Gleichwohl wurde ich Zeuge der Methoden der Waste Watcher beim Umgang mit dieser Art Verstößen. Es findet tatsächlich eine Art verdeckte Ermittlung statt. Die mit dem Gilet bekleideten Kollegen halten sich bei Feststellung von Hunden im öffentlichen Raum zunächst im Hintergrund und müssen daher aus relativ großer Entfernung feststellen, ob Hinterlassenschaften ordnungsgemäß entsorgt werden oder nicht. Ggf. geben sie sich dann zu erkennen. Die beiden Kollegen, die ich begleiten durfte, sind diesbezüglich sehr gut aufeinander eingespielt, verständigen sich beispielsweise durch Zeichensprache auch aus größerer Entfernung zueinander.
Ich denke, dass ich insgesamt im Lauf der Zeit ein rundes Bild von der Tätigkeit dieses engagierten Referats erhalten habe. Nicht zugegen war ich lediglich bei der Feststellung und Abstrafung systematischer Müllablagerungen, beispielsweise durch Firmen (wie mir berichtet wurde, sind es häufig Autohäuser, die insoweit auffallen) oder gar der Einleitung problematischer Flüssigkeiten in die Kanalisation. Auch diesbezüglich gelingen immer wieder Feststellungen (die dann nicht mit einem Organmandat zu € 50.-, sondern mit einer Anzeige und von der Magistratsverwaltung 58 durchgeführten Verwaltungsstrafverfahren mit weit höheren Strafen verfolgt werden), insbesondere auf Hinweise oder Beschwerden aus der Bevölkerung.
Nach der Rückkehr in die Zentrale nach Beendigung eines der Außendienste ließ mich der Referatsleiter Herr Deutsch in einen code of conduct der Mitarbeiter/innen der MA 48 Einblick nehmen, der auf Wienerisch verfasst wurde. Sehr amüsant fand ich darin etwa folgenden Satz, der auch geeignet ist, das Selbstverständnis der Abteilung insgesamt und der Waste Watcher im Besonderen zu charakterisieren: „Das Schönste an unserem Job: Du bist für alle Menschen in der Stadt einfach ein leiwander Typ.“ Dem ist eigentlich kaum etwas hinzuzufügen.
Was macht diese Stadt nun so lebenswert, wie es mehrere Studien in Erfahrung gebracht haben wollen?
Da ist zum Einen selbstverständlich die Sauberkeit, die insbesondere Besucher/innen beispielsweise im Vergleich zur eigenen Heimatstadt in der Tat auffallen wird; und zwar als Ergebnis einer Kombination von vielen Entsorgungsangeboten, der Einführung des Wiener Reinhaltegesetzes mit den darin geregelten Strafen sowie der Organisation eines entsprechenden Kontrolldrucks durch haupt- und nebenberufliche Waste Watcher. Klinisch rein ist auch Wien nicht, aber das lässt sich in keiner Großstadt erreichen und soll sicherlich auch kein erstrebenswertes Ziel sein.
Auch trägt beispielsweise der Stadtservice dazu bei. Servicemobile stehen häufig an zentralen Plätzen; aktuelle Themen und Fragen werden dort direkt im Grätzl (= im Kiez) beantwortet, Beschwerden bzw. Wünsche entgegengenommen. Übrigens nehmen die Waste Watcher auf ihren Kontrollgängen jeweils mit der Besatzung der Servicemobile Kontakt auf und es findet ein entsprechender Informationsaustausch statt.
„Mein Wien“, die Monatszeitschrift der Stadt Wien, listet darüber hinaus weitere Faktoren auf, die für das offenbar hohe Niveau der Lebensqualität verantwortlich sind. Zu nennen ist etwa der hohe Anteil von 95 % der unter 6jährigen Kinder in institutioneller Kinderbetreuung, die in Einrichtungen untergebracht sind, deren Öffnungszeiten mit einer Vollzeitbeschäftigung der Eltern vereinbar sind. Hinzu kommt der gut ausgebaute öffentliche Personennahverkehr. Für eine Stadt mit 1,9 Mio. Einwohner und eine im Vergleich zu Berlin kleine Fläche ist eine Zahl von 961 Mio. Fahrgästen pro Jahr bei einer Linienlänge von 950 km bemerkenswert (wenngleich ich aus eigener Erfahrung berichten kann, dass die „Öffis“ während der Rush Hour erheblich belastet werden). Auch die Wirtschaft boomt. Für 2017 werden über 9.000 Unternehmensgründungen verzeichnet. Legendär ist darüber hinaus natürlich das kulturelle Angebot: allein das naturhistorische Museum verzeichnete in 2016 über 700.000 Besucher/innen, das Schloss Schönbrunn sogar 3.700.000. Vor allem aber dürfte der Gemeindebau anzuführen sein. Ein Viertel aller Wohnungen befindet sich im Eigentum der Stadt bzw. von gemeindeeigenen Wohnungsbaugesellschaften. Rechnet man die subventionierten Wohnungen dazu, leben rund 60 % aller Wiener/innen im geförderten Wohnungsbau. Ein Armutsrisiko aufgrund steigender Mieten besteht vor diesem Hintergrund in Wien nur in relativ geringem Umfang.
Zwar begegnete auch ich während meines Aufenthalts bettelnden bzw. obdachlosen Menschen. Hintergrund dafür dürfte jedoch vornehmlich sein, dass auch Wien, ähnlich wie Berlin, zunehmend als internationaler Anziehungspunkt für Menschen dient, die anderswo noch weniger Zukunftsperspektiven sehen als hier.
Meine Zeit in Wien geht allmählich zu Ende und Ich beschließe meinen Beitrag zu diesem Blog im Bewusstsein, vieles gelernt und vielleicht auch einige Anregungen für die Umsetzung des „Waste Watching“ in Berlin, insbesondere in Friedrichshain-Kreuzberg, mitgenommen zu haben. Möglicherweise konnte ich umgekehrt auch einige Impulse aus meiner Berliner Erfahrung liefern.
Mir bleibt, auch an dieser Stelle allen Beteiligten zu danken; denen, die in Berlin die Teilnahme an dem Programm ermöglicht haben sowie den Gesprächspartner/innen in Wien bei den Magistratsverwaltungen 36, 48 und 58, die – wie insbesondere mein direkter Ansprechpartner Herr Deutsch – gastfreundlich, stets geduldig und hilfsbereit aufgetreten sind und damit ein Beispiel für europäischen Zusammenhalt und grenzübergreifende Zusammenarbeit gegeben haben.
Servus aus Wien
Joachim Wenz