Jens Blume berichtet aus Utrecht

Rotterdam

Bericht vom 10.10.2022

Guten Morgen, nun wieder aus Berlin! Ich blicke zurück auf den Verwaltungsaustausch und bin noch einen Bericht aus meiner vierten und letzten Woche schuldig.

Leider lief in dieser Woche nicht alles wie geplant, da ich erkrankte. Ich musste also einige Termine verschieben und mein Programm etwas reduzieren. Zum Ende der Woche ging es besser, so dass mein geplanter Besuch in Rotterdam stattfinden konnte. Dort traf ich den Radverkehrsbeauftragten der Stadt sowie einen der dortigen Berater für Radverkehr (Adviseur Mobiliteit). Diese Beraterstellen sind wirklich interessant und es gibt dazu eigentlich kein Gegenstück in meiner Heimatverwaltung. Die Berater haben die Aufgabe, die Projektleiter aus der Projektabteilung der Stadt optimal mit allem notwendigen Wissen auszustatten, um der Projektleitung bestmögliche Ergebnisse zu ermöglichen. Sie wissen also im Zweifel notwendige Maße, können zu Führungsformen, Netzfunktion oder Ähnlichem Auskunft und Entscheidungshilfe geben. Ein Projektleiter holt sich so alles notwendige Wissen bei den verschiedenen Beratenden ab und führt das Projekt durch. Die Projektleiter kommen aus einem Pool und führen nicht nur Radverkehrsvorhaben zum Erfolg, sondern jegliche Bauaufgaben, die die Stadt ausführen möchte. Die Arbeit ist also vielfältig, jedoch muss ein Projektleiter nicht Experte bis ins Detail sein, da es ja die jeweiligen BeraterInnen gibt.

Rotterdam ist bei ihrer Transformation von einer auf das Kraftfahrzeug ausgerichteten Stadt hin zu einer lebenswerten Stadt viel näher dran an Berlin, als Utrecht. Aus diesem Blickwinkel ist die Stadt sehr interessant für Berlin. Vieles der in Utrecht gelebten Realitäten scheint für Berlin unerreichbar, währenddessen Rotterdam sich in einem Zwischenstadium befindet, zwar ungefähr mit zwei Jahrzehnten Vorsprung zu Berlin, aber eben nicht drei bis vier Jahrzehnte, wie es in Utrecht der Fall ist.

Wie in Berlin finden sich in Rotterdam große Schneisen durch die Stadt, die in den vergangenen Jahrzehnten mit Kraftfahrzeugverkehr gefüllt wurden. Stück für Stück reduziert Rotterdam jedoch den motorisierten Verkehr in der Stadt und stellt mehr Fläche für Grün, für Flanieren und Radverkehr zur Verfügung. Ein schönes Beispiel ist der Coolsingel Boulevard – früher mit zwei Fahrstreifen pro Richtung, zusätzlich Parken, und in der Mitte eine Tramlinie. Man entschied sich, den Verkehr auf eine Seite der Tram zu legen, und die komplette andere Seite dem Rad- und Fußverkehr zur Verfügung zu stellen, sowie mehr Bäume zu pflanzen. Im Prinzip wurde dort bereits jenes umgesetzt, was für die Skalitzer Straße, die Schönhauser Allee oder das Hallesche Ufer diskutiert wird und hier in zehn bis zwanzig Jahren ebenfalls umgesetzt werden wird. Ein Blick dorthin lohnt also unbedingt! Beim Thema Fahrradparken ist die Stadt Rotterdam ebenfalls noch nicht ganz so weit, wie die Stadt Utrecht, aber immer noch unschlagbar im Vergleich mit allen deutschen Städten.

Beispielsweise ärgert man sich heute, dass das große Fahrradparkhaus im Untergeschoss unter dem Rotterdamer Bahnhofsvorplatz nur die -1 Ebene ausfüllt, und man beim Errichten des Bahnhofs nicht gleich eine 2 Ebene eingefügt hat. Nun müssen tausende weitere Fahrradstellplätze um den Bahnhof herum errichtet werden. Auch sammelt die Stadt erste Erfahrungen mit eigenen, kommunal betriebenen Fahrradparkhäusern, hat aber noch nicht wie Utrecht Check-In Systeme, automatische Erfassung der Belegung, etc. implementiert.

Hinsichtlich des Betriebs von Ampeln ist Rotterdam jedoch sehr weit und innovativ. Verbreitet sind Wartezeitanzeiger (Wachttijdvoorspeller), experimentiert wird mit grünen Wellen für den Radverkehr, rundum Grün für Fahrräder oder auch digitalen Anzeigen, die einem den kürzesten Weg über große Kreuzungen anzeigen (interessant, wenn es Zweirichtungsradwege über jeden Kreuzungsarm gibt). Wir haben uns auch vor Ort einen Verkehrsversuch angeschaut, bei dem mit massiven Betonelementen Fahrstreifen geschlossen wurden, um zu sehen, ob die Kreuzungen auch mit weniger Platz für das Kfz auskömmlich „funktionieren“. Auch diese Art von experimenteller „Operation am offenen Herzen“, auf das man im Nachhinein politische Entscheidungen wohlbegründet stützen kann, sind interessant für Berlin.

Die übrige Zeit der Woche habe ich damit verbracht, mich mit der Arbeit des Verkehrsmanagements und der Stadtingenieure von Utrecht zu beschäftigen. Ich habe beispielsweise einen Projektleiter auf eine seiner größten Baustellen begleitet und mich über Gemeinsamkeiten und Unterschiede bei Bauaufgaben in Deutschland und den Niederlanden ausgetauscht. Einem LSA Ingenieur habe ich beim Programmieren einer Ampel zugeschaut und exemplarisch zusammen mit ihm alle Schritte von Idee bis Umprogrammierung durchlaufen. Sehr interessant war, dass die allermeisten Vorgänge direkt aus dem Büro in Echtzeit vollzogen werden können. Über unser System in Berlin lächelte er und meinte, hier müsse er mich leider enttäuschen, aber dafür bekäme man in den Niederlanden seit 20 Jahren keine Ersatzteile mehr.
Als Fazit meines Aufenthalts kann man denke ich sagen, dass die Niederlande in vielen Bereich, von New Work bis Verkehr, ein Schaufenster in die Zukunft darstellen. Hinschauen und Lernen lohnt!

Natürlich kann das kein abschließendes Fazit sein, denn die vielen menschlichen Begegnungen, die vielen schönen Radtouren, das Leben in meinem kleinen Chalet auf dem Campingplatz, all das hat seinen ganz eigenen Wert und ich kann Jeder und Jedem empfehlen, regelmäßig über den Tellerrand hinaus zu schauen und nicht aufzuhören, zu Lernen.

Fahrradweg

Bericht vom 16.09.2022

Goede dag,

meine dritte Woche des Austauschprogramms „LoGoEurope“ ist gerade zu Ende gegangen, ich sitze bei einem Kaffee in meinem gemütlichen Chalet und schaue durch die großen Glastüren den Regentropfen beim Regnen zu…

In der vergangenen Woche habe ich einige Exkursionen zu interessanten Orten unternommen – glücklicherweise bei Sonnenschein – und habe mit besonderem Augenmerk auf Fahrradinfrastruktur, Knotenpunktgestaltung und Verkehrsberuhigungsmaßnahmen geachtet. Viele Anregungen konnte ich dabei sammeln und werde sie nach Berlin mitnehmen. Die hier geltenden Grundsätze, Verkehrsarten unterschiedlicher Geschwindigkeit und Masse voneinander räumlich oder zeitlich zu separieren, machen das Fortbewegen im Straßenverkehr sehr entspannt, für alle. Viele meiner deutschen KollegInnen meinen, die NiederländerInnen wären einfach per se entspannter, und deswegen funktioniere der Verkehr auch entspannter. Doch ich denke, es ist genau anders herum: Hier wird eine derartige Infrastruktur geschaffen, die das sorglose Fortbewegen erst möglich macht.

Durch geschicktes Planen und Managen des Verkehrs werden Konflikte nicht dem Individuum zugemutet, sondern schon vorher weitestgehend aufgelöst. Beispiel: Radwege werden grundsätzlich hinter Tankstellen entlanggeführt, so dass sich motorisierter Verkehr und Radverkehr erst gar nicht kreuzen. Währenddessen wird der Radweg in Deutschland üblicherweise exakt neben der Fahrbahn geführt, so dass Kfz sowohl beim Einfahren in die Tankstelle als auch beim Ausfahren den Radweg kreuzen, wodurch leicht Unfälle entstehen. Dasselbe gilt für Ampelkreuzungen: Die abbiegenden Kfz-Ströme haben in den Niederlanden in der Regel nicht gleichzeitig grün mit den geradeausfahrenden Fahrrad- und Fußgängerströmen. So wird der Abbiegekonflikt systematisch und nicht durch den einzelnen Verkehrsteilnehmenden gelöst. In Deutschland wird diesen Strömen in der Regel gleichzeitig grün gegeben. Das führt dazu, dass mit großer Zuverlässigkeit Zu-Fuß-Gehende und Radfahrende in Deutschland durch abbiegende Fahrzeuge erfasst und getötet werden. Für Radfahrende ist dieses Szenario Todesursache Nr. 1. Schon vor vielen Jahrzehnten haben die NiederländerInnen erkannt, dass diese Abbiegesituation viel zu komplex ist, um den Kfz-Führenden zuzumuten, auf die Vorfahrt der Radfahrenden und Zu-Fuß-Gehenden zu achten. Daher haben sie das Problem verkehrsorganisatorisch gelöst und die Komplexität für das Individuum reduziert.

Das sind nur zwei Beispiele dafür, wie in den Niederlanden Bedingungen geschaffen werden, die das stressfreie freundliche Miteinander im Straßenverkehr ermöglichen. Meiner Meinung nach kann man den einzelnen Individuen in Berlin gar nicht die Schuld für das dort herrschenden hohe Stress- und Aggressionslevel geben. Ich denke –aus verschiedensten Gründen – hat es die Verkehrsverwaltung in den letzten Jahrzehnten versäumt, Konflikte durch organisatorische und bauliche Maßnahmen zu reduzieren, in vielen Fällen werden sogar Verkehrsarten konfliktreich bewusst miteinander verwoben (etwa Bushaltestellen auf Radwegen oder Fahrrad-Schutzstreifen mit rechts davon liegenden Park- oder Lieferbereichen) Hier kann Berlin noch sehr viel von den Niederlanden lernen um den Menschen ein besseres Miteinander möglich zu machen.

Passend zu dieser Thematik hatte ich Austausch mit der Leitung des Verkehrsmanagements der Stadt Utrecht und mit den Stadt-Ingenieuren. Wieder einmal beeindruckt mich die Arbeit und Fortschrittlichkeit sehr: Beispielsweise sind alle Ampelanlagen der Stadt (bis auf eine einzige) verkehrsabhängig geschaltet. Und dabei wird in der Regel – anders als in Deutschland – der Radverkehr frühzeitig schon vor dem Knoten durch induktionsschleifen detektiert. Gerade experimentiert Utrecht auch viel mit neuen Technologien. Zusätzlich zur Schleife wird beispielsweise an einigen Orten durch Kameras detektiert, um wie viele Radfahrende es sich handelt (durch eine Schleife kann man nicht eine Gruppe von einem einzelnen Radfahrenden unterscheiden). Oder mit Radar wird der Rückstau von Kfz überwacht, um die Ampel mit hoher Präzision und Qualität zu steuern.

Bei den Stadtingenieuren – die ein eigenes Department darstellen – habe ich mich über deren Arbeit und einige Projekte informiert. Besonders interessant: Durch die verschiedenen Disziplinen unter den Stadtingenieuren kann ein Bauprojekt vollständig durch In-House Arbeit realisiert werden. Es gibt Spezialisten für jede Fachrichtung, die dann, geführt durch den Projektmanager, gemeinsam an einem Vorhaben, beispielsweise die vollständige Sanierung einer Straße von Hauskante zu Hauskante, zusammenarbeiten. Jede Person ist Spezialist und hat einen konkret definierten Arbeitsbereich. Zusätzlich zum Projektmanagement, das eher technisch ist und bei den Ingenieuren liegt, gibt es auch die Position des Prozessmanagers oder der –managerin (auf Ebene des Departments mit den BeraterInnen), die zur Aufgabe hat, die vielen verschiedenen Ziele, die durch Agenda, politische Beschlüsse, Strategien, etc. bestehen, innerhalb des Projekts zu realisieren, die notwendigen Personen in das Projekt einzukaufen (ja, die Stadtingenieure müssen intern eingekauft werden!) und nicht zuletzt das notwendige Geld für ein Vorhaben aufzutreiben und die Planung der politischen Ebene vorzulegen und sich entsprechende Zustimmung einzuholen.

Nächste Woche begleite ich dann die Bauleitung und schaue mir live den Fortschritt bei einem 36 Mio. Euro Straßenumbauprojekt an, bei dem eine lange, ehemals vierstreifige Straße auf jeweils einen Streifen pro Richtung reduziert wird, um Platz zu schaffen für mehr Bäume, breitere Radwege, und mehr Platz für Fußverkehr.Ich werde auch davon berichten.

vriendelijke groeten

Foto: Typische Szene aus Utrecht. Jugendliche radeln heiter und sorglos durch die Stadt – selbstverständlich nebeneinander, bei einer entspannten Unterhaltung, nicht selten Hand in Hand oder auf eine spezielle Art „untergehakt“

137. Geburtstag der Maliebaan. Links: der ehrenamtliche Fietsbürgermeister Jelle Bakker, rechts die Bürgermeisterin für Mobilität, Lot van Hooijdonk, Mittte: ein Sammler von sehr alten Fahrrädern, der zur Feier des Tages ein funktionierendes Hochrad aus dem 19. Jahrhundert mitbrachte. Jeder der wollte, durfte drauf fahren!

Bericht vom 19.09.2022

Guten Morgen aus Utrecht,

die letzte Woche verging wie im Flug. Höhepunkte waren zum Beispiel die Geburtstagsfeier des weltältesten Radwegs (der Radweg Maliebaan wurde 137 Jahre alt) oder eine Exkursion des Fietsberaad nach Maastricht. Der Fietsberaad ist ein Gremium im CROW, welche wiederum eine Stiftung ist, die ähnlich wie die Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen in Deutschland (FGSV) Regelwerke und Empfehlungen für das Verkehrswesen schreibt. Fietsberaad ist dabei ein Arbeitskreis, der sich im speziellen um die Belange des Radverkehrs kümmert. Vertreten sind darin Verwaltung, Politik, Privatwirtschaft und Zivilgesellschaft.

In Maastricht wurden wir zunächst vom Bürgermeister begrüßt und haben wir uns anschließend per E-Bike aktuelle Projekte angeschaut. Interessant fand ich ein Projekt, welches zum Ziel hatte, ein besonders problematisches Viertel aufzuwerten. Eine vierstreifige Straße wurde dazu in einen doppelstöckigen Tunnel verlegt, so dass darüber Platz entstand für ein grünes Band aus Rad- und Fußwegen, hunderten neuen Bäumen und einer Erschließungsstraße mit Tempo 30.

Die Lebensqualität der anliegenden Wohnbebauung hat sich nach Abschluss der Maßnahme drastisch durch die Lärm- und Schadstoffreduktion und das nunmehr angenehmere Umfeld erhöht. Aus Brandschutzgründen ist es hier übrigens nicht zulässig, die Tunneldecke von Autostraßen mit Gebäuden zu bebauen. Das macht die Refinanzierung solcher Projekte ein wenig schwieriger, da sich neu ausgewiesenes Bauland dann höchstens bis eng an die Tunneldeckengrenze erstrecken kann. Jedenfalls wurde aus einem Viertel, dass vor einiger Zeit zu den „40 problematischsten Vierteln der Niederlande“ gekürt wurde, zu einer begehrten Wohnadresse.

Weiter ging es mit den Rädern gen Stadtgrenze entlang eines neuen Radschnellwegs. Bezüglich der (Fahrrad-)Infrastruktur konnte ich die Unterschiede zwischen stark entwickelten Städten wie Amsterdam oder Utrecht und weniger entwickelten Regionen wie jener um Maastricht deutlich spüren. Die kleinen Kommunen im Umfeld von Maastricht waren sehr vergleichbar mit Deutschland. Hier gab es wie bei uns Tempo 30-Zonen, die gut mit 50 Km/h oder schneller befahrbar wären (es fehlten z.B. Aufpflasterungen, Drempel oder Schikanen vollständig) und auch gab es Landstraßen ohne separaten Radweg. Im Unterschied zu Deutschland ist die Höchstgeschwindigkeit auf Landstraßen hier übrigens 80 Km/h.

Es wurde berichtet, dass es hier – wie auch in Deutschland – schwierig sei, die auskömmliche Finanzierung für viele Vorhaben, die man eigentlich durchführen möchte, zu erhalten. Ich stellte daher die Frage, wie Utrecht den umfassenden Umbau des Gebiets im Stadtzentrum um den Hauptbahnhof finanziert hatte. Die Antwort lautete, man habe u.a. durch die Reduktion von Verkehrsflächen Bauland für Hochhäuser schaffen können, welches zu sehr hohen Preisen verkauft werden konnte. Eine interessante Idee. Weiterhin erfuhr ich, dass die Einnahmen aus den Kfz-Parkhäusern, den Parkscheinautomaten und den Parkausweisen für AnwohnerInnen in Utrecht direkt in die Finanzierung des Fahrradparkens fließen, welches allein monetär betrachtet, immer ein Zuschussgeschäft für Kommunen ist.

Zum Schluss der Exkursion wurde uns ein weiteres interessantes Projekt aus Maastricht vorgestellt, welches das Ziel hatte, das Bewusstsein dafür zu stärken, dass man mit dem Abstellen seines Fahrrads nicht den Gehweg oder Bereiche für mobilitätseingeschränkte Menschen verstellt. Neben verschiedenen Kampagnenelementen gab es auch einen mobilen Parcours, den man mit Langstock und verbundenen Augen begehen konnte, um selbst zu fühlen, wie problematisch falsch abgestellte Fahrräder sein können. Bei den Kampagnen wird immer auf eine bessere Alternative hingewiesen, die kann zum Beispiel das nächste Fahrradparkhaus oder die nächste Nachbarschaftsgarage sein.

So verging die Woche mit Exkursionen, Besprechungen und einigen Einzelinterviews, die ich zu bestimmten Themen führte, um besser zu verstehen, wie die Stadtverwaltung genau arbeitet. In dieser Woche werden die Schwerpunkte auf den Themen Verkehrssicherheit und Verkehrsmanagement liegen, außerdem werde ich einen Kollegen in Rotterdam besuchen und mir von seiner Tätigkeit in der dortigen Stadtverwaltung berichten lassen

Bahnhof Utrecht

Bericht vom 12.09.2022

Hallo allemaal!

Ich bin nun seit ein paar Tagen in der Stadt Utrecht und hospitiere im Referat für Mobilität. Die Begrüßung und Aufnahme waren herzlich. Gleich am ersten Tag wurde ich mit allen notwendigen Berechtigungen ausgestattet, um das zentral gelegene Rathaus direkt über dem Hauptbahnhof mit allen zugehörigen Einrichtungen nutzen zu können. Auch habe ich gleich eine persönliche Mailadresse mit Zugang zum Intranet erhalten, um leicht mit dem Team kommunizieren zu können.
Anders als gewohnt, gibt es hier im Rathaus ein „offenes Konzept“. Man sitzt und arbeitet, wo man gerade möchte: Ob im 16. Stock mit Blick bis Amsterdam, im 11. Stock an der Bar oder an den unzähligen anderen Orten. Für jede Gelegenheit gibt es das Passende: Orte für gemeinsame Besprechungen, ruhige Bereiche, Bereiche mit Doppelbildschirmen, gemütliche Sessel, geschlossene Besprechungsräume, Fokusräume, Sofas, etc.

In der ersten Woche geht es viel um Fahrradparkhäuser, da dieses Thema Teil meiner Mission ist. Ich besuche verschiedene Fahrrad-Tiefgaragen, erhalte Einblick in Betreiberkonzepte, Einblick in Bau- und Operationskosten und technische Details. Das Team selbst arbeitet intensiv an der Ausweitung von Fahrrad-Abstellanlagen, da es die Aufgabe hat, in den kommenden Jahren 11.000 weitere Abstellplätze in Fahrradgaragen zu errichten. Dafür werden neue Standorte gesucht und bestehende Standorte erweitert.

Der Platz in der Innenstadt ist sehr begrenzt, daher ist es nicht selten, dass Autoparkplätze zu Gunsten von Fahrradparkplätzen entfallen müssen. Bei einem Außentermin geht es genau darum: Kann eine Kfz-Tiefgarage ca. 1600 m² entbehren, mit denen man direkt nebenan liegende Fahrradgarage erweitern könnte? Es liegt auf der Hand, ist aber nicht ganz einfach: Es gibt Verträge mit einzelnen Nutzenden und Abmachungen aufgrund der Bauverordnung, dass ein bestimmter Teil der Autoparkplätze für ein neu zu entwickelndes Grundstück zur Verfügung steht. Am Ende der Besprechung ist klar: Ca 25 % der Auto-Tiefgarage kann einer anderen Nutzung zugeführt werden. Das ist ein gutes Ergebnis, mit dem alle zufrieden sind. Die Stimmung und Atmosphäre untereinander bei solchen Besprechungen ist gut, wenig emotional und zielgerichtet. Es wird sogar gelacht! Auf meine Frage, wie stark interne Konflikte präsent sind, erhalte ich eine überraschende Antwort: Allgemein gibt es keine harten Konflikte oder verfeindete Abteilungen. Man fühlt sich als Team, das zum Wohle der Stadt zusammenarbeitet und sich gegenseitig bei der Erreichung der Ziele unterstützt. Konfliktreicher sei es auf Ebene der nationalen Regierung, wo die verschiedenen Ministerien untereinander die ein oder andere Meinungsverschiedenheit hätten. Möglicherweise läuft es auch so harmonisch, da die Politik klare Ziele vorgibt: Jährlich sollen 1 % der Kfz-Parkplätze im öffentlichen Raum entfallen und durch Spielplätze, Begrünung, Fußverkehr und Fahrradabstellanlagen ersetzt werden.

Dieses Ziel hat zur Konsequenz, dass nicht über jeden einzelnen Parkplatz gestritten wird und die Verwaltung im Zweifel auf die politischen Beschlüsse verweisen kann. Außerdem ist Partizipation hier gesetzlich vorgeschrieben: Jede größere Planung bedarf einer Beteiligung. Das Handeln der Verwaltung ist also sehr transparent und von der Bevölkerung getragen.

Manchmal gibt es sogar ein Referendum, wie zum Beispiel für die Umgestaltung des zentralen Bereichs um den Hauptbahnhof. Entschieden haben sich die BewohnerInnen für einen Plan, der das Wasser in den zentralen Kanal zurückholt und die dortige Autobahn, die in den 60ern geplant worden war, wieder zurückbaut. Dieser Kanal wurde vor zwei Jahren wiedereröffnet und mit Wasser geflutet. Da Corona bislang eine große Einweihungs-Party verhinderte, wird diese just an diesem Wochenende nachgeholt. In der ganzen Altstadt sind Bühnen aufgebaut, es gibt ein großes kulturelles Programm, viel Musik und lange Nächte. Das Wochenendprogramm ist also gesichert…

Damit verabschiede ich mich bis zur nächsten Woche und verweise auf twitter (@jens_blume), wo ihr täglich einige persönliche fotografische Eindrücke meines Aufenthalts findet.

Vriendelijke groeten