Bettina Böhm berichtet aus Palermo

Cantieri Culturali

Bericht vom 25.09.2023

Palermo nach Woche drei wird mir immer vertrauter, und gleichzeitig stelle ich fest, wie viel ich über die lokalen Strukturen noch nicht weiß. In dieser Woche durfte ich ganz unterschiedliche Themenbereiche kennenlernen, bzw. vertiefen, über das Schulamt und über Jugend- und Sportpolitik.

Aber auch die Altstadt, das Centro Storico, wurde mir noch einmal aus einander anderen Perspektive nähergebracht, und zwar von Tonino Corso, Geologe im Servizio Autonomo Concessioni Edilizie. Vergleichbar mit der Denkmalschutzaufsicht überwacht die Einheit die Beachtung von Bauschriften in der Altstadt durch Privatpersonen. Die Altstadt, in der auf 2,5 km2 ca. 23.000 Menschen wohnen, wurde 1877 als Ganzes, als eigene Stadt erfasst und in verschiedene Gebäudetypen, Palazzo, Palazetto, Catoio und Multiplo, unterteilt. Wie schon vorher erwähnt, sind zahlreiche Gebäude verfallen, teilweise sind Bombeneinschläge aus dem 2. Weltkrieg nie aufgeräumt worden, das historische Zentrum war über Jahrzehnte praktisch verwaist. Ziel ist es, dies wurde Anfang der 90er festgehalten, die Altstadt als solche zu erhalten und wiederzubeleben. Diesem Plan wird, aus meiner Sicht, auch einiges untergeordnet. Auffällig sind z.B. die wenigen Grünflächen, bis auf die Piazza Marina und die nicht sehr barrierefreien Straßen.

In Friedrichshain-Kreuzberg spielt die Anpassung an die Klimakrise eine immer größere Rolle, in der neuen Organisationseinheit Klima und Internationales wird ein Klimaanpassungskonzept entwickelt – dazu sei keine Strategie bekannt. Man müsse das Centro Storico als einen Stadtteil von vielen sehen (Palermo ist mit ca. 650.000 Einwohner*innen tatsächlich viel mehr als seine Altstadt) und dabei seinen besonderen Wert erkennen und erhalten. Und bereits in der arabischen Zeit fand man hier Strategien zum Umgang mit der Hitze, durch sogenannte Kälteräume, begrünte Innenhöfe mit Brunnen oder Wasserbecken, die Kühlung verschafften. Durch die engen, schattigen Gassen wird die Hitze nach oben geleitet – Wissen, das aktueller ist, denn je!

In der Area dell’istruzione e formazione, das sich mit den Schul- und Kindergärten beschäftigt, wurde ich sehr freundlich von Salvatore Grasso empfangen und im Gebäude herumgeführt. In seinem Bereich liegt u.a. die Pflichtschulbildung für Kinder mit Behinderung und besonderen Bedürfnissen, dazu gehört z.B. die Abholung durch den örtlichen Busbetreiber AMAT, das sind 170 in Palermo. Förderschulen gibt es in Italien übrigens nicht, hier werden alle Kinder gemeinsam beschult! Sehr interessant fand ich die Unterhaltung zum Thema Erzieher*innen- und Lehrkräftemangel. Man wünsche sich in Italien mehr Flexibilität für ältere Lehrkräfte, in der Verwaltung oder auf Abordnung arbeiten zu können. Besonders schön war, auch eine Kindertagesstätte besuchen zu können, die in Italien Babys ab sechs Monaten aufnehmen. Die Einrichtung in der Via Paolo hat täglich bis 15 Uhr geöffnet und nimmt auch Kinder aus einer Casa Familia, einer Einrichtung für Waisenkinder oder Pflegekinder, auf.

Zum Thema Jugendangebote erfuhr ich noch mehr bei der Abteilung Sport e politiche giovanili, also dem Sport- und Jugendamt und erhielt nebenbei eine Tour durch mehrere Sportstadien in Palermo. Die kommunalen Angebote für Jugendliche seien leider beschränkt, die großen Stadien könnten aber von Vereinen, und damit auch für den Jugendsport, genutzt werden. Berührend fand ich das Engagement einzelner Jugendlicher, die um mehr zeitlichen Zugang zum Sportplatz Vito Schifa (benannt einem 1992 von der Mafia ermordeten Polizisten) baten und auch erhielten.

Besonders spannend und anschaulich war der Besuch im Cantieri Culturali, einem großen, ehemaligen Möbelfabrikgelände, das inzwischen vom Kulturamt der Stadt Palermo übernommen wurde. Frau Angela Chiazza und ihre sehr engagierten Mitarbeiterinnen führten mich über das große Areal, auf dem Kulturinstitutionen und Künstler*innen untergebracht sind, es ein kommunales Kino und Event-Flächen gibt und aktuell das Mercurio Festival stattfindet, ein Performance-Festival, das seit 2019 besteht. Das Besondere: Die Künstler*innen des vergangenen Jahres laden die Künstler*innen des kommenden Jahres ein. Ebenfalls zum Cantieri Culturali gehört ein Museum für Fotografie, in dem aktuell auch Bilder von Letizia Battaglia ausgestellt werden, die in den 70er- und 80er Jahren als Fotografin die brutalen Mafia-Morde der Zeit für die Presse festhielt. Sie steht für die wichtige Rolle von Kunst als Mittel der Aufklärung und Mobilisierung in der Gesellschaft. Die sizilianische Geschichte hat eine eigene Kultur, Riten und Dialekt hervorgebracht, die lange vernachlässigt wurden und inzwischen wieder mehr Aufmerksamkeit erfahren. Davon zeugt das Teatro Ditirammu, in dem mit Kindern und Jugendliche Theaterstücke und Performances auf Sizilianisch eingeübt und aufgeführt werden.

Sehr spannend war für mich, als Städtepartnerschaftsbeauftragte, auch der Austausch mit Künstlern des Vereins „Haus der Kunst – Verein Düsseldorf Palermo e.V.“, der seit vielen Jahren Kulturaustausch, Ausstellungen und Residenzen zwischen den beiden Partnerstädten durchführt. Tatsächlich war es der künstlerische Austausch, der die Städtepartnerschaft erst anregte. Heute wird diese gefördert durch die Kommune Palermo durch eine große Atelierfläche im Cantieri Culturali, sowie von der Stadt Düsseldorf und dem Land NRW. Um die deutsch-italienischen Beziehungen ging es auch beim Gespräch mit Roman Maruhn, Leiter des Goethe-Instituts Palermo. Nachdem ein weiteres Goethe-Zentrum in der Innenstadt geschlossen wurde, decke man Sprach- und Kulturangebot ab und arbeite dabei auch mit dem Institut Français, das ebenfalls auf dem Gelände ansäßig ist, zusammen. Das Interesse an deutschen Sprachkursen sei groß, man versuche diese zu bedienen. Auch wenn Sizilien oftmals eher als Peripherie Europas wahrgenommen würde, befände man sich tatsächlich in der fünfgrößten Stadt des Landes, mit einem Einzugsgebiet von über 1 Mio. Menschen. Die wachsenden, populistischen Aussagen der neuen, italienischen Regierung, würde man mit Gelassenheit betrachten, die Kulturbeziehungen zwischen Deutschland und Italien hätten schon lange Bestand, auch wenn gerade andere Regionen mehr im Fokus stünden.

Das Cantieri Cultari bietet neben Ateliers und Räumlichkeiten für Künstler*innen und Kulturinstitutionen, auch jungen Start-Ups Fläche. Das riesige Industriegelände erfuhr in seiner wechselhaften Geschichte, die sehr anschaulich auf einer Stele dargestellt wird, letztendlich die Nutzung als Kultur-Hub der Stadt Palermo. Auch wenn mir vorher zuvor mitgeteilt wurde, dass die Ressourcen für die kommunale Kulturpolitik eingeschränkt seien, ist das Cantieri Culturali ein sehr spannender und kreativer Ort. Letzter Kommentar dazu beim Goethe-Institut: „Unser größtes Kompliment ist es, wenn jemand sagt, hier sieht es ja aus wie in Kreuzberg!“

Palermo

Bericht vom 18.09.2023

Meine zweite Woche in der Stadtverwaltung Palermo widmete sich den Themen Erhalt der historischen Altstadt und der Sozialleistungen- und Angebote der Verwaltung.

Wie schon im ersten Bericht erwähnt, ist die Altstadt Palermos die größte, zusammenhängende Altstadt Europas und liegt zudem noch direkt am Meer. Was auf den ersten Blick prächtig und identitätsstiftend erscheint, stellt die Verwaltung und die Palermitaner*innen vor die große Herausforderung, diese Altstadt zu erhalten. Zahlreiche Gebäude im historischen Zentrum stehen nämlich leer und verfallen und werden damit nach und nach zu einem Sicherheitsrisiko für Anwohner*innen und Passant*innen. Ich verbrachte einen Tag mit dem Nucleo Tutela Risorse Immobiliari, das zur Polizei der Stadt gehört. Hier arbeiten hauptsächlich Ingenieur*innen, die eine Übersicht über die verlassenen Gebäude der Altstadt führen. Diese müssen erfasst und abgeriegelt werden, regelmäßig werde dies kontrolliert.

Langfristiges Ziel sei es, die eigentlichen Besitzer*innen ausfindig zu machen und in die Pflicht zu nehmen. Dies sei oft schwierig, da aufgrund der Migrationsgeschichte Süditaliens die Erb*innen nicht selten über Italien und über die ganze Welt verstreut lebten. Nach einigen Generationen wisse man oft gar nichts mehr vom Besitz der Familie in Palermo und wenn, würden Erbstreitigkeiten häufig dazu führen, dass die Renovierungsmaßnamen sich immer weiter verzögerten. Ich durfte zwei Kollegen, Commissario Ciro Lo Bello und Marcello La Placa, begleiten und dabei die Baustelle eines verfallenen, riesigen Pallazo besichtigen. Dieser wurde inzwischen von einem Architekten gekauft, der, nachdem alle 35 lebenden Erb*innen ausfindig gemacht wurden, die alte Substanz, die z.T. noch die 2.500 Jahre alte punische Stadtmauer umfasst, nach und nach in ein Hotel umbauen lässt. Der Innenhof solle der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Auf die Frage hin, welche Förderung es für klimaneutrales Bauen gäbe, erfuhr ich, dass die Regierung von Giorgia Meloni im vergangenen sämtliche Förderungen gestrichen habe. Es sei ihm gerade noch so gelungen, Mittel für energieeffiziente Dämmung und Kühlung zu beantragen. Von der Stadt gäbe es keine Wirtschaftsförderung, er habe einen Kredit erhalten.

Eine weitere, große Herausforderung für die Stadtverwaltung sei das illegale Bewohnen der verlassenen Häuser. Die sehr freundlichen Kolleg*innen betonten, dass es sich hierbei um Menschen handele, die keine andere Unterkunft hätten. Sie aus den, teils unmittelbar einsturzgefährdeten Gebäuden zu evakuieren, sei belastend, man tue dies, um sie zu schützen und arbeite mit dem Sozialamt der Stadt Palermo zusammen. Langfristig wolle man die Altstadt vollständig sanieren. Auf meine Frage hin, wie man dafür Investor*innen gewinnen wolle, wurde ich auf das Dach des alten Klosters geführt, das einen herrlichen Blick auf das Meer und das historische Stadtzentrum eröffne – so überzeuge man diese! Das Interesse an den Verhältnissen in Berlin war groß, obwohl bekannt war, dass Berlin im 2. Weltkrieg fast vollständig zerstört wurde und darum keine vergleichbare Altstadt hat. Die Frage, wie man die Altstadt renovieren und trotzdem Gentrifizierung verhindern kann, stellt sich auch in in Palermo, wo sich viele Bewohner*innen die Mieten in den historischen Viertel nicht mehr leisten können. An dieser Stelle einen großen Dank an das Büro Nucleo Risorse Immobiliari Centro Storico, für die sehr freundliche und informative Betreuung!

Beim Coordinamento del Serivizo Sociale, der Koordinationsstelle für die sozialen Dienste, stellte mir Laura Purpura die verschiedenen Angebote und Maßnahmen vor. Seit die neue, italienische Regierung die Sozialhilfe (ganze 500 Euro) für Menschen unter 25 und ohne Kinder gestrichen habe, seien die Anfragen bei ihnen noch einmal deutlich gestiegen. Die Situation sei prekär, insbesondere in der Altstadt träfen verschiedene, bedürfte Personengruppen aufeinander, dies führe nicht selten zu Konflikten.

In der Casa Di Diritti des Progetti di innovazione sociale erzählte mir Laura Nocelli welche Maßnahmen der sozialen Betreuung die Stadt Palermo genau übernehme. In Italien teilten sich die Leistungen auf zwischen der Gemeinde und der Präfektur, die wiederum die Zentralregierung wiederspiegelt. Bei der Betreuung von geflüchteten Menschen und Migrant*innen sei die Gemeinde für Minderjährige zuständig und die Präfektur für Erwachsene und Familien. Diese würden oftmals über die Insel verteilt untergebracht, in teilweise völlig entlegenen Orten ohne Anbindung. In Palermo nutze man oft Gebäude, die der Staat von der sizilianischen Mafia, der Cosa Nostra, beschlagnahme. Als Sozialarbeiterin betreue sie auch die Einrichtungen in der Stadt, die unbegleitete Geflüchtete versorgten. Viele seien Bangladeschis und Tamil*innen, denn in Palermo gibt es große Communities, oder kämen aus afrikanischen Ländern, wie Gambia. Besonders dramatisch sei die Situation von nigerianischen Mädchen und jungen Frauen, die fast ausschließlich für Zwangsprostitution nach Sizilien verschleppt würden. Neben der Finanzierung durch die Stadt und v.a. das Land würden sie zahlreiche Projekte mit EU-Mitteln finanzieren, die jedoch immer wieder neu beantragt werden müssten. Mit anderen, italienischen Städten stehe man zu dem Thema durchaus im Austausch, europaweit oder mit internationalen Partnern jedoch nicht.

Beim Sprachinstituti ItaStra, das zur Universität Palermo gehört, wird für minderjährige, unbegleitete Geflüchtete ein Alphabetisierungskurs angeboten, Disseo – Arriving Alone. Dieser bereitet sie zwei Monate lang auf den regulären Schulunterricht vor, der in Italien keine Willkommensklassen kennt. Aber, betonte Aliou Ba, Promotionsstudent aus dem Senegal, viele Geflüchtete hätten keine reguläre Schulbildung in ihrer Heimat erhalten, seien aber sehr wohl multilingual und sprächen mehrere, lokale Sprachen. Dies sei eine Kompetenz, die unbedingt anerkannt und genutzt werden müsse. Das Lehrbuch, das die Universität dafür entwickelte, steigt daher direkt in die Sprachpraxis ein. Als ich fragte, wo denn das Alphabet sei, erklärte man mir, das Schreiben käme eben ganz automatisch mit der Sprache! Das ItaStra-Gebäude gehört zu den schönsten und modernsten, die ich bisher in Palermo gesehen habe. Laura Nocelli betonte, das sei wichtig, um Menschen, die oftmals in alten und nicht sehr gepflegten Unterkünften lebten, Wertschätzung und Anerkennung zu geben.

Meine zweite Woche in Palermo endete mit vielen bewegenden Eindrücken, vor allem vom Engagement der einzelnen Mitarbeiter*innen für ihre Aufgabe.

Palermo

Bericht vom 11.09.2023

Am 4. September begann meine erste von vier Hospitationswochen in der Stadtverwaltung Palermo, der Provinzhauptstadt der Autonomen Region Sizilien und Wohnsitz von über 650.000 Einwohner*innen. Dank der sehr freundlichen Kommunikation mit der Koordinatorin vor Ort, Daniela Messina, die fließend Deutsch spricht, hatte ich bereits vor Ankunft das Gefühl, vor Ort gut aufgehoben und betreut zu sein. Palermos hinreißende, barocke Altstadt, ist nicht nur die größte, zusammenhängende Altstadt Europas, sondern auch UNESCO-Weltkulturerbe. Diese verfiel nach dem 2. Weltkrieg, zunehmend, während die Mafia Infrastrukturprojekte, wie den Bau von Sozialwohnungen, fest in der Hand hatte. Seit den 80er und 90er Jahren gelang es wieder, die Stadt zu beleben und zu sanieren, und die organisierte Kriminalität zurückzudrängen – das Andenken an die beiden 1992 ermordeten Mafia-Richter Falcone und Borsellino ist weiterhin allgegenwärtig.

Mein erster Tag begann mit einer sehr herzlichen Begrüßung durch Frau Messina und dem Kennenlernen meiner ersten Station, im Settore Rigenerazione Urbana e centro storico. Servizio per la Rigenerazione Urbana e la Qualità dello Spazio Pubblico e dell’Abitare Responsabile PO Progettazione Strategica – hinter dem sehr langen Namen verbirgt sich, nach einer Umstrukturierung, die Behörde für Stadterneuerung und für die Altstadt, sowie für die Qualität des öffentlichen Raums und für Strategische Planung. Dem Namen angemessen, befindet sich die Behörde in einem ehemaligen Kloster, mit historischen Kreuzgängen und Blick auf das Meer. Wie ich auch in den kommenden Tagen lernen durfte, wurden viele ehemalige Klöster umgewandelt und werden nun für andere Zwecke genutzt.

Gemeinsam mit Caterina Guerico, Irene Chinnici, Maurizio Ruggiano und Luisa Leggio der Behörde wurde mir mein Programm für die nächsten Wochen vorgestellt, sowie die Grundzüge der palermitanischen Verwaltung vorgestellt. Der Sindaco, der Bürgermeister, ist seit 2022 Roberto Lagalla, nachdem der zuvor viele Jahre der als „Antimafia“ und pro Migration bekannte Bürgermeister Leoluca Orleando nicht mehr antrat. Der Sindaco ernennt 11 Assessori, die den Gemeinderat bilden, und für verschiedene Themen zuständig sind. Anders als in Berlin, sind die acht Circoscrizioni, die Bezirke Palermos, weitestgehend ohne Macht und Budget, haben jedoch auch einen eigenen Rat und eine*n Präsidenten*in.

Im Sommer befindet sich ganz Italien im kollektiven Urlaub, weshalb auch meine erste Woche noch viele Besichtigungen außerhalb des Verwaltung beinhaltete. Am zweiten und dritten Tag besuchte ich, gemeinsam mit Maurizio Ruggiano, die Stadtbibliothek, die Biblioteca Communale di Palermo, die, nicht ganz unerwartet, in einem ehemaligen, riesigen Klostergelände untergebracht ist. Teilweise verwahrlost, war es eine zivilgesellschaftliche Initiative, die begann, das große Gelände vor ein paar Jahren aufzuräumen. Nachdem die historische Bibliothek im 2. Weltkrieg von einer Bombe getroffen wurde, wurde die Hälfte des Bestands von 12.000 Werken vernichtet. Dabei handelt es sich teilweise um über 500 Jahre alte Drucke. Aktuell wird der verbleibende Bestand digitalisiert und der Öffentlichkeit online zur Verfügung gestellt. Der sehr freundliche Guide antwortete ausweichend auf die Frage der Finanzierung der Bibliothek, von der Stadtverwaltung habe man vor einigen Jahren noch einmal 148 Euro erhalten (meine ungläubige Reaktion „…Tausend, oder?“ blieb unbeantwortet), ansonsten sei man auf EU-Drittmittel angewiesen.

Im Stadtarchiv Palermos, das einer Synagoge nachempfunden ist, aber ursprünglich ein Kloster war, hat die Digitalisierung noch nicht begonnen. Über 800 Jahre Geschichte sind allen Besucher*innen frei zugänglich, gesammelt in monumentalen Räumen in Regalen bis unter die Decke, das Gedächtnis der Stadt auf Papier.

Grundsätzlich ist die große Freundlichkeit und Flexibilität unter den palermitanischen Kolleg*innen sehr sichtbar und beeindruckend. Einen Besuch im Ethnografischen Museum Guiseppe Pitrè, das von der Stadt unterhalten wird, etwas außerhalb von Palermo, begleitete spontan die Direktorin Felice Patrizia d’Amico und stellte mir die eindrucksvolle Sammlung vor, die die sizilianische Kultur und Geschichte, vor allem durch Alltags- und Kulturgegenstände, Werkzeug, Schmuck und Kleidung, präsentiert. Die Neueröffnung vor fünf Jahren nach einer umfassenden Renovierung, nachdem das Museum bereits seit 1935 besteht, war ein Kulturprojekt des ehemaligen Bürgermeisters Orleando. Die Sammlung wird stetig durch Ankauf und private Spenden, bzw. Vererbung, erweitert.

Kultur, so schien es, könnte in der Stadtpolitik jedoch eine noch größere Rolle spielen, wurde mir in der Woche vermittelt. Spannende Pilotprojekte hat Palermo auch durchaus zu bieten, wie das Street Art Palermo-Projekt, bei dem die Stadtverwaltung Fassaden und Flächen für Künstler*innen zur Gestaltung freigab und das mir Irene Chinnici vorstellte. 58 Künstler*innen wurden mit ihrem Vorschlag ausgewählt und bemalten und besprühten 2021 Häuserwände und Mauern in der ganzen Stadt, vor allem in den teils sozial etwas benachteiligten Außenbezirken. Relativ großzügige Guidelines gaben dabei kaum Grenzen vor, gleichzeitig lässt die historische Altstadt nicht viele Spielräume zu. Darauf angesprochen, ob das Projekt in internationalen und städtepartnerschaftlichen Kontext zu übertragen sei, antwortete Irene bescheiden, Mailand habe größere Projekte in dem Rahmen umgesetzt. Dennoch erschienen das Projekt und auch der interne Prozess in einer Stadt, die sich nicht zuletzt über ihr historisches und ästhetisches Erbe definiert, sehr wegweisend.

Ein ganz anderes Projekt ist das Centro Astalli, das ich, nach großen Bemühungen meiner Koordinator*innen, besuchen durfte. Die Freiwilligenorganisation gehört zu einem italienweiten Netzwerk an Einrichtungen und setzt sich mit unterschiedlichen Angeboten für sozial benachteiligte Menschen und Geflüchtete ein. Das umfasst ein kostenloses Frühstück- und Abendessen, Waschmöglichkeiten und Wäsche, ebenso wie die Unterbringung von Asylsuchenden, Italienischkurse, Rechtsberatung und Gesundheitsuntersuchungen. Das Centro ist auf Spenden angewiesen, das große Gelände erhielt es vom Jesuitenorden. Man habe Platz um noch mehr geflüchtete Menschen aufnehmen, betonte der Leiter beim Rundgang und man sei gleichzeitig sehr dankbar für das Engagement der Freiwilligen, wobei es gerade herausfordernder würde, junge Menschen langfristig für ein Projekt zu gewinnen – eine Erfahrung, die mir von unseren ehrenamtlichen Städtepartnerschaftsvereinen bekannt vorkam.

Und zum Abschluss noch eine Erkenntnis aus der ersten Woche in Palermo: Die Stadtverwaltung habe wohl keinerlei Nachwuchsmangel, die Arbeit in der Verwaltung streben viele junge Menschen, auf der Suche nach einer sicheren Anstellung im von Jugendarbeitslosigkeit geplagten Süden Italiens, an. Für eine Stadt wie Palermo, mit großem historischen Erbe und gleichzeitig viel Dynamik und Kreativität, ist das doch eine große Chance!