Vorstellung des Quartiersmanagements Zentrum Kreuzberg/Oranienstraße

QM Kreuzberger Zentrum/Oranienstraße

Nicole Bosa und Laila Atrache-Younes vor ihrem Büro

Das Quartiersmanagement hat sein Büro unweit des Kottbusser Tor in der Dresdener Straße in luftigen hellen Räumen. Drei Personen arbeiten dort, unterstützt von Praktikant*innen. Als Praktikumsplatz ist das Quartiersmanagement auch über die Berliner Stadtgrenzen hinaus sehr beliebt. „Der Kotti ist deutschlandweit bekannt und daher für viele interessant“, erklärt die Leiterin Dr. Laila Atrache-Younes. Im Bereich des Quartiersmanagements leben über 8.000 Menschen auf sehr engen Raum. Es ist das vertikale Dorf.

Das Quartiersmanagement zeichnet sich durch ein Vor-Ort-Büro im Quartier aus, das für alle Bewohner*innen offensteht. Ein wichtiges Merkmal ist die dauerhafte Ansprechbarkeit. Dafür sollten dort auch die Sprachen gesprochen werden, die im Kiez Muttersprachen sind. Eine Mitarbeiterin mit Türkischkenntnissen unterstützt das Team hierbei. Zu den Bürozeiten steht die Tür des Quartiermanagements meistens offen. Viele kommen vorbei, häufig auf der Suche nach Beratung. Mieter –, Sozial – und Rechtsberatungen sind aktuell sehr gefragt.

Laila Atrache-Younes ist gebürtige Wilmersdorferin. Ihr Vater kam Ende der 1950er aus Syrien zum Medizinstudium nach Deutschland, wo er ihre deutsche Mutter kennenlernte. Ihr Leben hat sie abwechselnd in Deutschland, Syrien und dem Libanon verbracht.

Abitur machte sie im niedersächsischen Uelzen und studierte anschließend in Göttingen Arabistik, Politikwissenschaft und Geschichte. Anschließend promovierte sie dort interdisziplinär zur „Politik der Ayyubiden“.

Kottbusser Tor mit Kampagne des QM

"Langweilig wird es einem hier nicht!"

Zum Quartiersmanagement kam sie als 2006 Quereinsteigerin. Denn das Programm sieht vor, dass mindestens eine halbe Stelle in den Quartiersmanagements mit einer Person besetzt wird, die den gleichen Migrationshintergrund wie ein großer Teil der Bevölkerung im Quartier hat. Für den Bereich rund um den Kotti bedeutete das, dass im Quartiersmanagement jemand mit türkischen oder arabischen Wurzeln arbeiten sollte.

Hier passte Laila Atrache-Younes mit ihrer Biografie hervorragend hinein. „Ich schwanke zwischen beiden Kulturen und bin immer auf der Suche nach Identität.“ Bevor sie zum Quartiersmanagement kam, hatte sie an der Uni gearbeitet, Studienreisen geleitet und für Zeitungen geschrieben. Außerdem hatte sie Reiseführer herausgegeben und Vorträge gehalten.

Laila Atrache-Younes gründete mit dem VDE e.V. 2008 den Trägerverein, der neben dem Quartiersmanagement am Kreuzberger Zentrum/Oranienstraße, seit 2012 auch das Quartiersmanagement Wassertorplatz betreut. Laila Atrache-Younes ist gleichzeitig Vorsitzende des Vereins und Teamleitung.

Das Quartier ist ihr über die Jahre sehr ans Herz gewachsen: „Die Menschen machen das Quartier aus. Ich habe hier so viele Kontakte und besondere Beziehungen zu den Menschen. Es ist sehr bunt hier. Hier wird viel zusammen gemacht und es gibt viel Engagement. Und das Quartier ist auch sehr politisch. Auch das mag ich sehr.“

Ihre Kollegin Nicole Bosa hat an der Humboldt-Universität Berlin Geografie studiert, mit den Nebenfächern Soziologie und Europäische Ethnologie. Ihr Studienschwerpunkt war Stadt- und Bevölkerungsgeografie. Bereits während des Studiums kam sie über entsprechende Seminare mit dem Thema Quartiersmanagement in Berührung. Ihr Professor Dr. Hartmut Häußermann hat das Programm „Soziale Stadt“ mit dem Quartiersmanagement vorangetrieben. Eine studentische Nebentätigkeit führte sie in ein Quartiersmanagement im Norden Marzahns. Ursprünglich kommt Nicole Bosa aus Ulm. Inzwischen wohnt sie nicht weit von ihrem Arbeitsort Kreuzberg in Nord-Neukölln. Der Bereich rund um das Kottbusser Tor ist für sie ein ganz besonderer Ort: „Hier am Kotti haben wir noch ein paar weitere Problemlagen mehr als andernorts, aber es gibt so viele interessante und sehr bereichernde Menschen. Langweilig wird es einem hier nicht!“

Bücherregal Mittelpunktbibliothek

Bücherregal in der Mittelpunktbibliothek

Eines der ersten QM-Gebiete

Die Quartiersmanagements in Berlin gibt es seit 1999. Sie sind Teil des Programms „Sozialer Zusammenhalt“ (bis 2020: Soziale Stadt), das in der Zuständigkeit der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen liegt. Gestartet wurde mit sechs Quartiersmanagements im gesamten Stadtgebiet. Das Quartier rund um den Kotti gehörte zu den ersten. Zu beobachten ist seit einigen Jahren, dass sich die Quartiersmanagementgebiete innerhalb Berlins verschieben – von den Altbaukiezen im Innenstadtbereich hin zu den Großsiedlungen am Stadtrand. Ziel des Quartiersmanagements ist infrastrukturelle Stärkung zentraler, wichtiger Einrichtungen im Kiez für die Bewohnerschaft und die Etablierung von Orten der Integration zur Förderung der gesellschaftlichen und kulturellen Teilhabe für alle Zielgruppen.

Das Programm wurde lange Zeit durch das Institut für Urbanistik evaluiert. Zudem gibt es alle zwei Jahre ein Monitoring anhand festgelegter Indikatoren. Zwischenzeitlich gab es in Berlin 34 Standorte, die Quartiersmanagements werden dort etabliert, wo gewisse Indikatoren erfüllt sind. Zu diesen Indikatoren gehören unter anderem Daten zur Arbeitslosigkeit, Kriminalität und Gewalt, Migrationshintergrund, Bildungsstand, Sozialleistung, Empfänger, der Anteil der Alleinerziehenden.
Die Grenzen des Quartiers sind dabei nicht starr, sondern werden durch die regelmäßigen Monitorings immer wieder überprüft und gegebenenfalls erweitert oder verändert, je nach Datenlage der Sozialdaten. Das Ziel ist eine positive Stadtteilentwicklung.

Durch ihre Nähe zum Quartier erkennen die Kolleginnen frühzeitig Bedarfslücken und intervenieren. „Dort, wo wir Lücken erkennen, braucht es eigentlich eine Regelfinanzierung, keine projektbasierten Förderungen. Nicht immer klappt das“, erklärt Laila Atrache-Younes.

Nicole Bosas Aufgabenschwerpunkt ist die Aktivierung der Zivilgesellschaft und Begleitung der Partizipation. „Wir haben hier viel Engagement. Wichtig ist es die einzelnen Engagierten miteinander zu vernetzen. Daraus ergeben sich neue Kooperationen und weitere Projekte. Dadurch entstehen auch Synergien.“ Das Quartiersmanagement verbindet alle im Quartier miteinander, auch Akteure wie die Polizei, die BSR oder die Wohnungsbauunternehmen. Ihre Aufgabe ist es, Bedarfe zu eruieren, Lösungsansätze zu entwickeln, Strategien zu erarbeiten und Partner zur Umsetzung der Konzepte zur Quartiersentwicklung zu finden. Wer kann was leisten? Die Menschen sollen sich beteiligen und mitmachen. „Als ich hier angefangen habe, gab es nicht eine einzige Netzwerkstruktur, die sich themenorientiert mit den Problemlagen auseinandersetzte und Lösungsansätze zur Verbesserung der Lage im Quartier entwickelte“, erläutert Laila Atrache-Younes. Über die Jahre hat sich im Kiez ein sehr engagiertes Netzwerk gebildet. „Alle, die hier arbeiten, alle haben das Ziel: wir wollen etwas für den Kiez auf die Beine stellen.“ Das Quartiersmanagement vernetzt dabei die einzelnen Akteure und bietet eine Plattform für Austausch, beispielsweise beim Strategietag Kotti, den die Kolleginnen gemeinsam mit dem Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg angestoßen haben. Vieles, von dem, was sie in den vergangenen Jahren angestoßen hätten, liefe immer noch, berichten die Kolleginnen.
Jens-Nydahl-Grundschule

Mitsprachemöglichkeit für Kiezbewohner*innen

Nicole Bosa betreut auch die Aktionsfondsjury. Die Jury ist neben dem Quartiersrat ein weiteres Mitmachgremium, in dem die Anwohner*innen im Kiez mitentscheiden können, was vor ihren Haustüren passiert und welche Aktionen gefördert werden. So hat die Aktionsfondsjury eine Mitsprachemöglichkeit bei der Vergabe der Mittel aus dem Aktionsfonds, aus dem beispielsweise kleine Festivitäten oder andere Projekte finanziert werden. Während in der Aktionsfondsjury nur Bewohner*innen sitzen, besteht der Quartiersrat aus 51 Prozent Bewohner*innen und 49 Prozent aus den sogenannten „Starken Partnern“. Zu denen gehören. Vereine und Einrichtungen wie die Mittelpunktbibliothek in der Adalbertstraße, die Jens-Nydahl-Grundschule oder die landeseigenen Wohnungsbauunternehmen, die vor Ort Wohnungen im Bestand haben. Die Gremienmitglieder werden alle zwei Jahre neu gewählt. Dafür werden immer mal wieder neue Wahlformate ausprobiert. Eine Erkenntnis, die Nicole Bosa dabei erlangt hat: „Egal, welches Format wir nutzen, meistens erreichen wir am Ende die gleiche Anzahl an Wählenden.“

Ein wichtiges Projekt, dass schon seit einigen Jahren läuft, ist die infrastruktuelle Stärkung der Mittelpunktbibliothek in Adalbertstraße. „Was wir dort investieren, das bleibt!“, beschreibt es Laila Atrache-Younes.

Auch in der Jens-Nydahl-Grundschule an der Kohlfurter Straße war und ist das Quartiersmanagement sehr aktiv und vergibt Förderungen. Profitiert haben davon beispielsweise die Lernwerkstatt, die Mensa, das Foyer und der Naturwissenschaftsraum.

Ein weiterer Arbeitsschwerpunkt war die Verbesserung des Übergangs zwischen dem Kitabesuch und der Grundschule, der erfolgreiche und nachhaltig in den Strukturen verankert werden konnte.

Nachmittagsangebote für Kinder und Jugendliche wurden ebenfalls durch das Quartiersmanagement aufgebaut, etwa die von Loyal. e.V. Der Verein bietet seit vielen Jahren Freizeitangebote im Innenhof an zwei Standorten des Südblocks am Kottbusser Tor an. Vielen Familien dort fehlt es an Raum in den Wohnungen, aber auch an Zeit, um an Nachmittagen Freizeitaktivitäten für ihre Kinder bieten zu können. Um diesem Bedarf gerecht zu werden, wurden bereits 2008/2009 zwei Räumlichkeiten in den Südblöcken für die Nutzung durch den Loyal e.V. ausgestattet.

Häuserfront

Wie geht es nach Ende 2027 weiter?

Die Tage des Quartiersmanagements sind nach aktuellem Kenntnisstand gezählt. Ende 2027 soll für dieses Quartiersmanagement und weitere 18 Quartiersmanagements in Berlin die Förderverfahren enden. Wie es weitergeht, ist aktuell noch unklar. Laila Atrache-Younes: „Aktuell wird dazu noch diskutiert. Für den Kotti wird es hoffentlich eine Art Stadtteilkoordination geben, die zurzeit in Diskussion ist und konzeptionell, angepasst an den Rahmenbedingungen, modifiziert wird.“
Doch was passiert mit Gebieten, in denen der Bedarf auch nach Ende des Quartiersmanagements immer noch da ist. „Bedarf bedeutet am Ende Geld und Struktur. Beides müssen wir in Kooperation mit den Akteuren der Gebietsentwicklung verstetigen.“

Die Bewohner*innen wollen sich weiterhin für ihren Kiez engagieren, aber sie müssten an eine Struktur angebunden werden. Laila Atrache-Younes verweist auf die QM-Gebiete, in denen das Quartiersverfahren bereits beendet und eine Stadtteilkoordination etabliert wurde. Dort sehe man, wie einige aufgebauten und etablierten Strukturen langsam wegbrechen. „Es bedarf einer Neukonzipierung des Formats der Stadtteilkoordination, vor allem aber muss jemand den Hut aufhaben. Die Organisation kann nicht dauerhaft selbst organisiert funktionieren.“