Vorstellung des Quartiersmanagements Mehringplatz

QM-Team Mehringplatz

Candy Hartmann und Wafaa Khattab

Es ist ein grauer verregneter Herbsttag am Mehringplatz. Am Beginn der weltweit bekannten Friedrichstraße sitzt in der Hausnummer 1 das Quartiersmanagement (QM) für den Mehringplatz. Im unscheinbaren und dringend sanierungsbedürftigen Gebäude überraschen die gemütlich eingerichteten Büroräume der QM-Kolleginnen. Auf dem wohnlichen Sofa platziert, gibt es erstmal einen frischen Kaffee („Mit Hafermilch?“) angeboten. Kekse und Wasser stehen ebenfalls auf dem Couchtisch bereit. Diese herzliche Begrüßung bekommt nicht nur die Besucherin aus der Pressestelle des Bezirksamtes. Sie sei Teil der Wertschätzung, mit der die Mitarbeiterinnen hier allen Besucher*innen begegnen. „Jeder bekommt bei uns einen frischen Kaffee, ein Glas Wasser und Kekse. Das gehört einfach dazu.“ Schließlich gehe es darum, dass sich die Menschen hier – am Platz und in den Büroräumen des QM – willkommen und wohlfühlen und dadurch Vertrauen fassen.

Das QM-Gebiet im Nordwesten Kreuzbergs hat rund 5.400 Einwohner*innen. Der Mehringplatz ist einer der zentralen Orte Berlins und liegt nur wenige Meter vom geografischen Mittelpunkt der Stadt im Besselpark entfernt. 3,5 Millionen Tourist*innen pro Jahr starten dort ihren Spaziergang die Friedrichstraße herauf Richtung Mitte. Durch die Baustelle am Platz lag der Bereich elf Jahre lang im Dornröschenschlaf.
Der Großteil der Wohnungen im Gebiet, vor allem direkt am Platz, gehört den Wohnungsbauunternehmen Gewobag und HOWOGE. Damit haben mehr als die Hälfte der Haushalte dort einen öffentlichen Vermieter. Für die Zusammenarbeit sei das ein großer Vorteil. Gleichzeitig bedeute dies eine relative Mietsicherheit für die Bewohner*innen.

Der Träger des Quartiersmanagements, der Verein Kunstwelt e.V., ist bereits seit den 1990er Jahren im Kiez rund um den Mehringplatz aktiv. Der Verein hatte schon damals erkannt, wie viel Potenzial im Quartier steckte und arbeitete an künstlerischen und stadtgestalterischen Ideen, wie etwa den Pfad der Visionäre. Die Mitglieder waren schon vor der Entstehung des Quartiersmanagement Ansprechpartner*innen vor Ort. So bewarb sich der Verein 2005 mit dem gesammelten Know-how und seinem gewachsenen Netzwerk vor Ort auf die Trägerschaft des Quartiersmanagements. Sie sind Ansprechpartnerinnen für Einrichtungen, Akteure und Nachbar*innen vor Ort.

Das Team des Quartiersmanagements besteht aus drei Mitarbeiterinnen. Neben der Leiterin Candy Hartmann sind Wafaa Khattab und Valérie Dietrich beschäftigt.

Checker Tobi am Mehrinplatz

Leben mitten in der Stadt

Candy Hartmann ist seit 2006 Mitarbeiterin im Quartiersmanagement und fand den Einstieg in den Job direkt nach ihrem Geografie-Studium an der Humboldt-Universität. 2010 übernahm sie die Leitung.

Wafaa Khattab ist gebürtige Berlinerin mit palästinensischen Wurzeln und in Kreuzberg 36 aufgewachsen. Sie hat selbst lange Jahre am Platz gewohnt. Als Quereinsteigerin kam sie 2012 zum Quartiersmanagement und ist für die Bürger*innenbeteiligung und den Aktionsfonds zuständig. „Meine Hauptaufgabe ist die partizipative Arbeit mit den Communitys.“ Die Aufgabe des Quartiersmanagements sei es, gemeinsam mit den Menschen vor Ort die Herausforderungen im Kiez anzugehen. „Wir verstehen uns als Moderatorinnen der Kiezentwicklung. Denn die funktioniert nur mit den Menschen hier.“ Senior*innen beispielsweise bräuchten dabei eine andere Ansprache als Familien. Daher gibt es viele verschiedene niedrigschwellige Angebote und Formate. Die Menschen sollen sich einfach vor Ort für ihre Nachbarschaft einsetzen können.

Das Quartier ist von Armut geprägt. Viele der Wohnungen sind überbelegt, weil sich Familien einen Umzug in größere Wohnungen nicht leisten können. Das führe unter anderem zu vielfältigen Problemen mit der Infrastruktur. Selbst die Müllräume seien für die hohe Anzahl an Mieter*innen nicht ausgelegt, die in inzwischen am Platz leben. Gleichzeitig fehlt im Kiez die Kaufkraft. Viele Geschäfte und Gastronomiebetriebe haben in den letzten Jahren geschlossen. Der Supermarkt, die Drogerie, der Blumenladen und die Kneipe – alles hat dichtgemacht. Daraus ergibt sich viel Leerstand in den Ladengeschäften, was auf Besucher*innen und Passant*innen des Platzes keinen guten Eindruck macht. Eine große Hoffnung liegt auf dem türkischen Lebensmittelmarkt, der im Oktober eröffnet hat, aber auch auf dem Ende der Sanierung im Gewerbebestand der HOWOGE.

Dennoch lebten die meisten Familien sehr gern am Platz. Wafaa Khattab: „Die meisten fühlen sich privilegiert, hier mitten in der Stadt zu leben.“ Während diejenigen, die auffielen, meistens die Anwohner*innen sind, die durch das Raster gefallen sind, seien diese natürlich in der Minderheit. „Wir sind eine vielfältige Nachbarschaft. Es gibt auch viele Erfolgsgeschichten.“ Eine solche ist für Wafaa Khattab beispielsweise die arabischstämmige Familie, deren Söhne alle bei der Polizei angefangen haben.

Zu den Formaten, die das QM anbietet, gehören beispielsweise Thementische für türkisch- und arabischstämmige Frauen, die Wafaa Khattab problemlos ohne Übersetzungshilfe betreuen kann, da sie beide Sprachen spricht. Im Schnitt kommen zwölf bis 15 Frauen. Das Durchschnittsalter liegt bei 40. „Wir sind älter geworden.“ Durch diese Thementische ist der Film „Durch unsere Augen“ entstanden, den die Frauen gemeinsam über ihr Leben am Mehringplatz gedreht haben. Candy Hartmann: „Das Besondere ist, dass die Frauen im Prozess des Filmmachens viel Selbstvertrauen gewonnen haben und sich selbst befähigt gefühlt haben.“ Die Frauen gäben im Film sehr persönliche Einblicke in ihren Alltag und seien sehr stolz auf ihr Werk. Zu den Protagonistinnen zählen eine Uber-Fahrerin, eine Stadtteilmutter und Hausfrauen, die im Quartier wohnen. Wafaa Khattab: „Im Film stellen die Frauen wichtige Fragen an die Gesellschaft und zeigen klar: Wir sind da und verdienen mehr Aufmerksamkeit.“

Sommerliches Freiluftkino am Platz

Der Film wurde mit Unterstützung des HAU produziert und im September im Freiluftkino am Platz gezeigt, das ebenfalls ein Projekt des Quartiersmanagements ist. Bereits im dritten Jahr wurde im Sommer über fünf verschiedene Filme gezeigt. Das Open-Air-Kino ist ein kostenloses Angebot. Das Besondere sei, dass die Filmemacher*innen ins Freiluftkino kämen und sich mit den Menschen vor Ort austauschten. So verbinde das Kino den Mehringplatz mit dem Rest Berlins. Ein Stammgast im Programm ist Tobias Krell, besser bekannt als Checker Tobi, der in diesem Jahr Ende August seinen zweiten Spielfilm „Checker Tobi und die Reise zu den fliegenden Flüssen“ präsentierte. Im Anschluss beantwortete der Reporter alle Kinderfragen (“War der Sturm echt?” – “Wie lange habt ihr den Film gedreht?” – “Ist Marina wirklich deine beste Freundin?”) und erfüllte alle Fotowünsche seines jungen Publikums. „Für die Kinder vom Platz ist das etwas ganz Besonderes, dass ihr Star bei ihnen in der Nachbarschaft vorbeischaut – und sie mit ihm sprechen können“, erklärt Wafaa Khattab. Ein Kind war so fasziniert, Checker Tobi vor sich zu haben, dass es gefragt habe, ob es in anfassen dürfe, weil es gar nicht fassen konnte, den echten Tobias Krell zu treffen.

Gruppenfoto mit Clara Herrmann, Andy Hehmke, Mitgliedern der Berliner Feuerwehr und des Quartiermanagements

Nachbarschaftliches Fastenbrechen, Kiezhausmeister und Urban Gardening

Eines der Leuchtturmprojekte ist das nachbarschaftliche Fastenbrechen, das jedes Jahr im Ramadan stattfindet. In den vergangenen acht Jahren hat sich die Veranstaltung, die in Kooperation mit dem Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg stattfindet, in der Nachbarschaft etabliert. In den Jahren, in denen der Fastenmonat in die Sommermonate fiel, fand das Fastenbrechen im Kiezgarten des Stadtteilzentrums statt. Seit der Ramadan in den kühleren Frühlingsmonaten liegt, trifft sich die Nachbarschaft im Gloria Event Center zum gemeinsamen Essen und Feiern. Mit der Veranstaltung könne das Quartiersmanagement an nachbarschaftliche Traditionen anknüpfen. Mit dem Event treffe man einen Nerv. „Alle 550 Plätze sind immer ratzfatz weg.“
Das Fastenbrechen sei explizit keine religiöse, sondern eine nachbarschaftliche Veranstaltung, die den Zusammenhalt der Akteure vor Ort zeige. Viele lokale Akteure beteiligen sich an der Vorbereitung und Durchführung, etwa mit kulturellen Angeboten oder der Dekoration. Zu den beteiligten Akteuren gehören unter anderem die Stadteilmütter, Outreach e.V., das Nachbarschaftszentrum F1, das Theater HAU und Jam Workout e.V. Auch die Grundschulen im Quartier werden beteiligt und die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft HOWOGE unterstützt die Veranstaltung mit Gutscheinen.

Ein weiteres Projekt des Quartiersmanagements ist der Kiezhausmeister, der im Quartier im Einsatz ist. Diese Idee geht zurück auf die 2011 veranstaltete Zukunftswerkstatt. Dort wurde in Diskussionsrunden festgestellt, dass viele Anwohner*innen und Besucher*innen des Mehringplatzes den Eindruck hatten, der Platz werde nie saubergemacht. Das lag daran, dass mehrere Eigentümer*innen unterschiedliche Flächenanteile am Platz haben, deren Reinigungen nicht miteinander koordiniert waren. Das Pilotprojekt eines Gärtners, der jenseits von Grundstücksgrenzen für den gesamten Raum am Platz zuständig ist wurde 2012 vom Bezirksamt, der Gewobag, der EB Group und der AOK Nordost gestartet. Zehn Jahre lang war mit dem Platzgärtner eine zentrale Person am Platz im Einsatz, die gleichermaßen für alle Bereiche zuständig war. An dieses Konzept knüpft der neue Kiezhausmeister an. Das Bezirksamt, Gewobag und die HOWOGE wollten, dass weiterhin jemand dauerhaft vor Ort ist und sich um den Platz kümmert. Seit Mai dieses Jahr ist Kiezhausmeister Mike im Einsatz, der den Mehringplatz intensiv betreue. „Er ist die gute Seele des Platzes!“, sagt Wafaa Khattab. Er sei sehr eigeninitiativ, habe viele Ideen, übernehme jeden Tag die gleichen immer wieder anfallenden Reinigungsaufgaben und sei dabei immer freundlich.

Ein Umwelt- und Klimaprojekt des QM ist der „Mehr_Garten“, im Zuge dessen an verschiedenen Stellen im Kiez Urban Gardening initiiert wurde. Die Idee dahinter ist, dass die Bewohner*innen gemeinsam dafür sorgen, dass das Umfeld grüner werde. Das gemeinsame Gärtnern führt zu gegenseitiger Vernetzung und Unterstützung, schafft Struktur und bindet auch die örtlichen Wohnungsbauunternehmen ein.

Mehringplatz

"Wir sind immer da!"

Im Bereich Bildung setzt das Quartiersmanagement aktuell mit dem Fördernehmer Peira in Kooperation mit dem HAU und Outreach e.V. das Programm „Sisterhood“ für Mädchen um. Während Jungen und junge Männer auf dem Platz präsent seien, würden die Mädchen und jungen Frauen häufig nicht gesehen werden. Aufgabe von Peira ist es, die Mädchen aus dem Kiez zu erreichen und zu befähigen. Viele der Mädchen, die am Projekt teilnehmen, sind Töchter der Frauen, die an den Thementischen teilnehmen. Dadurch schließt sich so etwas wie ein Kreis, denn Mädchenarbeit hat sehr viel mit Vertrauensarbeit gegenüber den Eltern und insbesondere den Müttern zu tun.

Auch mit anderen Kulturinstitutionen aus den angrenzenden Kiezen arbeitet das Team eng zusammen. Dazu gehören die Amerika-Gedenkbibliothek (AGB), die Berlinische Galerie und der Gropius-Bau. Die AGB hat die Filmproduktion der Frauen vom Platz mit einem Filmworkshop unterstützt und regelmäßig Räume zur Verfügung gestellt. Auch das Repair-Café des QMs findet dort regelmäßig Sonntag statt. Über diese Akteure bekomme die Nachbarschaft auch Impulse von außerhalb des Quartiers. Alle arbeiteten zusammen, weil sie ein Interesse an der Weiterentwicklung des Quartiers hätten. Über das QM werden zudem Akteure miteinander vernetzt, die untereinander nicht verbunden waren.

Es konnten viele Strukturen, Netzwerke, aber auch Vertrauen und Kontinuität aufgebaut werden. „Wir sind immer da. Das ist auch das, was die Menschen hier über uns sagen: Die sind doch schon immer da.“ Doch dieses „immer“ könnte, wie es aktuell aussieht, in wenigen Jahren enden. Denn die Förderung für das Quartiersmanagement läuft planmäßig Ende 2027 aus.