Guten Morgen, nun wieder aus Berlin! Ich blicke zurück auf den Verwaltungsaustausch und bin noch einen Bericht aus meiner vierten und letzten Woche schuldig.
Leider lief in dieser Woche nicht alles wie geplant, da ich erkrankte. Ich musste also einige Termine verschieben und mein Programm etwas reduzieren. Zum Ende der Woche ging es besser, so dass mein geplanter Besuch in Rotterdam stattfinden konnte. Dort traf ich den Radverkehrsbeauftragten der Stadt sowie einen der dortigen Berater für Radverkehr (Adviseur Mobiliteit). Diese Beraterstellen sind wirklich interessant und es gibt dazu eigentlich kein Gegenstück in meiner Heimatverwaltung. Die Berater haben die Aufgabe, die Projektleiter aus der Projektabteilung der Stadt optimal mit allem notwendigen Wissen auszustatten, um der Projektleitung bestmögliche Ergebnisse zu ermöglichen. Sie wissen also im Zweifel notwendige Maße, können zu Führungsformen, Netzfunktion oder Ähnlichem Auskunft und Entscheidungshilfe geben. Ein Projektleiter holt sich so alles notwendige Wissen bei den verschiedenen Beratenden ab und führt das Projekt durch. Die Projektleiter kommen aus einem Pool und führen nicht nur Radverkehrsvorhaben zum Erfolg, sondern jegliche Bauaufgaben, die die Stadt ausführen möchte. Die Arbeit ist also vielfältig, jedoch muss ein Projektleiter nicht Experte bis ins Detail sein, da es ja die jeweiligen BeraterInnen gibt.
Rotterdam ist bei ihrer Transformation von einer auf das Kraftfahrzeug ausgerichteten Stadt hin zu einer lebenswerten Stadt viel näher dran an Berlin, als Utrecht. Aus diesem Blickwinkel ist die Stadt sehr interessant für Berlin. Vieles der in Utrecht gelebten Realitäten scheint für Berlin unerreichbar, währenddessen Rotterdam sich in einem Zwischenstadium befindet, zwar ungefähr mit zwei Jahrzehnten Vorsprung zu Berlin, aber eben nicht drei bis vier Jahrzehnte, wie es in Utrecht der Fall ist.
Wie in Berlin finden sich in Rotterdam große Schneisen durch die Stadt, die in den vergangenen Jahrzehnten mit Kraftfahrzeugverkehr gefüllt wurden. Stück für Stück reduziert Rotterdam jedoch den motorisierten Verkehr in der Stadt und stellt mehr Fläche für Grün, für Flanieren und Radverkehr zur Verfügung. Ein schönes Beispiel ist der Coolsingel Boulevard – früher mit zwei Fahrstreifen pro Richtung, zusätzlich Parken, und in der Mitte eine Tramlinie. Man entschied sich, den Verkehr auf eine Seite der Tram zu legen, und die komplette andere Seite dem Rad- und Fußverkehr zur Verfügung zu stellen, sowie mehr Bäume zu pflanzen. Im Prinzip wurde dort bereits jenes umgesetzt, was für die Skalitzer Straße, die Schönhauser Allee oder das Hallesche Ufer diskutiert wird und hier in zehn bis zwanzig Jahren ebenfalls umgesetzt werden wird. Ein Blick dorthin lohnt also unbedingt! Beim Thema Fahrradparken ist die Stadt Rotterdam ebenfalls noch nicht ganz so weit, wie die Stadt Utrecht, aber immer noch unschlagbar im Vergleich mit allen deutschen Städten.
Beispielsweise ärgert man sich heute, dass das große Fahrradparkhaus im Untergeschoss unter dem Rotterdamer Bahnhofsvorplatz nur die -1 Ebene ausfüllt, und man beim Errichten des Bahnhofs nicht gleich eine 2 Ebene eingefügt hat. Nun müssen tausende weitere Fahrradstellplätze um den Bahnhof herum errichtet werden. Auch sammelt die Stadt erste Erfahrungen mit eigenen, kommunal betriebenen Fahrradparkhäusern, hat aber noch nicht wie Utrecht Check-In Systeme, automatische Erfassung der Belegung, etc. implementiert.
Hinsichtlich des Betriebs von Ampeln ist Rotterdam jedoch sehr weit und innovativ. Verbreitet sind Wartezeitanzeiger (Wachttijdvoorspeller), experimentiert wird mit grünen Wellen für den Radverkehr, rundum Grün für Fahrräder oder auch digitalen Anzeigen, die einem den kürzesten Weg über große Kreuzungen anzeigen (interessant, wenn es Zweirichtungsradwege über jeden Kreuzungsarm gibt). Wir haben uns auch vor Ort einen Verkehrsversuch angeschaut, bei dem mit massiven Betonelementen Fahrstreifen geschlossen wurden, um zu sehen, ob die Kreuzungen auch mit weniger Platz für das Kfz auskömmlich „funktionieren“. Auch diese Art von experimenteller „Operation am offenen Herzen“, auf das man im Nachhinein politische Entscheidungen wohlbegründet stützen kann, sind interessant für Berlin.
Die übrige Zeit der Woche habe ich damit verbracht, mich mit der Arbeit des Verkehrsmanagements und der Stadtingenieure von Utrecht zu beschäftigen. Ich habe beispielsweise einen Projektleiter auf eine seiner größten Baustellen begleitet und mich über Gemeinsamkeiten und Unterschiede bei Bauaufgaben in Deutschland und den Niederlanden ausgetauscht. Einem LSA Ingenieur habe ich beim Programmieren einer Ampel zugeschaut und exemplarisch zusammen mit ihm alle Schritte von Idee bis Umprogrammierung durchlaufen. Sehr interessant war, dass die allermeisten Vorgänge direkt aus dem Büro in Echtzeit vollzogen werden können. Über unser System in Berlin lächelte er und meinte, hier müsse er mich leider enttäuschen, aber dafür bekäme man in den Niederlanden seit 20 Jahren keine Ersatzteile mehr.
Als Fazit meines Aufenthalts kann man denke ich sagen, dass die Niederlande in vielen Bereich, von New Work bis Verkehr, ein Schaufenster in die Zukunft darstellen. Hinschauen und Lernen lohnt!
Natürlich kann das kein abschließendes Fazit sein, denn die vielen menschlichen Begegnungen, die vielen schönen Radtouren, das Leben in meinem kleinen Chalet auf dem Campingplatz, all das hat seinen ganz eigenen Wert und ich kann Jeder und Jedem empfehlen, regelmäßig über den Tellerrand hinaus zu schauen und nicht aufzuhören, zu Lernen.