Covid schickte mich in Woche 3 auf die Ersatzbank, aber an meinem ersten Tag zurück im Projekt ging ich direkt mit zu einem Sexologie-Kongress. An einem Infotisch informierten wir die Besucher_Innen in der Pause über die Arbeit von „Adhara“. Die Vorträge auf spanisch und englisch waren sehr spannend. So berichtete eine portugiesische Sexualforscherin, wie im Labor die Blickrichtung der Proband_Innen beim Betrachten eines Bildes mit einer halbnackten Frau gemessen wurde. So fokussierten Männer, ebenso wie Frauen vor allem den Körper, aber hauptsächlich die Frauen betrachteten auch die Schuhe der abgebildeten Frau. Auch ließ sich in anderen Experimenten messen, wie präsent neben der sexuellen Erregung, auch immer Emotionen wie Ekel, Angst und Scham sind. Nehmen diese zu viel Raum ein, kann dies zu sexuellen Störungen führen.
Am nächsten Tag führten wir eine Testaktion in der Universität von Sevilla durch. Wir sprachen mit Studierenden und gaben Informationen weiter. Das Wissen zu Übertragungswegen von STI’s war überraschend gering. Im Austausch mit den Kolleg_Innen erfahre ich, dass sexuelle Bildung im katholischen Sevilla nur sehr unzureichend erfolgt. Umso erfreulicher war, dass viele der jungen Menschen sich über unser Angebot freuten und ihre Fragen loswurden. Auch HIV-Schnelltests wurden angeboten und gerne angenommen. Diese werden oral über die Mundschleimhaut durchgeführt und sind somit wenig invasiv und für niedrigschwellige Testaktionen oder Menschen mit Angst vor Nadeln äußerst praktisch. Selten können sie aber auch falschpositiv reagieren, wenn kurz zuvor gegessen wurde. So auch bei zwei jungen Frauen geschehen. In diesem Fall wurde direkt ein Blutschnelltest gemacht, welcher negativ war und die Studierenden unmittelbar entlastet hat. Die oralen Schnelltests könnten auch bei uns in Berlin bei mobilen Testaktionen oder Kontaktgängen super zur Anwendung kommen.
In meinen letzten Tagen hospitiere ich bei den Testungen. Mein spanisch ist deutlich besser geworden, was mir auch vom Team zurückgemeldet wird. Vielleicht habe ich mich aber auch einfach etwas an den Dialekt gewöhnt;) Der Checkpoint „Adhara“ wird vorrangig von Männern die Sex mit Männern (MSM) haben, Transfrauen und Sexarbeiter_Innen aufgesucht. Getestet wird ausschließlich mit Schnelltests oder PCR-Tests. In der Zeit, in der auf das Ergebnis gewartet wird, bekommt die Person eine Beratung. Der erste Patient wird positiv auf Syphilis getestet und bekommt noch am Nachmittag seine kostenlose Behandlung. Zwei Männer mit eindeutigen MPOX Symptomen werden direkt ins Krankenhaus in die Notaufnahme verwiesen.
Besonders berührt hat mich eine schwarze Trans-Sexarbeiterin aus Cuba, die bereits mit 15 Jahren anfing auf der Straße zu arbeiten und sich früh mit HIV infizierte. Sie nimmt zuverlässig ihre Medikamente und ist gesund, erlebt aber auf vielfältige Weise Diskriminierung und Stigmatisierung. Da ihr Aufenthalt in Spanien ungeklärt ist, bietet „Adhara“ ihr weitere Unterstützung in Form von Rechtsbeistand und psychologischer Beratung an.
Die psychologische Beratung wird ansonsten viel von Chemsex-Usern genutzt. Der Drogenkonsum in Zusammenhang mit sexuellen Kontakten ist auch uns in Berlin bekannt, Spanien ist im europaweiten Vergleich aber Spitzenreiter. Das Thema wird sehr ernst genommen und dementsprechend gibt es hier auch sehr gute Programme.
Mit dem Psychologen Josemi bespreche ich, wie schwierig für viele User die Einsicht ist, dass sie süchtig sind. Die meisten sind hoch gebildet und sehen sich nicht als Abhängige. Mit seiner sexualtherapeutischen Weiterbildung geht Josemi in vielen Sitzungen den tiefliegenden Motiven für dieses Verhalten auf die Spur. Diese sind häufig schambehaftete Sexualität, Homophobie oder sexueller Missbrauch. Die Drogen erleichtern den Menschen ihre Sexualität entspannt auszuleben, führen aber schnell in eine Abhängigkeit, riskante Sexualpraktiken und Sexualität ohne Drogen verliert ihren Reiz.
Mein letzter Arbeitstag endet mit dem Team in einer Tapasbar um‘s Eck mit einer Tortilla und einer caña. Und kurz darauf fliege ich, um einige Erfahrungen reicher und mit wunderschönen Eindrücken dieser traumhaften Stadt nach Berlin zurück.
Adios y nos vemos Sevilla