Ein Blick in die Partnerstädte – Unser Partner Dêrik in Nordostsyrien über das Leben zwischen den Fronten

Dieses Schild mit dem Hinweis auf die Städtepartnerschaft steht an den drei wichtigen Ausgangsstraßen aus Dêrik

Triggerwarnung: In diesem Artikel werden Bürgerkrieg und Bombardierungen beschrieben.

Friedrichshain-Kreuzberg pflegt elf Städtepartnerschaften weltweit, die durch Vereine der Zivilgesellschaft im Bezirk getragen und gestaltet werden. Seit 2019 gibt es auch eine Städtepartnerschaft mit der Stadt Dêrik in Nordostsyrien im Gebiet der dortigen Selbstverwaltung. Unterstützt durch den sehr engagierten Städtepartnerschaftsverein Friedrichshain-Kreuzberg – Dêrik e.V., haben die Stadtverwaltung von Dêrik und zivilgesellschaftliche Initiativen gemeinsame Projekte wie eine Flussbettbegrünung, einen Spielplatz oder eine Mobile Klinik für Frauen und Kinder im Umland von Dêrik realisiert (1). Weitere Projekte wie der Bau eines solarbetriebenen Brunnens für ein Stadtviertel in Dêrik, sind in Planung. Welche Themen bewegen unsere Partnerstadt mit ca. 60.000 Einwohner*innen, darunter viele Binnengeflüchtete?

Ein Beitrag von Elke Dangeleit, Vorsitzende des Städtepartnerschaftsvereins

Foto des zerstörten Umspannwerkes in der Parnerstadt Dêrik

Im November 2022 kam es zu von der türkischen Regierung befohlenen Luftangriffen auf ein Umspannwerk in unmittelbarer Nähe von Dêrik. Die Stadt und die umliegenden Dörfer waren daraufhin wochenlang ohne Strom. Das verheerende Erdbeben am 6. Februar 2023 in Syrien und in der Türkei hat weltweit Entsetzen und große Solidarität ausgelöst. Im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg war die Hilfsbereitschaft überwältigend, viele Menschen folgten den Spendenaufrufen unserer Städtepartnerschaftsvereine Kadıköy/Istanbul und Dêrik. Viele Bezirksverordnete folgten dem gemeinsamen Aufruf der beiden Städtepartnerschaftsvereine in einer Bezirksverordnetenversammlung im Mai, ihre Sitzungsgelder für die Erdbebenhilfe zu spenden.

Erdbebenschaden an der Kanalisation in Dêrik

In unserer Partnerstadt Dêrik wurde durch das Erdbeben in der Nähe des Krankenhauses die Kanalisation stark beschädigt und einige Schulen mussten wegen Baufälligkeit geschlossen werden. Der Städtepartnerschaftsverein konnte mit Spenden schnell bei der Reparatur der Kanalisation helfen. Das war wichtig, um eine Ausbreitung von Cholera zu verhindern.

Wir sprachen mit den Ko-Bürgermeister*innen von Dêrik, Berivan Hussain und Ciwan Hêsen, welche Themen die Menschen in Dêrik derzeit am meisten bewegen:

Dieses Bild zeigt das zerstörte Fahrzeug, bei dem die Zivilisten ums Leben kamen, die helfen wollten.

Angriffe mit Kampfflugzeugen und Drohnen durch die türkische Luftwaffe

Ciwan, seit Anfang des Jahres neuer Ko-Bürgermeister, war Augenzeuge des Angriffs türkischer Kampfflugzeuge auf ein Umspannwerk in der Nähe von Dêrik, bei der elf Zivilist*innen ums Leben kamen (2). Unter den Toten war auch Hediye Abdullah, eine Mutter von sechs Kindern, welche die Bezirksverordnete Elke Dangeleit 2018 bei ihrem Besuch in Dêrik kennen gelernt hatte.

Der Ko-Bürgermeister erklärte, dass seit Beginn des Bürgerkriegs in Syrien 2011 und seit der Gründung der demokratischen Selbstverwaltung die türkische Regierung den Aufbau von demokratischen Strukturen in der Region durch Drohnenangriffe auf zivile Infrastruktur und Zivilist*innen, sowie durch die Unterstützung von islamistischen Milizen und IS-Schläferzellen torpediere. Das zermürbe die Bevölkerung, es sei eine ungeheure psychische Belastung.

Eine Gruppe Menschen wird an einer mobilen Klinik in der Parnerstadt Dêrik versorgt

Große Herausforderungen für unsere Partnerstadt: Klimakrise, Wassermangel und ausbleibende internationale Hilfe

Die Landwirtschaft und damit Lebensgrundlage für die Bevölkerung in unserer Partnergemeinde ist bedroht. Die einstige Kornkammer Syriens wird zur Wüste. Neben der Klimakrise ist ein wesentlicher Faktor das Staudammprojekt GAP der Türkei (3). Die türkischen Staudämme speichern das Wasser von Euphrat und Tigris. Abflussmengen in den Irak und nach Syrien wurden dadurch erheblich reduziert. Dadurch sinkt u.a. der Grundwasserspiegel in Nordsyrien und es müssen immer tiefere Brunnen gebohrt und stärkere Pumpen installiert werden. Die Ko-Bürgermeisterin Berivan berichtet über die ständige Sperrung der Wasserzufuhr im Wasserwerk im türkisch besetzten Serekaniye. Dadurch sind große Teile der Region Dschasira, zu der auch Dêrik gehört, immer wieder von der Wasserversorgung abgeschnitten, was vor allem für die Bauern im Umland von Dêrik ein großes Problem ist (4). Sabotageaktionen von IS-Schläferzellen und Brandsätze türkischer Drohnen führen neben Unachtsamkeit der Bevölkerung immer wieder dazu, dass Getreidefelder in Brand geraten. „Wie sollen wir unter diesen Bedingungen unsere Bevölkerung ernähren, wenn die Ernte vorzeitig zerstört wird? Die Bürger*innen erwarten von uns, dass wir für ihre Grundbedürfnisse sorgen. Internationale Hilfe kommt hier nicht an, weil diese über das Assad-Regime organisiert wird.“

Das Assad-Regime spart bei der Verteilung der internationalen Hilfe das Gebiet der Selbstverwaltung aus, um den Druck zu erhöhen, sich dem autokratischen Regime unterzuordnen. Auch über den nordirakischen Grenzübergang Fish Khabur/Semalka kommen keine Importe an, die Region unserer Partnerstadt ist also weitestgehend isoliert und abgeriegelt. Auch die Fördergelder des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) sind für die Region, in der unsere Partnerstadt liegt, gesperrt mit der Begründung, man fördere nicht die syrische Regierung und auch nicht die Selbstverwaltungen in Nordsyrien.

Das Wiedererstarken des IS

Eine weitere große Besorgnis in unserer Partnerstadt, ist das Wiedererstarken des IS. „Wir haben große Angst vor der heranwachsenden, in IS-Ideologie erzogenen Generation, die nun langsam ins Erwachsenenalter kommt“, berichten die Ko-Bürgermeister*innen. Bei Dêrik befindet sich mit dem Camp Roj eines der IS-Gefängnisse, in dem viele IS-Terrorist*innen inhaftiert sind – auch internationale. Alle haben Angst, dass sich hier, nahe der türkischen Grenze, ein ähnlicher Angriff auf das Camp Roj wie letztes Jahr in Hasaka ereignen könnte. (5) Damals flohen mehrere hundert IS-Terroristen aus dem Gefängnis u.a. in die Türkei.

Wie können wir in Friedrichshain-Kreuzberg unsere Partnerstadt unterstützen?

Wir haben keinen nennenswerten Einfluss auf die Außenpolitik der Bundesregierung. Wir können aber unsere kurdische, assyrische und arabische Bevölkerung im Bezirk unterstützen und Sichtbarkeit für die großen Herausforderungen unserer Partnergemeinde schaffen. In unserem Bezirk leben viele Menschen aus Syrien: Ärzt*innen, Lehrer*innen, Verkäufer*innen, Bauarbeiter*innen. Wir können auch im Alltag mehr Bewusstsein für diese multikulturelle und multiethnische Region leisten indem wir im Privaten wie auf Ämtern nicht nur nach der Staatsangehörigkeit fragen, sondern auch nach ihrer Muttersprache oder Zugehörigkeit. Aus unserer Partnerstadt wissen wir um die Vielfalt der arabischen, kurdischen, assyrischen, armenischen, christlichen und jesidischen Bevölkerung sowie um ihre Sprache und Kultur in Syrien, die sich auch in unserem Bezirk wiederspiegelt. Der Städtepartnerschaftsverein setzt sich für die Sichtbarkeit dieser Vielfalt ein und macht die Probleme in Dêrik (arabisch: Al-Malikiya) und hier deutlich. Der Städtepartnerschaftsverein freut sich über praktisches Engagement und Spenden.

Spendenkonto

Städtepartnerschaft Friedrichshain-Kreuzberg – Dêrik e.V.
IBAN: DE54 4306 0967 1225 6804 00
BIC: GENODEM1GLS • GLS-Bank

Kontakt: info@staepa-derik.org

Links:

Weitere Neuigkeiten aus den Städtepartnerschaftsvereinen:

Von den 11 Städtepartnerschaften Friedrichshain-Kreuzbergs liegen fünf in Deutschland, be-treut vom Partnerschaftsverein Berlin – Friedrichshain-Kreuzberg e.V.

Vom 30.6. – 02.07. fand das internationale Tischtennisturnier in unserer Partnerstadt Wiesbaden statt. Neben Teams von Partnerstädten Wiesbadens aus der Schweiz und aus Frankreich, sowie aus Görlitz, war auch Friedrichshain-Kreuzberg mit vier Vertreter*innen des PV Friedrichshain-Kreuzberg mit einer kleinen Tischtennismannschaft des Eintracht Südring dabei. Die Siegereh-rung nahm Wiesbaden Oberbürgermeister Gert-Uwe Mende vor. In ihrem Bericht erzählt Florence Schulz mehr über die mehrtägige, sportliche Begegnung. Wir gratulieren zur sportlichen Leistung!