Am 1. Oktober 2018 jährte sich der Tag des Unabhängigkeitsreferendums zum ersten Mal. Ich war an diesem Abend gegen 20 Uhr verabredet und machte mich gerade mit meinem Fahrrad auf den Weg, kam allerdings schon an der nächsten Straßenecke nicht mehr weiter. Die Via Laietana war komplett gesperrt. Überall Polizei, Absperrungen, Einsatzwägen und Helikopter. Mehrere zehntausend Menschen waren auf der Straße. Einer der Demonstranten erklärte mir, dass sich in der Via Laietana die Hauptwache der Polizei Katalonien befindet und, nur wenige hundert Meter weiter, der Sitz des Regionalparlaments, die Palau de la Generalitat de Catalunya. Die Demonstration fand quasi vor meiner Haustür statt.
Die Abstimmung über die Unabhängigkeit Katalonien wurde unter dem damaligen Regionalpräsidenten Carles Puigdemont am 1. Oktober 2017 durchgeführt, trotz eines Verbots seitens der Zentralregierung in Madrid. Eine große Mehrheit von rund 90 Prozent stimmte damals für die Ablösung Katalonien von Spanien – allerdings bei einer Wahlbeteiligung von nur 42 Prozent. Dennoch rief Puigdemont einseitig die Unabhängigkeit aus, woraufhin die Zentralregierung in Madrid die Regionalregierung absetzte. Mehrere katalanische Unabhängigkeitsbefürworter*innen wurden inhaftiert, der ehemalige Regionalpräsident Puigdemont und mehrere seiner Kabinettsmitglieder*innen flohen ins Ausland. Aktuellen Umfragen zufolge sind heute die etwa 7,5 Millionen Einwohner*innen Kataloniens etwa je zur Hälfte in Befürworter*innen und Gegner*innen der Unabhängigkeit gespalten.
Das Thema einer möglichen Unabhängigkeit Kataloniens ist immer präsent und wird auch oft direkt angesprochen, egal ob auf der Straße, Privat oder im Büro. Bei CJAS hat mich glücklicherweise bisher niemand nach meiner Meinung dazu gefragt und das darf meinetwegen auch gerne weiterhin so bleiben.
Zu meiner Verabredung kam ich natürlich viel zu spät…
Angela Scherer