75 Jahre Musikschule Friedrichshain-Kreuzberg

Ina Finger und Max Mille

Unsere Musikschule wird in diesem Jahr 75 Jahre alt. Mit einem Sommerfest Ende Juni wurde das Jubiläum am Standort Kreuzberg im Kunstquartier Bethanien gebührend gefeiert.

Insgesamt arbeiten in der Musikschule 26 fest angestellte Lehrkräfte sowie sechs Verwaltungsangestellte und ein Klavierstimmer. Hinzu kommen aktuell 159 Honorarkräfte, die auf freiberuflicher Basis Unterricht geben. Am Kreuzberger Standort im Bethanien gibt es insgesamt fast 60 Unterrichtsräume. Am Standort Friedrichshain in der Zellestraße insgesamt 30. Alle Räume sind mit mindestens einem, manche auch mit mehreren Klavieren ausgestattet.

Die Musikschule unterrichtet in Friedrichshain-Kreuzberg ausschließlich in den eigenen Räumlichkeiten. Insgesamt lernen an der Musikschule aktuell 3.597 Schüler*innen. Mit 2.021 Musikerinnen sind es deutlich mehr Frauen und Mädchen. Woran liegt das? Im Elementarbereich und Grundschulalter ist das Verhältnis der Geschlechter noch ausgewogen. „In der Pubertät brechen dann die Jungen weg, weil Musikmachen für sie nicht als cool gilt“, erklärt Musikschulleiterin Ina Finger. „Die Schüler*innen haben bei uns eine durchschnittliche Verweildauer von sieben Jahren. Manche Familien kommen über Generationen. Wir haben Kinder, deren Eltern und Großeltern schon hier bei uns an der Schule ein Instrument gelernt haben. Und auch einige unserer Lehrkräfte sind selbst hier im Haus groß geworden.“

Cello

Von der Cellistin zur Musikschulleiterin

Leiterin Ina Finger kam 1988 als Honorarkraft an die Berliner Musikschulen. In den Musikschulen der damaligen Bezirke Tiergarten und Wedding gab sie Instrumentenunterricht. 1994 übernahm sie die Leitung der Musikschule Marzahn. 2000 wechselte sie dann als kommissarische Musikschulleitung nach Friedrichshain. Als die Bezirke Friedrichshain und Kreuzberg 2001 fusionierten, übernahm sie die Leitung der Musikschule im neu entstandenen Bezirk. Aufgewachsen ist Ina Finger im Berliner Umland. Seit 55 Jahren spielt sie Cello. Zu diesem Instrument kam sie eher zufällig. Ihre Musiklehrerin schickte sie zur Aufnahmeprüfung an der Musikschule. Eigentlich wollte sie als Sechsjährige lieber Klavier oder Geige lernen. Da für keines der beiden Instrumente ein Platz an der Musikschule frei war, bot man ihr Cello-Unterricht an. „Ich wusste damals noch nicht mal, was das für ein Instrument ist.“ Was ihr von Anfang an viel Spaß gemacht habe, sei das gemeinsame Musizieren. Mit zehn Jahren kam sie dann als Internatsschülerin auf die Spezialschule für Musik, dem heutigen Musikgymnasium Carl Philipp Emanuel Bach in Mitte. Nach der Schule studierte sie an der Hochschule für Musik Hanns Eisler, die sie 1984 allerdings ohne Abschluss verlassen musste, weil sie einen Ausreiseantrag gestellt hatte. Inzwischen ist sie rehabilitiert. Nach ihrer Ausreise nach West-Berlin schloss sie ein neues Studium an der damaligen Hochschule für Künste ab.
Vom Studium an der Ost-Berliner Hochschule habe sie dennoch sehr profitiert, da im Orchesterstudiengang damals Pädagogik und Didaktik immer wichtige Bestandteile waren. „Das war ein wegweisendes Modell.“ Denn die Zahl der Orchesterplätze sei immer schon begrenzt gewesen. Auf einen Platz im Orchester spielen in der Regel bis zu 150 Personen vor. Entsprechend sinnvoll ist es, die Absolvent*innen von Musikschulen auch auf das Berufsfeld der Lehre vorzubereiten. So habe sie im Studium das Rüstzeug für die Tätigkeit als Lehrkraft erhalten.
„Dass mir das pädagogische Arbeiten so viel Spaß macht, hätte ich selbst nicht gedacht. Unterrichten ist wirklich großartig.“ Es sei sehr schade, dass sie aufgrund ihrer Leitungsfunktion heutzutage gar nicht mehr dazu komme. Nur ein Ensemble der Musikschule leitet sie aktuell noch. Für klassischen Instrumentalunterricht fehle durch viele Sitzungen und Gremien die Zeit und die vor allem die Kontinuität.

Sommerfest Musikschule

Einstieg über die musikalische Früherziehung

Seit 2019 ist Max Mille stellvertretender Musikschulleiter. Zu seinen Aufgaben gehören die Öffentlichkeitsarbeit, das Projekt- und Veranstaltungsmanagement. Eines seiner ersten Projekte war die Umstellung der Webseite. Größere Bauprojekte und akustische Ertüchtigungen der Musikschulräumlichkeiten koordiniert er ebenfalls. Gleichzeitig fungiert er als Schnittstelle zwischen den Lehrkräften, den Fachgruppenleitungen und der Verwaltung.

Insgesamt ist er seit zehn Jahren bei der Musikschule beschäftigt. Nach seinem Studium in Köln kam er zurück in seine Heimatstadt Berlin und wurde von seiner ehemaligen Professorin auf die Stellenausschreibung als Honorarkraft bei der Musikschule in Friedrichshain-Kreuzberg hingewiesen. Studiert hat er Musik im Lehramt, Jazz-Saxophon und elementare Musikpädagogik. In seinen ersten fünf Jahren in der Musikschule hat er vor allem musikalische Früherziehung für Kinder ab vier Jahren unterrichtet. Nach und nach kamen Saxophon-Schüler*innen dazu. Immer noch unterrichtet er fünf Saxophonschüler*innen. Viele davon haben bei ihm in der Früherziehung mit der Musik angefangen. „Es ist toll die Kinder so lange zu begleiten. Die haben bei mir im Unterricht angefangen, als sie einen Meter groß waren und inzwischen sind sie genauso groß wie ich. Wenn man Kinder oder Jugendliche nach acht Jahren gemeinsamem Unterricht verabschiedet, ist das schon emotional.“ Schließlich begleite man die Schüler*innen für einen großen Teil ihres Lebens.
Zur musikalischen Früherziehung gehört singen, tanzen, hören, Instrumentalspiel, improvisieren, Musik erfinden, malen und Geschichten erzählen, immer im Zusammenhang mit Musik. Auch das soziale Lernen in der Gruppe ist in diesem Alter wichtig. Ein Kurs dauert 60 Minuten. „Das ist eine sehr konzentrierte Stunde mit musikpädagogischem Ziel. Die Kindergruppen können sehr unterschiedlich sein. Manche sind einfacher, andere weniger leicht zu händeln. Ziel ist immer, allen einen Zugang zu Musik zu ermöglichen – und das möglichst auf spielerische und lustvolle Weise.“

Jubiläum Musikschule

3.232 Personen auf der Warteliste

Die räumliche Situation in Friedrichshain für die Elementarpädagogik sei schwieriger. Grundsätzlich könne man alle Kinder für Musik begeistern, aber eben nicht alle für ein Instrument. Viele Kinder ziehen weiter ins Instrumentenkarussell oder erlernen an der Musikschule ein Instrument. Andere kommen nur ein oder zweimal und bleiben dann weg. Die Faktoren können hier sehr unterschiedlich sein. Vor allem für die Kurse der elementaren Musikpädagogik gibt es lange Wartelisten. „Unsere lange Warteliste birgt ein großes Frustrationspotenzial“, stellt Ina Finger fest. Aktuell stehen 3.232 Menschen nur für Instrumental- oder Gesangsunterricht auf der Warteliste. Hinzu kommen die Anmeldungen der elementaren Musikpädagogik.

Zusätzlich zu den Nachmittagsangeboten für kleine Kinder – mit und ohne Eltern – bietet die Musikschule Vormittagskurse für Kitagruppen, die geschlossen von ihrer Kita für einen Kurs die Musikschule besuchen. Dieses Angebot ist für alle Kitas kostenfrei. Die Kosten hierfür trägt der Bezirk. Ziel ist es, die Musik nachhaltig in den Kita-Alltag zu integrieren. Aktuell kooperiert die Musikschule mit 23 Kitas, von denen 42 Gruppen in beiden Ortsteilen zu Kitakursen kommen. So kämen sozial sehr durchmischte Kindergruppen ins Haus. Das gute an dem Angebot sei, dass die Gruppen in die Musikschule kommen, wo die Räume entsprechend gut mit Instrumenten ausgestattet sind. Auch in der Früherziehung lernen die Kinder schon Orchesterinstrumente kennen. Außerdem schauen sie sich gemeinsam an, wie größere Kinder ein Instrument spielen.

Das gefragteste Instrument in der Musikschule ist das Klavier, gefolgt vom Schlagzeug. Insgesamt kann man an der Musikschule über 50 verschiedene Instrumente lernen. Ina Finger: „Es muss nicht immer das Klavier sein. Es gibt so viele andere schöne Instrumente.“ Aus ihrer Sicht gibt es für jeden Menschen das passende Instrument. Um herauszufinden, welches Instrument zu welchem Kind passt, müsse man die Kinder ein wenig kennenlernen. Das Instrumentenkarussell bietet Kindern die Gelegenheit, innerhalb eines Kurses unterschiedliche Instrumente zu erforschen und auszuprobieren. Für Kinder, die gern für sich allein sind, empfiehlt sie Klavier oder Gitarre. Für diejenigen, die gern unter anderen Menschen sind und in der Gruppe musizieren, eher Orchesterinstrumente. Gerade im Instrumentenkarussell ist aus Max Milles Sicht auch entscheidend, welche Lehrkraft welches Instrument vorstellt. „Die Person, die ein Instrument vorstellt, kann auch einen großen Einfluss darauf haben, ob die Kinder dieses Instrument wählen oder nicht.“ Am wichtigsten sei, dass Musik das eigene Leben bereichert –egal mit welchem Instrument.

Konzertsaal Musikschule

Jede*r ist musikalisch

Beide Leitungskräfte sind sich einig, dass jeder Mensch musikalisch ist. Häufig sei es eine Fremdzuschreibung, dass jemand unmusikalisch sei, zum Beispiel von den eigenen Eltern. Zu Musikalität gehöre mehr als nur das Musizieren auf einem Instrument. Ina Finger: „Jeder hört doch irgendeine Art von Musik. Eine gewisse Begeisterung für die Musik hat also jeder.“ Die motorischen Fertigkeiten könne man ebenso trainieren wie das Gehör. Gleichzeitig habe Musik viel mit Mathematik zu tun. Auch für Max Mille gehört zu Musikalität neben dem Musizieren das Musikhören, das darüber Sprechen, der tänzerische Ausdruck und mehr dazu. Ina Finger: „Musik ist überall.“ Wichtig sei, dass das Musikmachen den Menschen Freude bereite. „Musik ist für mich wie ein Virus – und es ist unsere Aufgabe, die Menschen damit zu infizieren.“ Aber Musikmachen brauche auch Zeit. „Die Eltern haben häufig eine völlig falsche Erwartungshaltung. Ein Instrument lernt man nicht innerhalb eines halben Jahres. Lernerfolge können hart und mühselig sein. Aber dieser Weg stärkt gleichzeitig das Erfolgsgefühl.“
Der Kern der Musikschule ist aus Ina Fingers Sicht das gemeinsame Musizieren. Der Unterricht bilde die Basis zum Erlernen der Technik. Ein wichtiger Teil der Arbeit der Musikschule seien aber auch die zahlreichen Chöre, Ensembles und Bands. Es gibt für die verschiedenen Instrumente und Musikrichtungen sowie Altersgruppen in beiden Stadtteilen umfangreiche Angebote.
Eine Herausforderung für Musiker*innen sei in der dicht besiedelten Mieterstadt Berlin das regelmäßige Üben ihrer Instrumente. Gerade für Bläser*innen sei das in Wohnungen häufig schwierig. Umso wichtiger sei das regelmäßige gemeinsame Proben im Rahmen der Ensemblearbeit der Musikschule.

Die Puhdys

Tanz- und Unterhaltungsmusik an der Friedrichshainer Musikschule

Eine besondere Tradition der Friedrichshainer Musikschule war die Spezialisierung auf Tanz- und Unterhaltungsmusik von 1963 bis 1981. In der gesamten DDR war die Musikschule Friedrichshain die einzige Institution hierfür. Wer dort musikalisch ausgebildet wurde, bekam zum Abschluss einen entsprechenden Berufsausweis. „Alle großen Bands der DDR sind dort gegründet worden“, erklärt die Schulleiterin. Dazu gehören beispielsweise City, Karat, Pankow, die Puhdys und Silly. Aber auch bekannte Solist*innen wie Inka Bause, Angelika Mann, Uschi Brüning, Achim Mentzel und Wolfgang Lippert haben ihre Musikausbildung dort absolviert. „Sie haben hier an der Musikschule eine sehr fundierte Ausbildung bekommen – und das hört man ihrer Musik auch an.“ Erst ab 1981 war in der DDR dann ein entsprechendes Studium an der Hochschule möglich.

An diese Tradition möchte Ina Finger anknüpfen und hat 2010 die Fachgruppe Popularmusik als Zweig in ihrer Musikschule aufgebaut. „Wir alle hören tägliche Popmusik. Diese Musikrichtung nimmt im Alltag eine große Rolle ein.“ Neben der Studienvorbereitung für klassische und Jazzmusik kann man in Friedrichshain-Kreuzberg auch die studienvorbereitende Ausbildung in Popularmusik absolvieren. Die Studienvorbereitung fürs Musikstudium ist ein großer Bereich innerhalb der Musikschule. „Wir sind stolz, dass viele unserer Schüler ihren Weg ins Studium schaffen.“