Palermo nach Woche drei wird mir immer vertrauter, und gleichzeitig stelle ich fest, wie viel ich über die lokalen Strukturen noch nicht weiß. In dieser Woche durfte ich ganz unterschiedliche Themenbereiche kennenlernen, bzw. vertiefen, über das Schulamt und über Jugend- und Sportpolitik.
Aber auch die Altstadt, das Centro Storico, wurde mir noch einmal aus einander anderen Perspektive nähergebracht, und zwar von Tonino Corso, Geologe im Servizio Autonomo Concessioni Edilizie. Vergleichbar mit der Denkmalschutzaufsicht überwacht die Einheit die Beachtung von Bauschriften in der Altstadt durch Privatpersonen. Die Altstadt, in der auf 2,5 km2 ca. 23.000 Menschen wohnen, wurde 1877 als Ganzes, als eigene Stadt erfasst und in verschiedene Gebäudetypen, Palazzo, Palazetto, Catoio und Multiplo, unterteilt. Wie schon vorher erwähnt, sind zahlreiche Gebäude verfallen, teilweise sind Bombeneinschläge aus dem 2. Weltkrieg nie aufgeräumt worden, das historische Zentrum war über Jahrzehnte praktisch verwaist. Ziel ist es, dies wurde Anfang der 90er festgehalten, die Altstadt als solche zu erhalten und wiederzubeleben. Diesem Plan wird, aus meiner Sicht, auch einiges untergeordnet. Auffällig sind z.B. die wenigen Grünflächen, bis auf die Piazza Marina und die nicht sehr barrierefreien Straßen.
In Friedrichshain-Kreuzberg spielt die Anpassung an die Klimakrise eine immer größere Rolle, in der neuen Organisationseinheit Klima und Internationales wird ein Klimaanpassungskonzept entwickelt – dazu sei keine Strategie bekannt. Man müsse das Centro Storico als einen Stadtteil von vielen sehen (Palermo ist mit ca. 650.000 Einwohner*innen tatsächlich viel mehr als seine Altstadt) und dabei seinen besonderen Wert erkennen und erhalten. Und bereits in der arabischen Zeit fand man hier Strategien zum Umgang mit der Hitze, durch sogenannte Kälteräume, begrünte Innenhöfe mit Brunnen oder Wasserbecken, die Kühlung verschafften. Durch die engen, schattigen Gassen wird die Hitze nach oben geleitet – Wissen, das aktueller ist, denn je!
In der Area dell’istruzione e formazione, das sich mit den Schul- und Kindergärten beschäftigt, wurde ich sehr freundlich von Salvatore Grasso empfangen und im Gebäude herumgeführt. In seinem Bereich liegt u.a. die Pflichtschulbildung für Kinder mit Behinderung und besonderen Bedürfnissen, dazu gehört z.B. die Abholung durch den örtlichen Busbetreiber AMAT, das sind 170 in Palermo. Förderschulen gibt es in Italien übrigens nicht, hier werden alle Kinder gemeinsam beschult! Sehr interessant fand ich die Unterhaltung zum Thema Erzieher*innen- und Lehrkräftemangel. Man wünsche sich in Italien mehr Flexibilität für ältere Lehrkräfte, in der Verwaltung oder auf Abordnung arbeiten zu können. Besonders schön war, auch eine Kindertagesstätte besuchen zu können, die in Italien Babys ab sechs Monaten aufnehmen. Die Einrichtung in der Via Paolo hat täglich bis 15 Uhr geöffnet und nimmt auch Kinder aus einer Casa Familia, einer Einrichtung für Waisenkinder oder Pflegekinder, auf.
Zum Thema Jugendangebote erfuhr ich noch mehr bei der Abteilung Sport e politiche giovanili, also dem Sport- und Jugendamt und erhielt nebenbei eine Tour durch mehrere Sportstadien in Palermo. Die kommunalen Angebote für Jugendliche seien leider beschränkt, die großen Stadien könnten aber von Vereinen, und damit auch für den Jugendsport, genutzt werden. Berührend fand ich das Engagement einzelner Jugendlicher, die um mehr zeitlichen Zugang zum Sportplatz Vito Schifa (benannt einem 1992 von der Mafia ermordeten Polizisten) baten und auch erhielten.
Besonders spannend und anschaulich war der Besuch im Cantieri Culturali, einem großen, ehemaligen Möbelfabrikgelände, das inzwischen vom Kulturamt der Stadt Palermo übernommen wurde. Frau Angela Chiazza und ihre sehr engagierten Mitarbeiterinnen führten mich über das große Areal, auf dem Kulturinstitutionen und Künstler*innen untergebracht sind, es ein kommunales Kino und Event-Flächen gibt und aktuell das Mercurio Festival stattfindet, ein Performance-Festival, das seit 2019 besteht. Das Besondere: Die Künstler*innen des vergangenen Jahres laden die Künstler*innen des kommenden Jahres ein. Ebenfalls zum Cantieri Culturali gehört ein Museum für Fotografie, in dem aktuell auch Bilder von Letizia Battaglia ausgestellt werden, die in den 70er- und 80er Jahren als Fotografin die brutalen Mafia-Morde der Zeit für die Presse festhielt. Sie steht für die wichtige Rolle von Kunst als Mittel der Aufklärung und Mobilisierung in der Gesellschaft. Die sizilianische Geschichte hat eine eigene Kultur, Riten und Dialekt hervorgebracht, die lange vernachlässigt wurden und inzwischen wieder mehr Aufmerksamkeit erfahren. Davon zeugt das Teatro Ditirammu, in dem mit Kindern und Jugendliche Theaterstücke und Performances auf Sizilianisch eingeübt und aufgeführt werden.
Sehr spannend war für mich, als Städtepartnerschaftsbeauftragte, auch der Austausch mit Künstlern des Vereins „Haus der Kunst – Verein Düsseldorf Palermo e.V.“, der seit vielen Jahren Kulturaustausch, Ausstellungen und Residenzen zwischen den beiden Partnerstädten durchführt. Tatsächlich war es der künstlerische Austausch, der die Städtepartnerschaft erst anregte. Heute wird diese gefördert durch die Kommune Palermo durch eine große Atelierfläche im Cantieri Culturali, sowie von der Stadt Düsseldorf und dem Land NRW. Um die deutsch-italienischen Beziehungen ging es auch beim Gespräch mit Roman Maruhn, Leiter des Goethe-Instituts Palermo. Nachdem ein weiteres Goethe-Zentrum in der Innenstadt geschlossen wurde, decke man Sprach- und Kulturangebot ab und arbeite dabei auch mit dem Institut Français, das ebenfalls auf dem Gelände ansäßig ist, zusammen. Das Interesse an deutschen Sprachkursen sei groß, man versuche diese zu bedienen. Auch wenn Sizilien oftmals eher als Peripherie Europas wahrgenommen würde, befände man sich tatsächlich in der fünfgrößten Stadt des Landes, mit einem Einzugsgebiet von über 1 Mio. Menschen. Die wachsenden, populistischen Aussagen der neuen, italienischen Regierung, würde man mit Gelassenheit betrachten, die Kulturbeziehungen zwischen Deutschland und Italien hätten schon lange Bestand, auch wenn gerade andere Regionen mehr im Fokus stünden.
Das Cantieri Cultari bietet neben Ateliers und Räumlichkeiten für Künstler*innen und Kulturinstitutionen, auch jungen Start-Ups Fläche. Das riesige Industriegelände erfuhr in seiner wechselhaften Geschichte, die sehr anschaulich auf einer Stele dargestellt wird, letztendlich die Nutzung als Kultur-Hub der Stadt Palermo. Auch wenn mir vorher zuvor mitgeteilt wurde, dass die Ressourcen für die kommunale Kulturpolitik eingeschränkt seien, ist das Cantieri Culturali ein sehr spannender und kreativer Ort. Letzter Kommentar dazu beim Goethe-Institut: „Unser größtes Kompliment ist es, wenn jemand sagt, hier sieht es ja aus wie in Kreuzberg!“