien Plazannet, mit Gobelins aus dem 16. Jahrhundert an den Wänden war schon der Besuch wert! Ich durfte durch alte, handgezeichnete Karten stöbern und die feministische Sammlung der Bibliothek kennenlernen. Wirklich toll!

Die anderen Bibliotheksbesuche dieser Woche hatten nichts Historisches, aber dafür viele Parallelen zur Arbeit in Friedrichshain-Kreuzberg. Besonders spannend war für mich die Bibliothèque Assia Djebar, in der die Mitarbeitenden sich intensiv um eine Zielgruppe kümmern, die oft den Bibliotheken verloren gehen: die Jugendlichen. Die Mitarbeiter*innen sprechen gezielt Jugendliche an, die sich häufig in der Bibliothek aufhalten, um sich an der Planung von einem großen Event zu beteiligen. Die letzten Jahre war das immer eine Halloween-Party. Die Jugendlichen bringen ihre Ideen ein, planen zusammen mit dem Team die Party, betreuen Stände, besorgen Snacks, laden all ihre Freund*innen ein und schlussendlich kommen über 400 Leute zur Party. Beim diesjährigen ersten Treffen der Gruppe konnte ich ein wenig teilnehmen, allerdings fiel es mir schwer dem Französisch zu folgen, da meist alle gleichzeitig sprachen. Aber das Konzept und die Idee sind super!

Der Samstag war wieder vollgeladen mit Veranstaltungen: Morgens gab es wieder eine zweisprachige Vorlesestunde auf Französisch und in französischer Gebärdensprache. Dieses Angebot begeistert mich immer wieder. Anschließend machte sich ein Teil des Teams auf in das Musée Zadkin, um dort das gleiche Angebot durchzuführen. Es gibt bei den Außer-Haus-Veranstaltungen selten gehörlose Kinder, aber dafür viele Kinder, die vielleicht noch nie mit Gebärdensprache Kontakt hatten und diese erstmalig ausprobieren. Abends war dann noch die Autorin Adele Rosenfeld mit einer szenischen Lesung zu Gast. Ihr letztes Buch „Quallen haben keine Ohren“, in dem sie sich mit dem schrittweisen Verlust ihres Hörvermögens auseinandersetzt, ist letztes Jahr auch auf Deutsch erschienen.

Also auch diese Woche war wieder sehr reich an Eindrücken, neuen Menschen, neuen Orten, neuen Ansätzen und neuen Herausforderungen. Ich kann wirklich nur allen empfehlen einmal an diesem Austausch teilzunehmen!

Woche 2 Paris

Bericht vom 13.09.2024

In meiner zweiten Woche radele ich fast schon routiniert den Boulevard Sébastopol herunter zur Bibliothek und habe ich mich so langsam an den chaotischen Radverkehr gewohnt.

Los ging es mit einer Sitzung des gesamten Bibliotheksnetzes zu Personalfragen – und mein Französisch stieß direkt nach der Begrüßung auf seine Grenzen. Trotzdem verstand ich schnell, dass ich auf die Verhandlungen der über 60 Pariser Bibliotheken mit der einen zentralen Personalstelle nicht gerade neidisch bin.

Die zentralisierten Strukturen begleiteten mich auch den Rest der Woche beim Treffen mit der Koordinatorin des Kulturprogramms im Bibliotheksnetz, die gleichzeitig auch Ansprechperson für die Redaktion des Veranstaltungsmagazins der öffentlichen Bibliotheken ist. Die Arbeitsweise ist sehr anders zu den Berliner Bibliotheken: So müssen die einzelnen Bibliotheken etwa Veranstaltungsideen an die Zentrale einreichen und auf Genehmigung der Gelder hoffen. So sehr ich neidisch bin auf die gemeinsame Kommunikation des Bibliotheksnetzes (Magazin, Plakate, Flyer, Homepage), so sehr bin ich auch froh über die Freiheiten der Programmplanung in Friedrichshain-Kreuzberg.

Zu den Höhepunkten dieser Woche zählen für mich die Besuche der Bibliothèque Maurice Genevoix mit einem sehr gelungenen Gartenprojekt und großen Plänen zum ökologischen Umbau, sowie die Bibliothèque Louise Michel mit spannenden Nachbarschaftsprojekten. Toll war auch die zweisprachige Vorleserunde auf Französisch und französischer Gebärdensprache in „meiner“ Bibliothek und der Besuch des Forum des Associations, auf dem diese einen Stand hatte. Diese Foren haben eine lange Tradition in Frankreich und sind ein Markt, auf dem sich alle möglichen Vereine und Initiativen aber auch öffentliche Einrichtungen vorstellen können. Eine tolle Gelegenheit zum Netzwerken und für die Nachbarschaft, um Angebote kennenzulernen. Gibt es so etwas in Friedrichshain-Kreuzberg und ich weiß nicht davon?

Hospitation Gottschalk 2024 | Nähen von Slipeinlagen

Bericht vom 06.09.2024

Mein Name ist Thomas Gottschalk und ich arbeite in der Stadtbibliothek im Bereich Innovations- und Projektmanagement/ Öffentlichkeitsarbeit. Im Rahmen des LoGo-Programms habe ich das große Glück vier Wochen lang in der Pariser Médiathèque De La Canopée hospitieren zu können. Die öffentliche Stadtbibliothek ist weit über die Grenzen der Stadt für ihre Projekte und Kooperationen rund um die Themen Nachhaltigkeit, Barrierefreiheit und urbane Kulturen bekannt.

Vor meinem ersten Tag war ich ordentlich nervös, ob ich mich mit meinem holprigen Französisch durchschlagen kann. Nach der ersten Woche kann ich nun sagen: Das ging eigentlich ganz gut. Das Team hier hat es mir aber auch sehr einfach gemacht. Ich wurde ausgesprochen herzlich begrüßt und aufgenommen – und das eigentlich jeden Tag auf’s Neue. Wenn ich sprachlich feststecke wird selbstverständlich ins Englische gewechselt und eine Eigenheit des Hauses hilft unterstützend auch überraschend gut: Fast das gesamte Team spricht zusätzlich immer in Gebärdensprache – auch wenn sich nur Hörende unterhalten. Dieser Schwerpunkt der Bibliothek ist einer der für mich bisher eindrucksvollsten. Gebärdensprache ist omnipräsent auf Bildschirmen im Publikumsbereich, in Veranstaltungen und in Team-Meetings. So etwas habe ich in Berliner Bibliotheken noch nicht gesehen. Absolut vorbildhaft!

Darüber hinaus haben mir verschiedene Mitarbeiter*innen ihre Arbeitsbereiche und Projekte vorgestellt. Ich war beim solidarischen Frühstück mit Obdachlosen, beim Sprachcafé, der Digitalsprechstunde, beim feministischen Näh-Projekt und beim Handy-Foto-Workshop. Fast alle Angebote werden vom Team selbst umgesetzt oder aktiv begleitet. Vieles setzen wir in Friedrichshain-Kreuzberg auch um. Andere Ideen sind mir neu und sind schon in der Liste für Dinge gelandet, die ich gern mal in Berliner ausprobieren würde. Das war wirklich eine sehr beeindruckende, volle und lehrreiche erste Woche! Ich bin gespannt auf die nächste.