Joy Seidl berichtet aus Sevilla

Bericht vom 29.10.2024

Covid schickte mich in Woche 3 auf die Ersatzbank, aber an meinem ersten Tag zurück im Projekt ging ich direkt mit zu einem Sexologie-Kongress. An einem Infotisch informierten wir die Besucher_Innen in der Pause über die Arbeit von „Adhara“. Die Vorträge auf spanisch und englisch waren sehr spannend. So berichtete eine portugiesische Sexualforscherin, wie im Labor die Blickrichtung der Proband_Innen beim Betrachten eines Bildes mit einer halbnackten Frau gemessen wurde. So fokussierten Männer, ebenso wie Frauen vor allem den Körper, aber hauptsächlich die Frauen betrachteten auch die Schuhe der abgebildeten Frau. Auch ließ sich in anderen Experimenten messen, wie präsent neben der sexuellen Erregung, auch immer Emotionen wie Ekel, Angst und Scham sind. Nehmen diese zu viel Raum ein, kann dies zu sexuellen Störungen führen.

Am nächsten Tag führten wir eine Testaktion in der Universität von Sevilla durch. Wir sprachen mit Studierenden und gaben Informationen weiter. Das Wissen zu Übertragungswegen von STI’s war überraschend gering. Im Austausch mit den Kolleg_Innen erfahre ich, dass sexuelle Bildung im katholischen Sevilla nur sehr unzureichend erfolgt. Umso erfreulicher war, dass viele der jungen Menschen sich über unser Angebot freuten und ihre Fragen loswurden. Auch HIV-Schnelltests wurden angeboten und gerne angenommen. Diese werden oral über die Mundschleimhaut durchgeführt und sind somit wenig invasiv und für niedrigschwellige Testaktionen oder Menschen mit Angst vor Nadeln äußerst praktisch. Selten können sie aber auch falschpositiv reagieren, wenn kurz zuvor gegessen wurde. So auch bei zwei jungen Frauen geschehen. In diesem Fall wurde direkt ein Blutschnelltest gemacht, welcher negativ war und die Studierenden unmittelbar entlastet hat. Die oralen Schnelltests könnten auch bei uns in Berlin bei mobilen Testaktionen oder Kontaktgängen super zur Anwendung kommen.

In meinen letzten Tagen hospitiere ich bei den Testungen. Mein spanisch ist deutlich besser geworden, was mir auch vom Team zurückgemeldet wird. Vielleicht habe ich mich aber auch einfach etwas an den Dialekt gewöhnt;) Der Checkpoint „Adhara“ wird vorrangig von Männern die Sex mit Männern (MSM) haben, Transfrauen und Sexarbeiter_Innen aufgesucht. Getestet wird ausschließlich mit Schnelltests oder PCR-Tests. In der Zeit, in der auf das Ergebnis gewartet wird, bekommt die Person eine Beratung. Der erste Patient wird positiv auf Syphilis getestet und bekommt noch am Nachmittag seine kostenlose Behandlung. Zwei Männer mit eindeutigen MPOX Symptomen werden direkt ins Krankenhaus in die Notaufnahme verwiesen.

Besonders berührt hat mich eine schwarze Trans-Sexarbeiterin aus Cuba, die bereits mit 15 Jahren anfing auf der Straße zu arbeiten und sich früh mit HIV infizierte. Sie nimmt zuverlässig ihre Medikamente und ist gesund, erlebt aber auf vielfältige Weise Diskriminierung und Stigmatisierung. Da ihr Aufenthalt in Spanien ungeklärt ist, bietet „Adhara“ ihr weitere Unterstützung in Form von Rechtsbeistand und psychologischer Beratung an.

Die psychologische Beratung wird ansonsten viel von Chemsex-Usern genutzt. Der Drogenkonsum in Zusammenhang mit sexuellen Kontakten ist auch uns in Berlin bekannt, Spanien ist im europaweiten Vergleich aber Spitzenreiter. Das Thema wird sehr ernst genommen und dementsprechend gibt es hier auch sehr gute Programme.

Mit dem Psychologen Josemi bespreche ich, wie schwierig für viele User die Einsicht ist, dass sie süchtig sind. Die meisten sind hoch gebildet und sehen sich nicht als Abhängige. Mit seiner sexualtherapeutischen Weiterbildung geht Josemi in vielen Sitzungen den tiefliegenden Motiven für dieses Verhalten auf die Spur. Diese sind häufig schambehaftete Sexualität, Homophobie oder sexueller Missbrauch. Die Drogen erleichtern den Menschen ihre Sexualität entspannt auszuleben, führen aber schnell in eine Abhängigkeit, riskante Sexualpraktiken und Sexualität ohne Drogen verliert ihren Reiz.

Mein letzter Arbeitstag endet mit dem Team in einer Tapasbar um‘s Eck mit einer Tortilla und einer caña. Und kurz darauf fliege ich, um einige Erfahrungen reicher und mit wunderschönen Eindrücken dieser traumhaften Stadt nach Berlin zurück.

Adios y nos vemos Sevilla

Joy Seidl Woche 2

Bericht vom 21.10.2024

Woche 2 und so langsam gewöhne ich mich an den starken Chlorgeruch, der die Räume von „Adhara” morgens nach der Reinigung durchströmt.

Wie auch bei uns im Zentrum ist eine besondere Zielgruppe von „Adhara“ die der Menschen in der Sexarbeit. Dieser gehen in Spanien vor allem Menschen aus Südamerika, Osteuropa oder Marokko nach. In Spanien ist Sexarbeit legal, aber die aktuelle Regierung steuert eine Reglementierung nach Vorbild des nordischen Modells an. Dies kriminalisiert die Sexarbeit zunehmend und erschwert den Menschen gute und sichere Arbeitsbedingungen. So gelten bereits jetzt neu eingeführte Gesetze, die dritte Personen bestrafen, die in irgendeiner Form von der Sexarbeit anderer profitieren. Eine der Folgen ist, dass viele Sexarbeitende dadurch ihre Wohnungen verlieren, in denen sie arbeiten, da den Vermieter_Innen rechtliche Konsequenzen drohen. Sexarbeit findet so immer mehr im Verborgenen statt, was weniger Schutz nach sich zieht. Dadurch steht auch hier die Soziale Arbeit vor ähnlichen Herausforderung, wie wir in Berlin. Straßenstriche und Rotlichtviertel verschwinden zunehmend und die Sexarbeitenden sind in ihren inoffiziellen Wohnung schwer aufzufinden und aufzusuchen.

„Adhara“ nutzt hier schon seit Jahren neue Wege der Kontaktaufnahme. Auf verschiedenen Webseiten, auf denen Sexarbeitende ihre Dienste anbieten, recherchieren wir und nehmen mit dem Diensthandy per Whatsapp Kontakt auf. Gemeinsam mit Lara verschicke ich an einem Tag über 50 Nachrichten, in denen wir auf unsere Angebote aufmerksam machen. Im Laufen der Woche ernten wir die Früchte dieser Arbeit. Von den angeschriebenen Personen melden sich mehrere zurück und zwei kommen noch in derselben Woche für einen STI Test vorbei. Beide kannten „Adhara“ noch nicht. Sie erhalten neben dem Testangebot Informationen zu Schutzmöglichkeiten, wie der PREP und bekommen Kondome mit. Die Quote ist ein ziemlicher Erfolg, da ich aus Berlin weiß, wie mühselig und zeitaufwendig die Aufsuchende Arbeit im Rahmen der Sexarbeit ist.

Personen ohne rechtlichen Aufenthalt können direkt zur Anwältin von „Adhara“ weiterverwiesen werden. Diese bemüht sich um Klärung und unterstützt die Personen beim Erhalt einer spanischen Krankenversicherung.

Über eine weitere Whatsappnummer können Menschen den „Cibereducator“ von „Adhara“ kontaktieren. Quasi via Chat können Menschen so niedrigschwellig nicht nur nach Terminen bitten, sondern auch andere Fragen zu STI’s, Übertragungswegen etc. stellen. Täglich gibt es ca. 15-20 Fragen, die hier eingehen.

Erste Woche in Sevilla

Bericht vom 05.10.2024

4 Wochen habe ich nun die Gelegenheit als Sozialarbeiterin aus dem „Zentrum für sexuelle Gesundheit und Familienplanung“ den „Checkpoint Adhara“ in Sevilla kennenzulernen. Mein erster Tag im Projekt begann standesgemäß mit Birkenstocks und weißen Socken, da es morgens noch recht frisch war. Noch dacht’ ich mir nicht viel dabei, immerhin wollte ich sie ja im Laufe des sich erwärmenden Tages ausziehen, aber die kalte Klimaanlage machte mir einen Strich durch die Rechnung. Dazu später mehr. Zunächst begrüßte mich das Team herzlich und wir frühstückten erst mal gemeinsam. Meine mitgebrachten Leckereien aus Berlin kamen zudem super an und wurden in Windeseile vernascht. Schnell verlor ich auch die Scheu und redete auf Spanisch los, auch wenn ich nicht immer alles verstand. Vor allem der andalusische Dialekt macht mir zu schaffen. Aber Humor ist ja international. So lachte ich am Folgetag herzhaft mit, als mein Chef Abelardo mir seine weißen Socken in Sandalen mit den Worten präsentierte: „Ich fand dein Outfit gestern so schick, dass ich mir ein Beispiel nehmen wollte.“ :D
Una Alemana en España eben.

Im Laufe meiner ersten Woche bekam ich dann zweimal die Gelegenheit einen Mitarbeiter von Adhara im Krankenhaus „Virgen del Rocío“ zu besuchen. Adhara hat dort seit 2004 nämlich einen Beratungsraum auf der Station für Diagnostik und Behandlung von Infektionskrankheiten. Dort arbeitet Víctor, der seit 20 Jahren HIV-positiv ist und in dem Peer-to-Peer Projekt für HIV-positive Menschen arbeitet. Viele Menschen werden direkt vom medizinischen Personal an Víctor verwiesen, wenn sie neu diagnostiziert werden. Er bietet dann Beratung zu den Themen Medikation, Familie, Arbeit und Partnerschaft und vielem mehr. Dabei schöpft er aus seinen persönlichen Erfahrungen und begegnet den Menschen stets auf Augenhöhe. Er berichtet mir, wie wichtig es für viele ist, in dieser Situation eine Umarmung zu bekommen und es wird deutlich mit wieviel Herz Víctor seine Arbeit macht. Aber auch schon lang diagnostizierte Menschen suchen Rat bei ihm. Häufig sind es Diskriminierungserfahrungen, Probleme mit der Arbeit oder der Wohnsituation. Diese versucht Adhara mit Hilfe der Anwältin Azucena zu lösen, denn Armut und ihre entsprechenden Folgen haben großen Einfluss auf den Gesundheitszustand der Einzelnen, auch wenn der Zugang zu HIV Medikamenten hier kostenfrei ist.

Besonders spannend finde ich, dass eine kürzliche Evaluation des Peer-to-peer Projektes ergeben hat, dass die soziale und psychische Unterstützung die Zunahme der CD4-Zellen parallel zum Medikamentenbeginn signifikant erhöht hat. Das geschwächte Immunsystem baut sich also schneller wieder auf, wenn Menschen soziale Unterstützung erfahren.

Im Sinne der Antistigma Arbeit von Adhara
La Information es la cura- Die Information ist das Heilmittel:
HIV ist unter Therapie nicht übertragbar!