Tamar Bloch berichtet aus Lausanne

Lausanne

Bericht vom 18.10.2022

Diese Woche war ich im Bereich Périnatalité eingesetzt, das bedeutet, alles rund um die Geburt, was den gesamten Zeitraum der Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett und Postpartalzeit (bei PROFA bis zum 6. Lebensmonat des Kindes) einschließt. Ich habe dabei die Périnatalité in Aigle, in Renens und in Yverdon-Les-Bains kennengelernt. Aigle lag wieder in einem Tal umgeben von Bergen nahe an der französischen Grenze, Yverdon-les-Bains am Neuenburger See. Renens ist quasi der Sitz der Leitungsebene plus Beratungszentrum, dadurch ist das Team dort viel größer. In allen perinatal-Teams wird immer im Tandem Hebamme – Sozialarbeiterin gearbeitet, d.h. jede Frau bekommt einen Termin bei der Hebamme und bei der Sozialarbeiterin (assistante sociale, AS) angeboten, manche nehmen aber auch nur eins davon in Anspruch. Wichtig ist dabei, dass die Frauen oft trotzdem noch außerhalb „freie“ Hebammen haben, wobei in der Schweiz (zumindest im Kanton Waadt/ Vaud) hier der Fokus eindeutig auf dem Wochenbett liegt und weniger, wie in Deutschland möglich, Teile der Schwangerenvorsorge von den Hebammen übernommen werden.

Die Hebammen bei PROFA heißen auch „sage-femme conseillère“ (SFC), was so viel wie beratende Hebamme heißt. Nach der Geburt werden die Frauen zuhause von ihren freien Hebammen betreut und suchen PROFA vor allem für eine Beratung durch die Sozialarbeiterin auf, da es dann um die individuelle Elterngeldberechnung geht oder um Kommunikation mit dem Arbeitgeber. Es wird auch nach dem Geburtserlebnis gefragt. Im Bereich Périnatalité konnte ich die größten Unterschiede zu Deutschland bzw. Berlin feststellen. Zum einen ist die Schwangerenversorgung hier nicht auf Frauen ohne Krankenversicherung fokussiert, da es das in der Schweiz quasi nicht gibt.

Das Gesundheitssystem ist stark gestaffelt, es gibt für alle eine Art Basis-Krankenversicherung, die sich Besserverdiener dann komplementär aufstocken, was sehr weit verbreitet ist (auch weil Zahnarztbesuche im Basistarif gar nicht enthalten sind). Jede und jeder muss für sich selbst festlegen, wie hoch er oder sie die Grenze für die finanzielle Selbstbeteiligung legt, was dann die Monatsbeiträge beeinflusst. Es ist vom Kanton vorgesehen, dass jede Schwangere die Beratung durch eine SFC und AS in Anspruch nehmen kann, wobei natürlich dennoch nicht alle Frauen erreicht werden.

Die Berechnung des Elterngelds und des Mutterschutzes ist sehr individuell und wird erst nach der Geburt festgelegt, da es vom Geburtstermin abhängt, ob die Frau noch bis zum Monatsende verlängern kann. Prinzipiell haben die Frauen 14 Wochen Mutterschutz, währenddessen sie auch 100% der Bezahlung erhalten, danach gehen aber viele Frauen auch zurück in den Job. Manche bekommen von ihrem Arbeitgeber, wenn sie bei großen Firmen arbeiten, noch einen Monat „geschenkt“. Andere beschließen noch ein paar Monate unbezahlt oder teilfinanziert dranzuhängen. Ich war sehr überrascht, dass viele Frauen nach 14-18 Wochen wieder arbeiten gehen und die wichtige Zeit des Bindungsaufbaus scheinbar hinter der Wirtschaftlichkeit zurückstehen muss.

Als ich erzählt habe, wie es bei uns ist, waren manche Kolleginnen ganz begeistert. Diese Begeisterung legte sich, als ich erwähnte, dass es meist nur 60% des Gehalts während der Elternzeit gibt. Der Kanton Waadt ist wohl der einzige, der ein zusätzliches Unterstützungsprogramm hat, mit dem man das Elterngeld aufstocken kann. Dafür gibt es in der Schweiz noch eine andere Besonderheit: Frauen haben das Recht, Stillzeiten oder Zeiten für das Abpumpen der Muttermilch als Arbeitszeit abzurechnen. Dafür stehen ihnen je nach Länge des Arbeitstags zw. 30 und 90 min zu, welche während oder morgens vor bzw. nach der Arbeit genommen werden können. Einen Mutterschutz vor der Geburt gibt es nicht, viele Frauen werden aber von ihrer Gynäkologin krankgeschrieben, um die letzten Wochen vor der Geburt nicht mehr arbeiten zu müssen. Insgesamt war ich diese Woche bei mehreren Beratungen mit Schwangeren oder Familien, die gerade Nachwuchs bekommen haben, dabei.

Besonders interessant fand ich dabei die Gespräche der Hebamme mit den Frauen, da hier auch auf psychologische Komponenten eingegangen wurde. Z.B. ging es dabei um psychische Belastungen in der Schwangerschaft, vorangegangene Fehlgeburten, das Warten auf die Geburt, die partnerschaftliche Beziehungsqualität und Unterstützung o.ä. Eine Psychologin, die bei psychischer Belastung in der Schwangerschaft Beratung anbietet, wie ich das in Berlin mache, gibt es bei PROFA so nicht. Dafür wird immer an externe vermittelt.

Bei einem Gespräch mit der Leitung des Bereichs Périnatalité wurde mir erklärt, dass hier auch nach den DOTIP-Prinzipien zum Umgang mit häuslicher Gewalt gearbeitet wird und die Bereiche hier vernetzt sind. Ebenfalls werden Workshops und Gruppen für werdende Eltern angeboten wie z.B. die „Ateliers Futurs Parents“, welche in Kooperation mit MenCare Suisse für werdende Mütter und Väter einzeln angeboten werden und welche keine Geburtsvorbereitungskurse sind, sondern auf das Muttersein und Vatersein vorbereiten. Leider hatte ich nicht die Gelegenheit an einem solchen Workshop teilzunehmen.

Insgesamt war es ein wenig enttäuschend, dass ich aus unterschiedlichen Gründen in die psychologischen Bereiche bei PROFA so wenig reinschnuppern konnte. Umso mehr habe ich mich gefreut, dass ich als Abschluss meiner Hospitation an der teils anonymen Gruppe teilnehmen konnte, bei der Männer, welche in Beziehung mit einer Frau leben oder gelebt haben, jedoch homosexuell sind oder eben Sex mit Männern haben, sich in vertraulichem Rahmen austauschen können.

Besonders spannend und lehrreich war dabei, dass die Männer, welche (bis auf einen Mann Mitte 20) alle zwischen 50 und 75 Jahren waren, zum einen an ganz unterschiedlichen Punkten ihres Coming-Out standen, aber auch ganz unterschiedliche Lebensmodelle bevorzugten. Nicht jeder strebte ein komplettes Coming-Out an, manche hatten ihre Frau bereits eingeweiht, andere nicht, manche wollten mit ihrer Frau zusammen bleiben, manche nur räumlich, andere gar nicht. Für die neueren Mitglieder der Gruppe war es eine große Bereicherung, die Erfahrungen der anderen zu hören. Es war eine unterstützende Atmosphäre, die zwischen ausgelassenen Momenten und Momenten der Trauer wechselte. Für eine solche Gruppe gäbe es sicher auch in Berlin Bedarf.

Lausanne

Bericht vom 08.10.2022

Diese Woche war ich im Kompetenzzentrum HIV-STI eingeteilt. Dieses besteht aus 3 Bereichen: Checkpoint, Migration und Intimität und „Georgette in Love“. Letzteres ist ein Peers-to-Peers Programm, bei dem Jugendliche zu Multiplikatoren ausgebildet werden und dann im Nachtleben, Jugendclubs oder bei Veranstaltungen über sexuelle Gesundheit aufklären. Die Jugendlichen kommen, nachdem sie die Ausbildung mit mehreren Modulen durchlaufen haben, teils selbständig in die Räumlichkeiten, um diese zu nutzen und sich auf ihre Einsätze vorzubereiten.

Der Checkpoint ist ähnlich wie der Bereich Sexuelle Gesundheit, in dem ich in der ersten Woche hospitiert habe, nur liegt dort der Schwerpunkt auf Männern die Sex mit Männern haben (MSM, bzw. auf Französisch HSH) und auf Trans Personen. Auch hier gibt es Beratung, z.B. zur sexuellen Orientierung oder zur sexuellen Identität, sowie Testung und Behandlung. Ich war in verschiedenen Beratungsgesprächen dabei. Es gibt eine Gruppe extra für Männer, die früher mit einer Frau gelebt haben oder noch leben, aber für sich entdeckt haben, dass sie sich sexuell zu Männern hingezogen fühlen, sowie eine Gruppe zum Thema Chemsex, die von einem „Ehemaligen“ begleitet wird. Interessant ist, dass im Checkpoint wie in einer infektiologischen Praxis auch die Weiterbehandlung nach einem positiven HIV Befund durchgeführt wird, d.h. die Menschen können dort ihre feste Ärztin haben und kommen regelmäßig zu Verlaufskontrollen. Nach dem Erstbefund geht es dann darum, ein geeignetes Medikament auszusuchen, auszuprobieren und das Virus unter die Nachweisgrenze zu senken. Auch die Kommunikation über die Infektion mit dem Partner oder Partnerin, Sorgen über körperliche Veränderungen oder Nebenwirkungen können hier Thema sein.

Anschließend war ich 2 Tage im Bereich Migration und Intimität. Dieser Bereich weicht deutlich von den anderen ab, was Inhalte und Arbeitsweise angeht. Ich war am ersten Tag mit einer Kollegin eingeteilt, welche sowohl im edukativen als auch aufsuchenden Bereich arbeitet. Nachdem es vormittags um die Weiterentwicklung von Informationsmaterial ging, bin ich nachmittags mit ihr in ein Gemeindezentrum gegangen, welches quasi gleichzeitig Poliklinik, Waschsalon und Beratungszentrum ist. Dort bietet die Kollegin jede Woche niedrigschwellige Gespräche an und gibt Infomaterial, Kondome usw. heraus. Ihr Schwerpunkt ist Lateinamerika, sie berät aber natürlich auch Menschen aus anderen Regionen.

Insgesamt sind die Gespräche von einem Ansatz geprägt, welcher Gesundheit als multifaktoriell betrachtet, wobei die soziale Komponente im Vordergrund steht. Solange jemand keine Wohnung hat oder einen Sorgerechtsstreit im Hintergrund, sind Themen wie sexuelle Gesundheit oft zweitrangig. Aber nicht nur aus diesem Grund wird das Thema oft nicht direkt angeschnitten: die Klient*innen kommen aus Kulturen, wo eine zu direkte Art häufig als Affront verstanden wird. Daher wird erst ein Vertrauensverhältnis aufgebaut und der Weg über weniger verfängliche Themen gewählt. Anschließend geht es aber doch um Verhütung oder wie man mit seinen jugendlichen Kindern über diese spricht.

Am nächsten Tag war ich mit einem Kollegen eingeteilt, dessen Schwerpunkt auf afrikanischen Ländern liegt. Er geht neben Erstaufnahmeeinrichtungen von Geflüchteten häufig auch zu zentralen Treffpunkten der Gemeinden, zu Festen oder sogar Trauerfeiern. Häufig wird er bei diesen Gelegenheiten angesprochen und über mehrere Ecken dann an die Person vermittelt, die Beratungsbedarf hat. Mit ihm habe ich an einem Mittagessen teilgenommen, bei dem eine neue Kooperation mit einer anderen Partnerorganisation, welche in Afrika selbst tätig ist, aufgebaut werden sollte. Auch berät der Kollege andere Einrichtungen oder innerhalb von PROFA die Kollegen bei bestimmten Fällen. Insgesamt ist die Arbeit neben der Arbeit mit Klient*innen stark von Netzwerkarbeit, Wissenstransfer und Präsenz auf Kongressen, z.B. zum Thema international public health, geprägt.

Bergdorf Château d’Oex

Bericht vom 02.10.2022

Die 2. Woche in Lausanne war leider sehr verregnet. Dabei hängen die Wolken tief über dem See und man sieht oft die Berge und die französische Seite nicht mehr. Am ersten Tag der 2. Woche war ich bei einer der Ärztinnen eingeteilt. So konnte ich auch zum ersten Mal eine Beratung zur PREP miterleben. Es waren auch mehrere Ukrainerinnen in der Sprechstunde, wodurch nochmal deutlich wurde, wo sich der ärztliche Bereich mit psychosozialer Beratung überschneidet. Nachdem mir die Leitung des Fachbereichs éducation sexuelle (hier hat jeder Fachbereich eine eigene Leitung) nochmal den gesamten Bereich ausführlich gezeigt und erklärt hatte, inklusive Fachbibliothek und Elternabenden, hatte ich Gelegenheit, bei einer Sitzung teilzunehmen, bei der verschiedene Leitungen, Psychologen und Kolleg*innen, welche STI Beratung machen und welche in die Schulen gehen, alle 2 Wochen zusammenkommen. Dabei werden schwierige Fälle besprochen, insb. wenn abgeklärt werden muss, ob z.B. bei einem geschilderten Übergriff Handlungsbedarf besteht, um Minderjährige zu schützen oder wenn in der Schule eine unklare oder belastende Situation aufgetreten ist. Das Einbringen der Fälle ist obligatorisch und diese werden teils auch über mehrere Male begleitet.

Die Sitzung fand hybrid statt, sodass sich immer wieder Kollegen in den Besprechungsraum dazu schalteten und ihren aktuellen Fall kurz oder auch etwas länger schilderten, wobei die Verantwortlichen Fragen stellten und entweder Handlungsbedarf festgestellt wurde, oder das bisherige Vorgehen abgesegnet wurde. Interessant fand ich hierbei vor allem die Abwägung zwischen Verschwiegenheit und Eingreifen, ob man die Eltern eines Mädchens benachrichtigen sollte, damit diese ihre Tochter schützen können.

Das Highlight der Woche war sicher die weite und etwas abenteuerliche Fahrt in das Bergdorf Château d’Oex, welches selbst bei Regen eine tolle Landschaft hat, die man sogar aus den Klassenzimmern bestaunen kann (siehe Foto). Dort durfte ich in verschiedenen Klassen bei einem besonderen Schul-Workshop hospitieren, welcher sich „précarité menstruelle“ nennt. Dabei geht es darum, schon in den unteren Klassen, also idealerweise bevor die 1. Menstruation einsetzt, darüber aufzuklären, dass ca. 10 Prozent der Frauen sich auch in Europa keine Hygieneartikel leisten können. Deshalb sind an den Schulen Spender mit Binden und Tampons installiert. Alle möglichen Alternativen werden mit den Mädchen und Jungen genauer besprochen, wobei sehr ins Detail gegangen wird, was es alles zu beachten gibt. Neben Tipps und Tricks, Fakten und Wissenswertem, geht es v.a. um die Enttabuisierung und Normalisierung des Themas und eine gewisse Vorbildfunktion. In den unteren Klassen ist auch gleichzeitig die Klassenlehrerin sowie die Schulkrankenschwester anwesend. Zu letzterer wird also über das Projekt auch der Kontakt mit den Schüler*innen hergestellt, sodass diese sich anschließend eher trauen, mit Fragen zu ihr zu gehen.

Ein weiterer kurzer Einblick war diese Woche in den Bereich „couples und séxologie“ möglich. Dort arbeiten v.a. Psychologinnen und Psychotherapeutinnen, welche Paar- und Sexualtherapie anbieten. Zwei wesentliche Unterschiede zu Berlin bestehen darin, dass zum einen tatsächlich Therapie und nicht ausschließlich Beratung angeboten wird, zum anderen sind diese Sitzungen nicht kostenlos, sondern müssen je nach Einkommen selbst bezahlt werden (0-180€). Die Kolleginnen hatten alle sehr unterschiedliche Ausbildungen, von systemischer Therapie über Sexualtherapie hin zu Sexocorporel. Ich durfte auch an einer psychoanalytischen Supervision teilnehmen, bei der ein interessanter Fall besprochen wurde.

Zum Abschluss der Woche habe ich noch einen Einblick ins LAVI (Loi sur l’aide aux victimes d’infractions, also in etwa Gesetz über Opferhilfe nach Straftaten) bekommen, was dem Weißen Ring in Deutschland ähnelt, jedoch hier in die Fondation PROFA eingegliedert ist. Laut Gesetz muss jeder Kanton in der Schweiz über ein LAVI verfügen. Dort gibt es vielfältige Unterstützungsmöglichkeiten: von einfach nur zuhören und Informationsvermittlung, über psychologische und juristische Beratung, bis zu finanzieller Hilfe und Prozessbegleitung. Häufig wird von der Polizei an das LAVI vermittelt, es wird aber natürlich auch unabhängig von der Polizei gearbeitet. Es geht um Straftaten jeglicher Art bis hin zu Menschenhandel und Zwangsehen, aber auch medizinischen Behandlungsfehlern. Betreut werden Menschen, die sich davon entweder auf körperlicher, psychischer oder sexueller Ebene beeinträchtigt fühlen. Ca. 50% machen Fälle häuslicher Gewalt aus!

Auch im LAVI arbeiten sehr unterschiedliche Berufsgruppen: Psychologinnen, Kriminologen, Sozialarbeiter und ein Jurist. Das Justizsystem ist hier auch anders aufgebaut als in Deutschland. Ich durfte dann noch bei einem Beratungsgespräch dabei sein und hoffe, dass ich nächste Woche nochmal die Möglichkeit zur Hospitation im LAVI haben werde. Vor dem Job, sich den ganzen Tag mit Gewaltdelikten zu befassen, habe ich großen Respekt. Den Sonntag konnte ich dann glücklicherweise noch dazu nutzen, bei Sonnenschein auf die französische Seite des Genfer See zu fahren und das malerische Örtchen Yvoire zu besichtigen.

Viele Grüße

Lausanne

Bericht vom 26.09.2022

Für meine Hospitation hat es mich nach Lausanne zur Fondation PROFA verschlagen, welche ähnliche Schwerpunkte wie unser Zentrum für sexuelle Gesundheit und Familienplanung in Berlin hat. Nach der Ankunft in Genf konnte ich direkt bei der Zugfahrt nach Lausanne einen Blick auf den See erhaschen. Das ist schon toll, im Hintergrund immer eine Bergkulisse zu haben. Der nächste Tag war erstmal ein lokaler Feiertag, was ich nicht wusste, so hatte ich Zeit, die Region mit ihren Weinbergen zu erkunden und mich in meiner Unterkunft einzurichten.

Am ersten Arbeitstag wurde ich dann gleich in eine andere Stadt geschickt (Morges), wo ich sehr herzlich von einer Mitarbeiterin von PROFA empfangen wurde, welche auch Psychologin ist, allerdings nicht als Psychologin in der Beratungsstelle arbeitet. Das Team in Morges ist sehr klein und besteht nur aus wenigen Mitarbeiterinnen. In den Beratungsgesprächen ging es vor allem um STI/HIV, allgemeine Gesundheitsfragen, aber auch Kindererziehung u.ä. Leider fielen auch ein paar Termine aus, weil die Klienten nicht erschienen. Auf dem Heimweg habe ich einen Teil zu Fuß zurückgelegt, um den Sonnenuntergang am See und den Blick zu genießen und bin erst dann wieder in den Zug gestiegen.

Am nächsten Tag war ich dann in Lausanne in der Zentrale, wo ich auch meinen bisherigen Ansprechpartner getroffen habe. Bei ihm habe ich dann einen Tag hospitiert und am nächsten Tag bei einer Kollegin von ihm. Alle sind sehr nett und offen. Die Beratungsthemen waren neben der STI-Beratung die Themen ungeplante Schwangerschaft sowie Notfallverhütung, wobei mehrmals jugendliche Mädchen zu PROFA kamen, um sich die „Pille danach“ zu holen. Diese bekommen sie nach einem Gespräch sofort vor Ort in der Beratungsstelle, wo sie diese auch einnehmen. 3 Wochen später findet dann ein Follow-Up inklusive Schwangerschaftstest statt. Die meisten Klient*innen wirken sehr aufgeklärt, informiert und gesundheitsbewusst. Interessant ist, dass sich die Aufgaben- und Verantwortungsbereiche teils anders aufteilen. Zum Beispiel sieht mein Anleiter Klienten aus der STI-Beratung auch mehrmals in Folge, wo es dann auch um Beziehungsthemen o.ä. geht. In der Test-Beratung werden sich auch viele Notizen gemacht und ein Standard-Fragenkatalog teilweise abgearbeitet, was einerseits der Statistik dient, andererseits auch als Info für Termine in der Zukunft, z.B. wenn jemand nächstes Jahr wieder zum Test kommt (egal ob mit echtem Namen oder anonym). Dabei wird z.B. der Beziehungsstatus erfragt, oder bei jüngeren Klient*innen auch die Beziehung zu den Eltern und die Wohnverhältnisse. Die Tests auf HIV und Syphilis werden direkt vor Ort per Schnelltest gemacht, was bei uns in Berlin anders ist. Auch machen die Klient*innen für die Tests auf andere STI ihre Abstriche selber. Das hat sich wohl während der Pandemie so etabliert. Während dem Warten auf die Schnelltestergebnisse füllen die Klient*innen noch einen längeren anonymen Fragebogen am Tablet aus und es gibt Zeit für weitere Fragen.

Es arbeiten hier viele verschiedene Berufsgruppen als „conseiller/conseillère sexuelle“, wofür sie eine eigene Ausbildung mit längerer Hospitation gemacht haben: Sozialpädagoginnen, Krankenschwestern, Psychologen und sogar eine Komikerin. Ein weiterer Unterschied ist, dass die Tests hier nicht kostenlos sind, sondern selbst bezahlt werden müssen, wobei es verschiedene Tarife gibt (u.a. Jugendtarif, Sozialtarif), sodass diese zwischen 0 und 180 Franken kosten. Insgesamt ist hier alles unglaublich teuer, egal ob öffentliche Verkehrsmittel, Einkäufe oder ein Kaffee, aber das ist eben die Schweiz.

Am letzten Tag habe ich in der Schule im Sexualkundeunterricht hospitiert (in Lausanne und Nyon). Dabei kann man hier wirklich von Unterricht sprechen, es wird betont, dass es sich um Unterricht wie jeder andere handelt, die Schüler sitzen diszipliniert an ihrem Platz (dürfen aber auch ihre Fragen anonym auf Zettel schreiben, wobei es kein Tabu gibt, alles wird besprochen und selbst die 10-jährigen kennen Begriffe wie LGBTIQA, Konsens, o.ä.). Den Bereich „éducation sexuelle“ machen hier bestimmte Mitarbeiterinnen von PROFA, welche nur für diesen Bereich zuständig sind und durch den ganzen Kanton reisen, um dort an Schulen zu gehen, auch in weiter entfernte Dörfer. Die französische Sprache ist hier auch ein wenig anders als in Frankreich, z.B. gibt es für die Zahlen teils andere Wörter: huitante statt quatre-vingt. Auch der Genfersee wird hier nicht etwa „lac de Genève“ genannt, sondern „lac léman“.

Am Wochenende war hier Lange Nacht der Museen, wobei ich die Stadt nochmal ein wenig mehr kennenlernen konnte und was sich bei dem Regenwetter, das leider seit gestern und für die nächsten Tage hier herrscht, gut angeboten hat. Dabei habe ich auch ein paar locals kennengelernt. Ich bin gespannt, was die nächste Woche so mit sich bringen wird!

A bientôt!