The B-word
Bild: Sara Lühmann
Wenn man im Rahmen eines EU-Austauschprogramms in das Land kommt, das entschieden hat, in wenigen Monaten eben diese Europäische Union zu verlassen, kommt man am Brexit nicht vorbei. Der Brexit ist sozusagen “the elephant the room”, wie die Brit*innen sagen würden. Sobald ich als Gast im Rahmen des EU-Programms vorgestellt werde, schwingt das Thema irgendwie mit. Die Frage ist dann nur, ob und wie es angesprochen wird. Da ich eine sehr starke Meinung zum Brexit habe, muss ich mich also regelmäßig zusammenreißen. Denn im höflichen Großbritannien möchte ich nicht unangenehm auffallen, indem ich Menschen, die ich gerade erst kennengelernt habe, sofort mitteile, wie sehr ich mich seit über zwei Jahren über den Ausgang des Referendums ärgere.
Aber auch ohne mich kommt man dieser Tage auf der Insel am Brexit nicht vorbei. Vorige Woche hat in Liverpool der Parteitag der Labour-Partei stattgefunden, der sich hauptsächlich um den Brexit drehte. Diese Woche trafen sich die Konservativen um Premierministerin Theresa May in Birmingham und auch dort dominiert die anstehende Trennung von der EU die Tagesordnung. Labour möchte das Volk gern nochmal abstimmen lassen, ist sich aber nicht einig, worüber eigentlich. Innerhalb der Konservativen gibt es keine Einigkeit, wie genau der Brexit eigentlich aussehen soll.
Auch hier auf kommunaler Ebene spielt der Brexit eine Rolle. Vorige Woche durfte ich an einem Treffen in der Verwaltung teilnehmen, in dem es darum ging, wie die Council sich und ihre Bürger*innen auf den Brexit vorbereitet. Das ist gar nicht so einfach, wenn unklar ist, worauf man sich eigentlich vorbereitet, sondern im Nebel stochern muss.
Beim Referendum vor zwei Jahren haben hier im Bezirk 70 Prozent für den Verbleib Großbritanniens in der EU gestimmt. In Hammersmith & Fulham wohnen außerdem rund 40.000 EU-Bürger*innen, die beim Volksentscheid allerdings nicht abstimmen durften. In meiner Nachbarschaft habe ich einige polnische Supermärkte gesichtet, unweit des Rathauses gibt es das Irish Cultural Centre.
Vorige Woche in der bayerischen Bierbar habe ich mich mit einer jungen Slowenin unterhalten, die vor anderthalb Jahren nach London gekommen ist. Als ich sie erstaunt fragte, warum sie nach der Brexit-Entscheidung noch hergezogen sei, meinte sie nur: “Der Brexit wird nie passieren. Wer soll denn sonst hier arbeiten!?”
Ich verstehe genau, was sie meint. Denn im Alltag hier im Bezirk und im Rest der Stadt begegnet man, vor allem im Dienstleistungssektor, größtenteils Menschen mit ost- oder südeuropäischem Hintergrund. An den Kassen der Geschäfte und den Bars der Pubs wurde ich bislang ausschließlich von Servicepersonal bedient, dessen English einen Akzent hatte. Selbst im Fish’n’Chips-Shop, einer wahrhaftig britischen Institution, wurde mir mein Mittagessen gestern von einer vermutlich polnischen Mitarbeiterin serviert.
Europa ist hier eindeutig überall. So sieht das auch die Council, die auf ihrer Webseite einen Artikel mit dem schönen Namen “H&F – the heart of Europe” veröffentlicht hat. Das finde ich vor allem deshalb so amüsant, weil Berlin auch gern als Herzen Europas bezeichnet wird.
Die Kommunalpolitiker*innen hier im Bezirk stellen sich klar gegen den Brexit. Nicht nur die EU-Fahne auf dem Dach des Rathauses setzt ein starkes Zeichen. Die Council verspricht, die EU-Bürger*innen im Bezirk jederzeit zu unterstützen und setzt sich für eine zweite Abstimmung ein, damit die Brit*innen über die Art des Austritts abstimmen können.
Sara Lühmann